11/2015 7 Brustkrebs «Jede Frau verdient die bestmögliche Behandlung» Die Brust prägt die äussere Erscheinung und ist ein Sinnbild für Weiblichkeit und Sexualität. Die Diagnose Brustkrebs bedeutet für Frauen daher nicht nur eine ernsthafte Erkrankung, sondern auch eine Bedrohung für ihre weibliche Identität. Doch das Brustzentrum des Tumorzentrums am Universitätsspital Basel geht neue Wege. Es setzt eine Kombination von Krebs- und ästhetischer Chirurgie ein, die den Frauen eine traumatische Entstellung erspart. – Ein Interview mit zwei der führenden Experten im Bereich der onkoplastischen Chirurgie. Dr. pharm. Chantal Schlatter, Apothekerin Was unterscheidet Ihre Vorgehensweise vom bisher üblichen Ablauf? Prof. Schaefer: Früher waren die einzelnen Behandlungsschritte meist hintereinander geschaltet. Zuerst wurde der Tumor entfernt, und dann, wenn die Patientin die Nachbehandlung überstanden hatte, ging sie zum plastischen Chirurgen, der die Brust wieder aufgebaut hat. Soviel ich weiss, kann das bis zu einem Jahr dauern. Das ist eine schwierige Zeit für Betroffene! PD Dr. Weber: Wenn bei einer Frau die Brust zuerst entfernt wird und der Wiederaufbau im Anschluss an die Chemotherapie und Bestrahlung folgt, kann das sogar länger als ein Jahr dauern. Viele Frauen sind mit dieser Situation nicht zufrieden. Deshalb haben erfolgreiche Brustkrebsoperationen heutzutage nicht nur die sichere Entfernung des Krebses, sondern auch ein sofortiges, ästhetisches Resultat zum Ziel, weil wir wissen, dass dies einen grossen Einfluss auf die Zufriedenheit und Lebensqualität der betroffenen Frauen hat. Wir erreichen das durch eine gemeinsame Operation mit dem onkologischen Chirurgen, das ist der Krebschirurg, der den Brustkrebs behandelt, und dem plastischen Chirurgen, der für die Ästhetik zuständig ist. Aus dieser Kombination entstanden ist das Fachgebiet der onkoplastischen Chirurgie. Dieses Verfahren lässt sich sowohl bei den brusterhaltenden Operationen als auch bei den Brustentfernungen anwenden. Wir arbeiten dabei gemeinsam in einem eigens dafür geschaffenen Zentrum, dem Brustzentrum innerhalb des Tumorzentrums. In dieser gemeinsamen Struktur werden Absprachen, wie gemeinsame Fallbesprechungen, später gemeinsame Operationstermine und vieles mehr in ihrer Effizienz gesteigert, was den Patientinnen direkt zugutekommt. Prof. Schaefer: Durch die Zusammenarbeit von onkologischem und plastischem Chirurgen können wir der Frau eine sogenannte Sofortrekonstruktion bieten, den direkten Wiederaufbau der Brust, sodass sie die körperliche Entstellung gar nicht erst erlebt. er nur das erkrankte Stück der Brust, und der plastische Chirurg formt aus dem restlichen Brustgewebe wieder eine neue, etwas kleinere, aber von der Form her ästhetisch ansprechende Brust. Selbst wenn die Brust komplett entfernt werden muss, können wir in der gleichen Operation die Brust wiederherstellen. Die Patientin erlebt also nie das Trauma einer Brustamputation. Wie muss ich mir das vorstellen? Stehen dann sowohl der Krebs- als auch der plastische Chirurg am Operationstisch der Frau? Prof. Schaefer: In der Tat. Beide Disziplinen sind anwesend und können in derselben Operation hintereinander, teilweise aber auch überlappend, die Brust sofort wiederherstellen. Kann der Tumorchirurg den Krebs brusterhaltend operieren, entfernt Auf welche Weise bauen Sie die Brust wieder auf? Durch Implantate? Prof. Schaefer: Seltener. Insbesondere für einen teilweisen, aber auch für einen kompletten Wiederaufbau verwenden wir überwiegend körpereigenes Gewebe, in der Regel vom Unterbauch, das mikrochirurgisch transplantiert wird. Damit füllen wir den entstandenen Leerraum im Hautmantel der entfernten Brustdrüse auf. Die Bauchdecke 8 1 1/2015 wird wie bei einer Bauchdeckenstraffung wieder verschlossen. Auf diese Weise entsteht praktisch fast die gleiche Brust wie vorher. Ich habe Fotos von operierten Brustkrebspatientinnen gesehen, und sie sehen wirklich gut aus! Prof. Schaefer: Das liegt daran, dass die Konzepte, die wir als plastische Chirurgen bei der onkoplastischen Therapie verwenden, aus dem Bereich der Brustverkleinerungs- und den Bruststraffungsoperationen stammen. Das sind dieselben Techniken, erfordern aber