Erfahrungsbericht zum Auslandssemester an der Tallinn University Of Technology Name, Vorname: Haenel, Manuela Maria Heimathochschule: DHBW Stuttgart Gasthochschule: Tallinn University of Technology Studienfach: International Business Studienziel: Bachelor of Arts Semester: SoSe 2015 (4. Semester) Jahrgang: 2013 Zeitpunkt: 02.02.2015 – 05.06.2015 1. Vorbereitungen vor dem Auslandsaufenthalt Vorbereitungen: Die Kommunikation vorweg mit der Tallinn University of Technology (kurz TUT) funktionierte ohne Probleme und sehr schnell. Da der Aufenthalt an der TUT über das Erasmus Studienförderungsprogramm läuft, mussten wir vorab einen englischen Sprachtest online absolvieren, der unser Englischniveau beurteilt. Am Ende des Austauschs legt man dann nochmals einen Test ab, um zu sehen, ob sich seine Englischkenntnisse verbessert haben. Die Erstellung des Learning Agreements lief auch ohne jeglichen Probleme, da man vor Ort auch noch sehr flexibel seine Kurse hätte ändern können. Doch bei mir haben alle Kurse wie geplant stattgefunden. Das Auslandsamt der TUT versorgte einen auch vorab regelmäß ig mit notwendigen Informationen und half auch bei der Unterkunftssuche. Behö rdengänge: Visum oder ähnliches ist nicht notwendig, da Estland sich in der EU befindet. sodass man ohne jeglichen Behördengänge im Vorfeld ins Auslandssemester starten kann. Gesundheitschecks, Impfungen und ähnliches sind abgesehen von den Standards, die auch in Deutschland gelten, nicht notwendig. Sprache: In Estland gibt es zwei vorherrschende Sprachen: Estnisch und Russisch. Wenn man Russisch kann, ist man im größten Vorteil, da alles sowohl auf Estnisch als auch auf kyrillisch geschrieben ist. Zudem sprechen sehr viele Esten Russisch, während die Russen teilweise kein einziges Wort Estnisch sprechen. In der Universität wird ein Sprachkurs sowohl für Russisch als auch Estnisch angeboten, die man gerne belegen kann. Ich persönlich habe mich für den Estnischkurs entschieden, da es mir persönlich wichtig ist, zumindest etwas von der Sprache des Landes zu können, in dem ich aktuell lebe. Jedoch ist es nicht notwendig, um sich in Estland zurechtzufinden. In der Universität sind alle Kurse und Schilder etc. auf Englisch, im alltäglichen Leben kann man Leute auf der Straß e fragen und man trifft zudem sehr viele Leute aus allen Ländern der Welt, wodurch man ohnehin mehr Englisch spricht. Beim Einkaufen hat man auch wenige Probleme, weil man gewisse Wörter schnell aufgreift und es auch viele deutsche Waren gibt. Aber ich fand, dass es definitiv eine Erfahrung wert ist, mal zu versuchen, eine unserer Muttersprache so fremde Sprache kennenzulernen. Kultur: In einer Infoveranstaltung wurden wir direkt auf etwas hingewiesen: „Die Esten lachen und lächeln nicht.“ Nach knapp 4 ½ Monaten in Estland kann ich das bestätigen. Es ist keine Beleidigung gegen einen selbst, wenn man böse angeguckt wird oder es kein „Hal- lo“ und kein „Danke“ gibt – hier gehört das zur Mentalität. Zudem ist die russische Kultur ein groß er Bestandteil von Estland – vor allem von Tallinn. Hier leben knapp ein Drittel Russen, wodurch man in manchen Gegenden bezüglich Taschendiebe (z.B. beim Russischen Markt) besonders vorsichtig sein sollte. Ansonsten ist Tallinn eine sehr sichere Stadt. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass das Konsumieren von alkoholischen Getränken in der Ö ffentlichkeit verboten ist und eine Reflektorpflicht herrscht. Wenn ihr also das Bier zu Hause lässt und euch in Estland einen Reflektor an die Jacke hängt (gibt es für wenig Geld und in den lustigsten Formen an der Kasse jedes Supermarkts), kann euch nichts passieren. Feiertage gibt es nur sehr wenige, da Estland eins der am wenigsten religiösen Länder Europas ist. Im Februar ist der Unabhängigkeitstag sowie Shrove Tuesday, an dem man das Schlittenfahren zelebriert. Das sind auf jeden Fall zwei Tage, an denen ihr an