Fall 04 Lösung - Juristische Fakultät

PROPÄDEUTISCHE Ü BUN GEN ZUM GRU NDKURS ZIVILRECHT II
SOMMERSEMESTER 2015
JURISTISCHE FAKULTÄT
LEHRSTUHL FÜR BÜR GERLICH ES RECHT, INTERNATIONALES
PRIVATRECHT UND RECHTSVE RGLEICHUNG
PROF. DR . STEPHAN LORENZ
F ALL 4 – L ÖSUNG
B REMSVERSAGEN
A. Anspruch des K gegen W aus eigenem Vertrag .................................................................. 2
B. Anspruch des K gegen W aus § 823 Abs. 1 BGB ................................................................ 2
I.
Rechtsgutsverletzung ................................................................................................. 2
II. Durch ein Verhalten des Schädigers ............................................................................ 3
III. Zwischenergebnis ...................................................................................................... 3
C. Anspruch des K gegen W aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB .......................................................... 3
I.
Verrichtungsgehilfe ................................................................................................... 4
II. Erfüllung des Tatbestands einer unerlaubten Handlung durch Z ................................... 4
III. Exkulpation ............................................................................................................... 4
IV. Zwischenergebnis ...................................................................................................... 4
D. Anspruch des K gegen W aus §§ 631, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. den
Grundsätzen des Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ...................................................... 5
I.
Schuldverhältnis ........................................................................................................ 5
1.
Leistungsnähe ...................................................................................................... 6
2.
Gläubigernähe ..................................................................................................... 6
3.
Erkennbarkeit ...................................................................................................... 6
4.
Schutzwürdigkeit/Subsidiarität ............................................................................. 7
a)
Kaufvertrag .................................................................................................... 7
b) Sachmangel bei Gefahrübergang ..................................................................... 7
c)
§ 280 Abs. 1 BGB ........................................................................................... 7
aa) Vertretenmüssen ...................................................................................... 7
(1) eigenes Vertretenmüssen .................................................................... 7
(2) § 278 S. 1 BGB ................................................................................... 8
bb) Kausalität, Schaden .................................................................................. 8
d) Zwischenergebnis zur Schutzbedürftigkeit ....................................................... 8
II. Zwischenergebnis zu D .............................................................................................. 8
E. Ergebnis ......................................................................................................................... 9
SUSANNE ZWIRLEIN
AG ZUM GRUN DKU RS ZIVILRE CHT II (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · S OMMERSEMESTER 2015
FALL 4 – LÖ SUNG
K könnte gegen W einen Anspruch auf Zahlung von € 3.000,– haben.
A.
Anspruch des K gegen W aus eigenem Vertrag
K hat gegen W keine Ansprüche aus einem eigenen Vertrag mit diesem, da W
den Inspektionsauftrag von V erhalten hat und daher nur ein Vertrag
zwischen V und W, nicht aber zwischen K und W geschlossen wurde.
B.
Anspruch des K gegen W aus § 823 Abs. 1 BGB
K könnte gegen W einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB
haben.
Wiederholung aus Fall 24 des Wintersemesters:
Die §§ 823 ff. BGB regeln das Recht der unerlaubten Handlungen. Das Recht der
unerlaubten Handlungen (Deliktsrecht) enthält Sanktionen für die Verletzung von
Pflichten, die zwischen jedermann bestehen. Damit bezwecken die §§ 823 ff. BGB
den Schutz des Einzelnen gegen widerrechtliche Eingriffe in seinen Rechtskreis.
Ansprüche aus Delikt sind daher grundsätzlich unabhängig vom Bestehen
vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien; sie können vielmehr gegenüber
jedem Schädiger bestehen.
§ 823 Abs. 1 BGB ist der Grundtatbestand des Deliktsrechts. Die Vorschrift räumt
einem Geschädigten bei rechtswidriger und schuldhafter Verletzung seiner darin
einzeln aufgezählten Rechtsgüter (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum
oder ein sonstiges absolutes Recht) einen Schadensersatzanspruch ein. Damit enthält
§ 823 Abs. 1 BGB das Enumerationsprinzip: Nur die einzeln aufgezählten Rechte,
nicht aber das Vermögen als solches werden deliktisch geschützt (anders ist das etwa
in französischen Recht, das mit Art. 1382 Code civil (CC) eine Generalklausel für
deliktischen Schadensersatz kennt).
