DOSSIER PSYCHOLOGIE Nicht neidisch sein – nachmachen! „So eine tolle Frau!“, denken wir. Und schaffen es doch häufig nicht, sie uns zum Vorbild zu nehmen, weil wir viel zu kritisch untereinander sind. Das geht aber auch anders KONZEPT UND TEXTE ULRIKE SCHÄFER / ANDREA BITTELMEYER BR IGI TTE .DE 25/2015 115 „Vorbilder helfen uns, Grenzen zu überwinden“ Darum brauchen wir so dringend welche. Aber wenn wir eines gefunden haben, was genau fangen wir damit an? Ein Gespräch mit der Managementtrainerin und Buchautorin IRENE BECKER, die in ihren Coachings auf die Kraft der Vorbilder setzt INTERVIEW ULRIKE SCHÄFER BRIGITTE: Tun sich Frauen mit Vorbildern tatsächlich schwerer als Männer? IRENE BECKER: Ja, das ist leider so. Gerade im Job suchen sich Männer oft einen oder sogar mehrere Mentoren, denen sie ganz konkret nacheifern können. Frauen sind meist nicht so pragmatisch. Sie halten eher an vagen Idolen aus ihrer Kindheit oder Jugend fest. Irgendwann helfen die ihnen aber meist nicht mehr weiter. Begegnen sie jedoch einer Frau, die sich als Vorbild eignen würde, neigen sie dazu, sie für andere Dinge zu kritisieren. Da heißt es dann zum Beispiel: Ja, sie hat einen Superjob, aber dafür kein Händchen für Männer oder eine schreckliche Frisur. Hinter dieser Abwertung steckt vermutlich Neid oder der Wunsch, im Vergleich nicht schlechter dazustehen. Wesentlich effizienter wäre es, solche Neidgefühle in positive Energie umzuwandeln und sich vom Erfolg dieser Frauen motivieren und mitreißen zu lassen. Aber es ist auch nicht so leicht, gute Vorbilder für die Vereinbarung von Karriere und Kindern zu finden . . . Das stimmt so nicht. Richtig ist, dass 116 B R I G IT T E .DE 25 / 2015 Frauen, die Karriere machen, nach wie vor seltener sind. Wer jedoch genau hinschaut, kann inzwischen viele erfolgreiche Frauen finden, die mit ihrer Familie ein funktionierendes Modell leben. Einige Firmen unterstützen Mitarbeiterinnen ganz gezielt mit Mentoring-Programmen dabei, von weiblichen Führungskräften zu lernen. Das ist eine gute Sache, denn von einer Frau, die das geschafft hat, was ich anstrebe, kann ich mir einiges abschauen. „MÄNNER SUCHEN SICH MENTOREN, DENEN SIE NACHEIFERN KÖNNEN. FRAUEN HALTEN AN VAGEN IDOLEN FEST“ Was sollte ein gutes Vorbild sonst noch können? Mit einem Vorbild hat man sein Ziel ganz konkret vor Augen. Das hilft enorm, dieses auch zu erreichen. Vorbilder machen uns Mut, spenden auch mal Trost. Und sie können uns helfen, unsere Grenzen zu überwinden, indem sie uns die Ausreden rauben: Denn wenn mein Vorbild etwas geschafft hat, kann ich nicht mehr behaupten, es sei unmöglich. Sie selbst halten in Ihren Coachings Ihre Klienten dazu an, sich ganz bewusst Vorbilder für die jeweilige Problemstellung zu suchen und sich dann in sie hineinzuversetzen. Was ist das Nützliche an dieser Übung? Wenn ich ein persönliches Ziel anvisiere oder eine neue Verhaltensweise erlernen will, kann das sehr hilfreich sein. Angenommen, Sie möchten Mut fassen für eine Aussprache mit Ihrem Vorgesetzten. Dann könnten Sie Ihr Vorbild wie einen inneren Mentor mit in die Situation hineinnehmen – etwa indem Sie sich vorstellen, die Person würde Ihnen die Hand auf die Schulter legen, um Sie zu stärken, während Sie Ihrem Chef gegenübersitzen. Sie können die Szene aber auch vorher gedanklich durchspielen und dabei in die Rolle des Vorbilds schlüpfen: Mit welcher Haltung würde derjenige in das Gespräch gehen? Was können Sie sich von seiner inneren Einstellung oder von seinem Auftreten