hr1-Sonntagsgedanken, 22. November 2015 Clemens Scheitza

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hr1-Sonntagsgedanken, 22. November 2015
Clemens Scheitza, Frankfurt
Christkönig in einer Zeit der Unsicherheit
Heute ist der letzte Sonntag vor dem Advent. Heute endet das Jahr - im Kirchenkalender. Die katholische Kirche feiert an dem Tag auch das Christkönigsfest. Und ich
meine, das passt, gerade wenn ich auf das letzte Jahr zurückschaue.
Das Christkönigsfest gibt es noch nicht lange. 1925 wurde das Fest zum ersten Mal
gefeiert, ausgerechnet nach dem Scheitern von König- und Kaiserreich in Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland. Das Zweite Vatikanische Konzil hat später
das Fest auf den letzten Sonntag des Kirchenjahres gelegt, also auf heute. Und es
hat auch gleich die Botschaft dazu mitgegeben: „Es gibt niemanden und nichts, was
absolute Macht über Menschen hat. Keine Institution ist Gott. Wenn es einen König
gibt, dann Christus.“
Für mich hat diese Aussage weitreichende Konsequenzen: Sie gibt mir Freiheit vor
absolutem Anspruch, vor dem Wahn, alles richten und bestimmen zu können und zu
müssen. Und sie gibt mir mit diesem Christus gleichzeitig Hoffnung – die Hoffnung:
trotz allen Scheiterns und aller empirischen Gründe: die Welt geht gut aus. Mir hilft
diese Hoffnung – gerade, wenn ich auf das letzte Jahr zurückschaue.
An drei Ereignissen in diesem Jahr macht sich das für mich klar.
Angefangen hat dieses Jahr mit der Euro-Krise: Griechenland drohte die Pleite. Heftige Betriebsamkeit setzte ein unter den Wirtschaftsführern und Politikern. Erst Ratlosigkeit und dann unterschiedlichste, ja gegensätzliche Konzepte, wie man mit dieser
Krise umgehen sollte. Plötzlich waren die Kräfte des Marktes nicht mehr sich selbst
steuernd und selbst heilend, sondern unberechenbar und gefährlich geworden. Griechenland, einer der Akteure im Euromarkt, konnte nicht mehr mithalten. Verheerende
Wirkungen für den gesamten Euromarkt könnten drohen. Ja, etliche sprachen von
dem Ende dieses Marktes. Und das, wo doch mancher meint: Der Markt ist fast gottgleich. Die Erkenntnis macht sich breit, der Markt ist eben keine friedensschaffende
und ordnende Macht. Schon gar nicht ein gütiger Gott, der über allem thront. Im Gegenteil: Für mich gleicht er mittlerweile eher einer Krake, die Geld verschlingt und
immer wieder neue Probleme aufwirft. Er verlangt Opfer von den Menschen, damit er
sich beruhigt, eben wie in alten Zeiten. Opfer, oftmals gerade von denen, die unter
den Verwerfungen am meisten leiden: Den unteren Schichten, sie müssen Geld abgeben. Den Jugendlichen, ihnen wird keine Perspektive geboten.
Ein Christkönigsfest wirkt da fast revolutionär mit der Botschaft: Es gibt keine Könige
außer Christus – es gibt auch keinen König Markt! Es gibt nur den konkreten Menschen, der leiden muss unter den Verhältnissen, dem muss man Tribut zollen. Der
muss der Maßstab wirtschaftlichen Handelns sein.
Musik
Diese Krise rund um den Euro und Griechenland ist mittlerweile schon fast vergessen, heute sind es die Flüchtlinge, die beunruhigen. Immer noch gibt es viele Menschen, die sich für eine Willkommens-Kultur engagieren – aber es macht sich auch
immer mehr Sorge breit. Auch bei mir. So, wenn ich im Fernsehen die vielen Menschen sehe, die zu uns kommen wollen. Aber genauso empfinde ich Mitleid und Verantwortung: Menschen laufen Tausende Kilometer. Sie kommen, weil in ihrer Heimat
Krieg und Terror herrschen, sie keine wirtschaftliche Perspektive mehr haben. Soll
ich sie vor der Tür lassen, sie nicht aufnehmen? Mich erinnert das sehr an die Herbergssuche von Maria und Josef und ihre Flucht nach Ägypten.
Auch hier ist die Lösung nicht einfach. Wie kann ich die ökonomische Ungleichheit
auf unserem Kontinent verändern? Wie kann ich Kriege wie in Syrien, Eritrea und im
Libanon befrieden? Wie dem IS Terror begegnen? Mich verunsichert das, es zeigt
mir meine Machtlosigkeit. Bei manchen meiner Mitbürger schlägt diese Hilflosigkeit
um in Aggression und Hass. Hass zum Beispiel gegenüber den ankommenden
Flüchtlingen. Da wünschte ich mir manchmal: Gäbe es doch da einen Christkönig,
einen Gott, der diese Probleme richtet, der die Welt befriedet, dem Terror Einhalt gebietet. Mich beschäftigt auch dieser Gedanke: Der Christkönig, dieser Christus, war
auch einst als Kind auf der Flucht, und er will, dass wir den Flüchtenden beistehen.
