„So eine tolle Frau!“, denken wir. Und schaffen es doch häufig nicht

DOSSIER
PSYCHOLOGIE Nicht
neidisch sein –
nachmachen!
„So eine tolle Frau!“, denken wir.
Und schaffen es doch häufig nicht, sie uns
zum Vorbild zu nehmen, weil wir
viel zu kritisch untereinander sind.
Das geht aber auch anders
KONZEPT UND TEXTE ULRIKE SCHÄFER / ANDREA BITTELMEYER
BR IGI TTE .DE 25/2015
115
„Vorbilder
helfen uns, Grenzen
zu überwinden“
Darum brauchen wir so dringend welche. Aber wenn wir
eines gefunden haben, was genau fangen wir damit an?
Ein Gespräch mit der Managementtrainerin und Buchautorin
IRENE BECKER, die in ihren Coachings auf die Kraft
der Vorbilder setzt
INTERVIEW ULRIKE SCHÄFER
BRIGITTE: Tun sich Frauen mit Vorbildern tatsächlich schwerer als Männer?
IRENE BECKER: Ja, das ist leider so.
Gerade im Job suchen sich Männer oft
einen oder sogar mehrere Mentoren,
denen sie ganz konkret nacheifern können. Frauen sind meist nicht so pragmatisch. Sie halten eher an vagen Idolen aus
ihrer Kindheit oder Jugend fest. Irgendwann helfen die ihnen aber meist nicht
mehr weiter. Begegnen sie jedoch einer
Frau, die sich als Vorbild eignen würde,
neigen sie dazu, sie für andere Dinge zu
kritisieren. Da heißt es dann zum Beispiel: Ja, sie hat einen Superjob, aber
dafür kein Händchen für Männer oder
eine schreckliche Frisur. Hinter dieser
Abwertung steckt vermutlich Neid oder
der Wunsch, im Vergleich nicht schlechter dazustehen. Wesentlich effizienter
wäre es, solche Neidgefühle in positive
Energie umzuwandeln und sich vom
Erfolg dieser Frauen motivieren und mitreißen zu lassen.
Aber es ist auch nicht so leicht, gute
Vorbilder für die Vereinbarung von
Karriere und Kindern zu finden . . .
Das stimmt so nicht. Richtig ist, dass
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Frauen, die Karriere machen, nach wie
vor seltener sind. Wer jedoch genau hinschaut, kann inzwischen viele erfolgreiche Frauen finden, die mit ihrer Familie
ein funktionierendes Modell leben. Einige
Firmen unterstützen Mitarbeiterinnen
ganz gezielt mit Mentoring-Programmen
dabei, von weiblichen Führungskräften zu
lernen. Das ist eine gute Sache, denn von
einer Frau, die das geschafft hat, was ich
anstrebe, kann ich mir einiges abschauen.
„MÄNNER SUCHEN SICH
MENTOREN, DENEN SIE
NACHEIFERN KÖNNEN.
FRAUEN HALTEN AN
VAGEN IDOLEN FEST“
Was sollte ein gutes Vorbild sonst
noch können?
Mit einem Vorbild hat man sein Ziel ganz
konkret vor Augen. Das hilft enorm, dieses auch zu erreichen. Vorbilder machen
uns Mut, spenden auch mal Trost. Und
sie können uns helfen, unsere Grenzen
zu überwinden, indem sie uns die Ausreden rauben: Denn wenn mein Vorbild
etwas geschafft hat, kann ich nicht mehr
behaupten, es sei unmöglich.
Sie selbst halten in Ihren Coachings
Ihre Klienten dazu an, sich ganz
bewusst Vorbilder für die jeweilige
Problem­stellung zu suchen und sich
dann in sie hineinzuversetzen. Was ist
das Nützliche an dieser Übung?
Wenn ich ein persönliches Ziel anvisiere
oder eine neue Verhaltensweise erlernen
will, kann das sehr hilfreich sein. Angenommen, Sie möchten Mut fassen für
eine Aussprache mit Ihrem Vorgesetzten.
