Taz-Beilage MaerzMusik 2016

Berliner Festspiele
Zeitfragen
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William Faulkner, „The Sound and the Fury”, 1929.
2
Willkommen bei
MaerzMusik 2016
Irgendwann werden wir uns fragen, warum wir so lange nichts bemerkt haben.
Weil die Veränderung so schleichend geschah, dass kaum jemand definieren kann,
an welchem Punkt das digitale Universum begann, primärer Ort unseres bewussten
Lebens zu sein? Oder weil die Möglichkeiten, die diese neue Welt uns anzubieten hat,
so verführerisch sind? Die unrepräsentative Umfrage zu den „Kreativen Routinen“,
in der wir die Lebensrhythmen von Gärten des Festivals untersuchen (s. S. 8), zeigt,
wieviel Zeit wir längst mit unseren digitalen Geräten verbringen, unterwegs von
einem Ort zum anderen, während der Arbeit und in unserer freien Zeit. Wir arbeiten
am Computer, ziehen Informationen aus dem World Wide Web, verbinden uns mit
anderen Usern und klinken uns in die sozialen Netzwerke ein. Nicht zuletzt vertrauen
wir dem digitalen Universum unsere privaten Archive an, posten Schnappschüsse
von unseren Erlebnissen, kommentieren für uns relevante Ereignisse, lagern unsere
Lieblings-Playlists und unserer Korrespondenz in Clouds ein. Kurz: Unser Leben findet
schon jetzt zu einem Großteil in der digitalen Welt statt.
Vorwort
S. 3
Berno Odo Polzer
Angst ist nicht zielführend
S. 4
Kreative Routinen
S. 8
Günter Hack
Zeit der Menschen,
Zeit der Maschinen
S. 10
Max Richter: SLEEP
S. 14
Michael Moorstedt
Die Tyrannei
der Algorithmen
S. 16
alif
S. 20
Julian Kämper
Mensch, Maschine, Musik
S. 22
Walter Weidringer
Den Pianisten
herumkommandieren ist
erlaubt
S. 24
Katharina Fleischer
Der Klang der Hölle
S. 28
Walter Weidringer
Seelen ohne Obdach
S. 30
The Long Now
S. 36
Programmübersicht
S. 38
Thomas Oberender
Impressum
S. 40
Intendant
Berliner Festspiele
Das Festival MaerzMusik, das Berno Odo Polzer seit 2015 als ein „Festival für Zeitfragen”
konzipiert hat, greift diese Alltagserfahrung auf, um auf den tiefgreifenden Wandel
aufmerksam zu machen: auf die Auswirkungen des digitalen Universums, das nicht
mehr von dem uns vertrauten Code des Alphabets gesteuert wird, sondern von Zahlen,
Quellcodes und Algorithmen. Und das unserer Zeiterfahrung seine ganz eigene Zeitrealität entgegensetzt.
Das Diskursformat „Thinking Together“ grundiert auch dieses Jahr das Festival.
Sieben Tage lang kann man sich über den Stand der Forschung über die Zeit des
Digitalen Universums informieren, vor allem aber gemeinsam mit Experten und
anderen Besuchern darüber diskutieren, welche Auswirkungen diese paradigmatischen Umwälzungen auf uns hat, nicht nur auf unsere Erfahrung von Zeit, sondern
auch auf die Zeit der (künstlerischen) Arbeit, des Vergnügens und des Schlafens –
und nicht zuletzt auf die Wahrnehmung von Musik.
Deshalb bietet MaerzMusik acht Stunden Musik im Schlaf, in Max Richters „SLEEP“,
dreißig Stunden Musik total mit „The Long Now“ im Kraftwerk Berlin, fünf Stunden
Musik in einer Kunstinstallation, in dem Projekt „alif : split in the wall“ von Chiharu
Shiota gemeinsam mit Samir Odeh-Tamimi, Stefan Goldmann und Jeremias Schwarzer,
und zur Eröffnung des Festivals mindestens vier besondere Stunden mit Marino
Formentis „time to gather“.
In diesem Sinne:
Nehmen Sie sich Zeit für die zweite Ausgabe von MaerzMusik – Festival für Zeitfragen.
MaerzMusik
Angst ist
nicht zielführend
Von Carsten Fastner
Digitale Kreaturen, eigenständige Algorithmen und die Frage
nach der richtigen Reaktion auf die Umwälzungen im digitalen
Universum: ein Gespräch mit Berno Odo Polzer, dem künstlerischen Leiter von MaerzMusik – Festival für Zeitfragen
Herr Polzer, das Festivalthema „Zeit und das
digitale Universum“ ist die konsequente Fortsetzung der „politischen Aspekte von Zeit“, die
letztes Jahr bei Thinking Together verhandelt
wurden. Worum geht es Ihnen mit diesem Schritt
ins Virtuelle?
Berno Odo Polzer: Ich verstehe das digitale Universum nicht als Metapher, sondern als ein real
existierendes Universum, als eine autonome Welt,
in der Zahlen und Codes ihr Eigenleben führen.
Dieses Universum expandiert mit atemberaubender Geschwindigkeit, es bringt seine eigenen
Gesetzmäßigkeiten und seine eigenen Spezies
hervor, die sich evolutionär weiter entwickeln. Bei
„Thinking Together“ stellen wir uns die Fragen:
Welche Zeitformen bringt dieses Universum hervor?
Wie sind diese beschaffen? Und welche Auswirkungen haben sie auf uns und unsere Zeitpraktiken? Das klingt vielleicht abstrakt, ist aber in
Wirklichkeit sehr konkret und alltäglich.
Was wäre denn eine solche digitale Spezies
konkret?
Ich bin kein Informatiker. Aber nehmen Sie zum
Beispiel Computerwürmer, die eine bestimmte
Verhaltensweise an den Tag legen und sich selbst
replizieren. Oder selbstlernende Algorithmen,
etwa im Bereich der Bilderkennung, wie Deep
Face, der auf Facebook die Gesichtserkennung
revolutioniert hat. Diese Art lebt derzeit allerdings
nur außerhalb Europas – hier ist sie nicht zugelassen.
Und inwiefern manifestieren sich diese digitalen Lebewesen?
Die Kreaturen des digitalen Universums manifestieren sich mit zunehmender Deutlichkeit, sie
greifen in unsere materielle und soziale Lebensrealität ein. In diesem Sinne haben sie ihren virtuellen
Charakter verloren. Was mich hier besonders
interessiert, sind jedoch die zeitbezogenen Aspekte
des Digitalen. Wir leben in einer globalen Echtzeit,
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die von digitalen Technologien erzeugt wird. In
den vergangenen zwanzig Jahren hat eine fundamentale Verschiebung der raumzeitlichen Koordinaten stattgefunden, und damit erleben
wir Zeit und Raum selbst ganz neu. Diese
Zeit-Raum-Kompression ist eine Grunderfahrung der Gegenwart. Sie wird getrieben von der
Zeitlichkeit des digitalen Universums.
Diese neue Zeitlichkeit des digitalen Universums
durchdringt längst unseren Alltag.
Wir spüren digitale Zeitformen tagtäglich, in allen
Lebensbereichen. Beschleunigung, Verdichtung
und Gleichzeitigkeit prägen unsere Kommunikation,
unsere Arbeitswelt, unser Leben als Konsumenten.
Sie bestimmen die zeitlichen Rahmenbedingungen
von wirtschaftlichen und politischen Prozessen.
Sie haben mit George Dyson einen wichtigen
Denker zum Thema eingeladen. Worüber wird
er sprechen?
George Dyson hat zwei herausragende Bücher
geschrieben. Das jüngere der beiden, „Turing’s
Cathedral“, erzählt die Entwicklungsgeschichte
des digitalen Computers seit den 1940er Jahren.
Es ist eine Art Schöpfungsmythos des digitalen
Universums. Das andere Buch – „Darwin Among
the Machines“, erschienen bereits 1997 – beschreibt die Informationsrevolution seit dem 17.
Jahrhundert. Es imaginiert auf faszinierende und
bisweilen beängstigende Weise neue Formen
künstlicher Intelligenz und künstlicher Lebensformen, wie sie aus globalen Computernetzwerken
hervorgehen – Technikgeschichte als eine andere
Geschichte der Evolution sozusagen. Bei „Thinking
Together“ wird George Dyson über beide Bücher
sprechen. Seine tiefgehenden wissenschaftsgeschichtlichen Reflexionen bilden sozusagen
den Ausgangspunkt und liefern einige der Grund­
thesen der Konferenz.
Dyson unterscheidet ganz klar die menschliche
von der digitalen Zeit. Worin besteht der
Unterschied?
In „Turing’s Cathedral“ macht er eine einfache,
aber fundamentale Beobachtung: Das digitale
Universum kennt Zeit in unserem menschlichen
Sinne nicht. In unserem Universum ist Zeit ein
Kontinuum, das von unseren Uhren in gleiche Einheiten unterteilt wird. Im digitalen Universum
hingegen messen die Uhren die Anzahl diskreter,
sequenzieller Rechenoperationen. Zeit ist somit
allein von der Rechenleistung abhängig, die sich
dem Mooreschen Gesetz zufolge etwa alle zwei
Jahre verdoppelt. Die Implikationen dieser gänzlich andersartigen Zeitform, der digitalen Zeit,
wollen wir bei „Thinking Together“ besser verstehen. Denn wir leben diese digitale Zeit bereits,
zumindest teilweise.
Welche Aspekte dieses vielschichtigen Phänomens
wollen Sie denn sichtbar machen?
Zunächst wollen wir verstehen, wodurch digitale
Zeit bestimmt und wie sie strukturell beschaffen
ist. Ein zentraler Begriff dabei sind wiederum
Algorithmen, also jene Regelwerke, die die Sphäre
des Digitalen organisieren. Man kann Algorithmen
als Akteure begreifen, die im Verborgenen agieren
und die digitale Realität formen, mit der wir
umgehen. Sie weisen eine spezifische Logik und
Zeitlichkeit auf, die bei der Konferenz untersucht
werden. Dabei geht es sowohl um die Mikroebene
– die Eigenzeit und Eigenlogik von Algorithmen –,
als auch um größere Zusammenhänge, jene Umformungen, die komplexe algorithmische Aggregate etwa im Kontext von Big Data bewirken.
Denn wir haben es ja nicht nur mit dem Faktor
Geschwindigkeit zu tun, der im digitalen Universum sicherlich eine zentrale Rolle spielt, sondern auch mit tiefer gehenden Veränderungen.
Ob bei Suchmaschinen, beim Online-Kauf, in
sozialen Netzwerken, im Versicherungsbereich
oder auf den Finanzmärkten: Algorithmen treffen heute zahlreiche Entscheidungen und stiften
Sinnzusammenhänge, die einer automatisierten
Logik entspringen und die unsere Realität massiv beeinflussen.
Wie weit kann diese Beeinflussung unseres
Lebens noch gehen? Andrew Moore, bis vor
einem Jahr Vizepräsident von Google und nun
Dekan an der Fakultät für Computerwissenschaften der Carnegie Mellon Universität, sagte
unlängst: „Die Menschen überschätzen, inwieweit IT-Firmen verstehen, wie ihre eigenen
Systeme arbeiten.“ Viel mehr sollte es doch eigentlich nicht brauchen, um sich vor einer Kontrollübernahme durch die Maschinen zu fürchten.
Man kann das Machtpotenzial digitaler Technologien tatsächlich gar nicht hoch genug einschätzen. Wir stehen erst am Anfang tiefgreifender Veränderungen, die von diesen Technologien
ausgehen. Ohne Zweifel geht es um eine Machtverschiebung von menschlichen hin zu digitalen
Akteuren, die sich auch zu unserem Nachteil
entwickeln kann. Um die Auswirkungen, die digitale Technologien auf unser Leben haben, geht es
denn auch bei „Thinking Together“, ebenso darum,
wie wir mit diesen Auswirkungen umgehen können –
persönlich, gesellschaftlich, politisch, philosophisch und künstlerisch.
Sie klingen einigermaßen entspannt.
Ich bin lediglich gegen die Polarisierung zwischen
Mensch und Maschine, die uns häufig in angstbesetzten Diskursen begegnet. Diese Simplifizierung
ist populistisch und gefährlich. Sie unterschätzt
die Komplexität des Phänomens und macht blind
sowohl für die Gefahren als auch für die Chancen
dieser Veränderungen. Vor allem aber verleitet sie
zu einer falschen Einschätzung, was unsere eigene
Rolle, unsere Macht und Verantwortung in diesen
Prozessen betrifft. Angst ist die Mutter der Paralyse. Sie mag verständlich sein, ist aber weder die
angemessene noch die zielführende Reaktion
auf das Eigenleben des digitalen Universums.
Judy Wajcman, ein weiterer Gast bei „Thinking
Together“, argumentiert genau in diese Richtung,
wenn sie sich gegen eine deterministische Sichtweise auf Technologien ausspricht. Wir werden
von digitalen Technologien nicht dominiert. Vielmehr stehen wir in einer Wechselbeziehung mit
ihnen, erschaffen unsere Welt gemeinsam mit
ihnen. Die Emanzipation der Konsumenten und
der Entwickler dieser Technologien hat ein gesellschaftspolitisches Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft ist.
Sie spielen auf Gegenreaktionen wie etwa den
Trend zur Entschleunigung an?
Ich stehe dem Slow-Movement politisch-philosophisch eher skeptisch gegenüber, da es einfache
Antworten geben zu können glaubt. Auf individueller Ebene mag Entschleunigung eine Antwort
auf den Leidensdruck der Beschleunigung sein;
außerhalb der Privatsphäre stößt man damit
jedoch schnell an Grenzen. Die entfesselten Kräfte
der digitalen Beschleunigung lassen sich nicht
ohne weiteres eindämmen. Ich finde es interessanter und aussichtsreicher, sich in diese wild
gewordene Zeit pro-aktiv einzubringen, als sich
von ihr abzuwenden. Die Uhren lassen sich
schließlich nicht zurückdrehen – allenfalls von einigen Wenigen, die es sich leisten können, Zeit zu
kaufen. Gerne vergisst man, dass parallel zur digital beschleunigten Zeit und zur globalen Echtzeit
unzählige andere Zeitformen existieren und dass
die digitale Gegenwart nur von jenen geteilt wird,
die sie sich leisten können. Die digitale Zeit ist
weltumspannend, aber nicht weltumfassend. Wir
brauchen neue, komplexere und intelligentere
Strategien und Taktiken im Umgang mit Zeit –
neue Zeitpraktiken. Auch darum wird es bei
„Thinking Together“ gehen.
