University of Zurich Zurich Open Repository and Archive Winterthurerstr. 190 CH-8057 Zurich http://www.zora.uzh.ch Year: 2009 Antikoagulation betagter Patienten - Der schmale Grat zwischen Nutzen und Risiko Steffel, J; Lüscher, T F Steffel, J; Lüscher, T F (2009). Antikoagulation betagter Patienten - Der schmale Grat zwischen Nutzen und Risiko. MMW-Fortschritte der Medizin, 151(16):33-36. Postprint available at: http://www.zora.uzh.ch Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich. http://www.zora.uzh.ch Originally published at: MMW-Fortschritte der Medizin 2009, 151(16):33-36. MMW Fortschritte der Medizin 2009 Antikoagulation betagter Patienten – Der Schmale Grat zwischen Nutzen und Risiko Jan Steffel und Thomas F. Lüscher Herzkreislaufzentrum, Klinik für Kardiologie, UniversitätsSpital Zürich und Kardiovaskuläre Forschung, Institut für Physiologie, Universität Zürich Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Thomas F. Lüscher Direktor, Klinik für Kardiologie, Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100; 8091 Zürich Tel: +41-44-255 2121; Fax: +41-44-255 4251 E-mail: [email protected] Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 KEY WORDS Orale Antikoagulation, Thromboembolie, Vorhofflimmern, Schlaganfall, Geriatrie ENGLISH TITLE Anticoagulation in the elderly – The thin line between benefit and risk ENGLISCHE KEYWORDS anticoagulation, elderly, coumadin, atrial fibrillation, stroke, thromboembolism 2 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 Einleitung Indikationen für die orale Antikoagulation Die orale Antikoagulation (OAK) nimmt einen wichtigen Stellenwert in der Therapie und Prophylaxe thromboembolischer Erkrankungen ein. In Anbetracht der zunehmend alternden Gesellschaft steigt die Prävalenz betagter Patienten unter oraler Antikoagulation. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation dieser Patienten ergeben sich zahlreiche Probleme, welche relevant für die Praxis sind. In diesem Artikel soll ein Überblick über die Antikoagulation geriatrischer Patienten für die drei häufigsten in der Praxis vorkommenden Indikationen Sekundärprophylaxe nach (Schlaganfallprophylaxe thromboembolischen beim Ereignis, Vorhofflimmern, Prophylaxe eines thromboembolischen Ereignisses nach Herzklappenimplantation) gegeben werden. Weitere, seltenere Indikationen für eine OAK (wie z.B. linksventrikulärer Thrombus bei Vorderwandaneurysma oder angeborene Thrombophilie) werden hierbei ausgeklammert, wobei festgehalten werden kann, dass die Datenlage bei eben diesen Indikationen in der geriatrischen Population ohnehin äusserst dürftig ist. Wirkmechanismus der Coumarine, Monitoring Vitamin-K Antagonisten wie Phenprocoumon (Marcoumar®), Acenocoumarol (Sintrom®) oder Warfarin (Coumadin®) hemmen die Synthese der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X sowie der antikoagulatorischen Proteine Protein C und S; die einzelnen Präparate unterscheiden sich dabei in erster Linie in ihrer Halbwertszeit. Als Folge dieser Hemmung wird die Gerinnbarkeit des Blutes reduziert, was in vitro mittels einer Verlängerung der Prothombinzeit (PT, „Quick“) gemessen werden kann. Da der Quick Wert ein und des selben Patienten von Labor zu Labor aufgrund der verwendeten Reagenzien teilweise erheblich variierte, wurde Anfang der 80er Jahre die INR (International Normalized Ratio) zur Monitorisierung antikoagulierter Patienten eingeführt, in der diese Variabilität durch Normalisierung der erhaltenen Quickwerte eliminiert wurde. Grundsätzliche Herausforderungen der oralen Antikoagulation bei betagten Patienten Die orale Antikoagulation mittels Vitamin