Dann könnten Sie Ihr Vorbild wie einen
inneren Mentor mit in die Situation
hineinnehmen – etwa indem Sie sich
vorstellen, die Person würde Ihnen die
Hand auf die Schulter legen, um Sie zu
stärken, während Sie Ihrem Chef gegenübersitzen. Sie können die Szene aber
auch vorher gedanklich durchspielen und
dabei in die Rolle des Vorbilds schlüpfen:
Mit welcher Haltung würde derjenige in
das Gespräch gehen? Was können Sie sich
von seiner inneren Einstellung oder von
seinem Auftreten abgucken?
Gibt es noch andere Wege, mein Vorbild
für mich zu nutzen?
F OT O S X X X X X X X X X X X X X I L LU S T R A T I O N X X X X X X X X X X X X X
DOSSIER
Viele meiner Klienten finden es auch
förderlich, sich ein Bild ihres Vorbildes
aufzuhängen oder den Namen an einer
auffälligen Stelle zu notieren. So wird
man ständig daran erinnert, dass da noch
eine innere Ressource ist, die man nutzen
kann. Wenn man in seinem Umfeld
jemanden hat, der die ausgewählte Vorbildfigur gut kennt, kann man auch eine
Art Rollenspiel machen: Der andere
schlüpft in die Haut des Vorbilds und
spielt mit einem die Situation durch,
beantwortet Fragen oder demonstriert
ein bestimmtes Verhalten.
Braucht es viel Übung, damit diese
Methode wirksam wird?
Es ist wie bei allen Verhaltensweisen, die
man neu lernt: Es bedarf ein bisschen der
Übung, bis man das so verinnerlicht hat,
dass man es ganz schnell und automatisch abrufen kann.
Wer eignet sich aus Ihrer Sicht als
„innerer Mentor“?
Das kann jemand sein, der über eine
Charaktereigenschaft verfügt, die ich gern
hätte. Oder jemand, der genau das erreicht
hat, was ich mir wünsche. Nehmen wir
mal an, mein Partner hat sich von mir
getrennt. Dann wäre es sinnvoll, sich ein
Vorbild zu suchen, das so eine Trennung
gut bewältigt hat.
Sollte es nicht jemand in meiner Nähe
sein, damit ich mir direkt etwas von ihm
abschauen kann?
Wenn Sie sich in der Fantasie gut in eine
Person hineinversetzen können, muss das
Vorbild nicht zwingend in Ihrer Nähe
sein, es kann sogar auch eine Figur aus
der Geschichte, einem Film oder einem
Buch sein. Aber es ist natürlich kein
Nachteil, wenn Sie die Person beobachten
können. Je nachdem, wie das Verhältnis
zu dieser Person ist, können Sie dann
auch mal um ein Gespräch bitten und sie
entsprechend befragen.
Welche Erfahrungen haben Sie damit
gemacht?
Eine meiner Klientinnen hatte ihre Nachbarin als Vorbild. Ihr Problem war, dass
sie im Alltagsstress schnell die Nerven
verlor und dann ihre Kinder angeschrien
hat, obwohl sie das gar nicht wollte. Ihre
Nachbarin dagegen blieb selbst in den
turbulentesten Situationen die Ruhe in
Person. Mit ihr hat sie dann darüber
gesprochen, wie auch sie gelassen bleiben kann, wenn die Kinder rumtoben,
streiten oder schon wieder die Milch
verschüttet haben.
Konnte ihr die Nachbarin helfen?
Sie hat ihr verraten, dass sie in solchen
Momenten einen Schritt zurück tritt und
versucht, das große Ganze zu sehen:
„IHR VORBILD MUSS
NICHT ZWINGEND
IN IHRER NÄHE SEIN.
ES KANN SOGAR EINE
FILMFIGUR SEIN“
Okay, jetzt ist die Milch verschüttet und
der Sohn kommt zu spät zum Handballtraining. Geht davon die Welt unter?