Kommen wir zum künstlerischen Programm von
MaerzMusik 2016: Letztes Jahr haben Sie an dieser Stelle Festivals als „Räume der Öffentlichkeit“
benannt, die „Gesellschaft und Gemeinschaft
MaerzMusik
B
Interview mit
Berno Odo Polzer im
Berliner Festspiele Blog –
blog.berlinerfestspiele.de
vergegenständlichen und Sichtbarkeit erzeugen“. Dieses Jahr bringen Sie zur Eröffnung einen
ausgesprochen intimen, verinnerlichten Abend
mit Marino Formenti am Klavier. Sollen wir möglichst sanft in die Festivalzeit gleiten?
An meinem Verständnis von Festivals als öffentlichen und daher implizit politischen Räumen hat
sich seit letztem Jahr nichts geändert. Das bewusste Arbeiten mit dem Konzertformat leitet
sich gerade aus der Überzeugung her, dass Formen
der Repräsentation von Kunst und Musik nicht
zuletzt Spiegelbilder der gesellschaftlichen Strukturen sind, denen sie entstammen. Das klassische
Konzertformat ist ein sehr gutes Beispiel dafür –
in ihm ist das ganze Spektrum einer bürgerlichen
Kultur codiert, die im Verschwinden begriffen ist:
von der hierarchischen Ordnung der Ensembles
und der autoritativen Position der Interpreten, die
wiederum der Autorität der Komponisten untergeordnet sind, über die absolute Aufmerksamkeit
gegenüber dem Werk und bis hin zur körperlichen
Disziplinierung des Publikums. Der Besuch eines
klassischen Konzerts ist gewissermaßen eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert. Ich finde das übrigens
eher interessant als problematisch.
disziplinierten Zuhörens. Es ist überall dort sinnvoll, wo diese spezifische Form des Hörens erwünscht ist, sei es nun aus Sicht der Musik selbst,
der Musiker oder des Publikums. Selbstverständlich gibt es aber auch andere Formen des Hörens,
und diese zu erforschen ist eine selbst gestellte
Aufgabe dieses Festivals.
Und was macht im Unterschied dazu den Eröffnungsabend „time to gather“ zeitgenössisch?
Marino Formenti arbeitet sehr bewusst mit den
bzw. gegen die Konventionen des bürgerlichen
Konzertformats. Ob sanft oder nicht, „time to
gather“ möchte andere Relationen zwischen Solisten, Publikum und Musik ermöglichen. In diesem
Sinne kann man sagen, dass das Projekt eine
andere Gesellschaftsform wiederspiegelt bzw.
imaginiert, als jene, die im klassischen Konzertformat codiert ist. Das eklektische Programm
dieses langen Klavierabends ist nicht vorherbestimmt, sondern wird aus dem Moment heraus
entschieden; der gesamte Aufführungsraum wird
zur Bühne, auf der sich die Besucher frei bewegen,
liegen oder sitzen können; das Publikum kann in
den Verlauf des Abends eingreifen, kann auch
selbst spielen, wenn es möchte.
Was passiert da genau?
Iamus wagt sich auf das traditionelle Terrain der
Komponisten vor. „Er“ – der Computercluster –
komponiert in wenigen Minuten fehlerfreie Partituren beliebiger Besetzung und Dauer und bedient
sich in seiner Arbeit evolutionärer Algorithmen.
Ausgehend von einem ersten kompositorischen
Entwurf mutiert er, sozusagen von Generation zu
Generation fortschreitend, die musikalische DNA
eines Stücks und entwickelt so Werke mit einer
eigenen stilistischen Qualität. Beim Festival werden
vier neue Stücke von Iamus für Klavier solo uraufgeführt. Hinter der klassischen Anmutung verbirgt
sich eine neue Rollenverteilung zwischen Mensch
und Maschine, die interessante Fragen aufwirft,
etwa zu Autorschaft und Originalität. Reizvoll ist
dabei auch die anachronistische Konstellation,
die darin besteht, dass von einem Computer komponierte, traditionelle Partituren von menschlichen
Interpreten exekutiert werden.
Solche gesprengten Konzertformate sind
mittlerweile fast schon zum Topos geworden.
Wo ist die klassische Präsentationsform von
Musik denn überhaupt noch sinnvoll?
Das klassische Konzertformat behält seine Gültigkeit
als Kulturtechnik des bewussten, konzen­
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6
Kurioserweise wird beim Festival ein Konzert im
klassischen Format präsentiert, das die Konvention auf ganz andere Weise sprengt: Da wird Musik
gespielt, die ein Computer komponiert hat.
Der zweite Abend des Festivals ist der künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Mensch und
digitalen Maschinen gewidmet. Die Betonung
liegt auf Zusammenarbeit. Denn das digitale Universum bringt kreative Akteure hervor, die zunehmend autonom sind und dem Menschen gegenübertreten als Entitäten, die ihre eigene
Stimme haben. Konkret geht es hier um das ganz
spezifische Phänomen algorithmischer Komposition. Iamus, ein Computercluster an der Universität
Málaga, ist derzeit das vielleicht interessanteste
Projekt dieser Art – ihm ist eines der drei Projekte
dieses Abends gewidmet.
Es gibt einen sehr schönen, kleinen, heimlichen
Schwerpunkt beim Festival mit Schuberts
„Winterreise“ und zwei zeitgenössischen Reaktionen darauf. Was gab den Impuls dazu: die
neuen Werke oder doch die „Winterreise“?
Auch wenn das zu erwarten war: die zeitgenössischen Werke. Bernhard Langs neue Meta-Komposition zur „Winterreise“, „The Cold Trip“, war der
Anlass – gemeinsam mit Elfriede Jelineks gleichnamigem Theaterstück. Schuberts Original mit
Ian Bostridge und Julius Drake ist lediglich der
Fluchtpunkt, an dem sich diese beiden zeitgenössischen Perspektiven treffen. Es war reizvoll, der
Welt des Digitalen die analoge, zutiefst menschliche und zeitlose Problematik entgegenzustellen,
die aus der „Winterreise“ spricht.
Zum Abschluss der MaerzMusik gibt es zwei
monumentale Projekte im Kraftwerk Berlin:
zum einen Max Richters achtstündiges „Wiegenlied für eine hektische Welt“ mit dem Titel
„SLEEP“, zum anderen das dreißigstündige Format „The Long Now“, das Sie letztes Jahr ins
Leben gerufen haben. Besteht da nicht die Gefahr der Redundanz?
Ganz im Gegenteil. Die beiden Projekte stehen
komplementär, in gewisser Hinsicht sogar konträr
zueinander. „SLEEP“ – der Name sagt es schon –
untersucht den Geisteszustand des Schlafens, des
Unbewussten als Lebensraum für Musik. Max
Richter hat eine einfache und starke Idee beeindruckend umgesetzt, nämlich Musik für ein schlafendes Publikum zu komponieren. Im Kraftwerk
Berlin werden wir etwa vierhundert Betten aufstellen, in denen es sich die Besucher von Mitternacht bis acht Uhr morgens gemütlich machen
können. „SLEEP“ fokussiert also auf das unbewusste oder halbbewusste, unkonzentrierte,
nicht-disziplinierte Hören. Richter erschließt
damit einen anderen Wahrnehmungsraum für
Musik und hinterfragt zugleich das Wertegefüge
westlicher Kunstmusik – diese politische Geste
finde ich relevant. Dass er damit solche Erfolge
feiert – „SLEEP“ war im Jahr 2015 eine der meistverkauften Einspielungen der Deutschen Grammophon –, ist interessant und vielsagend im Sinne
der Zeitdiagnostik.
Demgegenüber ist „The Long Now“ ein Format,
das sich ganz in der Sphäre des Bewusstseins abspielt. Es geht um den unendlich lange andauernden Augenblick und um die bewusstseinsverändernde Wirkung, die langes Wachsein mit sich
bringt. Diese dreißig Stunden sind konzipiert als
ein „stream of consciousness“, der einen über den
Tag-Nacht-Zyklus hinausträgt in eine Zeitblase,
in der Körper und Geist sich entgrenzen können.
Schlafen ist dabei natürlich nicht ausgeschlossen –
ich selbst habe letztes Jahr drei bis vier Stunden
geschlafen, eingehüllt in Phil Niblocks Basswellen –,
aber im Kern geht es um bewusste Wahrnehmung und ihre Erweiterung. Beide Projekte zusammen schließen einen Kreis – nicht nur jenen
der Uhr. Sie bringen einen für mich wesentlichen
Aspekt der Zeitforschung in diesem „Festival
für Zeitfragen“, denn sie ermöglichen neue, andere Zeiterfahrungen.
Und wie ist es Ihnen letztes Jahr mit dieser Ex­
tremerfahrung ergangen?
Es war tatsächlich eine extreme, eine einzigartige
Erfahrung. Wäre sie nicht fantastisch gewesen –
für mich und für viele, viele andere Menschen –,
wir würden uns dieser nicht zuletzt organisatorisch monströsen Aufgabe nicht freiwillig wieder
stellen. Manche Erfahrungen und Momente hallen
immer noch nach. Etwa der totale Verlust des
Zeitgefühls, ein Sich-Verlieren – auch ohne massiven
Einfluss von Substanzen –, verursacht wohl durch
die Architektur des Kraftwerks, durch die Abschottung von Licht und die permanente Hör­
erfahrung. Oder eine intensivierte Körperlichkeit,
die wahrscheinlich mit den unterschiedlichen somatischen Phasen zusammenhängt, die man in
einem so langen Zeitraum durchlebt. Nach einigen
Stunden beginnt etwas in einem, sich einzuschwingen mit dieser Umgebung, mit dieser Musik. In
seltsam starker Erinnerung bleibt auch das Gefühl
einer temporären Gemeinschaft, einer Verbundenheit mit anderen, fremden Menschen, die diese
Zeitblase teilen. Kurz: Es ist erstaunlich, wie viel
man in dreißig Stunden erleben kann, ohne dabei Stress zu empfinden. „The Long Now“ – ich
möchte mehr davon.
MaerzMusik
Berno Odo Polzer © Lucie Jansch
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Marino Formenti (1965)
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Zeit der Menschen,
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Was bedeuten Raum und Zeit im digitalen
Universum? Und was heißt das für uns?
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n der Zeit vor dem Crash gab es keine Zeit. Es
gab nur Raum. Ein Beispiel: 1999 fand in Berlin
unter dem Titel „Wizards of OS“ ein Kongress
zum Thema Freie Software statt. Mit dem
Internet-Boom war das Konzept der freien Software auch in Wirtschaftskreisen schnell von einer
Randposition ins Zentrum gerückt. Das angepeilte
rapide Wachstum ließ sich nämlich nur mit offenen
Standards und schnell rekombinierbaren freien
Programmen verwirklichen. Beobachtern der Szene war klar, dass sich die ökonomischen Grundlagen nicht nur in der IT-Welt ändern würden, und
zwar schnell.
Der Informatiker Rishab Aiyer Ghosh etwa hielt in
Berlin einen Vortrag über sein Konzept der
Cooking Pot Economy. Freie Software sei wie ein
Eintopf, in den jeder Zutaten hineingeben könne.
Da alles frei kopiert werden könne, sei dieser Eintopf
unerschöpflich und das alte Problem der Tragik
der Allmende gelöst: Nun könne das Gemeingut
von egoistischen Akteuren nicht mehr so schnell
übernutzt und somit zerstört werden. Im digitalen Raum dehnte die Allmende sich mit jedem
neuen User, mit jeder neuen Zeile weiter aus.
Rishab Aiyer Ghosh war mit seinen Ansichten
nicht allein. Das Internet, so hieß es in den Jahren
der New Economy, sei ein eigener Raum mit eigener
Logik und eigenen Gesetzen, auf den die Erfahrungen des „Real Life“ nicht ohne weiteres angewendet werden könnten. Unterstützt wurde dies
durch ein Wiederaufflammen eines dezidiert libertären und anti-etatistischen US-amerikanischen
Pioniergeists, zusammengefasst in der „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“, die John
Perry Barlow 1996 im Netz veröffentlichte.
Cyberspace und Popkultur
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arlow griff dabei mit dem Begriff „Cyberspace“ auf einen Topos aus der Popkultur
zurück, der schon seit Mitte der 1980er
Jahre durch die erfolgreiche Arbeit von
Autoren wie William Gibson, Bruce Sterling oder
Neal Stephenson fest etabliert war. Diese Welt
sollte nicht nur den Megakonzernen gehören,
sondern auch Hackern, die ihre ökologischen
Nischen durch freie Kopierbarkeit ihrer Werke
innerhalb kürzester Zeit zu äußerst profitablen
eigenen Reichen ausbauen konnten. Das Internet
als Cyberspace war eine Chance, eine Verheißung
auch für jene, deren Ideen im „Real Life“ an die
Ränder gedrängt worden waren. Der Hacker als
„Wizard of OS“ würde eine Schwelle überschreiten,
sich in eine vollkommen andere Welt begeben.
Wer das Netz benutzte, für den fielen – scheinbar
und tatsächlich – sehr viele Restriktionen der Gesellschaft, des Nationalstaats weg, und zwar alle
auf einmal; eine ganze Generation früher Nutzer
von Computernetzwerken erlebte dies bewusst
als einen Moment der Befreiung. Man loggte sich
auf einer Maschine am anderen Ende der Welt ein,
und das alte Raum-Zeit-Kontinuum war überwunden, ein neues geschaffen. Ein Erlebnis, das
sich heute, speziell in der Ära nach Snowden, nicht
mehr nachvollziehen lässt, das aber damals in
seiner Intensität durchaus den Charakter einer religiösen Erfahrung annehmen konnte und das Leben
sehr vieler Menschen nachhaltig verändert hat.
Ein Raum ohne Zeit
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chon der Cyberspace-Erfinder William
Gibson, eigentlich ein Realist, dessen
Science-Fiction-Welten von Megakonzernen beherrscht werden, bevölkerte seinen virtuellen Raum mit Voodoo-Göttern und
emergenten künstlichen Intelligenzen, beschrieb
somit einen zutiefst fremden Raum, ein Jenseits, in
dem auch Tote als abgespeicherte Persönlichkeitskonstrukte weiter mit den Lebenden interagieren.
