Lösung Fall 16:

Lösung Fall 16:
Materiellrechtlich:
Die materiell-rechtliche Seite des Falles ist weitgehend unproblematisch. Als
Räumungsansprüche kommen § 861 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2
BGB i.V.m. § 858 BGB sowie § 123 StGB, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB und für den
Eigentümer § 985 BGB in Betracht.
Prozessual:
Problematisch gestaltet sich jedoch die prozessuale Seite. Schwierigkeit bereitet hier,
dass die Hausbesetzer nicht namentlich bekannt sind, sowie in ihrem Bestand häufig
wechseln.
Der Hauseigentümer wird hier regelmäßig versuchen, eine einstweilige Verfügung
auf Räumung von Wohnraum gem. §§ 935, 940, 940a ZPO gegen die Hausbesetzer
zu erlangen.
Dabei stellen sich zwei Hauptprobleme:
•
im Rahmen der einstweiligen Verfügung müssen die Parteien ausreichend
bezeichnet werden (dazu unten 1.).
und:
•
§ 750 ZPO erfordert eine namentliche Nennung der Vollstreckungsschuldner
(dazu unten 3.)
Diese Hindernisse werden von Literatur und Rechtsprechung teilweise als
unüberwindbar angesehen. Der Eigentümer wird dann auf das öffentliche Recht
verwiesen. Problematisch hierbei ist jedoch, dass die Polizei insoweit einen
Ermessensspielraum hat, ob sie überhaupt tätig wird, und wenn ja, wie sie tätig
wird.
1. Parteibezeichnung
§ 920 i.V.m. §§ 936, 940, 940a ZPO enthalten keine Angaben dazu, wie der
Antragsgegner zu bezeichnen ist. Die Vorschrift des § 130 Nr. 1 ZPO gilt seinem
Wortlaut nach nur für vorbereitende Schriftsätze, ist jedoch auch auf bestimmende
Schriftsätze, also auch auf das Gesuch um Erlass einer einstweiligen Verfügung
anzuwenden.
Gem. § 130 Nr. 1 ZPO müssen die Hausbesetzter also namentlich benannt werden.
Selbst wenn dies dem Eigentümer gelingt, dann steht er vor dem Problem, dass sich
die Hausbesetzer-Zusammensetzung mittlerweile mit hoher Wahrscheinlichkeit
geändert hat.
Das Erfordernis der genauen Parteibezeichnung soll zum einen klarstellen, gegen
wen die beantragte Entscheidung ergehen soll und dem Antragsgegner rechtliches
Gehör ermöglichen.
•
Dazu ist grundsätzlich erforderlich, die Partei mit Namen, Anschrift und den
übrigen in § 130 Nr. 1 ZPO genannten Angaben zu bezeichnen.
Bei unbekanntem Antragsgegner kann es ausnahmsweise genügen, dass
durch anderweitige Angaben eine eindeutige Identitätsfeststellung möglich ist.
Problematisch ist jedoch, ob dem im vorliegenden Fall genüge getan werden
kann.
Dem Antragssteller ist eine genaue Bezeichnung des Hauses nach Straße,
Hausnummer und Ort möglich. Zudem kann er angeben, dass es sich dabei
um ein besetztes Haus handelt.
In der Literatur und Rechtsprechung wird darüber hinaus meist gefordert, dass
die genaue Anzahl oder gar die Angabe des Geschlechts der Hausbesetzer
erforderlich ist. Dies ist dem Hauseigentümer aufgrund des ständigen
Wechsels der Hausbesetzer gerade nicht möglich.
Jedoch kann der genauen Bezeichnung der Antragsgegner auch durch die
Bezeichnung „Unbekannte Hausbesetzer im Haus Friedenstraße 21 in
Würzburg“ entsprochen werden. Durch diese Bezeichnung wird ausreichend
klar, dass Antragsgegner alle Hausbesetzer im Haus in der Friedenstraße 21
sind, egal, ob sie erst neu dazu gekommen sind, oder sich schon länger dort
aufhalten. An der Identifizierbarkeit der Verfügungsadressaten gibt es daher
keine Zweifel.
•
Die genaue Bezeichnung der Parteien in § 130 Nr. 1 ZPO soll jedoch zudem
das rechtliche Gehör des Antragsgegner sicherstellen.
Bezüglich des rechtlichen Gehörs gibt es im Rahmen der einstweiligen
Verfügung jedoch gerade eine Besonderheit: Gem. § 937 Abs. 2 ZPO kann
die Verfügung in dringenden Fällen ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Dringlichkeit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Anordnung der
mündlichen Verhandlung den Zweck der einstweiligen Verfügung gefährden
würde, weil der Antragsteller nur durch einen möglichst rasch erwirkten Titel
zur Sicherung seines Anspruchs kommen kann (Thomas/Putzo, § 937 Rn. 2).
Im vorliegenden Fall kommt also gerade der Erlass einer einstweiligen
Verfügung ohne mündliche Verhandlung gem. § 937 Abs. 2 ZPO in Betracht.
Der Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs spricht damit auch nicht gegen die
Bezeichnung der Antragsgegner
Zwischenergebnis: Die Bezeichnung „Unbekannte Hausbesetzer im Haus
Friedenstraße 21 in Würzburg“ genügt den Erfordernissen an eine ausreichende
Parteibezeichnung i.S.d. § 130 Nr. 1 ZPO.