K Antagonisten stellt aufgrund des engen therapeutischen Bereichs bereits im normalen internistischen Krankengut eine 3 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 Herausforderung dar. Bei der geriatrischen Patientenpopulation kommen zusätzliche Probleme sowohl in der Indikationsstellung (Risiko-Nutzen Analyse, s.u.), als auch in der praktischen Durchführung hinzu. Zum einen steigt die Prävalenz von Erkrankungen, welche mittels OAK behandelt werden, mit zunehmendem Alter an. Dies gilt sowohl für venöse Thromboembolien, als auch speziell für die Prävalenz des Vorhofflimmerns sowie des Risikos eines thromboembolisch bedingten Schlaganfalls, welcher besonders im Alter mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität assoziiert ist.1 Auf der anderen Seite gehört das fortgeschrittene Alter erwiesenermassen zu den Risikofaktoren für eine Blutungskomplikation unter OAK,2-5 unter anderem deshalb, weil ältere Patienten leichter überantikoaguliert werden und länger brauchen, um wieder in den Zielbereich zurückzukehren.3, 6 Bei betagten Patienten besteht somit grundsätzlich das therapeutische Dilemma, dass sowohl eine Antikoagulation als auch das Unterlassen einer Antikoagulation mit einem höheren Risiko für Komplikationen vergesellschaftet ist, als in der „Normalbevölkerung“. Darüber hinaus spielen Komorbiditäten älterer Patienten und die hiermit verbundenen Komedikationen eine wichtige Rolle, da Interaktionen mit den oralen Antikoagulantien häufig sind. Insbesondere nicht-steroidale Antirheumatika, welche aufgrund der hohen Prävalenz der Osteoarthritis und Osteoporose mit entsprechenden Schmerzen im Bewegungsapparat in dieser Bevölkerungsgruppe häufig eingesetzt werden, sind von Bedeutung, da sie sowohl mit der Proteinbindung und der cytochromalen Metabolisierung von Phenprocoumon interagieren, als auch selber die Thrombozytenaggregation hemmen und so die Blutungsneigung weiter verstärken können. Zahlreiche weitere Präparate, welche in dieser Altersklasse regelmässig zum Einsatz kommen (z.B. Antibiotika, trizyklische Antidepressiva, Kortikoide, Diuretika und andere) führen ebenfalls zu signifikanten Interaktionen. Oralen Antikoagulation zur Thromboembolieprophylaxe beim Vorhofflimmern Aktuelle Guidelines Durch den Stillstand der Vorhofwände und der dadurch resultierenden Blutstase im linken Vorhof bestehen beim Vorhofflimmern optimale Voraussetzungen für die Bildung atrialer fibrin-abhängigen Thromben, welche in der Folge zu systemischen arteriellen Thromboembolien (inklusive zerebrovaskulärem Insult) führen können. Die Hauptrisikofaktoren für einen Schlaganfall beim Vorhofflimmern sind Alter > 75 Jahre, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, sowie ein vorangegangener Schlaganfall 4 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 oder TIA. Mit Hilfe des CHADS2-Scores (Tab 1A), welche auf diesen Risikofaktoren fusst, kann sowohl das jährliche Risiko für einen Schlaganfall, als auch die hieran angepasste Therapieempfehlung hergeleitet werden (Tab. 1B).7 Grundsätzlich ist eine OAK bei einem CHADS2 Wert von ≥ 2 aufgrund des hier deutlich erhöhten Schlaganfallrisikos indiziert, während bei einem CHADS2 = 1 mit OAK oder Aspirin, und bei Fehler dieser Risikofaktoren („low risk“ Population) mit Aspirin alleine behandelt werden kann.7, 8 Die Indikation zur OAK ist dabei unabhängig vom Auftreten des Vorhofflimmerns (paroxysmal vs. permanent); lediglich bei sog. „sekundären“ Vorhofflimmern nach eindeutig auslösendem Ereignis (z.B. schwerer Infekt, postoperativ, im Rahmen einer Elektrolytentgleisung u.a.m.) wird ein abwartendes Vorgehen mit