besonders viel Kreativität, weil wir immer wieder auf Situationen treffen, die man in einer gesunden Brust nicht vorfindet. Wenn der Tumor beispielsweise im oberen Teil der Brust sitzt, ist es sehr anspruchsvoll, das Gewebe aus dem unteren Teil, der erhalten bleibt, nach oben zu rotieren und wieder neu zu formen. PD Dr. Weber: Ja, das ist das, was die onkoplastische Chirurgie ausmacht. In der Regel ist es so: Wenn eine Patientin grosse und hängende Brüste hat und man auf beiden Seiten operiert, dann gelingt es häufig, dass die Patientin nach der Operation deutlich besser aussieht als vorher. Wenn die Brüste aber klein sind oder man nur ein- Prof. Dirk Johannes Schaefer, Chefarzt Plastische, rekonstruktive, ästhetische Chirurgie und Handchirurgie, Universitätsspital Basel seitig operiert, dann ist das Ziel der onkoplastischen Chirurgie, die Asymmetrie und die Deformationen so gering wie möglich zu halten. Das Ziel ist jedoch in jedem Fall, dass die Brustkrebspatientin sich mit ihrer Erscheinung wohlfühlt. Habe ich richtig verstanden, dass man je nachdem beide Brüste operiert? PD Dr. Weber: Ja, es kann sein, dass man aus ästhetischen Gründen auch die gesunde Brust operiert, um eine optimale Symmetrie zu erreichen, wenn die Patientin dies wünscht. Seit Dezember letzten Jahres müssen die Krankenkassen bei einer Brustkrebstherapie auch Operationen an der gesunden Brust übernehmen, wenn dies nötig ist. Das zeigt deutlich, dass nun anerkannt wird, dass die ästhetischen Resultate und damit die Tumorzentrum: Gemeinsam mehr Chancen. PD Dr. med. Walter Weber, Leitender Arzt Brustchirurgie, Leiter Brustzentrum, Universitätsspital Basel Patientenzufriedenheit und Lebensqualität als essenzielles Recht betrachtet werden. Welche Voraussetzungen müssen für eine solche onkoplastische Operation mit Sofortrekonstruktion gegeben sein? Prof. Schaefer: Die Patientin muss die gesundheitlichen Voraussetzungen mitbringen, um eine längere Operation durchzustehen, und der onkologische Chirurg muss sich sicher sein, dass er alles entfernt hat. Bei einer Operation dieser Grössenordnung entsteht natürlich auch ein grösserer Blutverlust, der von einem erfahrenen Chirurgen minimiert werden kann. Ausserdem ist es sehr wichtig, dass man gut zusammenarbeitet, möglichst viel parallel in zwei Teams, um die Operationszeit so kurz wie möglich zu halten. PD Dr. Weber: Die brusterhaltende onkoplastische Chirurgie dauert deutlich weniger lang als der Wiederaufbau einer entfernten Brust mit körpereigenem Gewebe. Was das Ergebnis betrifft, könnte man fast meinen, es kommt gar nicht mehr so sehr darauf an, ob die Frau brusterhaltend operiert werden kann oder ob die Brust sogar ganz entfernt werden muss. Der Begriff der Mastektomie hat ein wenig an Schrecken verloren. PD Dr. Weber: Ja, der Schrecken ist deutlich kleiner, seit die plastische Chirurgie so grosse Fortschritte gemacht hat und so gute Resultate beim Wiederaufbau liefert. Allerdings hat die brusterhaltende Operation eigene Vorteile, z. B. bleibt das Gefühl in der Brust erhalten, was auch die besten Rekonstruktionstechniken nicht liefern können. Insofern war es für uns wichtig, auch bei der brusterhaltenden Operation Fortschritte zu machen. Dank der onkoplastischen Chirurgie können wir jetzt auch in Situationen brusterhaltend operieren, in denen man die Brust bisher entfernt hat. Das scheint viele Vorteile zu haben. Weshalb hat man Brustkrebspatientinnen nicht schon viel früher auf diese Weise operiert? PD Dr. Weber: Die Technik gibt es eigentlich schon seit vielen Jahren, aber sie hat sich 11/2015 9 nicht durchgesetzt, weil der Aufwand bei dieser Vorgehensweise sehr viel grösser ist. Die Operationen müssen mit allen Experten zusammen geplant und durchgeführt werden, man muss für alle Beteiligten passende Termine finden. Nach der Operation müssen auch die Nachkontrollen gemeinsam wahrgenommen werden. Der Zeitaufwand ist enorm! Und das ist ein Grund, warum sich das Verfahren bisher nicht durchgesetzt hat, obwohl es offensichtlich die besten Resultate liefert. Es gibt seit Längerem einzelne Zentren in den USA und verschiedenen Ländern Europas, wie zum Beispiel England und Deutschland. Vor vier Jahren haben wir das nun auch bei uns in Basel