den Feierlichkeiten teilnehmen solltet. Solltet ihr es schaffen, bis Ende Juni zu bleiben, dann werdet ihr den Tag erleben, an dem die Sonne nicht untergeht. An diesem Tag oder vielmehr in dieser Nacht feiert das ganze Land. Ich habe das leider nicht geschafft, aber es ist eines der größten Events des Jahres. Politik: Man bekommt im alltäglichen Leben fast nichts von der estnischen Politik mit. Zu meiner Aufenthaltszeit waren zwar Wahlen, jedoch sah man kaum Leute in Wahllokalen oder politische Reden. In Estland kann man online seine Stimme abgeben, daher gab es da keinen groß en Auflauf oder ähnliches. Auch die Spannungen, die es aktuell mit der russischen Regierung gab, waren nicht zu spüren. Trotz der Vergangenheit im zweiten Weltkrieg hegen die Esten generell auch keinen Groll gegen Deutsche. Jedoch sollte man einen Esten nicht als Russen bezeichnen und da eine gewisse Sensibilität haben. Die Esten wollen sich von Russland grundsätzlich differenzieren. Wichtig – passende Kleidung: In Estland kann es – gerade im Winter – leicht bis zu -20 Grad Celsius haben, während es im Sommer bis zu 15 / 20 Grad plus hat. Schichten und vor allem gutes Schuhwerk sind hier wichtig. 2. Studium in Tallinn TUT: Die TUT besitzt einen relativen groß en Campus und ist von der Altstadt ca. 20 Minuten mit dem Bus entfernt. Am Anfang braucht man ein bisschen, bis man sich in den vielen verschiedenen Gebäuden zurecht findet, jedoch kennt man nach ein zwei Wochen den Campus ganz gut. Es werden auch Sportkurse angeboten wie u. a. Aerobic, Basketball und Tischten- nis. Ein kleines Fitnessstudio gibt es in der Sporthalle auch und als Student der Universität ist das die günstigste Option für ein Fitnessstudio. Auch gibt es einen größeren, schönen Park, der gerade im Frühling sehr schön für Spaziergänge oder einfach auch zum Lernen ist. Das International Relations Office sowie das Büro des Erasmus Social Networks (ESN) helfen euch jederzeit bei Fragen und stehen euch immer offen. Vor allem ESN ist eine wichtige Studentenorganisationen für Austauschstudenten, da ESN sehr viele Trips, Partys und kulturelle Events organisiert. Auf dem Campus gibt es zudem 3 Kantinen, wodurch man in der Uni schnell was zu essen bekommt, wenn man sich nicht immer selbst etwas mitnehmen will. Supermärkte o. ä. gibt es im fuß läufigen Umfeld der Uni leider nicht. Vorlesungen: Man kann seine Veranstaltungen aus einem Pool an Bachelor- und Mastervorlesungen wählen und die Belegung innerhalb der ersten zwei Wochen an der TUT auch noch wechseln. Als Bachelor in einen Masterkurs zu gehen, ist absolut kein Problem, was auch viele meiner Studienkollegen gemacht haben. Die Vorlesungen sind komplett auf Englisch. Das Englischniveau ist absolut verständlich und keine Herausforderung, vor allem nicht, wenn man so wie ich ohnehin laufend englische Vorlesungen an der DHBW hat. Alle Unterrichtsmaterialien gibt es auf der Onlineplattform Moodle der Uni und es werden manchmal auch Tests über diese Plattform durchgeführt. Die Vorlesungen sind in 2 Teile aufgebaut: Lectures und Exercises. In den Lectures sitzt man mit allen Studenten des Kurses in einem groß en Hörsaal und lernt die Theorie, während man in den Exercises in kleineren Gruppen bis zu 30 Leuten die Theorie dann anwendet und anhand von Beispielen übt. Man war oft sehr frei, ob man zu der Vorlesung kommen sollte oder nicht, wodurch man sich wie an einer „normalen“ Uni gefühlt hat. Nur manche Veranstaltungen verlangten eine Mindestanwesenheitspflicht, aber das hängt voll vom Dozenten ab. Klausuren & Noten: Es gibt einen Hauptklausurenzeitraum am Ende des Semesters sowie Midterms in der Regel. Jedoch hatte ich auch einige Veranstaltungen, die auf einen groß en finalen Test verzichtet haben und dafür mehrere kleinere Tests verteilt über das Semester benotet haben. Die meisten Tests (auß er Finance) waren Multiple Choice-Fragen. Hierbei muss