regelmässigen Rhythmuskontrollen empfohlen. Die Guidelines für die Antikoagulation beim Vorhofflattern entsprechen im Wesentlichen denen des Vorhofflimmerns (bei insgesamt jedoch eher schwächerer Datenlage).7 Orale Antikoagulation bei Vorhofflimmern bei betagten Patienten Geriatrische Patienten haben alleine aufgrund ihres Alters (Alter > 75 = 1 CHADSPunkt) bereits mindestens ein moderates Risiko für einen Schlaganfall, und qualifizieren häufig aufgrund anderer Komorbiditäten (CHADS2 ≥ 2) für eine OAK. Im Unterschied zur Sekundärprophylaxe bei venöser Thromboembolie (s.u.) liegen einige Studien zur Sicherheit und Effektivität der OAK bei diesen Patienten vor. Am wichtigsten erscheint hierbei die kürzlich publizierte BAFTA-Studie, in welcher bei knapp tausend geriatrischen Patienten (mittleres Alter 81.5 Jahre) mittels OAK (Ziel INR 2.0-3.0) eine relative Risikoreduktion aller Schlaganfälle (inklusive intrazerebraler Blutung) von 48% verglichen mit Aspirin erreicht werden konnte – ohne, dass das Risiko schwerer Blutungen anstieg.9 Die aktuellen (2008) Guidelines des American College of Chest Physicians machen, speziell aufgrund dieser Studie, bezüglich Indikationsstellung oder Intensität der Antikoagulation bei Vorhofflimmern keinen Unterschied zwischen der „Normalbevölkerung“ und der geriatrischen Population.10 Dies erscheint umso wichtiger, da diese Therapie weiterhin einem grossen Prozentsatz älterer Patienten mit Vorhofflimmern aus Angst vor Blutungskomplikationen vorenthalten wird, obwohl die Kriterien für eine OAK erfüllt wären, und der Benefit erwiesen ist.11 Oralen Antikoagulation zur Sekundärprävention der tiefen Beinvenenthrombose und Lungenembolie 5 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 Aktuelle Guidelines Die Behandlung sowie Sekundärprophylaxe venöser Thromboembolien, also einer tiefen Beinvenenthrombose oder einer Lungenembolie, erfolgt in der Regel mittels OAK. Zur Initialtherapie kommt zumeist unfraktioniertes oder nierdermolekulares Heparin zum Einsatz, wobei im Rahmen der Therapie der Lungenembolie ein aggressiveres Vorgehen von Nöten sein kann (inklusive Einsatz von Thrombolytika u.a.m.).12 Die Langzeitbehandlung der beiden Erkrankungen mittels OAK ist jedoch praktisch identisch, was darauf zurückzuführen ist, dass eine tiefe Beinvenenthrombose bzw. Lungenembolie als unterschiedliche Manifestationen ein und der selben Erkrankung angesehen werden.12 Entsprechend wird aktuell für eine provozierte venöse Thromboembolie, also einer tiefen Beinvenenthrombose oder Lungenembolie im Rahmen eines reversiblen, transienten Risikofaktors (z.B. Immobilisation nach orthopädischem Eingriff, Flugreise etc.), eine OAK für 3 Monate empfohlen. Hiernach sollte eine Nutzen-Risiko Abschätzung erfolgen (je nach dem inklusive Thrombophilieabklärung), wonach das weitere Prozedere bestimmt wird.13 Bei Anwesenheit eines malignen Tumorleidens wird eine Therapie mittels niedermolekularen Heparinen empfohlen, welche nach 3-6 Monate auf eine OAK umgestellt werden kann, und entweder zeitlebens oder bis zur Heilung des Tumorleidens durchgeführt wird. Die Ziel INR zur Sekundärprophylaxe thromboembolischer Ereignisse liegt, im wesentlichen unabhängig von der Indikation, bei 2.0 – 3.0, da hier das beste Verhältnis von Nutzen und Risiko (speziell Blutungsrisiko) besteht.12 Oralen Antikoagulation zur Sekundärprophylaxe der venösen Thromboembolie bei betagten Patienten Der Mangel an klinischen Studien, in welchen spezifisch Risiko und Nutzen einer OAK zur Sekundärprophalyxe von venösen Thromboembolien in betagten Patienten untersucht wurde, stellt ein grundsätzliches Problem in der