In der popkulturell vorerst wohl wirksamsten
Darstellung des Datenraums, der „Matrix“Filmtrilogie der Wachowski-Brüder, speist sich
das Netz zwar buchstäblich aus der Lebens­
energie der in ihm gefangenen Menschen; die
messianisch-transzendente Symbolik überformt aber diese materielle Basis, bleibt bis zum
Ende dominant, denn die Erlösung kommt aus
dem Jenseits, welches klar visuell und logisch
vom Diesseits getrennt bleibt. Das Jenseits, so
MaerzMusik
Von Günter Hack
lernt das Publikum, ist ein Raum der Ewigkeit,
ein Raum, der ohne Zeit auskommt. Oder umgekehrt: Ein Raum ohne Zeit ist wie das Jenseits.
Zeit spielte im Cyberspace des ersten Internet-
Als Utopie, egal ob libertär-kapitalistischer
oder neosozialistischer Ausprägung, funktionierte der Cyberspace wie ein Jenseits,
eine Instanz einer neuen Form von Trans­
zendenz, die sich erst noch entfalten würde.
Man loggte sich ein und fühlte sich entgrenzt, war nicht mehr nur in Kansas.
Booms wohl deshalb keine so große Rolle, weil sie –
gewissermaßen tiefgefroren – in Form von Geld
vergleichsweise einfach abgerufen werden konnte.
Jeder noch so wahnsinnige Businessplan schien
seine passenden Investoren zu finden, AOL kaufte
Time Warner, mickrige Startups wie Yahoo oder
Netscape wuchsen unglaublich schnell zu respektablen Konzernen heran. Microsoft konnte sich,
nachdem es den Internet-Boom lange unterschätzt hatte, mit Unmengen Geld zumindest in
den sogenannten „Browser Wars“ gegen Netscape
vorübergehend wieder eine dominante Position
zurückkaufen. Doch dann kam der Dotcom-Crash
des Jahres 2000. In Geld gefrorene Zeit wurde wieder
knapp. So ist es bis heute.
Das digitale Universum
F
ür den Historiker George Dyson ist der Cyberspace bedeutend älter als auch die frühesten Computernetzwerke. Für ihn ist jeder
digitale Rechner ein Raum, jeder Silizium-­
Wafer ein echtes Stück Neuland, das im Nanometer-Bereich eine neue Pioniergrenze eröffnet, jeder
Chip ein eigenes Naturtheater von Oklahoma.
In seinem Buch „Turing’s Cathedral“ (2012) beschreibt er Computer und Netzwerke als eigene
Welten: „Ein digitales Universum – egal, ob es nur
fünf Kilobyte umfasst, oder das gesamte Internet –
besteht aus zwei verschiedenen Arten von Bits:
Unterschieden im Raum und Unterschieden in der
12
Zeit. Digitale Rechner übersetzen zwischen diesen
beiden Ausprägungen von Information – Struktur
und Sequenz – gemäß festgelegter Regeln. Bits,
die als Struktur dargestellt werden, (die sich im
Raum verändern, aber nicht in der Zeit) nehmen
wir als Speicher wahr, und Bits, die als Sequenz
dargestellt werden, (die sich über einen Zeitraum
hinweg verändern, aber im Raum gleich bleiben),
als Programm. Logikgatter sind Übergangsstellen, an denen Bits beim Übergang von einem
dieser Zustände in einen anderen beide dieser
Welten berühren.“
Dyson geht dabei von der Maschine aus, die Alan
Turing 1936 beschrieben hat, einem Apparat, der
an einem beliebig langen Speicherband hin- und
herwandern und dabei nach bestimmten Regeln
Zeichen schreiben oder löschen kann. Die Zeit der
Turing-Maschine ist linear und begrenzt, im Grunde
genommen ist sie ein tayloristisches Gerät.
Das erleben wir gerade jetzt, da „Moore’s Law“,
das besagt, dass Mikroprozessoren mit jeder
Produktgeneration immer kleiner und leistungsfähiger werden, an seine physikalischen Grenzen
stößt – es wird zunehmend schwerer und teurer,
die Strukturen von Chips immer feiner herzustellen;
damit verliert der wohl wichtigste materielle
Treiber der digitalen Revolution in den letzten 50
Jahren seine Kraft. Raum, im Dyson’schen Sinne,
unterliegt diesem Problem weniger stark, Speicher
kann günstig produziert und den bestehenden
Systemen hinzugefügt werden.
Raum ist billig, Zeit ist teuer
I
m Netz gilt demnach: Raum ist billig, Zeit ist
teuer. Viele der klassischen netzpolitischen
Probleme ergeben sich daraus. Totale Überwachung nach Vorbild der NSA etwa, die in
riesigen Serverfarmen Zeitpuffer schafft, in denen Ermittler Zusammenhänge suchen und
schaffen können, wird erst durch niedrige
Speicher­preise möglich.
Der Begriff Cyberspace wird heute gerne belächelt, aber es lohnt sich durchaus, ihn ernst zu
nehmen. Für einen klassischen Kybernetiker, der
in Regelkreisen denkt, ist es nicht irrelevant, mit
welcher Geschwindigkeit die Rückkopplung in
einem System vor sich geht. Damit wiederum ist
das Problem der Netzneutralität verbunden:
Wer soll unter welchen Umständen bestimmen
dürfen, welche Daten mit welcher Geschwindigkeit
übermittelt werden? Wer bestimmt, mit welcher
Geschwindigkeit an Börsen gehandelt werden darf?
Auch die Aufmerksamkeitsökonomie ist eine Zeitwirtschaft. Traditionelle Online-Medien und Social
Networks wie Facebook oder Twitter tauschen die
kostenlose Nutzung ihrer Plattformen ohne den
Umweg über Geld scheinbar direkt gegen die Zeit
ihrer User – wobei sich die Wertschöpfung hin zur immer feineren Analyse des Konsumentenverhaltens
verlagert und die Substanzen des ursprünglichen
Tauschs dabei zunehmend ausgehöhlt werden.
Diese Zeitprobleme in Dysons digitalem Universum erscheinen als technische Probleme, deren
Lösung von Politikern gerne an geschlossene
Technokratenzirkel ausgelagert werden, obwohl
sie politischer Natur sind und demokratisch gestützter Entscheidungen bedürfen. Dieses Einkapseln erinnert nicht von ungefähr an den Umgang mit der Finanzbranche, in der es ja auch vor
allem um Zeit geht.
Zeit ist abstrakt, nicht so unmittelbar verständlich wie Raum. Raum ist die einfachste Basis für
politischen Streit, Zeitprobleme dagegen wirken
immateriell, virtuell, sind also Stoff für Experten.
Zeit lässt sich nur in Form von Geld einfach in den
politischen Diskurs einbringen. Und im Netz ist,
wie gesagt, die Zeit vom Geld, das selbst bereits
ein Abstraktum darstellt, durch Instrumente entkoppelt, die das menschliche Verhalten messen
und deren Ergebnisse nur einer sehr kleinen Gruppe
zur Verfügung stehen. Geschäfte mit der Zeit gehen
still vor sich, diskret.
die wirklich für das Netz relevante Zeit ist die Zeit
jener Menschen, die konstruktiv in ihm und mit
ihm arbeiten. Wenn die im Netz und durch das
Netz anstehenden politischen Probleme gelöst
werden sollen, dann schadet es nicht, mehr über
die Bedingungen nachzudenken, unter denen die
Menschen arbeiten, die aus ihrer Zeit den Code
machen, den Dyson in seinem Buch beschreibt.
Der Cyberspace ist integrierter Bestandteil unserer
materiellen Welt, der nicht nur aus Silizium und
elektrischer Energie geschaffen ist, sondern über
die Zeit der mit ihm befassten Menschen auch
direkt an das Leben selbst rückgebunden ist.
Diese Wahrnehmung der Zeit im Internet als Zeit
der Menschen hilft dabei, mit der populären Idee
des Cyberspace als einem quasi-transzendenten
Jenseits zu brechen und eröffnet damit eine neorealistische Perspektive auf das Netz, die erst wieder
neue produktive Utopien ermöglichen kann.
Neue Perspektive auf das Netz
George Dyson
ie Anzahl von Menschen, die gut programmieren können, ist begrenzt. Ihre
Zeit ist knapp und teuer. Deswegen hat
die Cooking Pot Economy nicht ganz so
funktioniert, wie man sie sich in den 1990er-Jahren
vorgestellt hat. Zeitempfinden und Konzentrationsfähigkeit sind für Programmierer überaus wichtig.
Der Informatikpionier Donald Knuth etwa schreibt
in der berühmten FAQ auf seiner Website, dass er
1990 seinen E-Mail-Account aufgegeben habe,
um sich besser seiner Grundlagenforschung widmen
zu können. Auch George Dysons Buch handelt davon, wie Wissenschaftlern an Orten wie Princeton
dafür Zeit verschafft wurde.
Wenn im Zusammenhang mit Computersystemen
von Zeit die Rede ist, geht es meist nur um technische Aspekte wie Prozessortakt oder Latenz; aber
zu Gast bei „Time and the
Digital Universe“
Konferenz
D
12. März
George Dyson: „No Time is
There. The Digital Universe
and Why Things Appear To
Be Speeding”
Günter Hack, 1971 geboren, schreibt als freier Autor vor
allem über Themen aus dem digitalen Universum, unter
anderem für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Er lebt
und arbeitet in Wien.
MaerzMusik
13. März
George Dyson: „Darwin
among the Machines”
(Live Stream:
www.berlinerfestspiele.de/
thinging-together)
Max Richter
„SLEEP“
15., 16. und 17. März
22:00 – 08:00 Uhr
Kraftwerk Berlin
Einlass ab 22:00 Uhr
Werkführung 23:30 Uhr
Konzert 00:00 – 08:00 Uhr
Kein Nacheinlass
Sanft entschlummert das Publikum
– ein Albtraum für jeden Musiker.
Aber nicht für Max Richter, im
Gegenteil: „Der Schlaf ist eines
der wichtigsten Dinge, die wir
alle tun“, sagt der englische
Komponist. „Wir verbringen ein
Drittel unseres Lebens darin.” Mit
„SLEEP“ hat Richter ein achtstündiges Schlaflied geschrieben, das
bei seinen Hörerinnen und Hörern
genau diesen Zustand herbeiführen
will. Das viel beachtete Projekt ist
getrieben von der Faszination für die
unterschiedlichen Bewusstseinszustände,
in denen wir Musik erleben. Von Mitternacht bis acht Uhr morgens verführt uns
seine Musik zu einer Reise ins Grenzgebiet
zwischen Traum und Wachen. Und um uns das
Driften ins Unbewusste zu erleichtern, stehen dafür natürlich auch Betten bereit.
Eine Produktion der Berliner Festspiele / MaerzMusik in Kooperation mit Deutsche Grammophon, Berlin Atonal und
Kraftwerk Berlin.
14
MaerzMusik
Transformation und Visualisierung des Quellkodes der Website www.google.com © Christian Riekhoff / Science Photo Library
16
Die Tyrannei der Algorithmen
Der Mensch ist drauf und dran, die Kontrolle
über sein digitales Dasein zu verlieren
Von Michael Moorstedt
Der amerikanische Autor und IT-Professor Ian
Bogost forderte im vergangenen Jahr zu einem
interessanten Gedankenexperiment auf. Das
nächste Mal, wenn man den Begriff „Algorithmus“
höre, solle man ihn einfach durch „Gott“ ersetzen
und beobachten, ob sich der Sinn des Satzes
wesentlich verändere. Bogosts Punkt: Heutzutage
haben Algorithmen das Schicksal abgelöst und
den Zufall abgeschafft. Sie formen unser digitales Dasein. Im Jahr 2016 leben wir in einer
Computer-Theokratie.
D
ie Filteralgorithmen von sozialen Netzwerken und Suchmaschinen bestimmen,
was Milliarden von Nutzern weltweit auf
ihren Bildschirmen zu sehen bekommen.
Anhand unseres Nutzerprofils empfehlen sie, was
wir kaufen (Amazon), welche Richtung wir einschlagen (Google Maps), mit wem wir ausgehen
(Tinder) und wie wir unsere Langeweile vertreiben
sollen (Netflix). Mit jedem Mausklick, jeder neu
phone-App und jeder unterinstallierten Smart­
schriebenen Endbenutzerlizenz bahnen wir einer
Zukunft den Weg, in der Software, Sensoren und
Computer unser Leben vermeintlich besser und
effizienter machen.
Algorithmen steuern den Aktienhandel, sie komponieren Musik, malen Bilder, schreiben Zeitungsartikel, entscheiden über Darlehen. Sie werden
schon bald Autos über die Straßen lenken, und inzwischen programmieren die einen Algorithmen
bereits die nächsten. Menschliches Handeln?
Kaum noch nötig. Haben Algorithmen vielleicht
sogar schon das Sagen über unsere Welt?
Beinahe mythische Macht
I
an Bogost hat also Recht. Dem Algorithmus
wird heutzutage eine beinahe mythische
Macht zugestanden. Für den Normalnutzer ist
er undurchsichtig, durch ihn erklärt er sich die
Wunder der digitalen Sphären. Dabei ist das Konzept des Algorithmus eigentlich trivial. Es bedeutet nicht mehr als eine Sequenz von vorgegebenen
Schritten. Stark vereinfacht kann man sie sich als
Kochrezepte vorstellen: Man nehme dies und jenes,
schneide und hacke es klein, erhitzen, köcheln
lassen, voilà!
Die Zutaten sind in diesem Beispiel Daten. Etwa
der Name eines Nutzers, sein Standort, seine Gewohnheiten, online wie offline. Computeralgorithmen bestimmen, wann welche Berechnungen
ausgeführt werden sollen, oder verwandeln Bilder,
Videos und Nachrichtenartikel in Datenpakete,
die mit Hochgeschwindigkeit an ihre Ziele im
Internet versendet werden.
Das Problem liegt nun darin, dass ein Ungleichgewicht der Kräfte entstanden ist. Irgendwann in
den letzten Jahren haben wir unsere Autonomie
zu immer größeren Teilen vermeintlich lebensbereichernden Algorithmen übertragen, die Entscheidungen für uns treffen. Die Internetkonzerne
wissen immer mehr über uns, während wir ihre
Mittel immer weniger verstehen.
Es ist also kein Wunder, wenn man häufig lesen
kann, dass wir in einer „Algorithmen-Kultur“ leben
oder gar unter einer „Tyrannei der Algorithmen“
leiden würden. Das klingt dann beinahe wie in
den bekannten Dystopien der Science-Fiction.
Dort gibt es ja den Topos einer dunklen, eigenmächtigen Kraft, die den Maschinen innewohnt
und irgendwann mit der schreckenserregenden
Absicht zutage tritt, die Menschheit zu knechten.
