Funktionstests A3

«Hallo, hallo – Achtung, das ist ein Test, ein ganz langweiliger!» - Aarg...
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BÖZBERGTUNNEL
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Aktualisiert am 07.11.15, um 11:05 von Mario Fuchs
Techniker Marcel Güngerich zündet im leeren Bözbergtunnel mit dem Gasbrenner
eine Rauchpetarde, um die Brandmeldeanlage zu testen.
Quelle: Chris Iseli
Erstmals überhaupt wurden drei Autobahntunnels im Aargau komplett gesperrt. Spezialisten
prüften in der Nacht, ob alle Anlagen funktionieren. Die az erhielt Einblick in eine faszinierende
Welt aus Beton, Schaltschränken und Lüftungskanälen. von Mario Fuchs
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Diese Geschichte beginnt mit einer trockenen Meldung in einem amtlichen Mitteilungsblatt: «Wegen Funktionstest und
Wartungsarbeiten im Bereich Bözberg/Schinznacherfeld/Habsburg bleibt die Autobahn A3, Strecke Brugg/Frick, für zwei Nächte
gesperrt.»
Dürfen die das, einfach die Autobahn sperren? Was heisst «Funktionstest» in einem Tunnel? Warum ist das nötig?
Der Grund: Die Nationalstrassen Nordwestschweiz AG (NSNW), die für den Unterhalt der Autobahnen im Aargau zuständig ist, ist vom
Bundesamt für Strassen dazu verpflichtet, regelmässig die Tunnelsicherheit zu überprüfen. Funktioniert die Brandmeldeanlage? Läuft
die Ventilation richtig an? Melden sich die Kameras «mit Ereignisdetektion» wirklich, wenn etwas passiert?
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Funktionieren Brandmeldeanlage, Entlüftung und Signale korrekt? Spezialist
Marcel Gängerich zündet im leeren Bözbergtunnel zwei Rauchpetarden, um einen
Brand zu simulieren.
Quelle: az/Mario Fuchs
Urs Frei, Leiter Betriebs- und Sicherheitsausrüstung bei den NSNW, wartet in stockdunkler Donnerstagnacht um 23 Uhr beim
Autobahnanschluss Effingen. Auffahren darf man hier eigentlich nicht: Orange Kegel versperren den Weg, eine orangefarbene Tafel
weist den Weg der Umleitung.
Wir aber dürfen. Urs Frei drückt in seinem Skoda-Kombi mit Warnleuchte auf dem Dach auf einen Knopf, der stählerne Sesam, das
Tor zur Werkseinfahrt, öffnet sich.
Wenn Frei über die Strasse spricht, die jetzt dunkel und verlassen vor uns liegt, spricht er nicht von der A3, der Autobahn oder der
Nationalstrasse. Für ihn ist sie einfach «d’Bahn».
Auch für Frei ist es die erste Totalsperrung der «Bahn», die er erlebt. «Ich bin froh, dass wir mit dem Astra diese Lösung finden
konnten», sagt er. «Bislang machten wir die Tests jedes Jahr während des Betriebs, unsere Leute mussten im Verkehr eine Fahrbahn
sperren und zu Fuss Kegel stellen.»
Neu habe man sich darauf einigen können, die Tests nur noch alle zwei Jahre zu machen, dafür dürfe man komplett sperren. «Das ist
09.11.2015 07:24
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viel sicherer und einfacher für uns.»
Acht Stockwerke Technik
Wir fahren in den leeren Bözbergtunnel hinein. 40 Kilometer pro Stunde. «Schon ein spezielles Gefühl», bemerkt Frei. Begonnen hatte
er bei der NSNW als Elektrotechniker, war täglich in den Anlagen unterwegs.
Heute ist er Mitglied der Geschäftsleitung, arbeitet meistens im Büro in Sissach. Mitten im Tunnel steigen wir aus. Jeder Schritt hallt an
den gewölbten Betonwänden, kühle Zugluft kommt uns entgegen. Frei sagt, er verstehe, dass das bei anderen Leuten ein
beklemmendes Gefühl auslösen könne. «Aber ich fühle mich hier ziemlich zu Hause.»
Die Anlagen Bözberg, Schinznacherfeld und Habsburg sind ein zusammenhängendes System. Jeder Tunnel hat seine Schaltzentralen,
alle Kabel laufen aber in der Verkehrsleitzentrale Schafisheim zusammen.
Passiert in einer Röhre ein Unfall, reagieren auch die Schwesterröhren automatisch. Das braucht Hunderte von Signalen, Sensoren,
Schaltschränken. Ventilatoren und Entlüftungskanäle, Lampen und Fluchtwege.
Im Bözbergtunnel sind das imposante acht Stockwerke an technischen Anlagen, die 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr laufen.
Baujahr: 1996. Das System wurde damals von der ABB installiert – und läuft noch heute auf originalen IBM-Rechnern. «Einwandfrei»,
sagt Frei stolz, gibt aber zu: «Es braucht immer mehr Wartungsaufwand.»
Ein Update ist mit dem Projekt «Erhöhung Tunnelsicherheit» geplant, musste aber vom Astra wegen fehlender Finanzen um zwei
Jahre verschoben werden.
Techniker Marcel Güngerich hat bei Kilometer «ZH 49,1» sein orangefarbenes Werkfahrzeug abgestellt. ZH steht für die Fahrtrichtung
Zürich. Er sitzt hinter dem Steuerrad, die Autotüren geöffnet, ein Funkgerät in der Hand.