abgucken? Gibt es noch andere Wege, mein Vorbild für mich zu nutzen? F OT O S X X X X X X X X X X X X X I L LU S T R A T I O N X X X X X X X X X X X X X DOSSIER Viele meiner Klienten finden es auch förderlich, sich ein Bild ihres Vorbildes aufzuhängen oder den Namen an einer auffälligen Stelle zu notieren. So wird man ständig daran erinnert, dass da noch eine innere Ressource ist, die man nutzen kann. Wenn man in seinem Umfeld jemanden hat, der die ausgewählte Vorbildfigur gut kennt, kann man auch eine Art Rollenspiel machen: Der andere schlüpft in die Haut des Vorbilds und spielt mit einem die Situation durch, beantwortet Fragen oder demonstriert ein bestimmtes Verhalten. Braucht es viel Übung, damit diese Methode wirksam wird? Es ist wie bei allen Verhaltensweisen, die man neu lernt: Es bedarf ein bisschen der Übung, bis man das so verinnerlicht hat, dass man es ganz schnell und automatisch abrufen kann. Wer eignet sich aus Ihrer Sicht als „innerer Mentor“? Das kann jemand sein, der über eine Charaktereigenschaft verfügt, die ich gern hätte. Oder jemand, der genau das erreicht hat, was ich mir wünsche. Nehmen wir mal an, mein Partner hat sich von mir getrennt. Dann wäre es sinnvoll, sich ein Vorbild zu suchen, das so eine Trennung gut bewältigt hat. Sollte es nicht jemand in meiner Nähe sein, damit ich mir direkt etwas von ihm abschauen kann? Wenn Sie sich in der Fantasie gut in eine Person hineinversetzen können, muss das Vorbild nicht zwingend in Ihrer Nähe sein, es kann sogar auch eine Figur aus der Geschichte, einem Film oder einem Buch sein. Aber es ist natürlich kein Nachteil, wenn Sie die Person beobachten können. Je nachdem, wie das Verhältnis zu dieser Person ist, können Sie dann auch mal um ein Gespräch bitten und sie entsprechend befragen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? Eine meiner Klientinnen hatte ihre Nachbarin als Vorbild. Ihr Problem war, dass sie im Alltagsstress schnell die Nerven verlor und dann ihre Kinder angeschrien hat, obwohl sie das gar nicht wollte. Ihre Nachbarin dagegen blieb selbst in den turbulentesten Situationen die Ruhe in Person. Mit ihr hat sie dann darüber gesprochen, wie auch sie gelassen bleiben kann, wenn die Kinder rumtoben, streiten oder schon wieder die Milch verschüttet haben. Konnte ihr die Nachbarin helfen? Sie hat ihr verraten, dass sie in solchen Momenten einen Schritt zurück tritt und versucht, das große Ganze zu sehen: „IHR VORBILD MUSS NICHT ZWINGEND IN IHRER NÄHE SEIN. ES KANN SOGAR EINE FILMFIGUR SEIN“ Okay, jetzt ist die Milch verschüttet und der Sohn kommt zu spät zum Handballtraining. Geht davon die Welt unter? Nein. Bringt es was, wenn ich jetzt anfange, loszubrüllen? Nein. Das zerfetzt nur meine Nerven und die der Kinder und verschlimmert die Situation. Also halte ich mich zurück und überlege, was ich stattdessen tun kann. Dieser Gewinn an Distanz hat meiner Klientin sehr geholfen. Welche Vorbilder haben sich Ihre Klienten sonst noch ausgesucht? Einer stand vor der schwierigen Situation, dass seine Firma ihn mit etwas beauftragen wollte, was ihm gegen den Strich ging. Heutzutage ist es nicht so einfach, mutig und integer zu bleiben, wenn man um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Mein Klient hat sich dann Edward Snowden zum Vorbild genommen. Das hat ihn ermutigt, standhaft zu bleiben und zu sagen: Nein, ich werde nichts machen, was ich nicht vertreten und verantworten kann. Ein anderer entschied sich für Jack Sully, die Figur aus dem Film „Avatar“: