Erik Satie 1866 - 1925 Der exzentrische Komponist war mit vielen Avantgarde-Künstlern befreundet und wurde hoch geschätzt. Er nahm viele Trends der modernen Musik um ein halbes Jahrhundert vorweg. Von: Santiago Rusinol – Picasso - Satie selbst – Ramon Casas Fast 30 Jahre lang konnte man in Paris einen Mann treffen, der vom südlichen Vorort Arcueil die 10 km zum Montmarte lief, um dort in Bars und Cabarets als Pianist etwas Geld zu verdienen oder seine Freunde zu treffen. Er trug stets den gleichen makellosen grauen Samtanzug und einen steifen schwarzen Hut. Stets führte er einen schwarzen Stockschirm mit sich, weil er den Sonnenschein hasste. In der Tasche verbarg er einen Hammer, denn er fürchtete einen Überfall. Alfred Eric Leslie Satie, uns bekannt als Erik Satie, wurde 1866 in Honfleur geboren und anglikanisch getauft (die Mutter stammte aus einer schottischen Familie). Vier Jahre später zog die Saties nach Paris. Als 1872 Eriks Mutter starb, kamen er und ein jüngerer Bruder zurück nach Honfleur zur Großmutter väterlicherseits, die ihn noch einmal katholisch taufen ließ. Es ergab sich der Kontakt zum örtlichen Organisten und Chorleiter, von dem Erik ab 1874 Musikunterricht erhielt; so kam er früh mit Gregorianischem Gesang in Berührung. 1878 ertrank die Großmutter beim Baden, Erik kam zurück zum Vater nach Paris. Der Vater heiratete eine 10 Jahre ältere Konzertpianistin und ehrgeizige Musikpädagogin. Sie meldete Erik am Pariser Konservatorium an, wo er es aber nur zweieinhalb Jahre aushielt; seine Lehrer beurteilten ihn als hoffnungslosen Fall. Es heißt, er sei kein übler Pianist gewesen, nur mit einer Schwäche beim Spielen vom Blatt. 1884 begann er zu komponieren. Zu seinen frühen Stücken gehören Ogive (1886), die bekannten Gymnopédies (1888) und die ebenso bekannten Gnossiennes (1890), Stücke von fast hypnotischem Gleichmaß, zeitlos fließend wie gregorianischer Gesang. Sie gelten als Vorläufer der „Mimimal Music“ der 1970er Jahre. Satie war stets ein Gegner bombastischen Klangs a la Wagner oder Berlioz, allzu hehrer Ansprüche. Sein Ideal war Einfachheit und Klarheit, die kleine Form. Er war bereit dazu mit allen Traditionen zu brechen. Konsequent entwickelte er die Idee einer „Musique d’ameublement“, die so wenig am Herumlaufen stören sollte wie ein Möbelstück. Ein erster Versuch ging schief: 1902 baten Satie und ein Kumpel bei einer Vernissage inständig die Besucher, ihrer Musik nicht zuzuhören, aber der Gallerist unterbrach seine Ansprache und alle achteten auf die Musiker. Heute hören wir in jedem Supermarkt, jeder Hotellobby Hintergrundmusik. 1917, 1920 und 1923 machte Satie neue Anläufe. Zu den bewusst banalsten Stücken gehört „Carrelage Phonic“, ein ganz kurzes, nach Art von Fliesen endlos zu wiederholendes Stück, zu dem er schrieb: „Peut se jouer a un lunch ou a un contrat de marriage“. Für ein paar Jahre gehörte Satie zu dem von Joséphin Péladan gegründeten Geheimbund der Rosenkreuzler und schrieb für sie Trois Sonneries de la Rose+Crois (1892). Schließlich desillussioniert, gründete er eine eigene Kirche „L’Eglise Métropolitaine d’Art de Jésus Conducteur“, für die er großartige Visionen entwickelte, doch er blieb ihr einziges Mitglied. Im offiziellen Journal der Kirche zog er gegen seine Kritiker vom Leder. Nach freiwilligem Militärdienst verließ er 1887 sein Elternhaus und zog in das Künstlerviertel Montmartre. Er fand eine Anstellung als Pianist im Kabarett Le Chat Noir. 1893 hatte Satie eine heiße Affäre mit Suzanne Valadon, ehemals Zirkusartistin, Modell, Malerin, Mutter eines später als Maurice Utrillo berühmten Malers. Satie wollte sie