§ 823 Abs. 1 BGB kann nach folgendem Schema geprüft werden:
1. Rechtsgutsverletzung
2. Haftungsbegründende Kausalität: Rechtsgutsverletzung durch ein Verhalten
(positives Tun/Unterlassen) des Schädigers
3. Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung
4. Verschulden des Schädigers bzgl. der Rechtsgutsverletzung
5. Haftungsausfüllende Kausalität: durch die Rechtsgutsverletzung verursachter
Schaden
I.
Rechtsgutsverletzung
Durch den Unfall an der Autobahnausfahrt wurde die Substanz des Ford
Focus und damit das Eigentum des K verletzt, das dieser gem. § 929 S. 1 BGB
durch Einigung mit V und Übergabe des Wagens an ihn durch W als
Geheißperson des V erworben hat.
Das Eigentum an einer Sache kann durch Beschädigung oder Zerstörung der
Substanz oder durch Sachentzug verletzt werden. Der Sachentzug stellt nicht nur
eine Besitz-, sondern auch eine Eigentumsverletzung dar, weil dem Eigentümer dabei
die ihm zugeordnete (§ 903 BGB) Nutzungsmöglichkeit der Sache entzogen wird.
Dass der Unfall letztlich durch die fehlende Bremsflüssigkeit und damit durch
einen Mangel des Fahrzeugs verursacht wurde, tut der Eigentumsverletzung
keinen Abbruch. Denn der Schaden an dem Wagen aufgrund des Unfalls geht
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FALL 4 – LÖ SUNG
weit über den Unwert des Fahrzeugs infolge der ursprünglichen
Mangelhaftigkeit hinaus und ist mit diesem nicht stoffgleich. 1 Der Mangel der
Bremsflüssigkeit hätte nämlich vor dem Unfall ohne großen Aufwand
behoben werden können und haftete dem Ford Focus nicht als Ganzem an.
II. Durch ein Verhalten des Schädigers
Der Unfall ist nicht auf ein aktives Tun des W zurückzuführen. Fraglich ist, ob
W für das unterlassene Auffüllen der Bremsflüssigkeit haftet. Dies ist nur
dann der Fall, wenn dieses Unterlassen im Rechtssinne einem positiven Tun
gleichsteht. Das setzt voraus, dass für W eine Rechtspflicht zum Handeln
bestand. Eine solche Pflicht wäre etwa eine Verkehrssicherungspflicht oder
eine Verkehrspflicht. Eine Verkehrssicherungspflicht richtet sich an
diejenigen, die eine Gefahrenquelle beherrschen und verpflichtet sie zur
Abwendung der sich aus ihr ergebenden Gefahren (z.B. Pflicht des Bauherrn
zur Umzäunung einer Baustelle). Eine Verkehrspflicht ist an Personen
gerichtet, die gefahrenträchtige Tätigkeiten ausüben und verpflichtet die
Handelnden zur sorgsamen Ausübung dieser Tätigkeiten (z.B. Pflicht der
Ärzte zur Behandlung der Patienten nach den Regeln ärztlicher Kunst). Der
Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass der W eine
Verkehrspflicht verletzt hat. W hat die Bremsen nicht selbst inspiziert,
sondern den gesamten Inspektionsvorgang unter Erteilung richtiger
Anweisungen auf Z übertragen, so dass die Beachtung der Verkehrspflichten
bei der Reparatur dem Z oblag. 2 Z hat dann seinerseits pflichtwidrig die
Bremsflüssigkeit nicht aufgefüllt. Ein pflichtwidriges Handeln lag somit nur
in der Person des Z, nicht aber in der Person des W vor. Daher ist die
Rechtsgutsverletzung nicht auf ein Verhalten des W zurückzuführen.
III. Zwischenergebnis
K hat daher gegen W keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.
