Stadtteilnetzwerk BOCKENHEIM MIT FLÜCHTLINGEN c/o

Stadtteilnetzwerk BOCKENHEIM MIT FLÜCHTLINGEN c/o Stadtteilbüro Leipziger Str. 91 60487 Frankfurt
Staatsminister
Chef der Staatskanzlei
Axel Wintermeyer
Hessische Staatskanzlei
Georg-August-Zinn-Str.1
65183 Wiesbaden
Frankfurt Bockenheim, 3. November 2015
Sehr geehrter Herr Wintermeyer,
wir wenden uns heute an Sie in Ihrer Funktion als Koordinator der Hessischen Landesregierung für
Flüchtlingsfragen, um unsere drängende und zunehmende Sorge über zwei Themen zu verdeutlichen:
1. die Praxis der Umverteilung von Flüchtlingen in Hessen, vor allem weg von Frankfurt, in zum Teil
abgelegene hessische Gemeinden,
2. das vom Bundesinnenminister bekundete Vorhaben, afghanische Flüchtlinge in ihr unsicheres
Herkunftsland abzuschieben.
Wir sind die Koordinationsgruppe eines ehrenamtlichen Netzwerks, das aus zahlreichen Gruppen (u.a.
Teachers on the road), Einzelpersonen und Aktiven mehrerer Gemeinden aus dem Stadtteil Bockenheim
besteht. Das Netzwerk hat sich vor ungefähr 6 Wochen in Frankfurt-Bockenheim gegründet, um
Flüchtlinge willkommen zu heißen und sie bei ihrer Integration zu begleiten und zu unterstützen. Dies tun
wir durch Sprachkurse, Begegnungsmöglichkeiten wie der „Teestube“ für Frauen und Kinder und ein
Vormittagsangebot für schulpflichtige Kinder aus dem Camp der Sportuniversität und anderes… Wir
wissen, dass unser Angebot erweiterbar ist und sehen uns in Kooperation mit Trägern und der Kommune
durchaus in der Lage, weiteres zu schultern.
Zu 1. Eine funktionierende dezentrale Verwaltung von Registrierung und rasche Zuweisung von
Flüchtlingen in den Orten ihrer Registrierung. Kein unnötiges, belastendes und sicher auch
kostenintensives Herumschieben von Flüchtlingen.
Viel zu oft in den vergangenen vier Wochen haben wir hautnah miterleben müssen, dass Flüchtlinge und
Flüchtlingsfamilien, die in der Sportuniversität in unserem Stadtteil untergebracht sind, äußerst kurzfristig
von der Maßnahme ihrer Umverteilung informiert und innerhalb weniger Stunden verlegt worden sind.
Das ruft Verzweiflung hervor! Schließlich sind die meisten Menschen, die dort unterkommen, hochgradig
traumatisiert und knüpfen -verständlicherweise- langsam und vorsichtig soziale Kontakte: Sie
unterstützen sich gegenseitig, dank des Trägers der Institution (Caritas), die ihre Tagesstruktur managt
und sie als Menschen wahrnimmt. Die Flüchtlinge nehmen teil an Angeboten außerhalb ihrer Unterkunft
und lernen so Einheimische kennen, die etwas mit ihnen unternehmen und sie einladen. Auch
untereinander trösten sich Flüchtlinge und versuchen, sich gegenseitig ihr schweres Schicksal zu
[email protected] http://zukunft-bockenheim.de/welcome_refugee.htm
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erleichtern. Wenn sie jetzt getrennt werden, dann bricht Verzweiflung aus; schlimmer, als man es sich
vorstellen kann. Der Schmerz über die eigene Entwurzelung ist zu groß, neu entstandene Bindungen sind
sehr wichtig, sich zu helfen und sich gemeinsam hier zurechtzufinden. Auch die berufliche Integration
leidet: In der Unterkunft lebende Studierende haben dank des "Academic Welcome"-Programms Kontakt
zur Frankfurter Universität bekommen. Sie sind auf dem Weg, blitzschnell die Sprache zu erlernen und
sich zu integrieren, um ihre Ausbildung weiterführen zu können. Und dann erfahren die CaritasMitarbeiter/innen, dass einige im Lauf des Tages woandershin gebracht werden; die Zielorte sind
unbekannt, die Unterbringungsorte dort sind unbekannt - schließlich und endlich landeten diese
Studenten in Landkreisen, wo sie keinerlei Verbindungen zu Universitäten knüpfen können.