Urteilende Maschinen
D
och auch in der Realität, schreibt die
Internet-Soziologin Zeynep Tufekci, befänden wir uns schon längst in einer
Zeit, in der uns Algorithmen Angst einflößen können. Die Welt stehe am Anfang einer
Ära von „urteilenden Maschinen. Maschinen, die
nicht nur berechnen, wie sie am schnellsten eine
Datenbank sortieren oder eine mathematische
Gleichung lösen können, sondern auch entscheiden, was gut, relevant, angemessen oder
schädigend ist.“
Im Jahr 2016 führen die Algorithmen ein Eigenleben im Netz und werden von den Nutzern, deren
Leben sie bestimmen, nur selten bewusst wahrgenommen. Bemerkbar machen sie sich eigentlich nur dann, wenn sie einmal nicht wie vorgesehen funktionieren. Das Resultat kann dabei
durchaus absurd sein. Wie etwa im Jahr 2011.
Da überboten sich zwei automatisierte Handels­
algorithmen auf Amazon gegenseitig, um den
MaerzMusik
profitabelsten Preis für ein Buch zu bestimmen.
Am Ende bezifferten die Programme das Buch, das
sich mit Evolutionsbiologie und Fruchtfliegen befasst, auf einen Wert von knapp 24 Millionen Dollar.
Es gibt viele dieser Beispiele, in denen die Algorithmen unbeabsichtigt über die Stränge schlagen.
Und manchmal sind sie herzzerreißend. Im letzten
Jahr etwa präsentierte Facebooks automatisierter
Jahresrückblick dem Webdesigner Eric Meyer das
Foto seiner vor kurzem an Krebs verstorbenen
Tochter, versehen mit der Unterschrift: „Es war
ein tolles Jahr! Danke, dass Du dabei warst.“ Das
Bild wurde vom Algorithmus ausgewählt, weil es
viele Likes bekommen hatte. Der tragische Inhalt
war für die Auswahl des Systems dagegen nicht
relevant. Mehr resigniert als wütend schrieb
Meyer damals: „Algorithmen sind per Definition
gedankenlos. Sie bilden Entscheidungsprozesse
nur nach; sobald man sie startet, wird nicht mehr
nachgedacht. Und trotzdem lassen wir diese
gedankenlosen Prozesse auf unser Leben los.“
Algorithmen können auch grausam sein, unbeabsichtigter Weise.
Ist Widerstand noch möglich?
W
Elena Esposito und
Luciana Parisi
zu Gast bei „Time and the
Digital Universe“
Konferenz
12. März
Elena Esposito: „Blindness
and Power of Algorithmic
Prediction”
13. März
Luciana Parisi: „Time in
Algorithmic Logic
(Live Stream:
www.berlinerfestspiele.de/
thinging-together)
as kann man also tun? Wie kann
man sich wehren? Oder besser: Ist
Widerstand überhaupt noch möglich? „Kein Mensch darf zum Objekt
eines Algorithmus werden“, schrieb Justizminister
Heiko Maas im vergangenen Dezember in einem
Gastbeitrag in der „ZEIT“. Weiter heißt es dort:
„Jeder Algorithmus basiert auf Annahmen, die
falsch oder gar diskriminierend sein können. Wir
brauchen deshalb einen Algorithmen-TÜV, der die
Lauterkeit der Programmierung gewährleistet
und auch sicherstellt, dass unsere Handlungs- und
Entscheidungsfreiheit nicht manipuliert wird.“
Maas ist nicht der einzige und auch nicht der
erste, der solche Forderungen stellt. Viktor Mayer-­
Schönberger, Jurist am Oxford Internet Institute
und Autor des Buchs „Big Data – Die Revolution,
die unser Leben verändern wird“, fordert etwa
eine „Umweltfolgenabschätzung“ für neue Algorithmen. So wie beim Bau eines neuen Kraftwerks
darauf geachtet werden müsse, dass die Auswirkungen für Umwelt und Anwohner im Rahmen
des Erträglichen bleiben, sollte dies auch bei einer
Software der Fall sein. Nur dass im Falle der im Internet global verteilten Algorithmen die Umwelt
gleich die ganze Welt ist – und die Anwohner die
Gesamtheit von drei Milliarden Nutzern.
Umso verständlicher ist der Wunsch nach einer
zentralen Steuerungsbehörde. Auf diese Weise
haben Staaten und Gemeinwesen schließlich lange
Zeit hindurch undurchsichtige Probleme in den
Griff bekommen oder zumindest verwaltet. Es gibt
da nur drei Probleme.
Erstens sind ihre Algorithmen das am besten gehütete Geheimnis der Internet-Firmen. Mit ihnen
und durch sie verdienen sie ihr Geld. IT-Konzerne
wie Google, Apple oder Facebook werden sich mit
18
allen Mitteln dagegen wehren, ihre Superrezepte
offenlegen oder gar regulieren lassen zu müssen.
Zweitens sind die Algorithmen mittlerweile viel zu
komplex, um überhaupt noch von Laien verstanden
zu werden. Bis zu 100.000 Variablen beeinflussen,
welche Inhalte im Facebook-Newsfeed an welcher
Stelle zu sehen sind. „Die Menschen überschätzen,
inwieweit IT-Firmen verstehen, wie ihre eigenen
Systeme arbeiten“, sagt etwa Andrew Moore,
Dekan an der Fakultät für Computerwissenschaften der renommierten Carnegie Mellon Universität
und bis vor einem Jahr noch Google-Vizepräsident.
Drittens ist ein Computeralgorithmus nun mal
leider kein Kraftwerk, das – einmal aufgebaut
und in Betrieb genommen – auf der grünen Wiese
steht und vor sich hin emittiert. Wie es Software
eigen ist, ist der Algorithmus flüchtig, wird permanent verbessert, unterliegt ständigem Wandel.
Allein Google ändert seinen Suchalgorithmus
mehrere hundert Mal im Jahr – ohne dass die
Nutzer Kenntnis davon nehmen würden.
Und was ist die Alternative?
G
eht es nach Heiko Maas, würde nun
eine schwerfällige Behörde jedes Mal
einschreiten und um Revision bitten –
wer so etwas fordert, hat das Internet
nicht verstanden. Die Teilnahme am globalen Informationsnetz bedeutet heutzutage, sich
zwangsläufig der Herrschaft der Algorithmen
auszusetzen.
Letztendlich sei deren Tyrannei, schrieb der Science-­
Fiction-Autor Lee Konstantinou einmal recht
passend, vor allem eine Tyrannei der Vergangenheit über die Gegenwart. Reduziert auf Bits und
Bytes und oftmals aus dem Kontext gerissen, diktiert das Gestern, was heute und morgen passieren
wird. Als Alternative bleibt nur, abzuschalten.
Michael Moorstedt, 1980 geboren, ist freier Journalist und
schreibt vor allem über Netz und Technik, unter anderem
für die „Süddeutsche Zeitung“. Zuvor war er Textchef der
deutschen Ausgabe von „WIRED“. Er lebt in München.
function date_time(id)
{
date = new Date;
year = date.getFullYear();
month = date.getMonth();
months = new Array(‘January’, ‘February’, ‘March’, ‘April’, ‘May’, ‘June’,
‘July’, ‘August’, ‘September’, ‘October’, ‘November’, ‘December’);
d = date.getDate();
day = date.getDay();
days = new Array(‘Sunday’, ‘Monday’, ‘Tuesday’, ‘Wednesday’, ‘Thursday’,
‘Friday’, ‘Saturday’);
h = date.getHours();
if(h<10)
{
h = “0”+h;
}
m = date.getMinutes();
if(m<10)
{
m = “0”+m;
}
s = date.getSeconds();
if(s<10)
{
s = “0”+s;
}
result = ‘’+days[day]+’ ‘+months[month]+’ ‘+d+’
‘+year+’ ‘+h+’:’+m+’:’+s;
document.getElementById(id).innerHTML = result;
setTimeout(‘date_time(“’+id+’”);’,’1000’);
return true;
}
Quellcode Javascript Echtzeituhr (Datum und Uhrzeit)
MaerzMusik
alif
Chiharu Shiota, „Wall” (2010), Performancstill © Sunhi Mang
20
„Ich versuche durch meine
Installationen Erinnerungen,
Überbleibsel von Dagewesenem einzufangen. Damit
möchte ich das Gefühl vermitteln, dass Zeit und der Inhalt
dieser Zeit festgehalten werden. Die Zeit, die sonst an
uns vorbei geht und die man
niemals aufhalten kann, soll
mit ihrem Inhalt und ihren
Erinnerungen so eingefangen
werden, dass sie für einen
Moment bleibt und wir uns in
ihr bewegen können.“
Chiharu Shiota
„Komponieren ist Zeitgestaltung. Es ist eine ewige Auseinandersetzung mit der Zeit.
Jede Note hat eine Dauer, jeder
Takt hat eine Dauer. Interessant ist, dass man an manchen Tagen für die Komposition
von zehn Sekunden Musik einen
ganzen Tag braucht. Die Zeit
ist durch meine Beschäftigung
als Komponist nicht mehr real
zu messen. Erst wenn wir die
fertige Komposition hören,
handelt es sich wieder um ein
reales Zeitvergehen.“
Samir Odeh-Tamimi
MaerzMusik
„Bestimmte Dinge können
erst ab einer gewissen Häufigkeit und über gewisse Dauern
hinweg überhaupt wahrgenommen werden. Was bei
einmaligem Auftreten nur
Kontingenz oder Nuance wäre,
lässt sich ab einer gewissen
Zahl von Wiederholungen zu
einer Struktur verfestigen. Das
ist die Grunderfahrung von
Techno. […] Dauer ermöglicht Erfahrungen und offenbart Intentionen, die sonst
verborgen bleiben müssen.
Ich glaube, wir zielen dadurch
weniger auf eine Erfahrung
von Zeit an sich – Zeit ist nur
ein Mittel.“
Stefan Goldmann
alif::split in the wall
a musical exhibition space
18. und 19. März
19:00 – 00:00 Uhr
Radialsystem V
Installation
19. und 20. März
12:00 – 18:00 Uhr
Radialsystem V
B
Setting up: alif
Im Berliner Festspiele
Blog – blog.berlinerfestspiele.de
Mensch,
Maschine,
Musik
Von Julian Kämper
Lejaren Hiller, 1963 © Computer History Museum
Mit einem Abend zu algorithmischen Kompositionstechniken
stellt MaerzMusik Fragen nach dem Verhältnis von künstlicher
Intelligenz und künstlerischer Kreativität
Ein frühes Beispiel für zufallsbedingte Musik ist
etwa Mozarts „Anleitung zum Componieren von
Walzern vermittels zweier Würfel“. Es ließ die
Hörer unmittelbar an der Entstehung des Werkes
partizipieren. Anstelle von analogem Würfelspiel
gibt es heute digitale algorithmische Kompositionsverfahren. Schon seit den 1950er-Jahren sind
solche Algorithmen Gegenstand künstlerischer
Visionen. Komponisten entdeckten ihr Potenzial
als Hilfsmittel in der Konstruktion komplexer
Strukturen und experimenteller Versuchsanordnungen oder als kreativer Gegenpart, als Überraschungsmoment, Methode oder Widerstand
im eigenen künstlerischen Arbeiten.
Durch die atemberaubende Entwicklung algorithmischer Technologien werden mittlerweile in
der künstlerischen Zusammenarbeit zwischen
Mensch und Maschine neue Horizonte sichtbar:
weg von reiner Zufallsoperation oder determiniertem Durchrechnen und hin zu autonomen,
offenen Prozessen, die das Verhältnis zwischen
Mensch und Maschine neu definieren.
Von Interesse ist dabei nicht nur das ästhetische
Endprodukt, sondern auch der Weg dorthin: Die
einen vertrauen auf Ansätze künstlicher Intelligenz und die autonome Kreativität des Computers, die anderen beanspruchen für sich eine
22
Kontrollinstanz, um in die technisch gestützten
Prozesse eingreifen und sie formen zu können. In
beiden Fällen eröffnen sich neue Perspektiven,
bei denen traditionelle Denkmuster über Autorschaft, Musikproduktion und -rezeption nicht
mehr greifen.
Der Computer als Komponist
V
or diesem Hintergrund sucht MaerzMusik
nach gegenwärtigen Mensch-MaschineInteraktionen, nach Symbiosen zwischen digitaler und menschlicher Intelligenz im Bereich Komposition und Performance.
Die Notwenigkeit menschlicher Kreativität in
künstlerischen Prozessen wird in einem Konzertprogramm mit zwei algorithmisch generierten Kompositionen diskursiv in Frage gestellt:
Das Ensemble KNM Berlin Streichquartett spielt
das erste Werk der Musikgeschichte, das autonom von einem Computer komponiert wurde,
die „Illiac Suite“ von Lejaren Hiller und Leonard
Isaacson. 1957 entstanden, ist sie ein Pionier-­
Werk aus vier Sätzen, besser: vier Experimenten
für Streichquartett, und benannt nach dem
wenige Jahre zuvor an der University of Illinois
entwickelten und für die Komposition verwendeten Computersystem ILLIAC I (Illinois Automatic
Computer).Die Entwickler selbst unterstreichen
explizit den Forschungs-Charakter der Suite, die
sie als Laborbuch verstehen: Kompositorisches
Regelwerk und Ordnungsprinzipien, die die Musik
unterschiedlicher Epochen definieren, werden in
automatisierte, algorithmische Prozesse übersetzt. Beispielhaft ist der zweite Satz mit acht
Abschnitten, innerhalb derer sich aus einer beliebigen Aneinanderreihung von Tönen unter sukzessiver Hinzunahme von Tonsatz-Regeln ein musikalisches Gefüge modelliert, das stilistisch wie ein
barocker vierstimmiger Satz anmutet: eine
Stilkopie.
Der enorme technologische Fortschritt seit den
1950er Jahren zeigt sich im zweiten Teil des
Abends: Rund ein halbes Jahrhundert nach ILLIAC I
wird mit dem Computersystem IAMUS – entwickelt im Rahmen des Forschungsprojekts „Melomics“ an der Universität Málaga – ein neuer musikhistorischer Meilenstein erreicht. IAMUS liefert
innerhalb von Minuten fehlerfreie, komplexe Partituren, die ihren eigenen Stil bilden. Die evolutionären Algorithmen, die der kompositorischen Arbeit von IAMUS zugrunde liegen, treten aus dem
Bannkreis der rekombinierenden Imitation heraus
und beschreiten ihren eigenen Entwicklungsweg.