gleich nach der ersten Nacht heiraten. Immerhin lebten die beiden sechs Monate zusammen. Als die Liebesbeziehung zu Ende ging, blieb Satie zurück „mit nichts als eisiger Einsamkeit die den Kopf mit Leere füllt und das Herz mit Traurigkeit“. Es gibt auch eine unbestätigte Variante des Endes, nach der Satie seine Suzanne aus dem Fenster warf, was diese als ehemalige Zirkusartistin unbeschadet überstand. Bild: R.Casas: „Der Bohemien – Erik Satie v.l.n.r: Suzanne Valadon von Toulouse-Lautrec - Saties Zimmer von Santiago Rusinol – Satie von Suzanne Valadon In dieser Zeit entstand das heute noch beliebte Chanson „Je te veux“, aber ebenso die „Vexations“ („Quälereien“), ein 2-MinutenKlavierstück das nach einer handschriftlichen Notiz Saties 841mal hintereinander wiederholt werden sollte; John Cage führte es 1963 erstmals vollständig auf. Auf Montmartre freundete sich Satie auch mit Debussy und Ravel an, die später Stücke von ihm spielten und ihm damit halfen; sie erhielten ihrerseits viele Anregungen von ihm. Freund und Rivale Debussy orchestrierte zwei der „Gymnopédies“. Über die Jahre wurde Satie mit der ganzen Pariser Avantgarde bekannt, Musikern wie Malern und Dichtern, darunter Picasso, Braque, Man Ray, Jean Cocteau. Von ihnen wurde er anerkannt, er blieb aber selbst immer „Monsieur le Pauvre“, ewig in Geldnöten, Alkoholiker, während andere zu Wohlstand kamen. 1898 übersiedelte Satie nach Arcueil und bezog ein Apartment, das bis zu seinem Tode niemand betreten durfte. Zunehmend entwickelte er neue Schrullen, schrieb sich selbst viele Briefe. Er nahm die Gewohnheit nur weiße Speisen zu essen. - jedenfalls beschreibt er in seinen wunderbar absurden „Memoiren eines Gedächtnislosen“ seine Ernährung so: „Meine einzige Kost besteht aus Speisen die weiß sind: Eier, Zucker, … weißer Käse, Baumwollsalat, bestimmte Fischsorten ohne Haut … Ich habe einen guten Appetit, spreche aber niemals beim Essen aus Angst zu ersticken …“ Autographen 1905 studierte Satie noch einmal Kompositionslehre und Kontrapunkt bei Vincent d’Indie und Albert Roussel, graduierte vier Jahre später mit Bravour an deren Schola Cantorum. Aber seine Musik änderte - abgesehen von einigen „seriösen“ Werken - ihren Charakter nicht, wurde eher noch bizarrer. Satie besaß einen skurrilen Humor, das drückte sich in den Spielanweisungen aus, die er seinen Kompositionen mitgab, wie „beinahe unsichtbar – sehr christlich – wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen“, aber auch in den Titeln seiner Stücke selbst: “Schlaffes Präludium für einen Hund – Getrocknete Embryonen – Drei Stücke in Form einer Birne ….“ Völlig ernsthaft ist „Socrate“ (1918), die Vertonung von drei PlatonDialogen unter Einsatz von vier Sopranen und Kammerorchester. Ein schönes Beispiel für Saties raffinierte Kunst bietet „Sports et Divertissements“. 1914 erhielt er von einem Verlag Salabert den Auftrag, zu 20 Illustrationen von Charles Martin Musik zu schreiben. Im Vorwort heißt es ironisch: " ... Ich empfehle, diesen Band mit freundlicher und vergnügter Hand zu durchblättern, da es sich um ein Werk der Phantasie handelt. Man sollte nichts anderes darin sehen. Für die Gekrümmten und Verdummten habe ich einen ernsten, anständigen Choral geschrieben. Dieser Choral ist eine Art bissige Vorrede, eine Art strenge und züchtige Einleitung. Da habe ich alles hinein gepackt, was ich über den Verdruss weiß. Dieser Choral sei jenen gewidmet, die mich nicht mögen." In diesen kurzen Stücken sieht man, dass Satie bisweilen die Linien der Grafik mit Noten nachzeichnet:s Bad im Meer Das Auen Meer Fall ist ist groß, es ziemlich Madame. tief. Saties Text zu „Le Bain de Mer“ (Das Bad im Meer) lautet: die „Das Meer ist groß, Madame. Auf jeden Fall ist es ziemlich tief. Setzen Sie sich nicht auf den Grund. Da ist es sehr feucht. Hier kommen die guten alten Wellen. Sie sind ganz voll Wasser. Sie sind ja ganz naß! Ja, Monsieur.