Da ist noch ein drittes Ereignis in diesem Jahr, zu dem Christkönig für mich mit seiner Botschaft passt. In der katholischen Kirche: Ende Oktober hat die Bischofssynode in Rom dem Papst eine Stellungnahme vorgelegt. Die Bischöfe hatten zum Thema Familie getagt – und vorher schon waren auch die Gläubigen zu dem Thema befragt worden. Das Ergebnis der Umfrage: Die Meinung der katholischen Kirche über
die Verhütung in und vor der Ehe wird als weltfern angesehen. Die Ansicht über Homosexualität als unaufgeklärt, und die Vorstellung, wiederverheiratet Geschiedenen
nicht zur Kommunion zuzulassen, als unbarmherzig.
Aber es ist natürlich wichtig, dass die Kirche glaubwürdig ist bei Fragen rund um Familie und Partnerschaft. Partner und Familie bleiben ein Ort, wo ich Heimat und Sicherheit finden kann. Wenn die Kirche mit ihren Regeln diesen Raum nicht mehr betritt, verliert sie viele. Das wussten auch die Bischöfe in Rom. Und trotzdem konnten
sie sich nicht weiter zu den Gläubigen hin öffnen. Mir scheint: Die vielen unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten, in der sich das Kirchenvolk bewegt, haben es ihnen nicht möglich gemacht. Die Bischöfe waren sich vor allen Dingen einig, dass sie
sich nicht einigen können.
Also auch hier unter den sonst so sicheren Bischöfen: Unsicherheit, Ratlosigkeit.
Jetzt soll es der Papst richten. Aber auch er kann nicht mehr sein als der Christus,
der König. Denn: Wenn Christkönig bedeutet, es gibt keinen Machtanspruch, der absolut legitimiert ist - dann sind auch die Machtansprüche eines Papstes, dann ist
auch Hierarchie nur eine vorübergehende Antwort.
Musik
In der Wirtschaft zerbrechen sichere Konzepte, auch in Politik und Kirche herrscht oft
Ratlosigkeit. In dieser Situation hilft mir die Botschaft von Christkönig.
Christkönig verschafft mir wichtige Freiräume. Kein Markt, kein Masterplan in der
Flüchtlingspolitik und keine noch so guten Ratschläge und Vorschriften in der Kirche
bedeuten für mich letzte Lösungen, wenn sie nicht das Schicksal des Einzelnen berücksichtigen. Den einzelnen Menschen zu sehen, sein konkretes Schicksal zu erkennen, ihn in den Mittelpunkt meines Handelns zu stellen, das ist mir wichtig.
Ich erinnere mich daran, wie Jesus gehandelt hat: Darf man einer Ehebrecherin vergeben? Nein, das Gesetz Moses schreibt es vor, sie zu steinigen. Darf man am Sabbat heilen? Nein, auch das ist nicht erlaubt. Darf man einen Leprakranken berühren?
Nein, denn das Gesetz des Moses schreibt eine Schutzdistanz vor.
Heute frage ich: Darf man ein Flüchtling willkommen heißen? Nein, dann kommen
noch mehr! Darf man einen griechischen Bürger eine Grundrente zubilligen? Nein,
dann vergeht man sich gegen das Leistungsprinzip des Marktes. Darf man einen
Wiederverheirateten zur Kommunion zu lassen? Nein, dann bricht man ein Gesetz
der Kirche, dann empfängt ein Sünder das Gottesbrot!
Sicher, Gesetze sind in einem sozialen Gebilde notwendig. Doch für mich ist kein
Gesetz absolut. Die Not des Einzelnen darf ich nicht übersehen.
Christkönig hilft mir auch, die Sprache meines Herzens zu entdecken. In dieser
Sprache geht es darum, dass Menschen Schutz und Geborgenheit erleben. Das war
bei Christus so. Bei ihm haben sich seine Freunde und Freundinnen geborgen gefühlt, Das hat er in seiner Existenz glaubhaft gemacht. Sie haben sich aufgehoben
gefühlt, hatten keine Angst, haben gesehen: Güte geht vor Terror und Gewalt.
Jesus hat keine neuen Glaubenssätze verkündet, sondern er hat eine Veränderung
unserer Existenz gelebt: von Angst zu Vertrauen, von Gewalt zu Güte. Dieses Verhalten löst nicht alle Probleme und Krisen, es hilft mir aber, sie auszuhalten, macht
mir Mut, neue Wege zu finden. Wenn Christus der König ist, gibt mir das die nötige
Hoffnung auf einen letztlich guten Ausgang, jenseits aller Unsicherheit, allen Scheiterns.