man oft genau auf die Formulierung achten, da oft ein kleines Wort die Antwort bestimmt. Zudem sind die Antworten oft recht ähnlich formuliert. Daher sind die Examina sehr unterschiedlich im Vergleich zur DHBW und man muss sich anders darauf vorbereiten. Jedoch gab es bei keinem von uns Probleme, die Prüfungen angemessen zu bestehen. Zudem werden sehr viele Hausaufgaben verteilt, die benotet werden und oft auch ein Drittel der Gesamtnote ausmachen. Auf den zusätzlichen Aufwand zu Hause muss man sich einstellen, jedoch helfen diese einem dabei, seine Note aufzuwerten. Die Benotung allgemein lief sehr fair ab. Es gibt eine Varianz von 5 bis 0 mit 5 als hö chster Note. Welche Bewertung man dann am Ende des Semesters bekommt, hängt von den gesammelten Punkten ab. Kurse: Da ich im 4. Semester nach Estland gegangen bin, haben sich bei mir folgende Fä cher ergeben: Economics II: Diese VWL-Vorlesung greift die Inhalte aus dem 2. Semester der DHBW komplett nochmal auf und vertieft diese noch weiter um neue Aspekte. Da dies die einzige angebotene VWL Vorlesung auf angemessenem Niveau ist, wird dieses makroökonomische Fach eine Veranstaltung sein, die ihr wahrscheinlich belegen mü sst. Der Hausaufgabenaufwand in diesem Fach war relativ gering und die Kursstruktur von Anfang an sehr klar war. Für mich persönlich war es der mit Abstand beste Kurs, jedoch hä ngt das auch davon ab, ob einem VWL liegt oder nicht. Basic Finance: Ebenfalls ein obligatorischer Kurs im 3. Semester der DHBW. Jedoch kann man auch den Masterkurs Corporate Finance belegen. Laut Studienkollegen war dieser absolut machbar und wenn man viel Neues lernen will, ist dieser definitiv mehr zu empfehlen. Die ersten 2 Monate in Basic Finance hat man sehr viele altbekannte Sachen wiederholt, wodurch die Vorlesungen manchmal sehr zä h waren. Gegen Ende hin lag der Fokus jedoch auf den Börsenmarkt und Anleihen, was deutlich interessanter war. Hier gab es mehrere Hausaufgaben, die den Stoff der Vorlesung aufgegriffen haben. Die Exercises haben ein gutes Niveau, das sogar teils auch ü ber dem der finalen Tests sind. Management: Dieses Fach geht sehr in die Richtung HR. Es werden in den Lectures sehr viele logische Dinge angebracht. Die Exercises jedoch sind interessanter gestaltet, da hier mit Fallbeispielen und Rollenspielen gearbeitet wird, um Managementtechniken oder Strategien zu erarbeiten. Organizational Behaviour: Hier geht es sehr in Richtung Verhaltensforschung: Wie verhä lt sich ein Individuum in der Gruppe? Inwieweit sind Gruppendynamiken vorhanden? Solche Fragen werden hier diskutiert. Auch hier sind die Exercises mit praxisnahen Beispielen und ü berschaubaren Gruppendiskussionen deutlich lehrreicher als reine Theorie. Jedoch gibt es auch hierfür entsprechend einen Masterkurs mit deutlich mehr Tiefe, wenn dies jemand bevorzugt. Project Management: An sich ein Fach, dass ich so an der DHBW bis dato noch nicht hatte. Es war sehr theoretisch und ohne viele Beispiele aufgebaut, jedoch definitiv interessant, da es neu war. Jedoch war der Arbeitsaufwand für dieses Fach, dass als Pass or Fail im Learning Agreement deklariert war, definitiv zu hoch. Die Hausaufgaben umfassten ein eigens ausgedachtes Projekt, das mit MS Project bearbeitet werden sollte. Dies nahm sehr viel Zeit in Anspruch. Estonian Language and Culture: Diesen Sprachkurs habe ich, wie oben bereits erwähnt, zusätzlich gewählt, um etwas vertrauter mit der Sprache zu werden. Er beeinflusst meine Note an der DHBW auch nicht, da er im Learning Agreement nicht angerechnet werden kann. Man lernt in den Vorlesungen die Basics in Grammatik, Aussprache und Wortschatz wie z.B. Lebensmittel, Familie oder Dialoge im Taxi. Zudem muss man einen Bericht über seine persönliche Erfahrung mit der estnischen Kultur abgeben, wodurch man dazu animiert wird, innerhalb Estlands viel zu reisen, was ich sehr gut fand. Ich würde es definitiv empfehlen, selbst, wenn dieser Kurs euch nicht zu Hause angerechnet werden kann. Man ist nach dem Sprachkurs in der Lage, sich vorzustellen. Jedoch ist estnisch eine äuß erst komplizierte Sprache, wodurch man nicht erwarten sollte, nach einem einzigen Sprachkurs Konversationen zu verstehen oder führen zu können. 