Jack steht zu Beginn eher auf der Seite der Bösen und wandelt sich dann im Laufe des Films zu einem der Guten. Vom Saulus zum Paulus – genau diesen Archetypus brauchte mein Klient. Er wollte sich verändern, steckte aber in dem Gedankenmuster fest, dass man eben so ist wie man ist. Jack Sully hat ihm gezeigt: Wenn man tief genug motiviert ist und das Richtige erkannt hat, kann man sich auch ändern. Es sind ja oft nur bestimmte Seiten einer Person, die man bewundert, andere dagegen schätzt man vielleicht nicht . . . Und das ist auch gut so. Der Mensch ist nicht perfekt, er kann es gar nicht sein. Wenn ich also nach einem perfekten Vorbild suche, ist das ziemlich unsinnig und ich werde es auch nicht finden. Ein Vorbild sollte menschlich sein, es darf Schwächen haben und Fehler machen. Nehmen Sie Margot Käßmann, die 2010 nach ihrer alkoholisierten Autofahrt als Bischöfin zurückgetreten ist: Sie hat einen schweren Fehler gemacht, aber gerade deswegen ist sie für einige ein Vorbild – dafür, wie man mutig dazu stehen kann und die Konsequenzen trägt. Wer sind denn eigentlich Ihre eigenen Vorbilder? In erster Linie meine Mutter, die leider im letzten Jahr verstorben ist. Sie war ein Mensch, der es immer geschafft hat, sich eine ungeheure Lebensfreude zu bewahren. In schwierigen Situationen frage ich mich deswegen: Was würde meine Mutter jetzt noch Positives daran sehen? Ein weiteres Vorbild von mir ist eine Schauspielerin: die Dame Judi Dench. Was ich an ihr toll finde ist, dass sie wirklich in Würde gealtert und immer aktiv geblieben ist. Immerhin hat sie mit fast 80 noch in den James-Bond-Filmen mitgespielt! IRENE BECKER, 59, absolvierte nach ihrem Abschluss als Diplom-Kauffrau eine mehrjährige psychologische Ausbildung und war zehn Jahre bei der Siemens AG tätig. Heute arbeitet die Münsteranerin als selbständige Managementtrainerin und Buchautorin (z. B. „Ohne Leben fehlt dir was: Arbeiten kann jeder, genießen musst du!“, 17,99 Euro, Campus). BR IGI TTE .DE 25/2015 117 „ Alles ist machbar“ CAROLIN WEINKOPF, 31, Fotografin VORBILD: meine Eltern WAS ICH VON IHNEN GELERNT HABE: Gleichberechtigung gestillt und mein Freund war mitgekommen. Wenn ich gearbeitet habe, hat er mit dem Kleinen die Umgebung erkundet. Es war eine tolle Erfahrung. Und es war auch ein ganz wichtiges Signal an meine Auftraggeber, dass ich noch da bin. Mein Sohn hat von diesen Reisen viel Positives mitgenommen, er ist außergewöhnlich offen und neugierig. Um jedoch D as Lebensmodell meiner Eltern ist selbst aus heutiger Sicht noch ungewöhnlich und wirklich supermodern. Die beiden waren erst 19 Jahre alt, als meine Schwester zur Welt kam. Mich haben sie mit 21 bekommen. Die Abiturprüfungen absolvierte meine Mutter hochschwanger, wenige Wochen nach der Geburt meiner Schwester begann sie gemeinsam mit meinem Vater ein VWL-Studium. Ihr Diplom schlossen beide in der Regel studienzeit und mit Auszeichnung ab. Seitdem arbeiten sie in Vollzeit – und meine Mutter hat nebenher sogar noch promoviert. Meine Eltern waren wunderbare Eltern, auch wenn sie viel gearbeitet und uns 118 B R I GI T TE . DE 25 / 2015 Kindern nicht jeden Wunsch von den Lippen abgelesen haben. Mit einer tollen Kita und der Hilfe meiner Oma waren wir immer bestens versorgt. Für mich war daher immer klar, dass ein Kind mein Leben nicht grundsätzlich umkrempeln wird. Dank des Vorbildes meiner Eltern wusste ich: Alles ist machbar. Ich liebe meinen Job. Wie meiner Mutter sind mir Selbständigkeit und Autonomie sehr wichtig. Das hat