anlesen - Universität Erfurt

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ThG 58 (3/2015), 212–235
Theologie im Diskurs
NORBERT CLEMENS BAUMGART
„Es werde Licht!“
Zu Gottes erstem Werk in der Schöpfungserzählung Gen 1,1 – 2,3
Eine zentrale Grundlage, über „Schöpfung“ nachzudenken, stellt die Heilige Schrift
dar. Gleich ihr erstes Kapitel wendet sich diesem Thema zu. Immer wieder neu
müssen die Fragen beantwortet werden, wie dieser Text zur Schöpfung verstanden
und wie er ausgelegt werden kann. Dieser Beitrag geht den Fragen exemplarisch
anhand des Lichtes und des ersten göttlichen Werkes (Gen 1,3–5) nach. – Prof. Dr.
Norbert Clemens Baumgart (geb. 1959) lehrt Exegese und Theologie des Alten Testamentes an der Universität Erfurt. Er forscht u. a. zu den Büchern Genesis und Könige. Veröffentlichungen u. a.: Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition
und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5–9, Freiburg/Br. 1999; Die Urgeschichte. Eine Einleitung in Themen, Aufbau und Entstehung, in: Bettina Wellmann (Hg.), Im Anfang. Genesis 1–11, Stuttgart 2014, 8–18; Die Urgeschichte zur
Gewalt, in: AndersOrt. Fachzeitschrift Kirche im Justizvollzug 2 (2014), 5–16.
I. Hinführungen und Fragestellung:
Schöpfung, Bericht und Erzählung
Wer sich dem Thema „Schöpfung“ zuwendet und dabei auf die Bibel rekurriert, der kommt an Gen 1,1–2,31 nicht vorbei. Für Bernd Janowski ist
dieser Text „so etwas wie die Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens“2. Der Text eröffnet den biblischen Kanon. Dem Text wandte sich, von
der Antike bis in die Gegenwart, mannigfach die Aufmerksamkeit zu und
rückte ihn so in einen Fokus. Auffällig ist allerdings, dass dieser Text selbst
ein substantivisches Wort wie „Schöpfung“ nicht kennt.3 Das Wort Schöpfung kann „in der religiösen Sprache […] ein doppeltes bedeuten: a) einen
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Zur Abgrenzung des Textes mit Gen 2,3 und nicht mit 2,4a vgl. Walter Bührer, Am Anfang ... Untersuchungen zur Textgenese und zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 1–3 (FRLANT 256),
Göttingen 2014, 142–152; 380–381.
Bernd Janowski, Die Welt des Anfangs. Gen 1,1–2,4a als Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens, in: ders., Der nahe und der ferne Gott (Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 5), Neukirchen-Vluyn 2014, 3–29, hier 5 [Hervorhebung: im Orig.].
Hierzu vgl. Konrad Schmid, Schöpfung als Thema der Theologie, in: ders. (Hg.), Schöpfung (Themen
der Theologie 4; UTB 3514), Tübingen 2012, 1–15, hier 4–5. Zum erstmaligen Auftauchen eines entsprechenden abstrakten Begriffs vgl. Florentino García Martínez, Creation in the Dead Sea scrolls, in:
George H. van Kooten (Hg.), The creation of heaven and earth. Re-interpretations of Genesis 1 in the
context of Judaism, ancient philosophy, Christianity, and modern physics (Themes in biblical narrative.
Jewish and Christian traditions 8), Leiden 2005, 49–70.
„Es werde Licht!“
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Vorgang, ein Geschehen: das erschaffende Wirken Gottes (lat. creatio), und
b) das Ergebnis dieses Vorgangs: die Welt, die Elemente und Lebewesen
als von Gott ins Dasein gesetzte (lat. creatura).“4
Beide Bedeutungen („Wirken“ und „Ergebnis“) haben Haftpunkte im Text
von Gen 1,1–2,3, und so erscheint „Schöpfung“ zwar als dessen nachträgliche, aber keineswegs unsachgemäße Einordnung. Dem „Wirken“ des
Schöpfers geht der Text nach mit Verben, die sonst auch menschliches
Agieren/Schaffen beschreiben,5 aber er setzt auch ein außerordentliches
Verb ein, das ein analogieloses Erschaffen Gottes ausdrückt (zuerst in 1,1,
insgesamt sechsmal). Gott erscheint als der zentrale Agent. 35mal wird er
erwähnt6 und ist noch häufiger das Subjekt in den Sätzen. Auch als „Ergebnis“ wird Schöpfung in Gen 1,1–2,3 breit vorgeführt. Allerdings nicht im
Sinne einer späteren theologischen Begriffsbestimmung: Nach einer solchen
„umfasst […] Schöpfung […] restlos alles, was nicht der Schöpfer selbst
ist“7. Für Gen 1,1–2,3 war dem Schöpfer auch etwas vorgegeben, „was“ er
„nicht […] selbst ist“ und nicht durch ihn geschaffen worden ist (so in 1,2;
s. u.). In Bezug auf den „Schöpfungsglauben“ ist freilich zu beachten, dass
im antiken Israel, in „seiner Umwelt und Vorwelt“ das „Geschaffensein
von Welt und Mensch […] eher eine Denkvoraussetzung als ein Glaubensgegenstand war.“8 Von Relevanz erweist sich heutzutage die Frage, wie der
Text auf Schöpfung eingeht und was sich aus dieser Art seiner Darstellung
ergibt. Das spiegelt sich in einer Diskussion wider, wie der Text Gen 1,1–
2,3 angemessen zu bezeichnen ist:
Die Bezeichnung „Schöpfungsbericht“ war9 und ist10 üblich und nicht unberechtigt. Unter „Bericht“ kann eine „einfache Darstellung eines Handlungsverlaufs ohne ausmalende ([…] Beschreibung), vergegenwärtigende
([…] Szene) oder reflektierende ([…] Erörterungen)“ Elemente verstanden
werden, die u. a. in „fiktionaler“ Literatur eine „Grundform epischen Erzählens“ darstellt.11 Nun streift Gen 1,1–2,3 aber auch Szenisches (vgl. die
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Hans Kessler, Schöpfung denken im Gespräch mit heutiger Naturwissenschaft. Zu Anschlussfähigkeit
und zum Überschuss schöpfungstheologischer Aussagen, in: Michael Böhnke u. a. (Hg.), Freiheit Gottes und der Menschen (FS Thomas Pröpper), Regensburg 2006, 197–331, hier 197.
Zum Beispiel „scheiden“ zuerst in 1,4 oder „machen“ zuerst in 1,7.
Vgl. MT; mitgezählt sind die Constructusverbindungen in 1,2 und 1,27.
Schmid, Schöpfung (s. Anm. 3), 4.
Otto Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Bd. 2. Wesen und Wirken. Jahwe, der Gott Israels, Schöpfer der Welt und des Menschen (UTB 2024), Göttingen 1998, 212 [im Zitierten gibt es Hervorhebungen].
Hierzu auch Claus Westermann, Genesis 1–11 (Teil I), (BK-AT I/1), Berlin 31985, 58–59.
Zum Beispiel Odil Hannes Steck, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1–2,4a (FRLANT 115), Göttingen
21981.
Zum Beispiel Jan Christian Gertz, Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?, in:
ZThK 106 (2009), 137–155.
Art. Bericht, in: Dieter Burdorf u. a. (Hg.), Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, Stuttgart – Weimar 32007, 75. Vgl. Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 82001, 79.