Nein. Bringt es was, wenn ich jetzt
anfange, loszubrüllen? Nein. Das zerfetzt
nur meine Nerven und die der Kinder und
verschlimmert die Situation. Also halte
ich mich zurück und überlege, was ich
stattdessen tun kann. Dieser Gewinn an
Distanz hat meiner Klientin sehr
geholfen.
Welche Vorbilder haben sich Ihre
Klienten sonst noch ausgesucht?
Einer stand vor der schwierigen Situation, dass seine Firma ihn mit etwas
beauftragen wollte, was ihm gegen den
Strich ging. Heutzutage ist es nicht so
einfach, mutig und integer zu bleiben,
wenn man um seinen Arbeitsplatz
fürchten muss. Mein Klient hat sich
dann Edward Snowden zum Vorbild
genommen. Das hat ihn ermutigt, standhaft zu bleiben und zu sagen: Nein, ich
werde nichts machen, was ich nicht
vertreten und verantworten kann. Ein
anderer entschied sich für Jack Sully,
die Figur aus dem Film „Avatar“: Jack
steht zu Beginn eher auf der Seite der
Bösen und wandelt sich dann im Laufe
des Films zu einem der Guten. Vom
Saulus zum Paulus – genau diesen
Archetypus brauchte mein Klient. Er
wollte sich verändern, steckte aber in dem
Gedankenmuster fest, dass man eben so
ist wie man ist. Jack Sully hat ihm gezeigt: Wenn man tief genug motiviert
ist und das Richtige erkannt hat, kann
man sich auch ändern.
Es sind ja oft nur bestimmte Seiten
einer Person, die man bewundert, andere
dagegen schätzt man vielleicht nicht . . .
Und das ist auch gut so. Der Mensch ist
nicht perfekt, er kann es gar nicht sein.
Wenn ich also nach einem perfekten
Vorbild suche, ist das ziemlich unsinnig
und ich werde es auch nicht finden. Ein
Vorbild sollte menschlich sein, es darf
Schwächen haben und Fehler machen.
Nehmen Sie Margot Käßmann, die 2010
nach ihrer alkoholisierten Autofahrt als
Bischöfin zurückgetreten ist: Sie hat
einen schweren Fehler gemacht, aber
gerade deswegen ist sie für einige ein
Vorbild – dafür, wie man mutig dazu
stehen kann und die Konsequenzen trägt.
Wer sind denn eigentlich Ihre
eigenen Vorbilder?
In erster Linie meine Mutter, die leider im
letzten Jahr verstorben ist. Sie war ein
Mensch, der es immer geschafft hat, sich
eine ungeheure Lebensfreude zu bewahren. In schwierigen Situationen frage ich
mich deswegen: Was würde meine Mutter jetzt noch Positives daran sehen? Ein
weiteres Vorbild von mir ist eine Schauspielerin: die Dame Judi Dench. Was ich
an ihr toll finde ist, dass sie wirklich in
Würde gealtert und immer aktiv geblieben ist. Immerhin hat sie mit fast 80 noch
in den James-Bond-Filmen mitgespielt!
IRENE BECKER, 59,
absolvierte nach ihrem
Abschluss als Diplom-Kauffrau eine mehrjährige
psychologische Ausbildung
und war zehn Jahre bei
der Siemens AG tätig.
Heute arbeitet die Münsteranerin als
selbständige Managementtrainerin und
Buchautorin (z. B. „Ohne Leben fehlt
dir was: Arbeiten kann jeder, genießen
musst du!“, 17,99 Euro, Campus).
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„ Alles ist
machbar“
CAROLIN WEINKOPF, 31,
Fotografin
VORBILD: meine Eltern
WAS ICH VON IHNEN
GELERNT HABE:
Gleichberechtigung
gestillt und mein Freund war mitgekommen. Wenn ich gearbeitet habe, hat er mit
dem Kleinen die Umgebung erkundet. Es
war eine tolle Erfahrung. Und es war auch
ein ganz wichtiges Signal an meine Auftraggeber, dass ich noch da bin.