C.
Anspruch des K gegen W aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB
K könnte gegen W einen Schadensersatzanspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB
haben.
1
Das Kriterium der Stoffgleichheit dient in Fällen, bei denen sich in einem Schaden ein schon bei
Vertragsschluss vorliegender Mangel realisiert, der Abgrenzung des Vertragsrechts vom Deliktsrecht und
soll dabei verhindern, dass die besonderen Voraussetzungen des Gewährleistungsrechts über das
Deliktsrecht umgangen werden. Nur wenn der eingetretene Schaden nicht stoffgleich mit dem
Mangelunwert ist, neben dem vertraglichen Äquivalenzinteresse also auch noch das Integritätsinteresse
des Käufers verletzt ist, kommt das Deliktsrecht zur Anwendung. Zu dieser sog. Weiterfresser-Problematik
bei der Abgrenzung von Vertrags- und Deliktsrecht vgl. BGH NJW 1983, 810.
2
Ein Auswahl- und Überwachungsverschuldens des W bei der Überwachung des Z ist an dieser Stelle
noch nicht zu prüfen, da diesbezüglich § 831 BGB die speziellere Regelung ist. Grund hierfür ist u.a. das
im Rahmen von § 831 BGB vermutete Verschulden des Geschäftsherrn. Im Rahmen von § 823 BGB wäre
allenfalls ein darüber hinausgehendes Organisationsverschulden des W bei der Übertragung der
Aufgaben in seinem Betrieb anzusprechen; hierfür gibt der Sachverhalt aber keine Anhaltspunkte.
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FALL 4 – LÖ SUNG
§ 831 BGB ist – im Gegensatz zu § 278 BGB – nicht Zurechnungsnorm, sondern
selbständige Anspruchsgrundlage. Anders als bei § 278 BGB handelt es sich bei der
Anspruchsgrundlage § 831 BGB nicht um eine Haftung für fremde
Pflichtverletzungen, sondern für vermutetes eigenes Verschulden (und damit für
vermutete eigene Pflichtverletzungen) des Geschäftsherrn bei Auswahl und
Beaufsichtigung seiner Verrichtungsgehilfen. Nur unter den Voraussetzungen des
§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich der Geschäftsherr exkulpieren.
I.
Verrichtungsgehilfe
Z müsste Verrichtungsgehilfe des W sein und in Ausführung seiner
Verrichtung (und nicht nur bei deren Gelegenheit) gehandelt haben.
Verrichtungsgehilfe ist, wem von einem anderen, in dessen Einflussbereich
er allgemein oder im konkreten Fall tätig wird und zu dem er in einer
gewissen Abhängigkeit steht (sog. Weisungsabhängigkeit), eine Tätigkeit
übertragen worden ist.
Der Verrichtungsgehilfe muss immer weisungsabhängig sein, da nur dann ein
Anknüpfungspunkt für Aufsichtsverschulden des Geschäftsherrn besteht.
Z ist als dessen Angestellter weisungsabhängig von W und daher dessen
Verrichtungsgehilfe. Z hat beim Inspizieren der Bremsen in Ausführung der
Verrichtung gehandelt.
II. Erfüllung des Tatbestands einer unerlaubten Handlung durch Z
Z muss weiter den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt
haben. Indem er die Bremsflüssigkeit nicht aufgefüllt hat, hat Z durch
verkehrspflichtwidriges Unterlassen eine Eigentumsverletzung begangen und
damit den objektiven Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB erfüllt.
§ 831 BGB setzt nicht voraus, dass der Verrichtungsgehilfe schuldhaft gehandelt hat.
Denn die Vorschrift konstituiert ja eine Haftung des Geschäftsherrn für dessen
eigenes (!) Auswahl- oder Überwachungsverschulden.