Während Hillers „Illiac Suite“ vorgegebene musikalische Regeln und Versatzstücke eklektizistisch
kombiniert und stilistisch sowie formal vorhersehbare Partituren anfertigt, kreiert IAMUS eigenständige, individuelle Werke. In der Geschichte
der westlichen Kunstmusik setzt IAMUS eine neue
Zäsur, die an Bedeutung vergleichbar wäre mit
John Cages schweigsamem „4’ 33’’“ oder den ersten
Darbietungen akusmatischer Musik, bei denen
Lautsprecher auf der Bühne menschliche Interpreten ersetzen.
IAMUS hingegen ersetzt weder die menschlichen
Interpreten, noch tritt er selbst physisch in Erscheinung. Er arbeitet – seinen menschlichen
Komponisten-Pendants nicht unähnlich – in der
Abgeschiedenheit eines Server-Raums, produziert
Partituren und lässt sie von menschlichen Musikern aufführen. In Erscheinung treten in diesem
Konzert allein IAMUS’ Entwickler, Francisco José
Vico, als Moderator sowie der Pianist und Komponist Gustavo Díaz-Jérez, der vier neue Werke seines algorithmischen Gegenübers zur Uraufführung bringt. Die Anmutung eines klassischen
Konzerts verschleiert die Tatsache, dass hier die
zentrale Instanz der westlichen Kunstmusik – der
Komponist – durch einen Computer ersetzt wurde.
Akzeptieren wir den Computer als Komponisten?
Je mehr sich die Verhaltensweisen digitaler Maschinen den unseren annähern, je ähnlicher die
Ergebnisse algorithmischer Komposition den
Werken menschlicher Komponistinnen und Komponisten werden – und IAMUS mag ein Schritt in
diese Richtung sein – desto interessanter und
dringlicher wird die Frage nach dem Verhältnis
zwischen Mensch und Maschine.
Der Algorithmus als Partner
D
ie Vision eines Theaters ohne mensch­
liche Akteure entwickelte die in New
York lebende Künstlerin, Regisseurin
und Performerin Annie Dorsen mit ihrem
„algorithmic theatre“, in dem sie Algorithmen als
vollwertige kreative Partner, nicht als Widerpart
oder Bedrohung versteht. In ihrer jüngsten Arbeit,
„Yesterday Tomorrow“, setzt sie drei Sängerinnen
und Sänger dem kompositorischen Output eines
Algorithmus aus. Die in Echtzeit generierte Partitur wird auf Leinwände projiziert, die den Bühnenraum definieren. Die Performer können ihren
Part nicht einstudieren, jede Aufführung ist einmalig, ephemer, nicht wiederholbar.
Mit den beiden titelgebenden Songs – „Yesterday“
von den Beatles und „Tomorrow“ aus dem Broadway-Musical „Annie“ – sind Start- und Zielpunkt
der Komposition festgelegt. Der Algorithmus
navigiert eigenständig und in jeder Aufführung
aufs Neue vom Ausgangs- zum Zielpunkt und
mutiert dabei Tonhöhe und Dauer jeder Note. Die
Interpreten reagieren also auf eine computerbestimmte Umgebung – eine Metapher, so Dorsen,
für die Allgegenwärtigkeit von Algorithmen, die
mit unserem Alltagsleben untrennbar verflochten
sind und deren Anweisungen wir bereits heute
ständig entgegennehmen.
„Die Inszenierung macht lediglich explizit, was im
Stück bereits angelegt ist“, erklärt Dorsen: „Drei
erwartungsvolle menschliche Wesen, die Augen
(notwendigerweise) an den Bildschirm geheftet,
werden von einem Computer gewissermaßen
herumkommandiert. Sagen wir es so: Man sucht
sich nicht aus, was man von der Welt abbekommt,
aber man entscheidet sehr wohl immer noch, was
man damit macht – wenn auch manchmal nur in
beschränktem Maße.“
Was machen wir mit dem Endprodukt?
A
lgorithmische Komposition: Sie stellt
die Gewichtung von Entstehungsprozess
und fixiertem Werk, die Position des
Künstlers, die Autorschaft und den
Werkbegriff in Frage. Und sie reflektiert eine Lebensrealität, die sich unter dem Einfluss algorithmischer Operatoren rasant verändert. Ob computergestütztePartiturenoderEchtzeit-Interaktionen:
Nicht zuletzt das unvorhersehbare Moment des
Zufalls macht die technologische und ästhetische
Sprengkraft dieser Musik aus. Das kreative Potenzial künstlicher Intelligenz können Komponisten,
Performer und Programmentwickler voll ausschöpfen. Bleibt zu diskutieren: Was machen wir
mit dem Endprodukt?
Julian Kämper ist Musikwissenschaftler und arbeitet als
Dramaturgieassistent an der Jungen Oper Stuttgart.
MaerzMusik
Annie Dorsen
„Yesterday Tomorrow”
12. März
18:00 & 22:00 Uhr
Haus der Berliner Festspiele,
Seitenbühne
Nicholas Bussmann
„The News Blues“
12. März
19:00 – 22:00 Uhr
Haus der Berlinre Festspiele,
Kassenhalle
Lejaren Hiller &
Leonard Isaacson
„Illiac Suite:
String Quartet No. 4”
Iamus Computer
Algorithmische Kompositionen und ihre Mutationen
12. März
20:00 Uhr
Haus der Berliner Festspiele,
Bühne
Marino Formenti © Heribert Corn
24
Den Pianisten
herumkommandieren
ist erlaubt
Von Walter Weidringer
Marino Formenti will sich mit „time to gather“ von den Zwängen
des Musikbetriebes befreien
„Atme falsch, sing es falsch!“, drängt Marino
Formenti von der Kinoleinwand herab. Was die
Aufforderung zu musikalischen Regelverstößen
sein könnte, ist jedoch eine Hilfe für alle, die sich
von den eigenen Ansprüchen nicht animieren,
sondern behindern lassen. „Das war daneben,
daneben ist schön“, beruhigt er sanft und bestimmt jene Menschen, die sich darauf eingelassen
haben, mit ihm Lieder von Franz Schubert einzustudieren – ganz ohne klassische Gesangsausbildung, nur mit ihrer vorhandenen, entwickelbaren Musikalität, vor allem aber mit ihrem ureigenen
persönlichen Hintergrund, mit all den Brüchen,
Verwerfungen und auch Wunden ihres Lebens.
Diese Szene sagt viel aus über Marino Formenti
und ist es wert, so ausführlich erzählt zu werden.
Sie stammt aus dem bewegenden Film „Schubert
und ich“ (Regie: Bruno Moll, 2014), der eines jener
ungewöhnlichen Projekte dokumentiert, die der
Pianist in jüngster Zeit realisiert hat. Statt nach
Schönheit und Perfektion sucht Formenti lieber
nach der Wahrheit – hier eben gemeinsam mit
neugierigen Laiensängern. Wenn dann zwischen
schräger Intonation, Textirrtümern und rhythmischen Unsicherheiten plötzlich emotionale Kostbarkeiten zutage gefördert werden, die sonst
kaum wo zu finden sind, dann ist Formenti glücklich. Weil so – fast nebenbei und mit stiller Rücksicht
auf Schubert selbst – viel an Seele freigelegt wird.
Musik als intime Begegnung
B
ei der Arbeit die Glacéhandschuhe der
Hochkultur abzustreifen und auch mal
„schmutzig“ zu werden, das hat Formenti
nie gestört, im Gegenteil. Jahrelang
setzte der aus Italien stammende Wahlwiener
als Pianist im Klangforum Wien die komplexesten
Partituren um, bevor er eigene Wege einschlug,
immer öfter selbst zum Taktstock griff und der
Musik und ihrer Kraft in teils radikal zugespitzten
Situationen nachspürte. Bei der Performance
„nowhere“ etwa stand er in einem Kubus mit
Klavier unter direkter und digitaler Beobachtung
und spielte dabei viel Feldman – beim Steirischen
Herbst 2010 eine Woche, 2012 bei den Berliner
Festspielen dann gar drei Wochen lang.
Oder er saß in Rodgrigo Garcías skandalträchtigem Stück „Gólgota Picnic“ (2011) bei Haydns
„Sieben letzten Worten unseres Erlösers am
Kreuze“ nackt am Flügel – übrigens für ihn selbst
ein kleiner letzter Schritt künstlerischer Selbstentblößung, der aber, von Protesten rechtskatholischer Kreise in Frankreich und Polen einmal
abgesehen, auch verblüffende Wirkung zeigte:
„Vorderhand war es einfach ein Teil der Inszenierung. Doch sobald man zu spielen beginnt, vergisst man das Nacktsein – außer es zieht so, dass
du zitterst. Die Nacktheit macht dich fragiler
und zugleich wieder stärker.“
Zuletzt arbeitete Formenti mit Ann Liv Young
beim Projekt „2 become 1“ zusammen, einer Serie
von intimen Zweierbegegnungen, bei denen sich
die übliche Masse der Zuhörer auf einen einzigen
unbekannten Menschen reduziert: Der Interpret
und sein Publikum können unter vier Augen eins
werden – und jedes Treffen ist einzigartig. „Ich
finde es enorm berührend, wenn ich zum Beispiel
etwas Bach für eine Frau spiele, die mir gerade
von ihrem Leben erzählt hat, und dann singt sie
eine Beatles-Nummer mit mir. Manche Menschen
sind offener, manche verschlossener, aber alle
sind auf ihre Weise dankbar. Die Verschwisterung,
die Hinterfragung der Distanz fasziniert mich.“
Aber woher kommt dieser ehrliche Drang nach
einem anderen Erleben von Musik und Musizieren?
Und was ist an der herkömmlichen Konzertsituation so schlimm, dass sie unbedingt aufgebrochen werden müsste? Formenti schmunzelt. „Ich
glaube nicht, dass diese Darbietungsform an
ihrem historischen Ende angelangt ist, und spiele
selbst noch gern Konzerte. Aber ich leide ein
bisschen darunter, dass der Musikbetrieb in vielen
seiner Bereiche so festgefahren ist. Bei mir war
die Angst vor der Routine immer sehr stark. Ich
hatte das Gefühl, Gefahr zu laufen, meine Lust
am Musizieren zu verlieren, wenn ich nicht ein
MaerzMusik
anderes, kommunikativeres Setup probiere. Mein
Ziel ist nicht, die Welt zu retten – ich bin weder so
naiv noch so größenwahnsinnig. Ich wollte nie
etwas um jeden Preis anders machen oder die
Musik sonst wo hinbringen, sondern nur meine
eigene Liebe zu ihr am Leben halten.“
Im Klangforum Wien hatte Formenti überaus
anspruchsvolle zeitgenössische Partituren zu
bewältigen und musste dafür viele Stunden allein
für die prämusikalische Arbeit aufwenden: technische Fragen beantworten, Fingersätze finden,
komplexe rhythmische Strukturen entziffern –
alles noch vor dem eigentlichen Üben und Musizieren. Damals keimte in ihm die Sehnsucht nach
einer „Retourkutsche“ auf: „Wenn ich drei Wochen
nur mit Fingersätzen verbringe, dann will ich
auch drei Wochen nur mit Musik verleben können“ –
der erste Gedanke in Richtung „nowhere“.
Außerdem störte ihn die „fast schon Fast-Food-­
mäßige Schnelligkeit, die auch im zeitgenössischen
Bereich das Musikleben erfasst hat. Manchmal ist
man bereits froh, wenn man das Stück bei der
Uraufführung halbwegs zusammenhalten kann.“
Selbst bei Spitzenensembles sei die Situation
manchmal in der vorgegebenen Probenzeit so nur
dorthin zu gelangen, wo man eigentlich erst
anfangen möchte. „Das ist ein generelles Problem, dem man freilich auch nicht bloß dadurch
entkommt, dass man in einer Fabrik spielt statt
im Konzertsaal.“
Wider die „Öligkeit“
D
time to gather
Eröffnung
mit Marino Formenti
11. März
20:00 Uhr
Haus der Berliner Festspiele
ennoch war für ihn die logische Konsequenz daraus, das Ensemble zu verlassen. Die erlangte Freiheit bot zwei
Optionen: „Ich hätte Spezialist für
zeit­genössische Musik werden können, einer jener typischen Pianisten, die von Festival zu Festival reisen und Uraufführungen von gerade
gehypten Komponisten spielen.“ Das aber hätte
bedeutet, vom Regen in die Traufe zu kommen –
also erst recht wieder eine vorgegebene Rolle im
Business zu erfüllen. Die Alternative war: sein
eigener Weg.
Auf diesem ist Marino Formenti, ein lebensfroher
Sinnenmensch und zugleich reflektierender
Skeptiker, zu einer undogmatisch-entspannten
Variante kritischer Distanz fortgeschritten. Den
herkömmlichen Typus des Festivals für (ausschließlich) zeitgenössische Musik findet er
obsolet: durch die stilistische Einengung, den
Uraufführungszwang, die Befriedigung der Interessen von Verlagen und Subventionsgebern.
„Für mich ist alles auf Youtube zeitgenössisch,
auch Gregorianik – weil wir es heute hören. Da bin
ich ganz bei Bernd Alois Zimmermanns ‚Kugelgestalt der Zeit‘.“
Auch die äußere Form des Neue-Musik-Betriebs
erscheint ihm erstarrt: „Aus der Vogelperspektive
ähnelt das stark dem Klassik-Betrieb: in den
26
Ritualen, im Instrumentarium, im Aufbau, letztlich auch in der Art des bürgerlichen Publikums.“
Dabei sei der Hörer von heute oft viel eklektischer als die Veranstalter und Intendanten. „Und
diese sind daheim sicher auch viel eklektischer,
als sie glauben, arbeiten zu müssen.“ Das sagt einer,
der gern einmal Musik von Helmut Lachenmann
und Udo Jürgens („oder wenigstens von Nirvana“) miteinander konfrontieren würde – und der
zugleich dafür sorgt, dass sein Eklektizismus
nicht mit Anything goes verwechselt wird: „Ich
bin ein Feind von Crossover und habe meine
Projekte, die man in dieser Richtung hätte missverstehen können, immer ‚Crossunder‘ genannt.“
Im Prätentiösen erblickt Formenti eine große Gefahr für seine Zunft. „Wenn wir davon ausgehen,
etwas Hohes, Wichtiges zu tun, sind wir fast
schon am Scheitern. Widme ich einen Raum nur
der heiligen Musik – also sagen wir: Bach, Brian
Eno und John Cage –, dann laufe ich Gefahr, in
einer salbungsvollen Priesterhaftigkeit zu landen,
in einer ‚Öligkeit‘ (Alma Mahler hat Bruno Walter
den „Öligen“ genannt), in einer aufgesetzten
Seriosität, die mit echtem Ernst nichts zu tun
hat.“ Aber: „Mozart und Shakespeare haben geblödelt, gewitzelt, waren doof, dumm – und zugleich ungemein clever und tiefsinnig. So wie die
Welt. So wie Menschen einfach sind.“
Die klassische Konzertsituation empfindet Formenti
vor diesem Hintergrund oft künstlich – aber er
kann sich in ihr als Künstler genauso zurecht
finden, weiß ihre Vorzüge zu nützen und verdankt ihr auch als Zuhörer tiefe Eindrücke. Etwa
von Sviatoslav Richter, einem der pianistischen
„Götter“ eines Pianisten, der selbst eigentlich
keine Götter hat. Und von seinem Lehrer Oleg
Maisenberg. Oder von Alfred Brendel. „Auch sie
hatten bessere und schlechtere Tage. Aber wenn
man die Götter als die Menschen sieht, die sie
eigentlich sind, werden sie umso großartiger.