Mein Sohn hat von diesen Reisen viel
Positives mitgenommen, er ist außergewöhnlich offen und neugierig. Um jedoch
D
as Lebensmodell meiner Eltern
ist selbst aus heutiger Sicht
noch ungewöhnlich und wirklich supermodern. Die beiden
waren erst 19 Jahre alt, als meine Schwester zur Welt kam. Mich haben sie mit 21
bekommen. Die Abiturprüfungen absolvierte meine Mutter hochschwanger,
wenige Wochen nach der Geburt meiner
Schwester begann sie gemeinsam mit
meinem Vater ein VWL-Studium. Ihr
Diplom schlossen beide in der Regel­
studienzeit und mit Auszeichnung ab.
Seitdem arbeiten sie in Vollzeit – und
meine Mutter hat nebenher sogar noch
promoviert.
Meine Eltern waren wunderbare Eltern,
auch wenn sie viel gearbeitet und uns
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Kindern nicht jeden Wunsch von den
Lippen abgelesen haben. Mit einer tollen Kita und der Hilfe meiner Oma waren
wir immer bestens versorgt. Für mich war
daher immer klar, dass ein Kind mein
Leben nicht grundsätzlich umkrempeln
wird. Dank des Vorbildes meiner Eltern
wusste ich: Alles ist machbar.
Ich liebe meinen Job. Wie meiner Mutter sind mir Selbständigkeit und Autonomie sehr wichtig. Das hat sich auch
nach der Geburt meines Sohnes nicht
geändert. Als Anton noch ein Baby war,
habe ich ihn viel auf meine Reisen als
Fotografin mitgenommen. Wir waren in
Indien, im Oman, in der Türkei, Spanien
und England. Anton war im Tragetuch
immer dabei. In Indien habe ich noch
seinen geregelten Tagesablauf als Kleinkind nicht ständig zu unterbrechen, bleibt
er jetzt meist bei seinem Papa oder bei
den Großeltern, wenn ich unterwegs bin.
Er ist gerade drei Jahre geworden und ein
ausgeglichenes und glückliches Kind.
Für mich stand außer Frage, dass sich
mein Freund genauso um unseren Sohn
kümmern wird wie ich. Mit einem Mann,
der sich darauf nicht einlässt, hätte ich
kein Kind bekommen. Gerade arbeitet er
in Teilzeit und ich voll. Als freie Fotografin kann ich mir die Arbeit flexibler
einteilen, sodass wir die Zeit mit Anton
etwa 50/50 teilen. Es läuft gut, auch wenn
es manchmal nervenaufreibend ist –
wenn alle krank sind oder unsere Wohnung mal wieder aussieht, als hätte eine
Bombe eingeschlagen. Ich hatte schon
immer großen Respekt davor, wie meine
Eltern alles gewuppt haben. Jetzt ist er
noch gestiegen. FOTO S CH RISTOP H MACK, FELIX KRUGE R
„FÜR MICH WAR IMMER
KLAR, DASS EIN KIND DAS
LEBEN NICHT UMKREMPELT“
DOSSIER
„Ihre Kraft, das
Leben voll
auszuschöpfen,
inspiriert mich“
KAREN HEUMANN, 50,
Co-Gründerin und Sprecherin des
Vorstandes der Werbeagentur thjnk
VORBILD: Colette
WAS ICH VON IHR GELERNT HABE:
Lebenskunst
E
s ist etwa fünfzehn Jahre her,
da lag ich in einem Hotelbett
und las die Biografie der
französischen Autorin Co­lette.