III. Exkulpation
W darf sich als Geschäftsherr nicht nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren
können. Der Geschäftsherr kann den Entlastungsbeweis führen, wenn er
nachweisen kann, dass er bei Auswahl, Anweisung und Überwachung des
Gehilfen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat (oder der
Schaden auch bei der Einhaltung dieser Sorgfalt entstanden wäre). W hat den
Z sorgfältig ausgewählt und ihm detaillierte und richtige Anweisungen zur
Vornahme der Bremsinspektion gegeben. Angesichts des vierjährigen
störungsfreien Verlaufs des Beschäftigungsverhältnisses mit Z bestand für W
kein Anlass, den Z bei der Inspektion der Bremsen permanent zu
beaufsichtigen. W hat daher die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei der
Auswahl, Anweisung und Überwachung des Z beachtet. Er kann sich somit
exkulpieren.
IV. Zwischenergebnis
K hat gegen W keinen Anspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.
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FALL 4 – LÖ SUNG
D. Anspruch des K gegen W aus §§ 631, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2
BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
K könnte gegen W einen Schadensersatzanspruch aus §§ 631, 634 Nr. 4, 280
Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit
Schutzwirkung für Dritte haben.
Die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ist deswegen von Vorteil für K, weil im
Rahmen eines derartigen vertraglichen Schadensersatzanspruchs der W über die
echte Zurechnungsnorm des § 278 BGB für das fahrlässige Handeln des Z einstehen
muss. Daran wird deutlich, dass die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für
Dritte letztlich Haftungsdefizite des Deliktsrechts ausgleicht.
Nota bene aus rechtsvergleichender Perspektive: Dass vertragliche und deliktische
Haftung zur Erreichung optimaler Ergebnisse für den Schadensersatzgläubiger
kombiniert werden können, ist rechtsvergleichend nicht selbstverständlich. Im
französischen Recht, das mit seiner deliktischen Generalklausel in Art. 1382 CC. eine
relativ großzügige außervertragliche Haftung vorsieht, ist es dem Gläubiger eines
vertraglichen Schadensersatzanspruchs untersagt, sich neben der vertraglichen
Haftung auf das Deliktsrecht zu berufen (sog. règle du non-cumul).
I.
Schuldverhältnis
Als ein die Schadensersatzpflicht aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2
BGB auslösendes Schuldverhältnis kommt der zwischen V und W
geschlossene Werkvertrag in Betracht. Fraglich erscheint jedoch, ob hieraus
auch K, der ja nicht Vertragspartner ist, irgendwelche Ansprüche ableiten
kann.
Grundsätzlich betrifft eine vertragliche Vereinbarung nur die jeweiligen
Vertragspartner (Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse). V und W
haben sich nicht dahingehend geeinigt, dass dem K als Drittem eigene
Ansprüche aus dem Werkvertrag zustehen sollen und haben daher keinen
Vertrag zu Gunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB geschlossen. Deswegen hat K
keinen Leistungsanspruch aus dem Werkvertrag zwischen V und W.
K könnte jedoch in den Schutzbereich des Vertrages zwischen V und W
einbezogen sein.
Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist kein Anwendungsfall von § 328 BGB.
Denn der Dritte hat nicht wie bei § 328 BGB einen im Vertrag begründeten Anspruch
auf die Primärleistung.
Vielmehr wird beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte der Dritte nur hinsichtlich
des Schutzes seiner Rechtsgüter in den Vertrag einbezogen. Diese Einbeziehung in
den Schutzbereich des Vertrages wird von der wohl h.M. als Anwendungsfall der
ergänzenden Vertragsauslegung angesehen. Andere sehen im Vertrag mit
Schutzwirkung für Dritte eine auf § 242 BGB gestützte gesetzliche Ausgestaltung
oder Erweiterung des Schuldverhältnisses oder gar eine gewohnheitsrechtlich
begründete Haftung. Ob die Schuldrechtsreform mit § 311 Abs. 3 BGB dem Institut
ein gesetzliches Fundament gegeben hat, ist streitig; die wohl h.M. verneint das, da
die Gesetzesbegründung und der explizit normierte Fall des § 311 Abs. 3 S. 2 BGB
andere Gestaltungen, insbesondere die c.i.c., im Auge haben. 3
3
S. zu alledem MünchKomm/Gottwald, 6. Aufl. 2012, § 328 BGB Rn. 165 ff.
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FALL 4 – LÖ SUNG
Sind die Voraussetzungen für die Einbeziehungen eines Dritten in den Schutzbereich
eines zwischen zwei anderen Parteien geschlossenen Vertrages erfüllt, bestehen die
Sekundärpflichten aus diesem Vertrag auch gegenüber dem Dritten, der dann bei
Verletzung einer Schutzpflicht einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241
Abs. 2 BGB geltend machen kann.