evidenz-basierten Behandlung dieser Patienten dar. In den neuesten Guidelines des American College of Chest Physicians werden demzufolge auch praktisch keine spezifischen Empfehlungen für diese Patientenpopulation abgegeben, weder bezüglich Dauer noch hinsichtlich Intensität (Ziel INR) der Antikoagulation. Lediglich eine niedrigere Dosierung der OAK wird bei älteren Patienten empfohlen.3, 12 Eine individualisierte Risiko-Nutzen Abwägung erscheint somit umso wichtiger. Evidenz für eine grundsätzlich andere Indikationsstellung oder INRZielwerte gibt es (aus Mangel an entsprechenden Daten) nicht. 6 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 Orale Antikoagulation bei mechanischen Herzklappen Aktuelle Guidelines Nach Herzklappenersatz richtet sich die Dauer der Antikoagulation in erster Linie nach dem verwendeten Klappentyp. Nach Implantation einer biologischen Herzklappe oder nach Reparatur des Mitralklappenapparates kann die OAK in der Regel auf 3 Monate beschränkt werden, während eine lebenslange OAK nach mechanischem Herzklappenersatz indiziert ist. Die Zielwerte der OAK richten sich dabei nach dem verwendeten Klappentyp und eventuell vorhandenen Komorbiditäten (Tab. 2).14 Oralen Antikoagulation bei mechanischen Herzklappen in betagten Patienten Als Folge der gestiegenen Lebenserwartung sowie technischem Fortschritt auf dem Gebiet der Herzklappenchirurgie werden zunehmend ältere Patienten Herzklappenoperationen unterzogen. Der Unterschied zum Vorhofflimmern oder venöser thromboembolischer Erkrankungen liegt grundsätzlich darin, dass eine Herzklappenoperation in der Regel im Voraus geplant und den individuellen Bedürfnissen des Patienten angepasst werden kann. Ältere Patienten mit einer geringeren Lebenserwartung können somit eher mit einer biologischen Herzklappe versorgt werden, wenn deren Haltbarkeit (in der Regel 12-15 Jahre) die Lebenserwartung des Patienten übersteigt. Seit neuestem steht darüber hinaus für diese Patienten der perkutane Aortenklappenersatz zur Verfügung,15 wonach in der Regel nur eine doppelte Plättchenhemmung (Aspirin und Clopidogrel) nötig ist. Bei gesunden, biologisch jüngeren Patienten kann hingegen die Implantation einer mechanischen Klappe erwogen werden. In diesem Fall muss jedoch aufgrund der hohen Thrombogenität mechanischer Klappen (insbesondere nach Implantation einer mechanischen Mitralklappe) die Antikoagulation mit der üblichen Intensität durchgeführt werden (Tab. 2).14 Eine kürzlich publizierte Studie deutet darauf hin, dass dieses Prozedere jedoch grundsätzlich sicher zu sein scheint.16 Bei Patienten mit anhaltenden Mikroembolien oder gleichzeitig bestehendem Vorhofflimmern nach mechanischem Klappenersatz wurde die Kombination von oraler Antikoagulation und Aspirin randomisiert verglichen;17 dabei zeigte sich eine Reduktion weiterer klinischer Ereignisse in der Kombinationstherapiegruppe. Allerdings zeigte sich ebenfalls eine Erhöhung des Blutungsrisikos, was wahrscheinlich bei älteren Patienten besonders relevant sein dürfte. 7 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 Gründe der Untertherapie betagter Patienten Geriatrischen Patienten, speziell solchen mit Vorhofflimmern, werden häufig nicht adäquat antikoaguliert, obwohl die Indikation für eine orale Antikoagulation gegeben ist.11 Sowohl Subgruppenanalysen älterer, als auch insbesondere die Daten neuer Studien (s.o.) deuten hingegen darauf hin, dass die OAK bei geriatrischen Patienten nicht nur sicher ist, sondern auch einen realen Benefit mit sich bringt. Während das Risiko einer Blutung (und speziell einer intrakraniellen Blutung) zwar immer vorhanden