Ich fühlte mich seltsam berührt, konnte
das Buch gar nicht mehr aus der Hand
legen und wollte unbedingt mehr über
sie erfahren. Es ging mir damals nicht
gut, es war ein harter Winter und ich
fühlte mich völlig energielos. Aber dieses Buch hat mich bereichert und
gestärkt. In der Rückschau empfinde ich
meine „Begegnung“ mit Colette regelrecht als inneren Neustart. Ihre Kraft,
das Leben voll und ganz auszuschöpfen,
inspiriert mich bis heute. Dabei hat sie
es nicht leicht gehabt: Sie nahm sich
viele Freiheiten in einer durch und
durch beengten Gesellschaft. Sie war
Tänzerin, sorgte 1907 im Moulin Rouge
für einen Skandal, weil sie auf der Bühne
eine Frau küsste. Später war sie Journalistin und Autorin, hatte Affären mit
Männern und Frauen und sogar mit
ihrem erwachsenen Stiefsohn. Nicht
alles an ihr finde ich sympathisch, aber
trotzdem wäre ich gern mit ihr befreundet gewesen. Sie konnte genießen, auch
als sie im Alter wegen ihrer Beckenarthrose ans Bett gefesselt war. Um
trotzdem gut essen zu können, ließ sie
sich von ihrem jungen Ehemann in ihr
Lieblingsrestaurant im Erdgeschoss tragen. Genau dort, auf ihrem Stammplatz,
habe ich mit meinem Mann meinen 45.
Geburtstag gefeiert. Ich habe auch ihr
Geburtshaus besucht und mir alle ihre
literarischen Werke gekauft. Mein
größter Schatz ist ein Brief mit einem
Puddingrezept. Die beiden hellblauen
Seiten hängen jetzt in meiner Küche.
Wie sie von diesem Pudding schwärmt,
„ICH WÄRE WIRKLICH
GERN MIT IHR
BEFREUNDET GEWESEN“
das ist so lebensfroh, dass es mir jedes
Mal Kraft gibt, wenn ich es sehe. Colette
hat Erfolg gehabt, ohne sich je anzupassen. Und sie erfand sich immer wieder
neu. Dass sie das geschafft hat, trotz der
damaligen Widerstände, zeigt mir, dass
es immer Optionen im Leben gibt.
DOSSIER
„Jemandem
nachzueifern
ist im Sport
ganz normal“
SABRINA LUTZ, 26,
Deutsche Meisterin im Kitesurfen
VORBILD: die Kitesurferin
Bruna Kajiya
WAS ICH VON IHR GELERNT HABE:
sportlichen Ehrgeiz
I
m Sport ist es ganz normal, Vorbilder zu haben. Gerade beim
Kitesurfen ist es wichtig, die sehr
komplexen
Bewegungsabläufe
genau zu studieren, bevor man selbst
aufs Wasser geht. Ich schaue mir die
Sprünge der Top-Kiterinnen daher auch
häufig auf Video an. Das ist einer der
besten Wege, die Tricks genau zu analysieren und zu verstehen.
Mein größtes Vorbild ist derzeit die
Brasilianerin Bruna Kajiya, die auf Platz
drei der Weltrangliste steht. Ihr technisch sauberer und eleganter Stil gefällt
mir besonders gut. Ich finde aber auch
ihr Auftreten toll. Klar ist sie ehrgeizig,
schließlich will jeder den Wettkampf
gewinnen. Aber sie ist dabei natürlich
geblieben und gar nicht verbissen.
Als ich jünger war, hatte ich Vorbilder in der Weltrangliste, die ich richtig
angehimmelt habe. Das hat mich auch
an Tagen durchhalten lassen, an denen
„ICH DENKE OFT: DAS
WILL ICH AUCH KÖNNEN!
UND GUCKE MIR WAS AB“
es beim Training nicht so gut lief und
ich ständig ins Wasser gefallen bin. Ich
wollte unbedingt auch strahlend auf
dem Siegertreppchen stehen – so wie
meine Heldinnen von damals. Jemandem nachzueifern finde ich aber auch
jetzt noch völlig in Ordnung. Albern
wird es nur, wenn ein Sportler plötzlich
denselben Haarschnitt hat wie sein Idol
oder sich genauso anzieht.