Probleme hinsichtlich der Anspruchsgrundlage des Dritten bestehen bei der
Verletzung von Leistungspflichten gegenüber dem Hauptgläubiger, die zu einer
Verletzung des Integritätsinteresses des Dritten führen. Grundsätzlich ergeben sich
aus der Schutzwirkung für den Dritten keine Leistungspflichten diesem gegenüber.
Die h.M. stützt den Anspruch des Dritten daher auch in diesen Fällen auf §§ 280
Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. 4
Unabhängig von der dogmatischen Einordnung des Vertrags mit
Schutzwirkung für Dritte setzt die Einbeziehung des Dritten (hier des K) in
den Schutzbereich des zwischen Gläubiger (hier V) und Schuldner (hier W)
geschlossenen Vertrages Leistungsnähe, Gläubigernähe, Erkennbarkeit dieser
beiden für den Schuldner und Schutzwürdigkeit des Dritten voraus.
1.
Leistungsnähe
Der Dritte (hier K) muss bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung
kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt
sein wie der Gläubiger (hier V). Vorliegend hat V dem W einen Auftrag zur
Bremsinspektion des Ford Focus zur Vorbereitung der Übergabe des Kfz an K
als dessen Käufer erteilt. Das zu inspizierende Kfz sollte sich also gemäß der
Vereinbarung nach der Inspektion im Besitz des K befinden. Daher kam K
bestimmungsgemäß mit der Inspektionsleistung in Berührung und war den
Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt wie V. Das
Kriterium der Leistungsnähe ist daher erfüllt.
2.
Gläubigernähe
Erforderlich ist weiter ein besonderes Interesse des Gläubigers (hier V) an
der Einbeziehung des Dritten (hier K) in den Vertrag. Ursprünglich wurde
dies bei Schutzpflichtverletzungen nur bejaht, wenn der Gläubiger für „Wohl
und Wehe“ des Dritten einzustehen hatte und ein Verhältnis mit
„personenrechtlichem Einschlag“ vorliegt (aufgrund dessen entfaltet etwa ein
Mietvertrag Schutzwirkung für die Kinder des Mieters). Inzwischen besteht
aber Einigkeit darüber, dass Gläubigernähe schon dann gegeben ist, wenn
die dem Gläubiger geschuldete Leistung bestimmungsgemäß dem Dritten zu
Gute kommen soll oder zumindest in dessen Interesse liegt. Die
Bremsinspektion sollte dem K als künftigem Halter des Ford Focus zu Gute
kommen. Auch das Kriterium der Gläubigernähe ist daher erfüllt.
3.
Erkennbarkeit
Leistungsnähe und Gläubigernähe müssen für den Schuldner (hier W)
erkennbar sein. Für W war erkennbar, dass Schutzpflichtverletzungen
seinerseits den K als künftigen Besitzer des Kfz treffen können und dass die
Inspektion dem K als künftigem Halter des Kfz zu Gute kommen wird.
4
Vgl. hierzu detailliert Höhne/Kühne, JuS 2012, 1063 ff.
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4.
Schutzwürdigkeit/Subsidiarität
Der Dritte (hier K) muss schließlich schutzwürdig sein. Die Schutzwürdigkeit
fehlt insbesondere, wenn der Dritte wegen des Sachverhalts, der die
Schutzpflichtverletzung begründet, einen inhaltsgleichen, vertraglichen
Anspruch
hat.