sich auch nach der Geburt meines Sohnes nicht geändert. Als Anton noch ein Baby war, habe ich ihn viel auf meine Reisen als Fotografin mitgenommen. Wir waren in Indien, im Oman, in der Türkei, Spanien und England. Anton war im Tragetuch immer dabei. In Indien habe ich noch seinen geregelten Tagesablauf als Kleinkind nicht ständig zu unterbrechen, bleibt er jetzt meist bei seinem Papa oder bei den Großeltern, wenn ich unterwegs bin. Er ist gerade drei Jahre geworden und ein ausgeglichenes und glückliches Kind. Für mich stand außer Frage, dass sich mein Freund genauso um unseren Sohn kümmern wird wie ich. Mit einem Mann, der sich darauf nicht einlässt, hätte ich kein Kind bekommen. Gerade arbeitet er in Teilzeit und ich voll. Als freie Fotografin kann ich mir die Arbeit flexibler einteilen, sodass wir die Zeit mit Anton etwa 50/50 teilen. Es läuft gut, auch wenn es manchmal nervenaufreibend ist – wenn alle krank sind oder unsere Wohnung mal wieder aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ich hatte schon immer großen Respekt davor, wie meine Eltern alles gewuppt haben. Jetzt ist er noch gestiegen. FOTO S CH RISTOP H MACK, FELIX KRUGE R „FÜR MICH WAR IMMER KLAR, DASS EIN KIND DAS LEBEN NICHT UMKREMPELT“ DOSSIER „Ihre Kraft, das Leben voll auszuschöpfen, inspiriert mich“ KAREN HEUMANN, 50, Co-Gründerin und Sprecherin des Vorstandes der Werbeagentur thjnk VORBILD: Colette WAS ICH VON IHR GELERNT HABE: Lebenskunst E s ist etwa fünfzehn Jahre her, da lag ich in einem Hotelbett und las die Biografie der französischen Autorin Colette. Ich fühlte mich seltsam berührt, konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen und wollte unbedingt mehr über sie erfahren. Es ging mir damals nicht gut, es war ein harter Winter und ich fühlte mich völlig energielos. Aber dieses Buch hat mich bereichert und gestärkt. In der Rückschau empfinde ich meine „Begegnung“ mit Colette regelrecht als inneren Neustart. Ihre Kraft, das Leben voll und ganz auszuschöpfen, inspiriert mich bis heute. Dabei hat sie es nicht leicht gehabt: Sie nahm sich viele Freiheiten in einer durch und durch beengten Gesellschaft. Sie war Tänzerin, sorgte 1907 im Moulin Rouge für einen Skandal, weil sie auf der Bühne eine Frau küsste. Später war sie Journalistin und Autorin, hatte Affären mit Männern und Frauen und sogar mit ihrem erwachsenen Stiefsohn. Nicht alles an ihr finde ich sympathisch, aber trotzdem wäre ich gern mit ihr befreundet gewesen. Sie konnte genießen, auch als sie im Alter wegen ihrer Beckenarthrose ans Bett gefesselt war. Um trotzdem gut essen zu können, ließ sie sich von ihrem jungen Ehemann in ihr Lieblingsrestaurant im Erdgeschoss tragen. Genau dort, auf ihrem Stammplatz, habe ich mit meinem Mann meinen 45. Geburtstag gefeiert. Ich habe auch ihr Geburtshaus besucht und mir alle ihre literarischen Werke gekauft. Mein größter Schatz ist ein Brief mit einem Puddingrezept. Die beiden hellblauen Seiten hängen jetzt in meiner Küche. Wie sie von diesem Pudding schwärmt, „ICH WÄRE WIRKLICH GERN MIT IHR BEFREUNDET GEWESEN“ das ist so lebensfroh, dass es mir jedes Mal Kraft gibt, wenn ich es sehe. Colette hat Erfolg gehabt, ohne sich je anzupassen. Und sie erfand sich immer wieder neu. Dass sie das geschafft hat, trotz der damaligen Widerstände, zeigt mir, dass es immer Optionen im Leben gibt. DOSSIER „Jemandem nachzueifern ist im Sport ganz normal“ SABRINA LUTZ, 26, Deutsche Meisterin im Kitesurfen VORBILD: die Kitesurferin Bruna Kajiya WAS ICH VON IHR GELERNT