Das gilt selbstverständlich auch für Komponisten.“
„time to gather“
D
as Unprätentiöse, gewissermaßen eine
neue Demut des Musizierens will Marino
Formenti nun auch bei der Eröffnung
der MaerzMusik 2016 in einem den herkömmlichen Rahmen sprengenden Format neu
entdecken – für sich und seine Zuhörer, die freilich zu Mitwirkenden werden können. „time to
gather“ ist der schlichte Titel eines Settings, bei
dem die unsichtbare Wand zwischen Publikum
und Interpret eingerissen, die Kommunikation
angeregt werden soll – ohne strikt vorgegebenes
Programm, ohne zeitlichen Rahmen, ohne den
Zwang zum Stillsitzen und Schweigen.
Jeder im Publikum kann wählen, ob und wie er
damit umgeht, welche Rolle(n) er einnehmen
will, wie er ins Geschehen eingreift. „Den Pianisten
herumkommandieren ist erlaubt“, stellt Formenti
mit jenem Augenzwinkern klar, das dennoch die
Ernsthaftigkeit seiner Anliegen untermauert.
„Vermutlich wird es Stücke zu hören geben, die
sagen: Hör mir zu – und andere, zum Beispiel von
Feldman oder Cage, die jedem erlauben, sich
zu langweilen, einzuschlafen oder was auch immer.“ Zentral ist eines: „Wir wissen nicht, was
passieren wird.“
Wer in Formenti deshalb einen Adrenalinjunkie
erblickt, der nach dem nächsten, noch größeren
Kick sucht, der irrt: Ganz im Gegenteil hatte er
schon als junger Künstler erhebliche Probleme
mit Lampenfieber, fühlte schon lange vor einem
Auftritt das Herz bis zum Hals schlagen und
lernte erst mit wachsender Erfahrung, besser mit
dem Phänomen umzugehen. Zu überwinden ist
es nicht. „Ängste habe ich immer gehabt. Das
Spielen war nie eine g’mahte Wiesen“, gesteht er
in einer im Klang italienisch gefärbten Wiener
Phrase. „Aber irgendwann beginnt man zu begreifen, dass gerade solche Fragilitäten die eigenen Stärken ausmachen – als Kehrseite der
Medaille. Dass man Oktaven nicht so treffsicher
donnern kann wie Lang Lang, dafür aber vielleicht anderswo eine Sensibilität besitzt, die er
nicht hat. Will ich mit ihm tauschen? Nein. I am
what I am.“
Walter Weidringer, 1971 geboren, ist Musikwissenschaftler
und Kritiker, unter anderem für die Tageszeitung „Die
Presse“. Er lebt als freier Kulturpublizist in Wien.
„Diese Epoche, die sich selbst ihre Zeit
wesentlich als die beschleunigte Wieder­
kehr vielfältiger Festlichkeiten zeigt,
ist ebenso eine Epoche ohne Feste.
Was in der zyklischen Zeit der Moment
der Teilnahme einer Gemeinschaft an
der luxuriösen Ver­ausgabung des Lebens
war, ist der Gesellschaft ohne Gemein­
schaft und ohne Luxus unmöglich.
Wenn ihre allgemein verbreiteten
Pseudofeste, Parodien des Dialogs und
der Gabe, zu einer wirtschaftlichen
Mehrausgabe anregen, bringen sie nur
die stets das Versprechen einer neuen
Enttäu­schung kompensierende Enttäu­
schung ein. Die Zeit des modernen
Überlebens muss sich im Spektakel umso
nachdrücklicher anpreisen, als sich ihr
Gebrauchswert vermindert hat. Die
Wirklichkeit der Zeit ist durch die
Werbung für die Zeit ersetzt worden.“
Guy Debord, „Die Gesellschaft des Spektakels“, 1957
MaerzMusik
© Mazen Kerbaj 2006
28
Der Klang der Hölle
Von Katharina Fleischer
Der Beiruter Zeichner und Musiker Mazen Kerbaj erinnert mit
einer Klanginstallation an den Libanonkrieg 2006
„It’s awful to live in“: Zwei Zellen sind auf der
Zeichnung zu sehen: „Pre-War“ und „Post-War“.
In der einen steht ein großer, dünner Mann
und weint. Es könnte der Zeichner selbst sein,
Mazen Kerbaj.
D
er echte Kerbaj sieht auf den ersten
Blick nicht traurig aus, nur dünn. Im Juli
2015 kam der 40-jährige Comiczeichner,
Autor und Musiker aus Beirut auf Einladung des Berliner Künstlerprogramms des DAAD
für ein Jahr nach Berlin – und fühlt sich hier nicht
fremd. „Beirut war geteilt, so wie Berlin, und genauso heruntergekommen vom Krieg. Und wie
Berlin ist auch Beirut mittlerweile neu aufgebaut
und ganz anders geworden. Es gibt zwischen den
beiden Städten eine Verbindung.“ Kerbaj genießt
Berlin, trifft Musiker, liest, zeichnet. Es ist sein erster
Auslandsaufenthalt: „Mit 20 wollte ich nach
Frankreich gehen, um Comiczeichnen zu studieren,
daraus wurde nichts. Jetzt fühle ich mich wie ein
junger Student.“
Die Kunst war und ist für Mazen Kerbaj ein
Lebenselixir, sie hält ihn am Leben. 1975 in Beirut
geboren und aufgewachsen, erlebte er den Bürgerkrieg im Libanon, als Erwachsener den Krieg mit
Israel im Jahr 2006. Dennoch: „Beirut hat mich zu
dem gemacht, der ich heute bin: Im Libanon leben
wir in der Ungewissheit. Wir planen nicht, leben
von einem Tag zum anderen. Ich bin nicht optimistisch.” Er stellt nur fest, bewertet selten. „In
Beirut wird man mit der Zeit belastbarer. Wenn
etwas passiert, wird es verdrängt.“ Die Politik
trägt zum Vergessen bei. „Nach 15 Jahren Bürgerkrieg gab es keine gesellschaftliche Aufarbeitung. Sie sagten, der Krieg sei vorbei. Dann
kamen dieselben Kriminellen wieder.“ Einen Halt
in dieser unsicheren Situation gibt Kerbaj seit
seiner Kindheit das Lesen. „Es ist eine einsame
Sache, man kann es nicht teilen.“ Er liest viele
Comics, auch Graphic Novels, die er aber nicht
so nennen will. Und er zeichnet, was ihn täglich
bewegt. Den Libanonkrieg 2006 hat er bereits als Comic verarbeitet.
Für MaerzMusik stellt er sich diesem Thema nun in
einem gänzlich anderen Medium – in einer in situ
Klanginstallation. Als Jugendlicher begann Mazen
Kerbaj, Trompete zu spielen. Mit dem Lehrer
verstand er sich nicht, die arabische Musikkultur
interessierte ihn nur mäßig. Er hörte vor allem
Jazz: „Eine Musik ohne Wörter kommt auch ohne
die Herrschaft der Wörter aus.” Mit seinem Freund,
dem Gitarristen Sharif Sehnaoui, improvisiert er
frei. „Als wir begannen, sagten manche, das sei
Mist. Andere meinten, dass wir eine neue Musik
erfunden hätten. Wir waren erstaunt, der Free
Jazz ist schließlich schon über 60 Jahre alt.“ Und
er lacht: „Mit meinen vierzig Jahren gelte ich
heute als Großvater der neuen Musik im Libanon.“
Während der 33 Tage des Libanonkriegs 2006
machte Mazen Kerbaj immer wieder Tonaufnahmen in seiner Wohnung, in Summe sind es zwölf
Stunden Material. „Manchmal gab es Duette
zwischen meiner Trompete und israelischen Flugzeugen, die ihre Bomben über Beirut abwarfen.
Ich habe mir die Aufnahmen danach nie mehr angehört. Aber nun ist es zehn Jahre her, das nehme
ich als Anlass.“ Seine Gefühle zu diesem Tonmaterial sind gespalten. „Einerseits ist es vorbei,
andererseits fühlt es sich an wie gestern. Ich weiß
genau, wann und wo ich was aufgenommen
habe.“ Während des Kriegs arbeitete er viel. Die
Depression kam danach. „Heute erinnere ich
mich, dass diese Zeit die Hölle war.“
Mazen Kerbaj
„Before the war, it was the
war. After the war, it is still
the war.”
In situ Klanginstallation
Katharina Fleischer lebt und arbeitet in Berlin als Musikjournalistin und Musikpädagogin. Sie befasst sich mit Themen
zum arabischen Raum mit Schwerpunkt Nordafrika und
schreibt u. a. für „Oper! Das Magazin“, „128 – Das Magazin
der Berliner Philharmoniker“ und „VAN“.
MaerzMusik
13. März
12:00 – 18:00 Uhr
14. – 16. März
18:00 – 24:00 Uhr
Bundesallee 53, 10715 Berlin
Wollte bleiben,
aber man kann sich nicht NICHT wiederholen,
wie die Geschichte oder die Zeit,
beide wiederholen sich nie,
das ist bewundernswert,
die Geschichte ist bewundernswert,
die probiert es wenigstens immer wieder,
die versucht, sich wie von selbst zu wiederholen,
und sie scheitert immer wieder an sich selbst,
das ist ja klar.
Aber die Zeit bewundere ich schon auch.
Sich niemals zu wiederholen, das ist schon was!
Immer gehen, immer nur gehen,
sogar die Uhr macht da oft schlapp,
auch die kann nicht immer nur gehen,
die geht manchmal ein wie ein Mensch.
Elfriede Jelinek, „Winterreise. Ein Theaterstück“
30
Seelen ohne Obdach
Von Walter Weidringer
Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ ist seit fast
200 Jahren bestürzend modern. Das hat klar benennbare Gründe – die zeitgenössische Künstler immer wieder
zu neuen Arbeiten herausfordern
„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder
aus“: Es ist, als sei schon in diesen Anfangsversen,
gegossen in eine zweimal resignativ niedersinkende
Melodie und grundiert von sanftem Marschtritt,
ein Wesenszug der Moderne vorweggenommen –
und erst recht im offenen Ende des rätselhaft
verhallenden letzten Liedes, „Der Leiermann“, mit
dem das lyrische Ich verstummt und uns damit
nach vielfältig aufgeschlüsselter Einsamkeitsbetrachtung unbarmherzig und ohne Lösungsangebot ins Ungewisse hinausstößt.
Einen „Kreis schauerlicher Lieder“ wolle er ihnen
vorsingen, die ihn mehr als alle früheren „angegriffen“ hätten: So soll Schubert 1827 seine Freunde
Schober und Spaun eingeladen haben, seine
neueste Komposition kennenzulernen, den Zyklus
„Winterreise“ nach Gedichten Wilhelm Müllers.
Erst knapp hundert Jahre später diagnostizierte
Georg Lukács in seiner „Theorie des Romans“ an
der modernen Literatur Charakteristika, die sich
lesen, als seien sie direkt auf die „Winterreise“
gemünzt: Das „epische Individuum, der Held des
Romans“ entstehe aus einer „Fremdheit zur Außenwelt“, sei auf das eigene, längst als prekär erlebte
Innere zurückgeworfen – und das Kunstwerk zeige
die „Wanderung des problematischen Individuums
zu sich selbst, der Weg von der trüben Befangenheit in der einfach daseienden, in sich heterogenen, für das Individuum sinnlosen Wirklichkeit
zur klaren Selbsterkenntnis“.
Mit seiner „transzendentalen Obdachlosigkeit“,
wie Lukács berühmt gewordene Formulierung
lautet, ließe sich der namenlose Protagonist der
„Winterreise“ bruchlos einreihen in die Galerie
jener scheiternden oder längst gescheiterten
Helden seit Cervantes’ Don Quixote.
Wen kümmert’s, wer singt?
K
ein Wunder also, dass die „Winterreise“
bis heute eine eigene Faszination ausübt und nicht bloß als ein Zentralmassiv
der Gattung immer wieder und von den
bedeutendsten Liedinterpreten aufgeführt wird,
sondern zu vielfältigen, auch radikaleren Neudeutungen geradezu herausfordert. 2006 verstörte etwa Christine Schäfer mit ihrer zwar notengetreuen, aber in ungewohnter Sopranlage
silbrig-glitzernd vorgetragenen Lesart – mit der
sie die Frage aufwarf, ob das Werk auch geschlechtlich fixiert wäre, auf Stimmen vom Bariton
bis zum schwarzen Bass festgelegt? Keineswegs,
musste die Antwort lauten: Schuberts Originaltonarten liegen hoch, sind jedenfalls von tieferen
Stimmen kaum zu bewältigen. Und einen singenden
Menschen auf das Konstrukt einer Geschlechter­
rolle zu reduzieren, wäre schlicht sexistisch.
Eine hohe (Männer-?)Stimme scheint den originalen Absichten am nächsten zu kommen. Unter
den Tenören der Gegenwart nimmt jedenfalls Ian
Bostridge als Liedsänger einen Ausnahmerang
ein; zudem hat der Brite 2015 das ungemein kluge,
fesselnde Buch „Schuberts Winterreise“ geschrieben, dessen originaler Untertitel („Anatomy of
an Obsession“) mehr aussagt als dessen deutsches Pendant („Lieder von Liebe und Schmerz“).