Vorliegend
könnte
sich
ein
inhaltsgleicher
Schadensersatzanspruch des K gegen seine Vertragspartnerin V aus §§ 437
Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB ergeben.
a)
Kaufvertrag
K und V haben einen Kaufvertrag geschlossen, § 433 BGB.
b)
Sachmangel bei Gefahrübergang
Der Ford Focus hatte bei Übergabe und damit bei Gefahrübergang (§ 446
BGB) zu wenig Bremsflüssigkeit und hatte daher nicht die von K und V
vereinbarte Beschaffenheit sicher funktionierender Bremsen. Somit war er
mangelhaft i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Übrigen eignete er sich damit
auch nicht für die gewöhnliche Verwendung als Fortbewegungsmittel, weil er
mangels uneingeschränkter Bremsfunktion nicht die bei Kfz zu erwartende
Beschaffenheit hatte und deswegen auch mangelhaft i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 2
Nr. 2 BGB war.
c)
§ 280 Abs. 1 BGB
Kaufvertrag und Sachmangel stellen zugleich
Pflichtverletzung i.S.v. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB dar.
Schuldverhältnis
und
aa) Vertretenmüssen
Fraglich ist allein, ob V den Sachmangel zu vertreten hat, § 280 Abs. 1 S. 2
BGB.
(1) eigenes Vertretenmüssen
Fraglich ist, ob V sich gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren kann. V
kannte den Mangel an Bremsflüssigkeit des Ford Focus nicht.
Möglicherweise kam ihr aber eine Untersuchungspflicht hinsichtlich der
Kaufsache zu.
Grundsätzlich muss ein Verkäufer die Kaufsache nicht auf nicht
offensichtliche Mängel untersuchen. 5 Allerdings haben K und V im konkreten
Fall eine Übergabeinspektion vereinbart, die eine Übereignung des Kfz in
sicherem Zustand gewährleisten sollte. Damit haben sie das auf § 433 BGB
beruhende vertragliche Pflichtenprogramm um eine Untersuchung der
Kaufsache erweitert. Allerdings hat V diese Untersuchung nicht selbst
durchgeführt, sondern vertraglich auf W übertragen. Nachdem die V
hinsichtlich der Auswahl der Werkstatt des W kein Verschulden trifft
(„renommierte Werkstatt“) und sie die Untersuchung des Ford Focus im
5
Palandt/Weidenkaff, 74. Aufl. 2015, § 433 BGB Rn. 31; MünchKomm/Westermann, 6. Aufl. 2012, § 433
BGB Rn. 67; aus der Fülle der Rechtsprechung vgl. etwa BGH NJW 2014, 211 Tz. 24: nur äußere
Besichtigung („Sichtprüfung“).
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FALL 4 – LÖ SUNG
Übrigen nicht selbst durchgeführt hat, hat sie etwaige Fehler bei der
Untersuchung nicht selbst zu vertreten.
Da V als Verkäuferin den Mangel an Bremsflüssigkeit nicht kannte und sie
selbst keinen Fehler bei der Inspektion des Ford Focus gemacht hat, kann sie
sich selbst also grundsätzlich gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren.
(2) § 278 S. 1 BGB
Allerdings muss V möglicherweise gem. § 278 S. 1 BGB für die Fahrlässigkeit
(§ 276 Abs. 2 BGB) des Z bei der Untersuchung des Ford Focus haften, da
dieser eine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Die Untersuchung und etwaige
Reparatur der Bremsen waren also Teil des vertraglichen Pflichtenprogramms
zwischen K und V. Zur Erfüllung dieser Pflicht zur Inspektion hat sich V des
W bedient, der mit ihrem Wissen und Wollen in ihrem Pflichtenkreis tätig
wurde und daher deren Erfüllungsgehilfe war, § 278 S. 1 BGB. Im
Pflichtenkreis des W gegenüber V wurde wiederum mit Wissen und Wollen
des W der Z tätig und war damit dessen Erfüllungsgehilfe gem. § 278 S. 1
BGB. Diese doppelte Erfüllungsgehilfenschaft hat zur Folge, dass gem. § 278
S. 1 BGB auch V für das Verschulden des Z haftet.
V haftet zwar, kann aber im Rahmen ihres Werkvertrages mit W bei diesem den
Betrag, den sie dem K zahlen muss, als eigenen Schaden (sog. Haftungsschaden)
geltend machen.
