Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder 3. Sonntag vor der Passionszeit – Septuagesimae 24. Januar 2016 1. Korinther 9, 24-27 Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Liebe Gemeinde, Paulus war über manche Erscheinung und Entwicklung in der jungen Gemeinde von Korinth verärgert: ziemlich schnell hatten sich Klüngel gebildet, die jeweils ihrem Idol anhingen, und manches Verhalten der Christen konnte auch beim besten Willen nicht mit den Geboten Gottes und der Lehre der Kirche in Übereinstimmung gebracht werden. In seinen Briefen nach Korinth ist Paulus darum stellenweise sehr deutlich, so dass manche Ausleger angenommen haben, der Apostel wäre gekränkt gewesen von Äußerungen der Korinther und hätte darum so scharf formuliert. Doch Paulus streut immer wieder die Anrede „liebe Brüder“ – und wir ergänzen heute völlig zu Recht „und Schwestern“ – in seine Ausführungen ein, als wolle er die volle Aufmerksamkeit seiner Leser und Hörer erlangen, weil er hier grundsätzlich Wichtiges über den Glauben, vor allem aber den gelebten Glauben der Christen sage. Über aller persönlichen Kränkung oder Verärgerung, die bitte auch Paulus zugestanden sei, steht für den Apostel der Wunsch, die Christen in Korinth möchten im Glauben gefestigt werden und in ihrer Liebe zu Gott und … Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder Seite 2 … untereinander wachsen. Darum redet Paulus Klartext, darum äußert er Unverständnis und Missfallen über manche moralischen Verfehlungen in der Gemeinde von Korinth, fügt aber zugleich in jeden Absatz seiner Briefe ein Wort der Ermutigung ein oder einen Hinweis, wie die noch nicht in allem gefestigten Christen in Korinth ihre Christusnachfolge leben sollten. Wie überall in den Städten des Römischen Reiches waren auch in Korinth die Christen eine verschwindende Minderheit in der Bevölkerung. Vergessen wir nicht, auch wir heute sind in fast allen Städten Deutschlands zu einer Minderheit geworden. Immer wieder wurden die Christen von ihren Mitmenschen belächelt oder verspottet, im schlimmsten Fall verfolgt, gefoltert oder sogar getötet. Auch daran hat sich bis heute in der Welt nicht viel geändert – im Gegenteil. „Wozu das alles?“ fingen manche zu grübeln an. „Wenn wir die Regeln unseres Zusammenhalts in der Gemeinde lockerer sehen, passiert doch auch nichts. Vielleicht werden wir sogar attraktiver für andere. Auf jeden Fall fallen wir nicht auf.“ Diese Rechnung geht nicht auf, ist Paulus überzeugt. Christ zu sein und als Christ zu leben ist damals zuerst die Entscheidung eines einzelnen Menschen. Es gibt weder eine Staatskirche noch eine Volkskirche, christliche Familientraditionen oder Konventionen sind noch unbekannt und irgendwelche gesellschaftlichen Normen, sich taufen zu lassen, existieren nicht. Wer sich für Christus entscheidet, sagt bewusst ja zu Jesus von Nazareth als dem Christus Gottes und trägt fortan das Bekenntnis zu Kreuz und Auferstehung Jesu Christi an sich, weiß sich beschenkt vom Heiligen Geist und erhält seinen Platz in der Gemeinschaft der Heiligen. Hehre Worte und fremd klingende zugleich, aber sie sind allesamt aus dem reichen Wortschatz des Apostels Paulus genommen. … Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder Seite 3 … „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt…Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.