Neue Zürcher Zeitung 23. Juni 2015 Der neue Kurs gefällt der Wirtschaft Der bürgerlich dominierte Winterthurer Stadtrat setzt Akzente Für seine neue Politik erhält der bürgerlich dominierte Stadtrat Winterthurs Beifall von den Wirtschaftsverbänden. Seine Gedankenspiele zum Theater wecken nun aber Widerstand. Reto Flury Es war ein Wendemanöver der speziellen Art: Vor eineinhalb Wochen gab der Stadtrat von Winterthur bekannt, dass er der Stimmbevölkerung für die Abstimmung über die umstrittene Parkplatzverordnung im Oktober empfiehlt, ein Nein einzulegen (NZZ 12. 6. 15). Damit geht er zu einem Geschäft auf Distanz, das er im Herbst 2013 selber vorgelegt und das im Gemeinderat trotz heftigen Diskussionen kaum Veränderungen erfahren hat. Verändert hat sich jedoch der Stadtrat selbst. Die Parkplatzverordnung, die von Bürgerlichen als zu wenig wirtschaftsfreundlich und zu rigide kritisiert wird, war noch unter der früheren SP-Bauvorsteherin Pearl Pedergnana und dem alten, rot-grün dominierten Stadtrat verabschiedet worden. Diesen Kräfteverhältnissen sagten die SVP, FDP und CVP bei den städtischen Wahlen 2014 den Kampf an. Mit gemeinsamen Zielen und mit Unterstützung der «Allianz starkes Winterthur», dem Verbund der lokalen Wirtschaftsverbände, wollten sie nach zwölf Jahren die Mehrheit zurückerobern. Der Plan ging auf. Bei den Stadtratswahlen holte der neue SVP-Kandidat Josef Lisibach den Sitz von Pedergnana, die als Überzählige ausschied. Seither stellen die drei bürgerlichen Parteien - in Winterthur politisiert die lokale CVP viel wirtschaftsfreundlicher als anderswo - vier von sieben Stadträten. Neben Lisibach besteht das Quartett noch aus CVP-Stadtpräsident Michael Künzle, Sicherheitsvorsteherin Barbara Günthard-Maier (fdp.) und Schulvorsteher Stefan Fritschi (fdp.). Umdenken angedeutet Dass diese Kräfteverschiebung nicht bloss auf dem Papier stattgefunden hat, zeigt sich seit einigen Monaten immer deutlicher. Schon als der Gemeinderat Mitte April über die Parkplatzverordnung diskutierte, zeichnete sich ein Umdenken des Stadtrats ab. Bauvorsteher Lisibach, in dessen Zuständigkeit auch die Verkehrspolitik fällt, unterstützte namens des Stadtrats mehrere Änderungsanträge von bürgerlicher Seite, um das Regelwerk flexibler und gewerbefreundlicher zu machen. Die meisten scheiterten an der Koalition von Mitte-Links, die der Verordnung zum Durchbruch verhalf. Dass sich der Stadtrat jetzt auf die Seite des bürgerlichen Referendumskomitees schlägt, kam trotzdem überraschend. Die Verordnung ist das klarste, doch bei weitem nicht das einzige Zeichen dafür, dass die Politik des Stadtrats eine neue Handschrift trägt. Ein weiteres Beispiel ist die Zukunft der städtischen Werke, die heute Teil der Verwaltung sind. Im März kündigte der Stadtrat im Rahmen des Sanierungsprogramms «Balance» eine Verselbständigung an, wenige Wochen später schob er nach, dass ihm eine Umwandlung in eine Aktiengesellschaft vorschwebe. Ähnlich zügig reagierte er beim neuen Sportzentrum. Im Frühling präsentierten private Investoren ihre Pläne, letzte Woche verabschiedete er einen Baurechtsvertrag, in dem er ihnen ein zwei Hektaren grosses Grundstück zur Verfügung stellt. Und ebenfalls vergangene Woche überraschte er mit dem Beschluss, die von rechts oft kritisierte Fachstelle für Gleichstellung und Chancengleichheit auflösen zu wollen. Die Wirtschaftsverbände, welche die Wahlkampagne damals massgeblich unterstützt haben, ziehen eine positive Zwischenbilanz. Die Anliegen der Wirtschaft würden unter dem neuen Stadtrat ernster genommen, sagt Thomas Anwander, Präsident der Handelskammer und Arbeitgebervereinigung. Er nehme zudem eine neue Aufbruchstimmung wahr, indem es wie beim Sportzentrum wieder mehr Privatinitiative gebe. Dies seien Anzeichen, dass man auf dem richtigen Weg sei von einer Stadt mit einem umfassenden Angebot hin zu mehr Bürgergesellschaft. Für Christian Modl, Geschäftsführer des KMU-Verbands, hat der Stadtrat gezeigt, dass eine bürgerliche Politik möglich sei. «Etwas harzig» verlaufe allerdings die Klärung der Frage, ob Winterthur eine Kongress- und Event-Halle brauche oder nicht. Angesprochen ist damit eine Idee aus dem gemeinsamen Wahlprogramm der drei Parteien und der Wirtschaft, wo vom Bau eines Kongresszentrums durch private Investoren die Rede ist. Derzeit steht vor allem eine Option im Raum, die auf einer von der Standortförderung bestellten Vorstudie der Credit Suisse basiert. Darin wird auf dem Gelände des Theaters Winterthur ein neuer, dreiteiliger Gebäudekomplex skizziert, in dem Hotellerie, Kongresshaus und Theater vereint wären, wie der Stadtrat auf einen parlamentarischen Vorstoss im letzten Dezember geantwortet hat. Dass er diese Überlegungen anstellt, begründete er mit der «teuren Sanierung» des rund 35-jährigen Theatergebäudes, die auf die Stadt zukommt, und fügte an, für den Bau des neuen Zentrums müsste ein privater Investor gefunden werden. Die Stadt sei dazu nicht in der Lage. Marginalisierung befürchtet Diese Gedankenspiele kommen bei Architekten und Kulturschaffenden nicht gut an. Zum einen warnen sie vor dem Abbruch eines Gebäudes, das im kantonalen Inventar schutzwürdiger Bauten verzeichnet ist, zum anderen befürchten sie eine Marginalisierung des Theaterbetriebs. Das Unbehagen äusserte sich vor wenigen Wochen in der Gründung des Vereins «Winterthur wohin?», der eine Debatte über die Bedeutung der Kultur und deren Infrastruktur anstossen will. Eine tiefschürfende Diskussion entwickelte sich an seinem ersten Abend letzte Woche im Casinotheater zwar nicht, der Grossaufmarsch mit rund 200 Zuhörern lieferte aber einen Vorgeschmack auf die Auseinandersetzung, die bevorstehen könnte. Der Stadtrat will noch vor den Sommerferien über das Vorgehen beim Theater informieren. Diesen Artikel finden Sie im NZZ E-Paper unter: http://epaper.nzz.ch Neue Zürcher Zeitung: http://www.nzz.ch Copyright (c) Neue Zürcher Zeitung AG
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