2. Zustellung vor der Vollstreckung
Grundsätzlich muss die Zustellung des Titels gem. § 750 Abs. 1 S. 1, 928, 936 ZPO
vor der Vollstreckung oder gleichzeitig mit ihr erfolgen.
§§ 929 Abs. 3 S. 1, 936 ZPO gestattet jedoch eine Vollziehung der einstweiligen
Verfügung vor der Zustellung an die Schuldner. Die Zustellung muss dann jedoch
gem. § 929 Abs. 3 S. 2, 936 ZPO nach der Vollstreckung erfolgen (dazu unten 4.)
3. Namentliche Bezeichnung der Vollstreckungsschuldner
Gem. §§ 750 Abs. 1 S. 1, 928, 936 ZPO ist die namentliche Bezeichnung der
Personen, für und gegen die die Zwangsvollstreckung stattfinden soll, in der
einstweiligen Verfügung erforderlich.
Eine
Räumungsvollstreckung aufgrund einer einstweiligen Verfügung gegen
„Unbekannte Hausbesetzer im Hause ….“ ist damit grundsätzlich nicht möglich.
•
Als Lösungsmöglichkeit kommt eine Rubrumsberichtigung gem. § 319 Abs. 1
ZPO in Betracht. Unabhängig von der Frage, ob dies gem. § 319 Abs. 1 ZPO
überhaupt möglich ist, stellt sich hier vor allem ein faktisches Problem. Der
Hauseigentümer müsste es wiederum schaffen, die Identitäten der
Hausbesetzer festzustellen und sodann eine Rubrumsberichtigung
beantragen. Bis er dann vollstrecken könnte, hat sich die Zusammensetzung
der Hausbesetzer mit hoher Wahrscheinlichkeit wider geändert, so dass eine
erneute Rubrumsberichtigung erforderlich wäre.
•
Da auch andere Auswege nicht ersichtlich sind, stellt sich die Frage, ob eine
genaue namentliche Bezeichnung überhaupt in jedem Fall erforderlich ist.
Auszugehen ist hier von dem Sinn und Zweck des Erfordernisses in § 750
Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Vorschrift soll zum einen die Identität von Titel- und
Vollstreckungsschuldner sicherstellen und damit verhindern, dass gegen
unbeteiligte Dritte vollstreckt wird. Zum anderen soll § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO
sicherstellen, dass nur gegen Personen vollstreckt wird, die vorher rechtlich
gehört wurden.
Fraglich ist hier, ob der Schutz unbeteiligter Dritter vor Vollstreckung nicht
ausnahmsweise ohne konkrete Namensangabe der Vollstreckungsschuldner
erreicht werden kann.
Die Bezeichnung „Unbekannte Hausbesetzer im Haus… „ stellt klar, dass
sämtliche Besetzer diese Hauses im Zeitpunkt der Vollstreckung
Vollstreckungsschuldner sind; keiner dieser Besetzer ist ein unbeteiligter
Dritter, unabhängig von seiner namentlichen Identität oder seinem zeitlichen
Hinzukommen zu den übrigen Besetzern.
Die Gefahr, dass ein Unbeteiligter der Vollstreckung unterworfen wird, ist
daher im Falle der Kennzeichnung der Vollstreckungsschuldner durch das von
ihnen besetzte Objekt genauso gering, wie wenn sie namentlich bezeichnet
wären. Titel- und Vollstreckungsschuldner sind damit gerade identisch.
Hinsichtlich des rechtlichen Gehörs vor der Vollstreckung gilt bei der
einstweiligen Verfügung die Besonderheit, dass dort eine Entscheidung gem.
§ 937 Abs. 2 ZPO gerade ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners
ergehen kann. Im Rahmen der einstweiligen Verfügung kann auf das
vorherige rechtliche Gehör daher gerade verzichtet werden. Gelegenheit zur
Äußerung haben Betroffenen in diesem Fall erst nach der Vollstreckung:
§§ 924, 936 ZPO.
Die von § 750 ZPO verfolgten Zwecke werden daher auch ohne namentliche
Bezeichnung der Titelschuldner erreicht. Eine namentliche Bezeichnung der
Vollstreckungsschuldner ist daher ausnahmsweise entbehrlich.
4. Zustellung nach der Vollstreckung, §§ 929 Abs. 3 S. 1, 936 ZPO
Die Zustellung kann gem. §§ 929 Abs. 3 S. 1, 936 ZPO nach der Vollstreckung
erfolgen (vgl. oben 2.). Dann ist die einstweilige Verfügung dem Antragsgegner
jedoch gem. §§ 929 Abs. 3 S. 2, 936 ZPO innerhalb einer Woche nach der
Vollziehung und innerhalb eines Monats nach Erlass der einstweiligen Verfügung
zuzustellen.
Sofern die Identität der Hausbesetzer bei der Räumung festgestellt werden kann,
kann die Zustellung durch Übergabe gem. § 177 ZPO erfolgen, wobei § 179 ZPO
entsprechend auf § 177 ZPO anzuwenden ist, also die Zustellung bei
Annahmeverweigerung fingiert wird.
Verweigern die Hausbesetzer die Angabe ihrer Personalien, so kann dies als
Zugangsvereitelung nicht zu Lasten des Antragsstellers gehen. Eine Zustellung muss
dann dennoch durch Übergabe der Verfügung, auch ohne exakte namentliche
Bezeichnung möglich sein.
Sofern die Hausbesetzer sich entfernen, bevor ihnen das Schriftstück ausgehändigt
werden kann, kommt eine öffentliche Zustellung gem. § 185 ZPO in Betracht.