Heute habe ich das große Glück, dass
ich alle meine Vorbilder auch persönlich
treffe – bei den Worldcups und beim
Training in den einschlägigen KiteRevieren. Wir gehen dann gemeinsam
aufs Wasser und pushen uns gegenseitig. Wenn ich jemanden beobachte,
der einen neuen Trick macht, denke ich
sofort: Das will ich auch können – auch,
wenn es sich um eine Newcomerin bei
den Wettkämpfen handelt. So kommen
zu meinen alten Vorbildern immer wieder neue hinzu.
I
ch bin eigentlich studierte Hotelund Restaurantmanagerin. Dann
habe ich mit einer Freundin, die
Hobbybäckerin war, ein Café eröffnet. Aber nach einem Jahr musste sie aus
persönlichen Gründen aufhören – ich
wollte unbedingt weitermachen. So habe
ich angefangen zu backen und gemerkt,
wie viel Spaß mir das macht. Vor zwei
Jahren bin ich ins kalte Wasser gesprungen: Ich habe mir das Backen selbst
beigebracht. Und zwar so gut, dass ich
eine Prüfung bei einem Bäckermeister
ablegen konnte, die beweist: Die kann
das! So konnte ich mich selbständig
FOTO S THOM AS STE FAN, O LAF T IEDJE
„WENN ICH SEHE, WIE
CYNTHIA BARCOMI ALLES
MACHT, BESTÄRKT MICH
DAS ALS UNTERNEHMERIN“
machen, obwohl ich keine Bäckermeisterin bin. Seitdem backe ich unter dem
Namen „Schaffensschwestern“ in Nürnberg vor allem Cookies, Nussecken und
Muffins, mit denen ich inzwischen auch
andere Cafés, Kantinen und Events beliefere. Mein erstes Lieblingsrezept waren
die Schokoladen-Cookies von Cynthia
Barcomi. In der Zeit habe ich die Kochbücher von ihr verschlungen und stieß
dabei auch auf ihre Lebensgeschichte. So
wurde sie mein Vorbild.
Denn auch sie ist keine gelernte
Bäckerin oder Konditorin, sondern hat
sich alles selbst beigebracht. Genau wie
ich. Und sie lässt sich nicht aufhalten.
In einem Interview erzählte sie, wie sie
sich am Anfang über große Bestellungen gefreut hat – dann aber die ganze
Nacht in ihrer Küche stehen musste,
um das hinzukriegen. Da musste ich
lachen. Genau das ist mir auch passiert. Es kam eine Bestellung von 200
Cookies – aber ich hatte nur zwei Backöfen zur Verfügung!
Inzwischen bin ich Untermieterin in
der Backstube eines Bäckers und habe
mich auf vegane Konditorei spezialisiert.
Meine veganen Schoko-Cookies sind
schon etwas berühmt. Und wenn ich
sehe, wie Cynthia Barcomi arbeitet,
bestärkt mich das auch, als Unternehmerin alles in die Hand zu nehmen: Produktentwicklung, Herstellung, Betrieb,
Einkauf, Verkauf. Bei ihr sehe ich: Das
CAROLA KLEINSCHMIDT
kann klappen.
„Sie lässt sich nicht
aufhalten – genau wie ich“
TINA LANGHEINRICH, 33,
Nürnbergs erste vegane Bäckerin
VORBILD: Cynthia Barcomi,
Konditorin, Fernsehköchin und
Kochbuchautorin
aus New York
WAS ICH VON IHR GELERNT HABE:
autodidaktisch lernen
BR IGI TTE .DE 25/2015
121
DOSSIER
E
ins meiner ersten Vorbilder
fand ich in dem vollgestopften
Bücherregal meiner Eltern, als
ich 16 Jahre alt war. Dort stand
ein Buch über Alexander von Humboldts
Südamerikareise. Wenn ich in diesem
Buch blätterte, stellte ich mir immer vor,
dass auch ich Expeditionen zu fernen
Orten unternehmen würde. Ich lebte
damals in einer Kleinstadt und wusste:
Ich muss hier weg! Ein „normales“ Leben
wollte ich auf keinen Fall führen.