ist, wird das insgesamt grössere Risiko eines erneuten Schlaganfalls häufig unterschätzt. Daneben sind eine Reihe anderer Ursachen massgeblich für der restriktiven Indikationsstellung für eine OAK bei älteren Patienten verantwortlich, inklusive der Angst vor einem erhöhten Sturzrisiko, sowie das häufigere Vorkommen von „verwirrten“ oder dementen Patienten in dieser Altersklasse. Hinweise mehren sich, dass ein erhöhtes „Sturzrisiko“ alleine keinen Grund darstellen sollte, einem Patienten eine grundsätzlich indizierte OAK zu verweigern, da bei guter Einstellung der Nutzen dem Risiko überwiegt.18 Auch intermittierende oder leichte „Verwirrung“ oder Demenz stellen per se keine absolute Kontraindikation dar, so lange eine regelmässige Medikamenteneinnahme, eine gleichmässige Ernährung, und regelmässiges Monitoring gewährleistet werden kann; insbesondere ist es nachvollziehbar, dass durch die Verhinderung rezidivierender zerebraler Mikroembolien eine vaskuläre Demenz durchaus positiv beeinflusst werden kann. Auch logistische Schwierigkeiten des Monitorings sollten, so lange nicht wirklich unbehebbar, keinen Hinderungsgrund für eine indizierte OAK darstellen. Im Gegenteil kann speziell die Unterrichtung und eine Einweisung des Patienten (und ggf. seiner Umgebung) über Sinn und Zweck der OAK, sowie in die hiermit verbundenen Risiken das Blutungsrisiko deutlich senken;18 in besonderen Fällen kann sogar ein Selbstmonitoring (inkl. selbstständiges Anpassen der Therapie) in Erwägung gezogen werden. Zusammenfassung Die orale Antikoagulation betagter Patienten stellt ein Dilemma dar, da mit steigendem Alter sowohl das Risiko einer Thromboembolie zunimmt (mit entsprechend assoziierter Morbidität und Mortalität), als auch das Blutungsrisiko unter OAK. Die Angst vor 8 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 Komplikationen führt dabei jedoch häufig dazu, dass betagte Patienten a priori von einer OAK ausgeschlossen werden, ohne dass eine entsprechende Risiko-Nutzen Analyse überhaupt stattfindet. Bei geriatrischen Patienten mit Vorhofflimmern liegen darüber hinaus zunehmend Studien vor, nach denen eine orale Antikoagulation dieser Patienten sowohl sicher, als auch effektiv ist; es bleibt abzuwarten, ob diese Ergebnisse auch auf andere Indikationen (wie z.B. der Sekundärprophylaxe nach thromboembolischem Ereignis) übertragen werden können. Zahlreiche praktische Aspekte der OAK bei älteren Patienten bedürfen spezieller Beachtung (welches sowohl ärztlich-therapeutische, als auch praktische Elemente einschliesst), bei deren Beachtung die Sicherheit der OAK in der geriatrischen Population weiter erhöht werden kann (Tab. 3). Im Endeffekt muss die Entscheidung zur OAK bei betagten Patienten (noch mehr als ohnehin schon) immer individualisiert und an die Bedürfnisse, Lebensumstände, und andere individuelle Faktoren angepasst werden. Ausblick: Neue Antikoagulantien Neue orale Antikoagulantien, inklusive den direkten Thrombinhemmern (z.B. Dabigatran) oder den direkten Faktor-Xa Antagonisten (z.B. Rivaroxaban, Apixaban) könnten in Zukunft die Vitamin-K Antagonisten in ihren bisherigen Standardindikationen verdrängen, da sie ein günstigeres Risiko-Nebenwirkungsprofil zu besitzen scheinen. Darüber hinaus bestehen offenbar weniger Interaktionen mit anderen in dieser Altersgruppe häufig verwendeten Medikamenten.19 Ob sich diese positiven Daten in weiteren grossen, randomisierten Studien bestätigen, und speziell auch auf betagte Patienten zutreffen bleibt abzuwarten. 