HABE: sportlichen Ehrgeiz I m Sport ist es ganz normal, Vorbilder zu haben. Gerade beim Kitesurfen ist es wichtig, die sehr komplexen Bewegungsabläufe genau zu studieren, bevor man selbst aufs Wasser geht. Ich schaue mir die Sprünge der Top-Kiterinnen daher auch häufig auf Video an. Das ist einer der besten Wege, die Tricks genau zu analysieren und zu verstehen. Mein größtes Vorbild ist derzeit die Brasilianerin Bruna Kajiya, die auf Platz drei der Weltrangliste steht. Ihr technisch sauberer und eleganter Stil gefällt mir besonders gut. Ich finde aber auch ihr Auftreten toll. Klar ist sie ehrgeizig, schließlich will jeder den Wettkampf gewinnen. Aber sie ist dabei natürlich geblieben und gar nicht verbissen. Als ich jünger war, hatte ich Vorbilder in der Weltrangliste, die ich richtig angehimmelt habe. Das hat mich auch an Tagen durchhalten lassen, an denen „ICH DENKE OFT: DAS WILL ICH AUCH KÖNNEN! UND GUCKE MIR WAS AB“ es beim Training nicht so gut lief und ich ständig ins Wasser gefallen bin. Ich wollte unbedingt auch strahlend auf dem Siegertreppchen stehen – so wie meine Heldinnen von damals. Jemandem nachzueifern finde ich aber auch jetzt noch völlig in Ordnung. Albern wird es nur, wenn ein Sportler plötzlich denselben Haarschnitt hat wie sein Idol oder sich genauso anzieht. Heute habe ich das große Glück, dass ich alle meine Vorbilder auch persönlich treffe – bei den Worldcups und beim Training in den einschlägigen KiteRevieren. Wir gehen dann gemeinsam aufs Wasser und pushen uns gegenseitig. Wenn ich jemanden beobachte, der einen neuen Trick macht, denke ich sofort: Das will ich auch können – auch, wenn es sich um eine Newcomerin bei den Wettkämpfen handelt. So kommen zu meinen alten Vorbildern immer wieder neue hinzu. I ch bin eigentlich studierte Hotelund Restaurantmanagerin. Dann habe ich mit einer Freundin, die Hobbybäckerin war, ein Café eröffnet. Aber nach einem Jahr musste sie aus persönlichen Gründen aufhören – ich wollte unbedingt weitermachen. So habe ich angefangen zu backen und gemerkt, wie viel Spaß mir das macht. Vor zwei Jahren bin ich ins kalte Wasser gesprungen: Ich habe mir das Backen selbst beigebracht. Und zwar so gut, dass ich eine Prüfung bei einem Bäckermeister ablegen konnte, die beweist: Die kann das! So konnte ich mich selbständig FOTO S THOM AS STE FAN, O LAF T IEDJE „WENN ICH SEHE, WIE CYNTHIA BARCOMI ALLES MACHT, BESTÄRKT MICH DAS ALS UNTERNEHMERIN“ machen, obwohl ich keine Bäckermeisterin bin. Seitdem backe ich unter dem Namen „Schaffensschwestern“ in Nürnberg vor allem Cookies, Nussecken und Muffins, mit denen ich inzwischen auch andere Cafés, Kantinen und Events beliefere. Mein erstes Lieblingsrezept waren die Schokoladen-Cookies von Cynthia Barcomi. In der Zeit habe ich die Kochbücher von ihr verschlungen und stieß dabei auch auf ihre Lebensgeschichte. So wurde sie mein Vorbild. Denn auch sie ist keine gelernte Bäckerin oder Konditorin, sondern hat sich alles selbst beigebracht. Genau wie ich. Und sie lässt sich nicht aufhalten. In einem Interview erzählte sie, wie sie sich am Anfang über große Bestellungen gefreut hat – dann aber die ganze Nacht in ihrer Küche stehen musste, um das hinzukriegen. Da musste ich lachen. Genau das ist mir auch passiert. Es kam eine Bestellung von 200 Cookies – aber ich hatte nur zwei Backöfen zur Verfügung! Inzwischen bin ich Untermieterin in der Backstube eines Bäckers und habe mich auf vegane Konditorei spezialisiert. Meine veganen Schoko-Cookies sind schon etwas berühmt. Und