Auf Radio Argovia singt Pink. «Also, chasch en brenge», funkt Güngerich nach Schafisheim. Plötzlich wird der Song von einem
Piepston unterbrochen: «Durchsage der Polizei. Im Tunnel hat sich ein Brandfall ereignet. Die Durchfahrt ist gesperrt. Fahren Sie an
den Fahrbahnrand und halten Sie sofort an. Stellen Sie den Motor ab, lassen Sie den Zündungsschlüssel stecken und begeben Sie sich
zum nächsten Notausgang. Bleiben Sie im Sicherheitsstollen und warten Sie, bis Hilfe kommt.»
Dann singt wieder Pink. Güngerich funkt: «Dä esch au guet, merci!» Die Durchsage kam ab Konserve. Würde es im Tunnel brennen,
würde sie über die Radioantennen in allen Fahrzeugen eingespielt und ... plötzlich wird Pink wieder weggepiepst, «Hallo hallo», tönt es
aus dem Autoradio, «Achtung, das esch en Tescht, ganze en langwiilige.» Wir lachen.
Sogar die Sicht wird gemessen
Hundert Meter weiter stellt Güngerich zwei grosse Joghurtbecher auf die Strasse. Das Etikett auf dem Deckel zeigt aber: Der Inhalt ist
ungeniessbar. «Raucherzeuger AX 430 – Rauchzeit ca. 8 Min. – Rauchmenge 400 m³.»
Mit einem Gasbrenner erhitzt er die Paste, der Tunnel wird mit weissem Qualm gefüllt. Drei Offiziere der Feuerwehr Frick schauen
gespannt zu. Auf der Höhe von vier Metern sind an den Wänden Sichttrübungsgeräte angebracht.
Ein Sender schickt einen Lichtstrahl zu einem Empfänger – und schlägt sofort Alarm, wenn die Sicht durch Rauch getrübt ist. Wir
warten. Nichts passiert. Güngerich zündet eine weitere Petarde. Wir warten. Ein bedrohliches Brummen fährt in die Ohren. «Jetzt
chunnt sie!», freut sich Frei. Die Entlüftungsanlage fährt hoch. Das sehe man, so Frei, nicht nur an den blitzenden Notausgängen,
sondern später auch in der Stromrechnung.
Die Feuerwehrmänner zünden mit Taschenlampen auf die Lamellen in der Decke. In ihren Gesichtern: Bewunderung für die Technik,
die tut, wie sie muss. Und stille Dankbarkeit dafür, dass man sie noch nie ausreizen musste.
Sogar für einen Stromausfall gerüstet
Die Autobahn Basel–Zürich ist eine der wichtigsten Achsen im Land. Entsprechend viel
Verkehr herrscht in den Tunneln Bözberg, Schinznacherfeld und Habsburg: 21 000
Fahrzeuge pro Tag und Fahrtrichtung. Die Tunnelsicherheit ist ein Thema, das bei jedem
Unglück aufs Neue diskutiert wird. Zuletzt, als Anfang Woche eine 22-jährige Italienerin
im Bözbergtunnel ums Leben kam. Sie touchierte den Randstein, hielt an, setzte den
Pannenblinker. Ein nahender Honda-Fahrer bemerkte das stehende Auto zu spät und
fuhr auf. «Solch schwere Unfälle sind auf unserem Abschnitt zum Glück selten», sagt
Urs Frei, der bei der Betreibergesellschaft NSNW für die Sicherheit der Anlagen
zuständig ist. Wenn man im Tunnel anhalten müsse, dürfe man das Fahrzeug zwar
abstellen. «Wichtig ist aber, dass man es sofort verlässt und sich in einer Notrufkabine
in Sicherheit bringt.» Im Bözbergtunnel gibt es alle 300 Meter eine Querverbindung zur
Nachbarröhre als Flucht- und Rettungsweg. Ein Blick hinein zeigt: Sogar Toiletten und
Wolldecken stehen bereit. Wird irgendwo ein Feuerlöscher von der Wand gerissen,
zeigt die Zentrale automatisch das Bild der dortigen Videokamera, die Lüftung wird
hochgefahren, die Ampeln stellen auf Rot. In Sachen Sicherheit sei man mit den Röhren
zwischen Frick und Brugg «sehr gut dabei», sagt Frei. Zwar sei die Technik mit Baujahr
1996 von einer «alten Generation», funktioniere aber dank ständiger Wartung nach wie
vor einwandfrei. Bernhard Graser, Sprecher der Kantonspolizei, sagt, Polizisten seien
keine Experten in Sachen Tunnelsicherheit, sondern «reine Anwender, wenn man so
will». Als Nutzer könne er aber sagen: «Die Aargauer Tunnel sind sicher zeitgemäss
ausgerüstet und in gutem Zustand.» Gerade die Röhren am Bözberg könne man «bei
einem Unfall sinnvoll schalten, um eine Rettungsachse freizumachen.» Das habe sich
x-mal bewährt. Der Bözbergtunnel wäre gar für einen Stromausfall gerüstet: Im
«Batterieraum» stehen Dutzende starker Säurebatterien bereit, die die technischen
Anlagen für mindestens eine Stunde in Betrieb halten könnten. Ein Automat sorgt dafür,
dass die Batterien ständig auf- und entladen werden, damit sie einsatzbereit bleiben.
(rio)
(az Aargauer Zeitung)
09.11.2015 07:24