im Brustzentrum mit grossem Erfolg eingeführt und operieren jetzt sicher einen Drittel der Frauen brusterhaltend onkoplastisch. Prof. Schaefer: Das, was früher nacheinander durchgeführt worden ist, fassen wir heute in einem interdisziplinären Zentrum zusammen. Von Anfang an steht die Frau mit allen Fachvertretern in Kontakt. Sie geht umfassend informiert und mit Aussicht auf ein gutes Ergebnis in die Operation, ohne dass sie dabei entstellt wird. Was ist die Kehrseite der Medaille? Gibt es auch Nachteile bei der onkoplastischen Sofortrekonstruktion? PD Dr. Weber: Die betroffene Frau hat eine grössere Operation vor sich. Falls die Brust entfernt und ein Direktaufbau mit Eigengewebe gemacht wird, dann zieht sich diese Operation über mehrere Stunden, und der Spitalaufenthalt dauert mehrere Tage. Nach dem Austritt überwiegen aber klar die Vorteile. Ein weiterer Nachteil aller brusterhaltenden Therapien ist allgemein, dass etwa jede fünfte Patientin mehr als einmal operiert werden muss, bis man genügend Tumor entfernt hat. So oder so können noch kleinste Tumorableger in der Brust zurückbleiben. Das ist auch der Grund, warum nach der brusterhaltenden Therapie in der Regel noch eine Bestrahlung benötigt wird. Ich würde Sie noch gerne zum Brustkrebs-Screening befragen. Was hat es damit für eine Bewandtnis? PD Dr. Weber: Das sogenannte Brustkrebs-Screening dient zur Früherkennung von Brustkrebs. In sämtlichen Kantonen der Schweiz, die ein systematisches Programm anbieten, werden alle Frauen zwischen 50 und 70 alle zwei Jahre zu einer Mammografie, einer Röntgenuntersuchung der Brüste, eingeladen. Das Screening hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass die brustkrebsbedingten Todesfälle damit um 20 Prozent reduziert werden können. Der Nachteil ist, dass die Untersuchung bei vie- len Patientinnen Fehlalarme auslöst; das heisst, dass etwas auffällig ist, was weiter abgeklärt werden muss und dann doch harmlos ist. Das kann Ängste auslösen. Ein weiteres Problem ist, das man auch gewisse Brustkrebse entdeckt, die wahrscheinlich zu Lebzeiten nie Probleme gemacht hätten. Aber beim Entdecken bleibt es ja nicht, man operiert diesen Brustkrebs dann ja auch, obwohl es vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre! PD Dr. Weber: Ja, der zweite Nachteil ist, dass das Screening zu einer gewissen Überbehandlung führen kann. Je höher allerdings das individuelle Risiko einer Frau ist, an Brustkrebs zu erkranken, desto besser wird das Verhältnis der Vorteile im Vergleich zu den Nachteilen. Es ist und bleibt aber eine individuelle Entscheidung. Wäre es denn nicht das Ziel, zu erforschen, welcher Brustkrebs effektiv behandelt werden muss und bei welchem man beobachtend abwarten kann? PD Dr. Weber: Das ist richtig! Weltweit laufen riesige Anstrengungen, um die Arten von Brustkrebs zu identifizieren, die sehr langsam oder gar nicht fortschreiten, die man also in Ruhe lassen kann. Aber das ist Zu- kunftsmusik. Im Moment wissen wir es nicht und müssen einen Brustkrebs in der Regel auch behandeln, wenn wir ihn entdecken. Was ist Ihr Rat an Frauen, die mit der Diagnose «Brustkrebs» konfrontiert werden? Prof. Schaefer: Betroffene Frauen sollten sich keine bestimmte Methode aufdrängen lassen, sondern sich an eine Stelle wenden, wo das gesamte Spektrum an Möglichkeiten angeboten wird, damit man die beste individuelle Lösung für sie finden kann. PD Dr. Weber: Eine Frau mit dieser Diagnose sollte wissen, dass es zertifizierte Zentren gibt, die sich ausschliesslich auf die Behandlung von Brustkrebs spezialisiert haben. Sie darf sich bei ihrem behandelnden Arzt ruhig nach onkoplastischer Chirurgie erkundigen, oder ob er jemanden weiss, der sich damit auskennt. Sie sollte sich fragen: Wo sind die Leute, die sich ausschliesslich mit Brustkrebs befassen, sich darauf spezialisiert haben? Denn dort sind die Chancen am grössten, dass sie die bestmögliche Behandlung erhält. Das Tumorzentrum Universitätsspital Basel bietet Krebspatientinnen und -patienten ein umfassendes Angebot für die Behandlung und Nachsorge ihrer Erkrankung – auf höchstem Niveau und nach neuestem Stand der Forschung. unispital-basel.ch/tumorzentrum
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