wenn ich sehe, wie Cynthia Barcomi arbeitet, bestärkt mich das auch, als Unternehmerin alles in die Hand zu nehmen: Produktentwicklung, Herstellung, Betrieb, Einkauf, Verkauf. Bei ihr sehe ich: Das CAROLA KLEINSCHMIDT kann klappen. „Sie lässt sich nicht aufhalten – genau wie ich“ TINA LANGHEINRICH, 33, Nürnbergs erste vegane Bäckerin VORBILD: Cynthia Barcomi, Konditorin, Fernsehköchin und Kochbuchautorin aus New York WAS ICH VON IHR GELERNT HABE: autodidaktisch lernen BR IGI TTE .DE 25/2015 121 DOSSIER E ins meiner ersten Vorbilder fand ich in dem vollgestopften Bücherregal meiner Eltern, als ich 16 Jahre alt war. Dort stand ein Buch über Alexander von Humboldts Südamerikareise. Wenn ich in diesem Buch blätterte, stellte ich mir immer vor, dass auch ich Expeditionen zu fernen Orten unternehmen würde. Ich lebte damals in einer Kleinstadt und wusste: Ich muss hier weg! Ein „normales“ Leben wollte ich auf keinen Fall führen. Es war aber nicht nur seine Entdeckerlust, die mich so an Humboldt faszinierte. Sein Satz „Der Mensch muss das Gute und Große wollen“, klingt bis heute in „Mich faszinieren seine Toleranz, Weitsicht und Offenheit“ KRISTIN RAABE, 45, Filmemacherin und Journalistin VORBILD: Alexander von Humboldt WAS SIE VON IHM GELERNT HAT: Forschergeist mir nach. Etwas zu wagen, sich nicht mit dem Naheliegenden zu begnügen und dabei doch nach dem Guten zu streben – das wollte ich auch, selbst wenn ich das damals noch nicht so benennen konnte. Humboldt hat sicherlich auch Anteil daran, dass ich schließlich ein Biologiestudium begann. Aber wie groß war die Enttäuschung, als ich feststellte, dass den meisten meiner Professoren die Sinnlichkeit und Begeisterung fehlte, mit der Humboldt über seine Entdeckungen ge schrieben hatte. Und noch mehr vermisste ich den ganzheitlichen Aspekt, der Humboldt so wichtig war: Er wollte die Natur als ein lebendiges Ganzes erfassen. Weil ich im heutigen Wissenschaftsbetrieb zu wenig von Humboldts Geist und zu viel Spezialistentum vorfand, bin ich nicht in die Forschung gegangen. Als Journalistin hatte ich Gelegenheit, Humboldts Erben in aller Welt aufzusuchen. Mit ihnen habe ich auf den Tafelbergen Venezuelas nach fleischfressenden Pflanzen gesucht und im Dschungel Vietnams nach den seltensten Affen der Welt. Bei einer dieser Reisen konnte ich in Venezuela, einige Tage mit Pemón-Indianern verbringen. Sie kannten Alexander von Humboldt und verehrten ihn. Er zollte den unterschiedlichsten Kulturen immer großen Respekt. Damals nicht üblich. Mit seiner Toleranz, Weitsicht und Offenheit ist mir Alexander von Humboldt bis heute ein Vorbild. FOTO S ANJA JAHN „ICH LEBTE DAMALS IN EINER KLEINSTADT UND WUSSTE: ICH MUSS HIER WEG!“ A ls Chemie-Ingenieurin war ich seit einiger Zeit beruflich unzufrieden, konnte aber nicht genau sagen, was ich stattdessen machen wollte. Das hat sich schlagartig geändert, als ich bei einem Seminar die Managementtrainerin Sigrid Meuselbach kennenlernte. Ich beobachtete sie während des Trainings und wusste plötzlich genau: Das will ich auch tun! Menschen dabei unterstützen, erfolgreich zu sein und ihre Stärken bestmöglich einzusetzen. Euphorisch fuhr ich nach Hause und habe mich gleich zu einem Einzelcoaching angemeldet. Die Idee, Sigrid beruflich nachzueifern, verfestigte sich – auch weil sie so gut zu meinem ursprünglichen Berufswunsch passte. Ich wollte Lehrerin werden, doch eine Berufsberaterin brachte mich davon ab, weil es damals eine Lehrerschwemme gab. Ich hatte es mir immer spannend