Es war aber nicht nur seine Entdeckerlust, die mich so an Humboldt faszinierte.
Sein Satz „Der Mensch muss das Gute
und Große wollen“, klingt bis heute in
„Mich faszinieren
seine Toleranz, Weitsicht
und Offenheit“
KRISTIN RAABE, 45, Filmemacherin und Journalistin
VORBILD: Alexander von Humboldt
WAS SIE VON IHM GELERNT HAT: Forschergeist
mir nach. Etwas zu wagen, sich nicht
mit dem Naheliegenden zu begnügen und
dabei doch nach dem Guten zu streben –
das wollte ich auch, selbst wenn ich das
damals noch nicht so benennen konnte.
Humboldt hat sicherlich auch Anteil
daran, dass ich schließlich ein Biologiestudium begann. Aber wie groß war die
Enttäuschung, als ich feststellte, dass den
meisten meiner Professoren die Sinnlichkeit und Begeisterung fehlte, mit der
Humboldt über seine Entdeckungen ge­
schrieben hatte. Und noch mehr vermisste
ich den ganzheitlichen Aspekt, der Humboldt so wichtig war: Er wollte die Natur
als ein lebendiges Ganzes erfassen.
Weil ich im heutigen Wissenschaftsbetrieb zu wenig von Humboldts Geist
und zu viel Spezialistentum vorfand, bin
ich nicht in die Forschung gegangen. Als
Journalistin hatte ich Gelegenheit, Humboldts Erben in aller Welt aufzusuchen.
Mit ihnen habe ich auf den Tafelbergen
Venezuelas nach fleischfressenden Pflanzen gesucht und im Dschungel Vietnams
nach den seltensten Affen der Welt. Bei
einer dieser Reisen konnte ich in Venezuela, einige Tage mit Pemón-Indianern
verbringen. Sie kannten Alexander von
Humboldt und verehrten ihn. Er zollte
den unterschiedlichsten Kulturen immer
großen Respekt. Damals nicht üblich. Mit
seiner Toleranz, Weitsicht und Offenheit ist mir Alexander von Humboldt bis
heute ein Vorbild.
FOTO S ANJA JAHN
„ICH LEBTE DAMALS IN
EINER KLEINSTADT
UND WUSSTE: ICH MUSS
HIER WEG!“
A
ls Chemie-Ingenieurin war
ich seit einiger Zeit beruflich
unzufrieden, konnte aber nicht
genau sagen, was ich stattdessen machen wollte. Das hat sich
schlagartig geändert, als ich bei einem Seminar die Managementtrainerin
Sigrid Meuselbach kennenlernte. Ich
beobachtete sie während des Trainings
und wusste plötzlich genau: Das will ich
auch tun! Menschen dabei unterstützen,
erfolgreich zu sein und ihre Stärken
bestmöglich einzusetzen.
Euphorisch fuhr ich nach Hause
und habe mich gleich zu einem Einzelcoaching angemeldet. Die Idee, Sigrid
beruflich nachzueifern, verfestigte sich
– auch weil sie so gut zu meinem
ursprünglichen Berufswunsch passte.
Ich wollte Lehrerin werden, doch eine
Berufsberaterin brachte mich davon ab,
weil es damals eine Lehrerschwemme
gab. Ich hatte es mir immer spannend
vorgestellt, mit Jugendlichen zu arbeiten. Als Trainerin könnte ich ihnen helfen, den richtigen Beruf zu finden.
Die Coaching-Ausbildung habe ich
neben meinem Job absolviert. Ich arbeitete bei einem großen Unternehmen,
verdiente gut und hatte als Mutter
zweier Kinder eine Teilzeitstelle. Mein
Mann und die meisten unserer Freunde
hielten mich für verrückt, den sicheren
Job aufzugeben. Aber ich war mir meiner Sache sicher: 2008 habe ich den
Sprung gewagt und es nicht bereut.