“ Wunderbar witzig ist auch der Text zur „Sonatine Bureaucratique“ (1917), in der ein Pariser Büroangestellter den Tag an seinem geliebten Arbeitsplatz verträumt. Schon 1899 machte Satie einen ersten Ansatz für ein Ballett, verlor aber die Noten zu „Jack-in-the-Box“; nach seinem Tod fand man sie im Durcheinander seines Apartments. 1926 wurde es, orchestriert von Darius Milhaud, mit mäßigem Erfolg aufgeführt. 1917 schrieb Satie die Musik zu dem Ballett „Parade“, das in Zusammenarbeit mit Jean Cocteau, Pablo Picasso, und Serge Diaghilev entstand. Das Stück verwendet Sirenen, Autohupen, Schreibmaschinen (Bild), Revolverschüsse …. Kein Wunder, dass in der Presse ein Shitstorm losbrach – aber Satie war jetzt berühmt! Um ihn scharte sich eine Gruppe junger Avantgardisten, „Les Six“, darunter Darius Milhaud. Pablo Picasso: Bühnenbildentwurf zu „Parade“ – Aufführung nach altem Vorbild 1924 entstand im Zusammenwirken mit Francis Picabia das Ballett „Relache“. Für die Pause drehte René Clair einen surrealistischen, teilweise sehr hektischen Kurzfilm „Entr’acte“, mit passender Musik Saties, der selbst kurz auftritt. Zermürbt von Alkohol starb Satie 1925 an Leberzirrhose. . Zum erstenmal betraten Freunde sein Appartement. Sie fanden es karg eingerichtet, in chaotischem Zustand, vollgemüllt, mit zwei Flügeln übereinander, wobei der obere nur zur Aufbewahrung von Papieren, Briefen, Paketen jeder Art diente. Wie hatte Satie es geschafft, täglich im makellosen grauen Samtanzug diese Höhle zu verlassen? Er besaß sieben, nach anderen Quellen sogar 12 solcher Anzüge, die er 1895 vom Teil einer kleinen Erbschaft gekauft hatte. Zeichnung von Francis Picabia Hinweis: Sämtliche im Text genannten Musikstücke findet man auf YouTube. Darunter sind „Je te veux“ gesungen von der großen Jessy Norman, und eine vollständige Aufführung von „Vexations“ (19:41 Stunden)! Materialquellen Montage Porträt http://www.expreso.co.cr/centaurs/pics/satie/satie5.jpg Handschrift Seite aus „Sports et divertissements“, pc-blognote.blogspot.de Gemälde Toulouse-Lautrec: Moulin Rouge Bilde im Text Bild links gemalt von Santiago Rusinol Bildnis sitzend gemalt von Picasso, nach Wikiart Selbstbildnis nach Obstklang.co, Bild rechts gemalt von Ramon Casa, nach c1.staticflickr.com Satie vor Mühle von Ramon Casa, nach Wikimedia S. Valadon gemalt von Toulouse Lautrec, nach Wikimedia Commons Zimmer gemalt von Santiago Rusinol, nach wikipedia Bildnis gemalt von S. Valadon, nach wikipedia Autographen links Gnossiene nach glareanverlag.wordpress Links unten Tango nach Symposium.music.org Rechts Choral inappetissant nach s2.imslp.org Rechts unten La Peche (beschnitten) nach isola-di-rifiuti.blogspot.de Le Bain de Mere Musicalion.com, bildklang.com Entwurf Parade Picasso nach tydecks.com Szene aus Parade aus YouTube Orchester „Parade“, nach YouTube Zeichnung Porträt Francis Picabia nach Toute-faite.com Text de.wikipedia.org : Erik Satie; Suzanne Valadon www.tydecks.info : Erik Satie: Parade (1915) www.kalssikakzente.de : Erik Satie Biografie www.britannica.com Enzyklopädie Britannica Erik Satie www.limelight.magazine Australian <Classical Music and Arts Magazine -: Satie wfmu.org : Flabby Preludes for Dog – An Erik Satie Primer www.bildklang.de: Satie Sports et Divertissements; Bain de Mer Text
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