Allein, wie Bostridge im Kapitel über den „Lindenbaum“ dessen banale Umarbeitung durch Friedrich Silcher bespricht und dabei einen Taxifahrer
und Nana Mouskouri ebenso streift wie eine Episode der „Simpsons“, bevor er ausführlich das
leitmotivische Auftauchen des Liedes in Thomas
Manns „Zauberberg“ behandelt, übrigens ein
Paradebeispiel für den modernen Roman à la
Lukács, ist so vergnüglich wie lehrreich zu lesen.
Dabei ist die „Winterreise“ gar nicht so fest in
männlicher Interpretenhand wie Skeptiker glauben mögen: Neben Mezzosopranen wie Christa
Ludwig und Brigitte Fassbaender, die den Zyklus
in besonders dunkle Farben kleidete und in einer
pittoresken Filmversion des Regisseurs Petr Weigl
(1994) in verschiedene Rollen schlüpfte, waren
MaerzMusik
„Solo für die
Leinwand“
Ein „Solo für die Leinwand“:
2014 führte der südafrika­
nische Künstler William
Kentridge gemeinsam mit
dem Bariton Matthias Goerne
und dem Pianisten Markus
Hinterhäuser sein Projekt zu
Schuberts „Winterreise“ auf.
Anlässlich der Retrospektive
„NO, IT IS! William Kentridge
in Berlin“ ist diese Produktion im Juli 2016 im Haus der
Berliner Festspiele zu Gast.
Sophie Rois
liest aus
Elfriede Jelinek
„Winterreise. Ein
Theaterstück”
13. März, 19:00 Uhr
Haus der Berliner Festspiele,
Großer Saal
Bernhard Lang
„Monadologie XXXXII.
The Cold Trip pt.1 und pt.2”
13.März, 21:00 Uhr
Haus der Berliner Festspiele,
Bühne
Franz Schubert
„Winterreise“ mit
Ian Bostridge (Tenor) und
Julius Drake (Klavier)
15. März, 19:30 Uhr
Kammermusiksaal der
Philharmonie
Daniel Kötter /
Hannes Seidl
LIEBE – Ökonomien des
Handelns 3
Musiktheater (2015/2016) UA
16., 17. und 18. März
20:00 Uhr
Sophiensæle
es auch Margaret Price und einst, lange Zeit vor
allen Gender Studies, schon Lotte Lehmann, die
sich dem Werk gleichsam von oben näherten,
als imaginierte Hosenrolle oder von allgemein-­
menschlicher Warte aus.
Im psychischen Ausnahmezustand
D
och schon das Original trug einige politische Brisanz in sich. Wilhelm Müller,
Sohn eines Dessauer Schneiders,
kämpfte als Freiwilliger in den Befreiungskriegen gegen die Napoleonische Armee,
wurde Lehrer und später Herzoglicher Bibliothekar
in Dessau, arbeitete als Herausgeber und Redakteur (u. a. für Brockhaus) und sympathisierte
mit den Griechen in ihrem Kampf gegen die
türkische Besatzung. Anfang Oktober 1827 starb
er, sechs Tage vor seinem 33. Geburtstag.
Er hinterließ fünf Gedichtbände, in denen Einflüsse der Romantiker Novalis, Clemens Brentano
und Achim von Arnim spürbar sind; die klare
Gesellschaftskritik aber, die er vor der Zensur
zwischen den Zeilen scheinbarer „Liebeslieder“
zu verstecken wusste, wurde auch in der Schubert-­
Rezeption lange Zeit übersehen. Die Texte der
„Winterreise“ entstammen der Sammlung „77
Gedichte aus den nachgelassenen Papieren eines
reisenden Waldhornisten“, aus der Schubert 1823
auch schon den Zyklus „Die schöne Müllerin“
komponiert hatte.
Bei der „Müllerin“ handelt es sich noch um eine
Art Liederzählung mit konkreter fortschreitender
Handlung und starken Schwankungen der Affekte
bis hin zum Freitod in den Fluten des Baches. Die
„Winterreise“ hingegen kennt kein solches folgerichtiges, wenn auch tragisches Ziel mehr – und
damit auch nicht eine ähnliche „romantische Erlösung“ (Hans-Joachim Hinrichsen), wie sie dem
Müllersburschen gewährt wird: In ihren Liedern
verbindet sich ein weit einheitlicherer resignativer
Grundzug mit dem durchgehenden Motiv ziellosen Weiterwanderns.
32
Die Geschichte – und damit auch das gequälte
Individuum – dreht sich auf beklemmende Weise
im Kreis. Gemeint ist hier jedoch weniger die
private Gefühlslage des Komponisten oder des
Dichters, sondern die erdrückend dumpfe geistig-­
politische Atmosphäre des Biedermeier und Vormärz. Die dominante düstere Stimmung ist allerdings in Text und Musik in so viele Graustufen
aufgefächert, dass keine Monotonie aufkommt.
Müllers Bildsprache nützt die Symbolwerte von
Begriffen wie „Wetterfahne“, „Irrlicht“, „Wegweiser“ und „Leierkasten“; der fast permanente
psychische Ausnahmezustand, die Rastlosigkeit
des lyrischen Ichs zwischen Wehmut und innerer
wie äußerer Kälte, sie finden in Schuberts Musik
beklemmenden Ausdruck: mit repetitiven Mustern, stockenden Verläufen sowie aufgeweichten,
ins nächste Lied führenden Schlüssen.
Überhaupt wandelt sich das Klavier von der Begleitung zum expressiven Widerpart. Der zyklische Zusammenhang ist so stark, dass sich einzelne Lieder eigentlich nicht herauslösen lassen:
Beim zu großer Volkstümlichkeit und Breitenwirkung gelangten „Lindenbaum“ ist es ja die bereits erwähnte, textlich und musikalisch brutal
verharmlosende Silcher-Fassung, die das Original
(ein Strophenlied zum Thema Selbstmord)
„konsumierbar“ machte – eines von vielen populären Missverständnissen, denen Schubert zum
Teil bis heute ausgeliefert ist.
„… immer dieselbe Leier …“
A
usgeliefertsein,
Volksdümmlichkeit
und verharmloste Verbrechen sind
auch Teil jenes spezifisch österreichischen und doch weit über die Grenzen
des Landes hinausweisenden Pandämoniums,
das die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek
in „Winterreise. Ein Theaterstück“ (2011) öffnet –
und aus dem die Schauspielerin Sophie Rois bei
der MaerzMusik lesen wird. Mit ständiger assoziativer Rücksicht auf Müller und Schubert handelt
Jelinek darin den Hypo-Alpe-Adria-Skandal (mit
Filmstill aus „LIEBE – Ökonomien des Handelns” © Daniel Kötter und Hannes Seidl
MaerzMusik
einer „geschmückten Bankenbraut“ im Zentrum), das Schicksal eines entführten „Mädchens
aus dem Keller“ (die namentlich nicht genannte
Natascha Kampusch), den die Natur schändenden Ski-Zirkus samt brutaler Hüttengaudi, die
emotionale Deformationen durch soziale Netzwerke sowie die Tragödie der Demenz ab.
Und auch die Autorin selbst scheint zum Thema
zu werden, ihre schwierige Beziehung zur dominanten Mutter und zum in der Psychiatrie endenden
Vater sowie die eigene Rolle als Außenseiterin.
Zuletzt räsoniert sie als untote Leierfrau: „So, da
steh ich also mit meiner alten Leier, immer der
gleichen. Wer will dergleichen hören? Niemand.
Immer dieselbe Leier, aber das Lied ist doch nicht
immer dasselbe! Ich schwöre, es ist immer ein
anderes, auch wenn es sich nicht so anhört …“
Die Musikalität von Jelineks spielerisch anmutender und doch messerscharf sezierender Sprache
ist immer wieder gerühmt worden, in diesem
Werk erreicht sie ein neuen Gipfel.
Neben bildnerischen Interpretationen, etwa von
Evely Grill in Siebdrucken (2003, 2015) oder, ganz
prominent und nicht unumstritten, von William
Kentridge in parallel zur Musik gezeigten Trickfilmen (mit Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser, 2014), hat etwa der Komponist Hans
Zender schon 1993 eine „komponierte Interpretation“ der „Winterreise“ für Tenor und kleines
Orchester vorgelegt, die im Original enthaltenen
musikhistorischen Keime bis in die Moderne entwickelt. Jüngst setzte sich sein Kollege Bernhard
Lang auf deutlich radikalere Weise mit dem Zyklus
auseinander – und zog dabei auch Konsequenzen aus den zwei Etappen der Entstehungsgeschichte mit je zwölf Liedern im Februar und im
Oktober 1827.
Bernhard Lang ist bekannt geworden durch eine
von Jazz, Rock und Techno ebenso wie von klassischer Avantgarde beeinflusste Musik, in der DJs,
Turntables und Computer jenseits überkommener Genre-Grenzen Loops ganz eigener Art vollführen und umfangreiche Werkreihen (wie etwa
„Differenz/Wiederholung“) generieren. „Monadology XXXII – The Cold Trip pt. 1 and pt. 2“, eine
34
Metakomposition wie die ganze „Monadology“-­
Reihe, ist eine Art Recycling der „Winterreise“: im
ersten Teil für Stimme und vier Gitarren, im zweiten
dann für Stimme, Klavier und Laptop, wobei die
Vorlage nicht zuletzt in speziellen Samples präparierter Klavierklänge präsent ist, die sich zu einem
immer dichteren Palimpsest überlagern.
Die auf Englisch singende Stimme ist gleichsam
in der eigenen Erinnerung auf der Suche nach
dem entglittenen Original – auch das ein Zustand
transzendentaler Obdachlosigkeit, für den Elfriede
Jelinek folgende Schlussworte gefunden hat:
„Fremd eingezogen, fremd ausgezogen, die Leier
drehend, immer dieselbe Leier, immer dasselbe?
Sie hätten eine andre Reise wählen können, Sie
hätten mit der Zeit endlich eine andre Reise und
eine andre Leier wählen können, doch das wäre
dann keine Zeit mehr gewesen und keine Leier.“
Walter Weidringer, 1971 geboren, ist Musikwissenschaftler
und Kritiker, unter anderem für die Tageszeitung „Die
Presse“. Er lebt als freier Kulturpublizist in Wien.
NO, IT IS!
William Kentridge in Berlin
Ausstellungen / Performances / Lectures
Mai-Juli 2016
Martin-Gropius-Bau
Foreign Affairs – International Performing Arts Festival
Der Vorverkauf läuft
Martin-Gropius-Bau
12. März bis 6. Juni 2016
Bundeswettbewerbe
Günter Brus
3. Tanztreffen der Jugend
Störungszonen
Jetzt bewerben!
Einsendeschluss ist der 31. März 2016
Berliner Festspiele
Martin-Gropius-Bau
19. März bis 12. Juni 2016
Theatertreffen
Lee Miller
6. bis 22. Mai 2016
Vorverkauf ab 16. April 2016
Fotografien
Berliner Festspiele
Martin-Gropius-Bau
bis 16. Mai 2016
Kunst der Vorzeit
Felsbilder der Sammlung Frobenius
Musikfest Berlin
Eröffnungskonzert
Symphonieorchester des
Bayerischen Rundfunks
Daniel Harding Leitung
Philharmonie
3. September 2016
MaerzMusik
The Lon
The Long Now, Kraftwerk Berlin, MaerzMusik 2015 © Camille Blake
36
ng Now
„The Long Now“ ist ein Ort der andauernden Gegenwart. Ein Raum,
in dem sich Zeit selbst entfalten
und das Zeitgefühl sich verlieren
kann. Das 30-stündige Projekt bildet
den Abschluss von MaerzMusik −
Festival für Zeitfragen 2016. In der
monumentalen Kulisse des Kraftwerk Berlin sind Konzerte, Performances und elektronische Live-Acts
mit Klang- und Videoinstallationen
zu einer großformatigen Komposition
in Raum und Zeit versammelt. Von
Klassikern der musikalischen Avantgarde bis hin zu Ambient Music und
Noise reichen die musikalischen
Welten, die sich in der zweiten Ausgabe von „The Long Now“ wieder zu
einer körperlichen und künstlerischen Grenzerfahrung formieren.
Wir laden Sie ein, sich liegend, stehend, sitzend, tanzend oder essend
dieser Zeitblase hinzugeben.
MaerzMusik
The Long Now
19. März, 18:00 Uhr –
20. März 24:00 Uhr
Kraftwerk Berlin
Programm MaerzMusik - Festival für Zeitfragen 2016
Freitag, 11. März
Samstag, 12. März
Sonntag, 13. März
Haus der Berliner Festspiele, 20:00–24:00 Uhr
Opening
time to gather
Für die Eröffnung von MaerzMusik 2016 hat Marino
Formenti einen Klavierabend der besonderen Art
vorbereitet: kein festes Programm, kein vorherbestimmtes Ende – dafür die Freiheit, von nah oder
fern zuzuhören, mit dem Pianisten gemeinsam
das nächste Stück aus einer großen Zahl an Kompositionen vom Mittelalter bis in unsere Gegenwart
auszuwählen.
Musik von Carl Philipp Emanuel Bach, Johann
Sebastian Bach, Björk, John Cage, Louis-Nicolas
Clérambault, Chinawoman, Jean-Henri
d’Anglebert, Guillaume de Machaut, Brian Eno,
Morton Feldman, Brian Ferneyhough, Bernhard
Lang, John Lennon, Franz Liszt, Nirvana, Enno
Poppe, Domenico Scarlatti, Franz Schubert,
Karlheinz Stockhausen, Galina Ustwolskaja
oder anderen
Siehe auch S. 24
Haus der Berliner Festspiele, 12:00–18:00 Uhr
Thinking Together
Konferenz und Diskursformate in einer siebentägigen transdisziplinären Plattform, die dem gemeinsamen Nachdenken über unser Verhältnis zur
Zeit gewidmet ist. Das Format besteht aus frei zugänglichen Seminaren, Lecture-Performances,
Diskussionen und experimentellen Diskursformaten. Unter dem Titel „Time and the Digital Universe“ spürt die zweitägige Eröffnungskonferenz
neuen digitalen Zeitformen, ihren Eigenschaften
und Auswirkungen nach.
Siehe auch S. 10 und 16
Haus der Berliner Festspiele, 12:00–18:00 Uhr
Thinking Together
Konferenz und Diskursformate
(siehe 12. März).
„Time and the Digital Universe”:
Vorträge von George Dyson, Luciana Parisi, Laboria
Cuboniks, Francisco José Vico und Annie Dorsen.