Niemand, der hier in der Sportuniversität registriert wurde, konnte bislang einen Asylantrag stellen. Wir
fragen uns, warum das so schwierig und langwierig geblieben ist, obwohl die Bundeskanzlerin
angekündigt hat, dass die bürokratischen Hürden dank Herrn Weise niedrig gelegt würden. Wann kommt
diese Flexibilität in den Unterkünften an?
Dem Vernehmen nach mangelt es weder bei der Stadt Frankfurt noch beim Regierungspräsidium in
Darmstadt am politischen Willen, Flüchtlinge, die hier in der Erstaufnahme ankommen, auch der Stadt
Frankfurt zuzuweisen.
Warum werden sie dann erst weggebracht? Warum ist es nicht möglich, ihnen gleich hier die Chance zu
eröffnen, ihren Asylantrag zu stellen? Welchen Sinn haben unser aller Integrationsbemühungen, wenn die
Verwaltung unbeabsichtigt für Desintegration sorgt? Wir sind höchst beunruhigt über diesen achtlosen
Umgang mit der Situation und den Gefühlen der Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien! Schaffen Sie Abhilfe,
damit die Politik nicht von einer seelenlos wirkenden Verwaltung dominiert wird, sondern ihre Absichten
durchsetzt.
Zu 2. Afghanische Flüchtlingen fliehen bis heute vor Kriegshandlungen und Terror. Hier angekommene
Flüchtlinge sind in großer Angst.
Restlos konsterniert sind wir von der öffentlich bekundeten Absicht Herrn de Maizières, Flüchtlinge nach
Afghanistan zurückzuschicken: Auf der Homepage des Auswärtigen Amts lässt sich die dortige
Gefahrenlage nachlesen, seit einigen Wochen befindet sich der Kampf, u.a. um Kundus, in den Zeitungen
und Nachrichtensendungen. Organisationen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, wie etwa Pro Asyl, weisen
ebenfalls auf die gefährlich eskalierende Situation im Land hin. Auch der Menschenrechtsbeauftragte der
Bundesregierung hält Afghanistan keinesfalls für ein sicheres Herkunftsland.
Wir haben im Rahmen unserer ehrenamtlichen Arbeit mit den Flüchtlingen Kenntnis von afghanischen
Familien, die von ihrer Flucht schwer traumatisiert sind, so beispielsweise von einer jungen Frau mit vier
kleinen Kindern, deren fünftes Kind auf der Flucht gestorben ist. Sie braucht, ebenso wie die Geschwister,
unsere Unterstützung und Hilfe, muss die Sprache erlernen und ihre Kinder in Kita und Grundschule
unterbringen können. Laut UN-Kinderrechtskonvention ist ja der Schulbesuch allen Schulpflichtigen zu
ermöglichen. Sie möchte sich integrieren und nimmt teil an verschiedenen ehrenamtlich organisierten
Angeboten. Bislang konnte sie keinen Asylantrag stellen und "hängt" folglich "in der Luft". Das Gerücht
drohender Abschiebung entkräftet die sie betreuende Caritas im Rahmen ihrer Möglichkeit in der
Einrichtung, so wie wir nicht lockerlassen im Bemühen um das Wohlergehen der Kinder und ihrer Mutter.
Aber auch hier sind klare politische Signale seitens der Landesregierung erforderlich: Hessen, Frankfurt,
Bockenheim schaffen die Integration - ... wenn sich die Regierungsvertreter und der Magistrat einig sind
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und das Bockenheimer Netzwerk ehrenamtlich weiter am Aufbau von stabilen Beziehungen mitarbeiten
kann.
Mit freundlichem Gruß
Andrea Krawinkel
für das Stadtteilnetzwerk "Bockenheim mit Flüchtlingen"
[email protected] http://zukunft-bockenheim.de/welcome_refugee.htm