vorgestellt, mit Jugendlichen zu arbeiten. Als Trainerin könnte ich ihnen helfen, den richtigen Beruf zu finden. Die Coaching-Ausbildung habe ich neben meinem Job absolviert. Ich arbeitete bei einem großen Unternehmen, verdiente gut und hatte als Mutter zweier Kinder eine Teilzeitstelle. Mein Mann und die meisten unserer Freunde hielten mich für verrückt, den sicheren Job aufzugeben. Aber ich war mir meiner Sache sicher: 2008 habe ich den Sprung gewagt und es nicht bereut. Mein Job, in dem ich auch Erwachsene coache, die sich beruflich verändern wollen, erfüllt mich viel mehr als das, was ich vorher gemacht habe. Und Sigrid hat mich auf diesem Weg inspi- „MEIN MANN UND VIELE FREUNDE HIELTEN MICH FÜR VERRÜCKT“ riert und unterstützt. Sie nahm mich in ihr Beraterteam auf und vermittelte mir meinen ersten großen Auftrag. Bis heute haben wir Kontakt. Auch gedanklich ist sie mir präsent. Ich verfolge sehr genau, was sie tut, und ihre Power treibt mich an. Sich immer weiterzuentwickeln – das finde ich einfach nachahmenswert. „Die Idee, sich immer weiterzuentwickeln, treibt mich an“ ANDREA KÜCK, 52, Trainerin und Coach VORBILD: meine Managementtrainerin WAS ICH VON IHR GELERNT HABE: Mut zum Berufswechsel BR IGI TTE .DE 25/2015 123 DOSSIER „Frau Kruses Leben erschien mir wie ein Traum“ HATICE AKYÜN, 45, Buchautorin VORBILD: ihre Lehrerin WAS ICH VON IHR GELERNT HABE: Eigenständigkeit I ch bin mit drei Jahren nach Deutschland gekommen. Meine Eltern stammen aus einem anatolischen Dorf. Sie hatten früh geheiratet und nicht den Bildungshintergrund, um uns hier in Deutschland weiterzuhelfen. Auch die Ideale der 68er-Bewegung oder des Feminismus konnten sie mir und meinen Geschwistern natürlich nicht vermitteln. Aber gerade mein Vater war immer sehr offen und hat es unterstützt, dass wir uns Hilfe von außen suchen. Ich war damals in Duisburg auf der Hauptschule und bin dort meiner Lehrerin Brigitte Kruse begegnet. Sie kam mit ihrem roten Auto vorgefahren, war Ende 20 und eine sehr emanzipierte Frau. Das hat mich beeindruckt. Ich kannte aus meinem familiären Umfeld ja nur Frauen, die verheiratet waren oder es möglichst bald sein wollten. Frau Kruse dagegen hatte keinen Mann und keine Kinder, sie war frei und selbständig. Ihr Leben erschien mir wie ein schöner Traum. Durch ihr Vorbild hat sie mir gezeigt, dass es für Frauen ganz ungeahnte Möglichkeiten gibt. „Hatice, du kannst auch studieren“, hat sie zu mir, der Hauptschülerin, gesagt. Tatsächlich war ich die erste in unserer Familie, die Abitur gemacht und studiert hat. 2005 habe ich dann mein erstes Buch veröffentlicht. Mein Vater ist sehr stolz auf mich. Der Mann ist mit acht Enkelinnen gebeutelt! Zu denen sagt er jetzt, dass sie lieber nicht heiraten sollen. Meine Mutter fragt mich bis heute, warum ich arbeite, obwohl mein Mann genug Geld nach Hause bringt. Dass man seine Arbeit lieben kann, wie ich es tue, kann sie nur schwer nachvollziehen. Ich sage immer, dass ich zwei Mütter habe: Meine Mutter ist meine Bauchmutter. Sie hat für ein harmonisches Familienleben gesorgt, war immer für uns da. Brigitte ist meine Herzensmutter, die mich zu einem selbständigen Leben inspiriert hat. Ich habe immer noch Kontakt zu ihr. Vor neun Jahren bin ich Mutter einer Tochter geworden, die jetzt von beiden Einflüssen profitiert. 124 B R I GI T TE . DE 25 / 2015 FOTO CHR ISTO PH MACK „SIE WAR ENDE 20, FREI UND SELBSTÄNDIG. ‚HATICE, DU KANNST AUCH STUDIEREN‘, SAGTE SIE ZU MIR“
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