„Time and the Digital Universe”:
Vorträge von George Dyson, Elena Esposito,
Hartmut Rosa und Judy Wajcman.
Haus der Berliner Festspiele, 18:00 & 22:00 Uhr
Yesterday Tomorrow
Zwischen dem Beatles-Song „Yesterday“ und dem
Hit „Tomorrow“ aus dem Broadway-Musical „Annie“ scheinen Welten zu liegen. Annie Dorsen
macht aus dieser Lücke eine unvorhersehbare musikalische Reise mittels eines Computer-Algorithmus, der den Weg von einem Song zum anderen in
Echtzeit komponiert und die Partitur an die vom
Blatt singenden Performer auf der Bühne
weitergibt.
Siehe auch S. 16
Haus der Berliner Festspiele, 19:00–22:00 Uhr
The News Blues
Nicholas Bussmanns „The News Blues“ ist ein
musikalisches und soziales Experiment mit den
Mitteln der algorithmischen Komposition:
Sieben Performer unterschiedlicher Muttersprachen verarbeiten, imitieren, harmonisieren, missverstehen und transformieren Nachrichten in eine
Polyphonie von Stimmen und Bedeutungen und
hinterfragen damit gesellschaftliche Realitäten
im Zeitalter des Datenstromes.
Siehe auch S. 22
Haus der Berliner Festspiele, 20:00 Uhr
Algorithmic Composition
Innerhalb weniger Sekunden generiert Iamus – ein
Computer-Cluster am Institut für Biomimetik der
Universität Málaga – seine Werke, indem er, evolutionäre Prozesse simulierend, musikalische DNA
mutiert, die wiederum von menschlichen Musikern gespielt wird. Ein moderiertes Konzert über
neue Horizonte in der künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.
Siehe auch S. 16
Bundesallee 53, 12:00–18:00 Uhr
Mazen Kerbaj
„Before the war, it was the war.
After the war, tit is still the war.”
In situ Klanginstallation (2016) UA.
Klangbilder des Alltags, TV-News, Radio-­Songs und
private Telefonate, unterbrochen von Kampfflugzeugen und Bombeneinschlägen, dazu Trompetenklänge: Kerbaj unternimmt den Versuch, seine
Sicht auf den Libanonkrieg 2006 zu zeigen.
Siehe auch S.28
Haus der Berliner Festspiele, 19:00 Uhr
Winterreise. Ein Theaterstück
In „Winterreise. Ein Theaterstück“ macht sich
Elfriede Jelineks lyrisches Ich auf eine gedankliche
Wanderung durch ihre Biografie und den Wahnwitz der Gegenwart. Ein Theatertext über Einsamkeit und innere Emigration, Fremdheit und Perversion, Vergänglichkeit und das Scheitern,
interpretiert von Sophie Rois.
Siehe auch S. 30
Haus der Berliner Festspiele, 21:00 Uhr
The Cold Trip
Schuberts romantische Lieder werden mittels
Loop-, Schnitt- und Sampletechniken recycelt und
überschrieben. Aus der „Winterreise“ wird eine
Metakomposition – „The Cold Trip“.
Siehe auch S. 30
Montag, 14. März
Haus der Berliner Festspiele, 10:00–18:00 Uhr
Thinking Together
Konferenz und Diskursformate (siehe 12. März).
Workshops, Seminare, Projekte.
Detailinformationen:
www.berlinerfestspiele.de/thinking-together
Bundesallee 53, 18:00–24:00 Uhr
Mazen Kerbaj
„Before the war, it was the war.
After the war, it is still the war.”
In situ Klanginstallation (2016) UA.
Siehe 13. März.
Haus der Berliner Festspiele, 19.30 Uhr
Plus-Minus Ensemble
Der dreiteilige Konzertabend des Plus-Minus
Ensembles zeigt einen Mix aus Avantgarde und experimentellen Traditionen: Joanna Bailie stellt ihre
„Artificial Environments“ vor; Matthew Shlomowitz
fragt nach dem Wesen schlechter Musik; und zum
Abschluss weitet sich der Blick auf vier Positionen
aus dem ästhetischen Umfeld des Ensembles.
38
Dienstag, 15. März
Mittwoch, 16. März
Freitag, 18. März
Haus der Berliner Festspiele, 10:00–18:00 Uhr
Thinking Together
Konferenz und Diskursformate (siehe 12. März).
Workshops, Seminare,
Projekte. Detailinformationen:
www.berlinerfestspiele.de/thinking-together
Haus der Berliner Festspiele, 10:00–18:00 Uhr
Thinking Together
Konferenz und Diskursformate (siehe 12. März).
Workshops, Seminare, Projekte.
Detailinformationen:
www.berlinerfestspiele.de/thinking-together
Bundesallee 53, 18:00–24:00 Uhr
Mazen Kerbaj
„Before the war, it was the war.
After the war, it is still the war.”
In situ Klanginstallation (2016) UA.
Siehe 13. März.
Sophiensæle, 20:00 Uhr
LIEBE – Ökonomien des Handelns 3
Erst das Geld, dann das Gesetz und schließlich –
„LIEBE“. Mit dem dritten Teil ihres MusiktheaterProjekts „Ökonomien des Handelns“ präsentieren
der Experimentalfilmer Daniel Kötter und der
Komponist Hannes Seidl den Abschluss ihrer Forschungen zu den Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Handelns.
Radialsystem V, 19:00–24:00 Uhr
alif – a musical exhibition space
„alif::split in the wall“ ist ein Konzertexperiment,
das die Prinzipien der Ausstellungspraxis Bildender
Kunst und der Performance auf die musikalische
Form des Konzerts übertragt: Eine Rauminstallation der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota
lässt einen pulsierenden Organismus entstehen,
in dem sich Musiker*innen wie Publikum frei bewegen können. Die Komponisten Stefan Goldmann
und Samir Odeh-Tamimi entfalten dazu einen
vierstündigen akustischen Erlebnisraum.
Siehe auch S. 22
Kammermusiksaal der Philharmonie, Foyer,
18:00 Uhr
Querklang
Das Projekt QuerKlang bringt im Rahmen von
MaerzMusik 2016 sechs Kollektiv-Kompositionen
von Schüler*innen Berlins zur Uraufführung.
Kammermusiksaal der Philharmonie, 19:30 Uhr
Winterreise
Ian Bostridge gilt als einer der bedeutendsten,
weil eigenwilligsten Interpreten von Schuberts
„Winterreise“. Mit seiner über zwanzigjährigen
Interpretationserfahrung hat der Brite nun über
das geheimnisvolle Einsamkeitsepos ein Buch geschrieben. Wenn er im Anschluss an das Konzert
aus diesem Buch vorliest und mit Sarah Willis
diskutiert, dann ist dies eine nicht weniger aufregende Stimme zum Thema als sein Tenor.
Siehe auch S. 30
Kraftwerk Berlin, 22:00–08:00 Uhr
Max Richter SLEEP
Max Richter zählt zu den führenden britischen
Komponisten der Gegenwart und hat mit „SLEEP”
eine der längsten Kompositionen der Musikgeschichte geschrieben. Das Werk für Klavier,
Streicher, Elektronik und Gesangsstimme dauert
acht Stunden und erschließt der Musik neue
Wahrnehmungsräume. „Schlafen zählt zu den
wichtigsten Dingen, die wir tun. Ein Drittel unseres
Lebens verbringen wir im Schlaf“, erklärt Max
Richter. „SLEEP ist mein persönliches Wiegenlied
für eine hektische Welt, ein Manifest für eine
langsamere Gangart des Lebens.“
Siehe auch S. 14
Bundesallee 53, 18:00–24:00 Uhr
Mazen Kerbaj
Mazen Kerbaj: „Before the war, it was the war.
After the war, it is still the war.”
In situ Klanginstallation (2016) UA.
Siehe 13. März.
Kraftwerk Berlin, 22:00–08:00 Uhr
Max Richter SLEEP
Siehe 15. März.
Donnerstag, 17. März
Haus der Berliner Festspiele, 10:00–18:00 Uhr
Thinking Together
Konferenz und Diskursformate (siehe 12. März).
Workshops, Seminare, Projekte.
Detailinformationen:
www.berlinerfestspiele.de/thinking-together
Haus der Berliner Festspiele, 18:00 Uhr
Querklang
Siehe 15. März
Haus der Berliner Festspiele, 20:00 Uhr
Ensemblekollektiv Berlin
Im Ensemblekollektiv Berlin vereinigen sich vier
Berliner Ensembles zu einer durchaus nicht alltäglichen Situation, welche der Musik zweier Komponisten zugutekommt: Eduardo Moguillansky
macht sich an eine „Ausmessung des Menschen“,
Timothy McCormack grundiert sein neues Werk
mit naturwissenschaftlichem Interesse.
Sophiensæle, 20:00 Uhr
LIEBE – Ökonomien des Handelns 3
Daniel Kötter / Hannes Seidl:
„LIEBE – Ökonomien des Handelns 3“
Musiktheater (2015/16) UA.
Siehe 16. März
Kraftwerk Berlin, 22:00–08:00 Uhr
Max Richter SLEEP
Siehe 15. März
MaerzMusik
Sophiensæle, 20:00 Uhr
LIEBE – Ökonomien des Handelns 3
Daniel Kötter / Hannes Seidl:
„LIEBE – Ökonomien des Handelns 3“
Musiktheater (2015/16) UA.
Siehe 16. März
Samstag, 19. März
Radialsystem V, 12:00–18:00 Uhr
alif – Installation
Zuletzt machte die japanische Künstlerin Chiharu
Shiota bei der Biennale in Venedig auf sich aufmerksam. Nun hat Shiota für die Produktion
„alif::split in the wall“ eine neue Rauminstallation
geschaffen, deren Materialien Assoziationen des
Klinischen, des Prothetischen und des Körpers
wachrufen. Ein lebendiger und doch steriler Organismus, der auch als autonome Rauminstallation zu erleben ist.
Siehe auch S. 20
Radialsystem V, 19:00–24:00 Uhr
alif – a musical exhibition space
Siehe 18. März
Kraftwerk Berlin, 19. März,
18:00 Uhr–20. März, 24:00 Uhr
The Long Now
„The Long Now“ ist ein Ort der andauernden Gegenwart. Ein Raum, in dem sich Zeit selbst entfalten und das Zeitgefühl sich verlieren kann. In
der monumentalen Kulisse des Kraftwerk Berlin
sind Konzerte, Performances und elektronische
Live-Acts mit Klang-und Videoinstallationen zu
einer großformatigen 30-stündigen Komposition
in Raum und Zeit versammelt. Von Klassikern der
musikalischen Avantgarde bis hin zu Ambient
Music und Noise reichen die musikalischen Welten,
die sich in der zweiten Ausgabe von „The Long
Now“ wieder zu einer körperlichen und künstlerischen Grenzerfahrung formieren.
Mit Caterina Barbieri, Rashad Becker & Moritz
von Oswald, Biosphere, John Cage, Robert
Curgenven, Dalhous, Dan Vicente (Acronym),
Morton Feldman, Marino Formenti, Klara Lewis,
Murcof, Nina, Objekt, Mårten Spångberg, TM404
and Miles Whittaker
Siehe auch S. 36
Eintrittspreise
Haus der Berliner Festspiele
11.3. € 25 / 20 erm.
12.3. € 15 / 12 erm.
13.3. € 15 / 12 erm.
14.3. € 10 / 8 erm. (Einzel-Ticket),
€ 20/15 erm.
(Kombi-Ticket fur alle drei Konzerte)
17.3. € 15 / 12 erm.
Impressum
Kammermusiksaal der Philharmonie
15.3. € 40 / 30 / 20 / 10
Veranstalter Berliner Festspiele
Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen
des Bundes in Berlin GmbH
Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung
für Kultur und Medien
Sophiensæle
16. / 17.3. € 15 / 12 erm.
Intendant: Dr. Thomas Oberender
Kaufmannische Geschäftsführung: Charlotte Sieben
Künstlerischer Leiter MaerzMusik: Berno Odo Polzer
Organisationsleitung: Ilse Muller
Technische Leitung: Matthias Schäfer, Andreas Weidmann
Produktion: Ina Steffan, Magdalena Ritter, Nadin Deventer,
Hélène Philippot
Mitarbeit: Thalia Hertel, Albert Mena
Spielstätten- und Künstlerbetreuung: Karsten Neßler,
Katalin Drabant, Laila Kühle
Presse: Patricia Hofmann
Redaktion: Carsten Fastner, Dr. Barbara Barthelmes
Grafik: Ta-Trung, Berlin
Bundesallee 53, 10715 Berlin
13. / 14. / 15. / 16.3. € 5
Radialsystem V
18. / 19. 3. € 25 / 20 erm.
19. / 20.3. € 5 (Installation: freier Eintritt
mit Ticket für „The Long Now“)
Kraftwerk Mitte
19. / 20.3. € 30 / 25 erm.
(Single-Entry, gültig für einen Eintritt)
19. / 20.3. € 40 / 35 erm.
(Re-Entry, gültig für mehrere Eintritte)
15. / 16. / 17.3.
€ 48 / 38 erm. nur an der Abendkasse
Eintritt frei zu allen Projekten von
„Thinking Together“
Wahl-Abonnement
Wählen Sie aus dem Festivalprogramm
mehrere Konzerte:
9 Tickets mit 35 Prozent
6 Tickets mit 30 Prozent
3 Tickets mit 25 Prozent
Ermäßigung auf den Einzelpreis
Die Zahl der verfügbaren Wahl-Abonnements
ist begrenzt. Im Wahl-Abonnement maximal 3
Tickets pro Konzert.
„The Long Now“ ist vom Wahl-Abo ausgeschlossen. Abonnements können entweder schriftlich
mit dem Abo-Coupon (www.berlinerfestspiele.de/
abos) oder telefonisch bestellt werden
Ermäßigungen
Ermäßigte Karten je nach Verfügbarkeit an den
Abendkassen für Schüler, Studierende bis zum 27.
Lebensjahr, Auszubildende, Bundesfreiwilligendienstleistende, Wehr- und Zivildienstleistende und
ALG II-Empfänger (gültiger Ausweis erforderlich).
Ticketservice
Kassen
Haus der Berliner Festspiele
Schaperstraße 24, 10719 Berlin
Montag – Samstag 14:00–18:00 Uhr
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, 10719 Berlin
T + 49 30 245 89 0
www.berlinerfestspiele.de/[email protected]