V hat daher den Mangel der fehlenden Bremsflüssigkeit zu vertreten.
bb) Kausalität, Schaden
Aufgrund des Mangels an Bremsflüssigkeit ereignete sich der Unfall an der
Autobahnausfahrt, der einen Blechschaden von € 3.000,– zur Folge hatte. K
kann gem. § 249 Abs. 1, 2 BGB verlangen, so gestellt zu werden wie wenn
der Unfall nicht stattgefunden hätte. Er kann daher von V Ersatz der
€ 3.000,– verlangen.
d)
Zwischenergebnis zur Schutzbedürftigkeit
K hat gegen V einen, dem gegenüber W geltend gemachten
Schadensersatzanspruch inhaltsgleichen, vertraglichen Anspruch aus §§ 437
Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB. Er ist daher gegenüber W nicht schutzbedürftig und
muss somit nicht in den Schutzbereich des Vertrages zwischen V und W
einbezogen werden.
II. Zwischenergebnis zu D
K hat gegen W keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 631, 634 Nr. 4, 280
Abs. 1, 241 Abs. 2 i.V.m. den Grundsätzen des Vertrag mit Schutzwirkung für
Dritte.
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FALL 4 – LÖ SUNG
Nota bene: Die Situation der Kumulation von Haftungsrisiken beim Vertrag mit
Schutzwirkung für Dritte (der Schuldner haftet gegenüber dem Gläubiger und
gegenüber gläubigernahen, schutzbedürftigen Dritten, die bestimmungsgemäß mit
der
Leistung
in
Berührung
kommen)
ist
abzugrenzen
von
der
Drittschadensliquidation, bei der nur eine Risikoverlagerung stattfindet, indem ein
Schaden, der eigentlich beim Vertragspartner eintritt, nicht bei diesem, sondern
stattdessen bei einem Dritten eintritt. In den Fällen der Drittschadensliquidation wird
kein zusätzlicher Anspruch des Dritten angenommen, sondern der Schaden des
Dritten
zum
Anspruch
des
Vertragspartners
gezogen.
Bei
der
Drittschadensliquidation klagt also der Nichtgeschädigte wegen eines fremden
Schadens, beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte klagt der Geschädigte aus
einem fremden Vertrag. 6
Im Fall wäre eine Drittschadensliquidation denkbar, wenn K und V das
kaufvertragliche Pflichtenprogramm nicht um die Inspektion erweitert hätten,
sondern V den Ford Focus von sich aus vor dem Verkauf an K dem W zur Inspektion
gegeben hätte. Dann würde V mangels Untersuchungspflicht dem K nämlich nicht für
den Sachmangel haften und hätte daher im Rahmen eines etwaigen
Schadensersatzanspruchs gegenüber W keinen Schaden. In diesem Fall wäre es
möglich den Schaden des K zum Anspruch der V zu ziehen. Diesen
Schadenersatzanspruch könnte die V dann an K abtreten, der so seinen Blechschaden
ersetzt bekäme.
E.
Ergebnis
K hat gegen W weder einen vertraglichen noch einen deliktischen Anspruch
auf Ersatz der € 3000,–.
Ihm ist daher zu raten, sich wegen des Schadens an dem Ford Focus an seinen
eigenen Vertragspartner, den V, zu halten. Daneben könnte er auch den Z aus § 823
Abs. 1 BGB in Anspruch nehmen.
Weiterführende Literatur:
Höhne, Christiane
und Kühne, Aline
Sagan, Adam und
Hübner, Leonhard
Weiss, Alexander
Der Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter
– Anspruchsgrundlage und Anspruchsumfang, JuS
2012, 1063 ff.
Die Abgrenzung von Vertrag mit Schutzwirkung
zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation,
JA 2013, 741 ff.
Die Drittschadensliquidation – alte und neue
Herausforderungen, JuS 2015, 8 ff.
Rechtsprechung:
BGH
NJW 1993, 665.
BGH
NJW 2014, 211.
6
Vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 24. Aufl. 2013, Rn. 839.
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