3. Aufenthalt in Tallinn Ich persönlich habe im Academic Hostel der Universität namens „Endla 4“ gelebt. Es ist 5 Gehminuten von der Altstadt weg und somit super zentral und ca. 20 Minuten von der Universität entfernt. Von dort aus gibt es auch einen direkten Bus zur TUT. Ich habe mir dort das Zimmer mit einer anderen Deutschen geteilt. Küche und Bad werden mit allen geteilt. Es gibt noch ein Academic Hostel direkt neben der Uni, jedoch hat dies zum Beispiel kein Wohnzimmer und es war mir persönlich wichtiger, nah an der Stadt und nah an Einkaufsmöglichkeiten zu leben. Am Anfang ist es gewöhnungsbedürftig, sich das Zimmer mit einer fremden Person zu teilen, jedoch bin ich mit meinem Mitbewohner super klar gekommen. Man lernt auch sehr schnell Leute kennen, da man sich in der Küche zum Kochen trifft oder abends gemeinsam im Wohnzimmer sitzt. Nach 4 Monaten hat man sich gefühlt, als hätte man eine Familie in Tallinn. An sich ist gerade die Altstadt sehr schön und wirkt sehr mittelalterlich und sieht in jeder Jahreszeit ganz anders aus. Es gibt viele Bars, Restaurants und auch einige groß e Shopping Center. Die Stadt hat also alles, was man braucht. Tipps: Reisen, reisen, reisen! Was ich unbedingt empfehlen kann, sind so viele ESN Events wie möglich mitzunehmen und selbst Trips zu organisieren. Estland hat eine perfekte Lage, um alle baltischen sowie skandinavischen Länder zu besuchen und Automiete bei-spielsweise ist sehr günstig. ESN wird euch regelmäß ig über mögliche Trips informieren, die überwiegend am Wochenende stattfinden. Ich war nun während meines Aufenthalts in Riga, Vilnius, Helsinki, Stockholm, Norwegen generell und Sankt Petersburg. Besonders empfeh-lenswert ist der ESN Trip nach Lappland, da man hier zum Polarkreis fährt, eine Rentier- und Husky-Schlittenfahrt macht und man gerade im März eine groß e Chance hat, Nordlichter zu sehen (was bei mir geklappt hat ). Girokarte: Man kann in Estland so gut wie alles mit Karte zahlen, selbst kleinste Centbeträge – ohne jeglichen Transaktionskosten bei einem deutschen Konto. Wer jedoch Bargeld bevorzugt, kann sich eine Kreditkarte bei z.B. der DKB oder der Comdirect holen, da man bei diesen beiden Banken keine Abhebegebühren zahlen muss. Kostenloser Transport: Wenn man sich in Tallinn registriert und eine temporäre ID bekommt, kann man alle öffentlichen Verkehrsmittel in Tallinn kostenlos nutzen. Auf Dauer lohnt sich das definitiv und die TUT unterstützt euch auch beim Registrierungsprozess. Internet und Sim: Estland wird nicht umsonst E-stonia genannt. Die Wifi-Konnektivität in diesem Land ist enorm – in jedem Cafe gibt es Wifi (sehr häufig einfach of-fen) und selbst abseits jeder Stadt funktioniert mobiles Internet. Daher mein Tipp: Eine Sim Card, die eine reine Internetfunktion hat. Man bekommt 50GB Datenvolumen für nur 5 Euro im Monat bei einer Prepaid Sim, wenn man auf die Anruffunktion verzichtet. In Zeiten von Skype, Facebook und WhatsApp kann man also durchaus auf die Telefonnummer verzichten. Insgesamt hat sich der Auslandsaufenthalt definitiv gelohnt. Dadurch, dass man ein Eras-musstudent ist, hat man viel Kontakt zu anderen internationalen Studenten und bildet so Freundschaften mit Leuten aus verschiedensten Ländern. Denn: Einmal Erasmus – immer Erasmus! Die kalten Temperaturen und das Klima sollten euch nicht abschrecken. Estland ist eine auß ergewöhnliche Wahl und bietet auch viel Auß ergewöhnliches wie die vielen Reisen und die Erfahrung, in einem relativ kleinen, relativ unbekannten Land zu leben.
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