Mein Job, in dem ich auch Erwachsene
coache, die sich beruflich verändern
wollen, erfüllt mich viel mehr als das,
was ich vorher gemacht habe. Und
Sigrid hat mich auf diesem Weg inspi-
„MEIN MANN UND VIELE
FREUNDE HIELTEN MICH
FÜR VERRÜCKT“
riert und unterstützt. Sie nahm mich in
ihr Beraterteam auf und vermittelte mir
meinen ersten großen Auftrag. Bis heute
haben wir Kontakt. Auch gedanklich ist
sie mir präsent. Ich verfolge sehr genau,
was sie tut, und ihre Power treibt mich
an. Sich immer weiterzuentwickeln –
das finde ich einfach nachahmenswert.
„Die Idee, sich
immer weiterzuentwickeln,
treibt mich an“
ANDREA KÜCK, 52,
Trainerin und Coach
VORBILD: meine
Managementtrainerin
WAS ICH VON IHR GELERNT HABE:
Mut zum Berufswechsel
BR IGI TTE .DE 25/2015
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DOSSIER
„Frau Kruses
Leben erschien mir
wie ein Traum“
HATICE AKYÜN, 45, Buchautorin
VORBILD: ihre Lehrerin
WAS ICH VON IHR GELERNT HABE: Eigenständigkeit
I
ch bin mit drei Jahren nach
Deutschland gekommen. Meine
Eltern stammen aus einem anatolischen Dorf. Sie hatten früh geheiratet und nicht den Bildungshintergrund,
um uns hier in Deutschland weiterzuhelfen. Auch die Ideale der 68er-Bewegung
oder des Feminismus konnten sie mir
und meinen Geschwistern natürlich nicht
vermitteln. Aber gerade mein Vater war
immer sehr offen und hat es unterstützt,
dass wir uns Hilfe von außen suchen. Ich
war damals in Duisburg auf der Hauptschule und bin dort meiner Lehrerin
Brigitte Kruse begegnet. Sie kam mit
ihrem roten Auto vorgefahren, war Ende
20 und eine sehr emanzipierte Frau. Das
hat mich beeindruckt. Ich kannte aus meinem familiären Umfeld ja nur Frauen, die
verheiratet waren oder es möglichst bald
sein wollten. Frau Kruse dagegen hatte
keinen Mann und keine Kinder, sie war
frei und selbständig. Ihr Leben erschien
mir wie ein schöner Traum. Durch ihr
Vorbild hat sie mir gezeigt, dass es für
Frauen ganz ungeahnte Möglichkeiten
gibt. „Hatice, du kannst auch studieren“,
hat sie zu mir, der Hauptschülerin, gesagt.
Tatsächlich war ich die erste in unserer
Familie, die Abitur gemacht und studiert
hat. 2005 habe ich dann mein erstes Buch
veröffentlicht. Mein Vater ist sehr stolz
auf mich. Der Mann ist mit acht Enkelinnen gebeutelt! Zu denen sagt er jetzt, dass
sie lieber nicht heiraten sollen. Meine
Mutter fragt mich bis heute, warum ich
arbeite, obwohl mein Mann genug Geld
nach Hause bringt. Dass man seine Arbeit
lieben kann, wie ich es tue, kann sie nur
schwer nachvollziehen.
Ich sage immer, dass ich zwei Mütter
habe: Meine Mutter ist meine Bauchmutter. Sie hat für ein harmonisches
Familienleben gesorgt, war immer für uns
da. Brigitte ist meine Herzensmutter, die
mich zu einem selbständigen Leben in­spiriert hat. Ich habe immer noch Kontakt
zu ihr. Vor neun Jahren bin ich Mutter
einer Tochter geworden, die jetzt von
beiden Einflüssen profitiert.
124 B R I GI T TE . DE
25 / 2015
FOTO CHR ISTO PH MACK
„SIE WAR ENDE 20,
FREI UND SELBSTÄNDIG.
‚HATICE, DU KANNST
AUCH STUDIEREN‘, SAGTE
SIE ZU MIR“