9 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 LEGENDEN Tabelle 1: CHADS2 Score zur Schlaganfall Risikostratifizierung bei Vorhofflimmern, sowie die hieran angelehnten Therapieempfehlungen Siehe Text für Details. * Zahlenmässig unterrepräsentiert in den zugrundeliegenden Studien. Modifiziert nach 7, 8 Tabelle 2: INR Zielwerte nach mechanischem Herzklappenersatz Die INR-Zielwerte richten sich nach dem implantierten Herzklappentyp sowie dem Vorhandensein oder Fehlen von Risikofaktoren. 1 - Niedrig: Medtronic Hall, St Jude Medical (ohne Silzone), Carbomedics Aortenklappenersatz, Bioklappen (3 Monate) 2 - Mittel: Zwei-Flügelklappen (mit ungenügenden Daten), Bjork-Shiley Klappen 3 - Hoch: Lillehei Kaster, Omniscience, Starr Edwards Modifiziert nach 8, 14 Tabelle 3: Wichtige praktische Aspekte der oralen Antikoagulation bei geriatrischen Patienten Siehe Text für Details. 10 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 TABELLEN Tabelle 1: A) Risikofaktor (CHADS2) Punkte Herzinsuffizienz (CHF) 1 Alter > 75 years 1 Hypertonus 1 Diabetes mellitus 1 Z.n. Schlaganfall oder TIA 2 B) Jährliches CVI Risiko 20 % 18.2%* 15 % 12.8%* 10 % 8.5% 5.9% 5% CHADS2 Score Behandlung 4.0% 1.9% 2.8% 0 1 ASS ASS / OAK 2 3 4 5 6 OAK 11 / 16 3.0 (2.5 - 3.5) 3.5 (3.0 - 4.0) Mittel2 3 Hoch 2.5 (2.0 - 3.0) Niedrig1 4.0 (3.5 - 4.5) 3.5 (3.0 - 4.0) 3.0 (2.5 - 3.5) Vorhofflimmern Linker Vorhof > 50mm Gradient über Mitralklappe EF < 35% Spontaner Echokontrast Mitral-, Trikuspidal-, Pulmonalklappenersatz Mit Risikofaktoren 1 - Niedrig: Medtronic Hall, St Jude Medical (ohne Silzone), Carbomedics Aortenklappenersatz, Bioklappen (3 Monate) 2 - Mittel: Zwei-Flügelklappen (mit ungenügenden Daten), Bjork-Shiley Klappen 3 - Hoch: Lillehei Kaster, Omniscience, Starr Edwards "Prothesenthrombogenenität" (bestimmt durch Thromboserate der entsprechenden Klappen) Sinusrhythmus Linker Vorhof < 50mm Kein Gradient über Mitralklappe EF erhalten Kein spontaner Echokontrast Aortenklappenersatz Ohne Risikofaktoren Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 Tabelle 2: 12 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 Tabelle 3: Therapeutische Aspekte Regelmässiges Monitoring Anpassung nach Ansetzen / Absetzen von Medikamenten Periodische Re-Evaluation der Indikation / Kontraindikationen Anpassung an akute Erkrankungen (kardiale Dekompensation, Infekt etc.) Praktische Aspekte Sicherstellung der Compliance Sicherstellung regelmässiger Kontrollen Regelmässige, gleichmässige Ernährung (speziell Gemüse) Beurteilung der häuslichen Situation, speziell Beseitigung von Sturzrisiken Unterrichtung und Einweisung des Patienten (und seiner Umgebung) Sensibilisierung auf Blutungsstigmata (Meläna, roter Urin etc.) Evtl. Selbstmonitoring 13 / 16 Steffel & Lüscher: OAK im Alter MMW Fortschritte der Medizin 2009 REFERENZEN 1. Rothwell PM, Coull AJ, Giles MF, Howard SC, Silver LE, Bull LM, Gutnikov SA, Edwards P, Mant D, Sackley CM, Farmer A, Sandercock PA, Dennis MS, Warlow CP, Bamford JM, Anslow P. Change in stroke incidence, mortality, case-fatality, severity, and risk factors in Oxfordshire, UK from 1981 to 2004 (Oxford Vascular Study). Lancet. 2004;363:1925-1933. 2. Palareti G, Leali N, Coccheri S, Poggi M, Manotti C, D'Angelo A, Pengo V, Erba N, Moia M, Ciavarella N, Devoto G, Berrettini M, Musolesi S. Bleeding complications of oral anticoagulant treatment: an inception-cohort, prospective collaborative study (ISCOAT). Italian Study on Complications of Oral Anticoagulant Therapy. Lancet. 1996;348:423-428. 3. Garcia D, Regan S, Crowther M, Hughes RA, Hylek EM. Warfarin maintenance dosing patterns in clinical practice: implications for safer anticoagulation in the elderly population. 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