“ Ob Paulus dieses Wort Jesu, das im Johannesevangelium überliefert wird, gekannt hat oder nicht, er argumentiert genau auf dieser Linie. Ihr seid Träger einer verliehenen Würde und beschenkt mit einer auszeichnenden Ehre, als hättet ihr schon vor dem Start ins Leben einen Siegespreis erhalten. Und ihr habt ihn erhalten – als Anzahlung oder Angeld: Er heißt Heiliger Geist, und der fügt euch alle zusammen zu einem Team in der Arena des Lebens in Korinth, in Rom, in Hamburg, damals, als Paulus seinen Brief schrieb und heute und bis zum Jüngsten Tag – und auf dem Trikot steht nicht der Werbeschriftzug für einen Sponsor, der damit Geld zu verdienen gedenkt, sondern dort steht „Liebe“ als Markenzeichen des Heiligen Geistes, das sogar befähigt, zum Feind Freund zu sagen, zu vergeben und nicht zu hassen. Welches Abendland soll von denen geschützt werden, die in manchen Städten unseres Landes auf die Straße gehen und ihre Parolen rufen? Das Trikot, für das Paulus wirbt, tragen sie jedenfalls nicht. Das Bild von der Kampfbahn im Stadion, das der Apostel verwendet, war den Christen in Korinth vertraut. Alle zwei Jahre gab es in der Stadt große internationale Sportwettbewerbe, die Menschen von nah und fern anzogen und sie Feuer und Flamme sein ließen für die Sportler, die hart trainiert und manches Opfer gebracht hatten, um am Ende mit dem Siegerkranz ausgezeichnet und von den Menschen gefeiert zu werden. Es ist ein kluges und zeitlos gültiges Bild, das Menschen damals wie heute sofort verstehen: Es geht um Disziplin, um Ausdauer und um Fitness – und in diesem Bild übertragen um Disziplin, Ausdauer und Fitness im Glauben. … Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder Seite 4 … Christlicher Glaube ist kein Volkslauf, wie jene, an denen ich als Jugendlicher teilgenommen habe. Heute heißt so etwas zum Beispiel HSH-Nordbank-Run, und der Michel ist seit dem letzten Jahr mit einer eigenen Mannschaft dabei. Am Ende des Volkslaufs damals habe ich eine Medaille bekommen – nur für die Teilnahme. Beim HSH-Nordbank-Run bekommt auch jede Mannschaft eine Urkunde, nicht nur weil sie teilgenommen hat, sondern weil sie mit dem Startgeld zugleich einen Beitrag zu einem Sozialprojekt geleistet hat. Dieses „Dabeisein ist alles“-Motiv ist Paulus fremd. Für die, die einfach nur mitlaufen und am Ende irgendwann ins Ziel kommen, gibt es keine Medaille. Nur der, der als erster über die Ziellinie läuft, wird der Auszeichnung gewürdigt. Das fördert doch schlimmes Konkurrenzverhalten, mögen wir einwenden, und einen Ehrgeiz, der ohne Rücksicht auf andere versucht, für sich selbst das Höchste und Beste zu erreichen. Ja und Nein. Das Bild und die Frage, die Paulus an den Anfang dieses Abschnittes seines ersten Briefes nach Korinth stellt, sind rhetorisch gemeint und suchen keine Diskussion. Der Apostel sagt vielmehr dies: Jeder Christenmensch sollte sein Christsein-Training auf das Ziel ausrichten, als Erster die Ziellinie zu durchlaufen. Der Sieg steht bei Paulus dabei gar nicht im Vordergrund. Wir sind so gewohnt, vom Ergebnis her zu denken, denn so hören wir es ständig in Sportberichten. Wird ein Sportler Vierter, wird gesagt, er habe das Podest verpasst, wird eine Sportlerin zweite, heißt es, sie musste sie sich ihrer Konkurrentin geschlagen geben. Der eigene Wert wird gar nicht gemessen, das eigene Bemühen steht hinter dem erfolgreicheren Bemühen des Siegers zurück. … Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder Seite 5 … Doch so denkt Paulus nicht, denn es gibt für ihn sowieso nur einen Sieger, und der ist längst im Ziel: Christus, der den Tod überwunden hat durch sein Kreuz und ins neue, ewige Leben auferstanden ist. Erinnern wir uns: Kreuz und Auferstehung Christi hat der angenommen, der sich für Christus entschieden, für den Christus sich entschieden hat. Das heißt, dem Apostel geht es in seinen Worten weniger um den tatsächlichen Sieg vor anderen als darum, alles Bemühen und jene Entschiedenheit auf dem Weg des Glaubens und des Lebens zu zeigen, die ein Sieg erfordert. „Lauft so, dass ihr ihn erlangt.“ fordert Paulus uns auf, und kommt dann zu den Härten des Trainings. Welchen Plan hat der Trainer aufgestellt? Strenge Diät in der Fastenzeit? Sieben Wochen ohne, um meine Gewohnheiten zu durchbrechen? Alles gut, hätte auch Paulus gesagt. Eine hilfreiche Übung, wenn der Verzicht hier eine Auffüllung, sprich ein stärkeres Engagement dort erlangt, wo es um den unvergänglichen Siegerkranz geht. So ist die Intention des christlichen Trainings die Verstärkung einer Abhängigkeit, die uns an einen Bund bindet, den Christus mit denen geschlossen hat, die ihm folgen: „Dies ist der neue Bund, das neue Testament, in meinem Blut, das für euch vergossen ist zur Vergebung der Sünden.“ In diesem Bund zu bleiben ist der Sinn alles Bemühens des christlichen Läufers. In den Worten des Apostels klingt das sehr leibfeindlich und weltverachtend: „Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn.“ Bilder von mittelalterlichen Geißlern kommen uns vielleicht in den Sinn oder die gruseligen Mönchsgestalten, die Umberto Eco in seinem Roman „Der Name der Rose“ beschreibt. Doch solche über Jahrhunderte in der Kirche verbreitete Leibfeindlichkeit wird Paulus nicht gerecht, denn wenige Kapitel vor unserem Text hat er sein … Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder Seite 6 … theologisches Verständnis unseres Leibes dargelegt: „Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr euch nicht selbst gehört?“ Christliches Training hat einen Ursprung: Gottes Entscheidung, in uns Wohnung zu nehmen. „Ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leib“ heißt das in den Worten des Apostels Paulus. Darum allein soll auf dem Weg durch unser Leben als Christen diese Entscheidung Gottes präsent bleiben und von dort her das Ziel in den Blick kommen: Das, was Gott in mich investiert hat, durch mein Leben zu verkünden; ein lebendiges Zeugnis und ein Kämpfer für das Evangelium zu sein im Bewusstsein, dass auf meinem Trikot „Liebe“ steht. Dafür aber braucht es Disziplin, Ausdauer und Fitness bei jedem einzelnen, nur dass jeder einzelne, jeder von uns, auch die Ausdauer und die Fitness der anderen braucht. Es geht nicht darum, die anderen hinter uns zu lassen. So zu denken, hieße den Apostel missverstehen. Es geht vielmehr um Achtsamkeit – Paulus nennt es die Rücksicht auf die Schwächeren im Glauben. Sie mitzunehmen, zu fördern und zu fordern, ohne sich selbst aus dem Lauf herauszunehmen, das ist die Übersetzung des Rufes zur Einheit, den Paulus gegen die Klüngelbildung in Korinth ganz an den Anfang seines Briefes gesetzt hat. Ihm geht es um die Kraft, die von Gott ist und in uns wirkt, um den Geist, der von Gott ist und in uns wohnt und der sich ständig ausstreckt, um andere zu erreichen, die mir auf meinem Weg begegnen und ihnen durch mich Gottes Ruf, Gottes Siegerkranz, Gottes Evangelium anzubieten. Dass das kein leichter Weg ist, zeigen uns Millionen Christen, die für ihren Glauben leiden, verfolgt werden oder Nachteile auf sich nehmen. Dass man … Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder Seite 7 … sich den Weg leicht macht, ist die Gefahr, vor der Paulus warnen will. Der Preis für die, die sich mühen und bemühen, ist grandios: kein Pokal, der morgen im Schrank verstaubt, sondern Gemeinschaft mit Gott und untereinander – ewig und unzerstörbar – und: schon jetzt lebendig und greifbar hier: Nehmet hin und esset und trinket alle daraus: das ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Dafür lohnt manche, nein, jede Mühe. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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