Brigitte Pothmer, MdB Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik Dezember 2015 Flüchtlinge qualifizieren statt zwischenparken – Grüner Vier-Punkte-Plan für praxisnahes Lernen, Orientierung und Qualifizierung Die Flüchtlinge stellen ein großes Potenzial für unser Land dar. Über die Hälfte ist unter 25 Jahre alt. Wenn es gelingt, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, kann uns das helfen, den Mangel an Fachkräften und den demografischen Wandel zu bewältigen. Doch die Bundesregierung droht diese Chance gerade zu verspielen. Sie weigert sich beispielsweise bei der Vorrangprüfung beharrlich, rechtliche und bürokratische Hürden für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen abzuschaffen. Anstatt allen Flüchtlingen den schnellen Zugang zu betriebsnahen orientierenden und qualifizierenden Maßnahmen zu ermöglichen, will Arbeitsministerin Nahles sie in 100.000 arbeitsmarktfernen Ein-Euro-Jobs zwischenparken. Das ist der völlig falsche Weg, um die Chancen von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Weil die Bundesregierung es auch in der Arbeitsmarktpolitik zu lange versäumt hat, klare und funktionierende Strukturen für Flüchtlinge aufzubauen, sind andere Akteure in die Bresche gesprungen. Bundesagentur für Arbeit (BA), Kommunen und Länder, Handwerkskammern, IHKen, Bildungsträger, Vereine und bestehende Netzwerke haben vielfältige und praxisnahe Unterstützungsangebote für Flüchtlinge auf den Weg gebracht. Unbeabsichtigter Nebeneffekt dieser Tatkraft: Inzwischen ist ein unübersichtlicher Dschungel an Projekten ohne politisches Gesamtkonzept entstanden. Doch statt ordnend und konzeptionell einzugreifen, beschränkt sich Arbeitsministerin Nahles auf untaugliche Ideen und unrealistische Prognosen. Mit großen Zahlen („100.000 Ein-Euro-Jobs“) versucht sie ihre Planlosigkeit zu überdecken. Wenn die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen gelingen soll, dann ist es höchste Zeit, das Chaos zu beenden und die Bedingungen für Flüchtlinge am Arbeitsmarkt zu verbessern. Folgende Schritte sind dafür nötig: 1. Rechtliche Hürden konsequent beseitigen 2. Integrationsteams für Hilfe aus einer Hand schaffen 3. Struktur in den Wildwuchs der Programme bringen 4. Flexible Einstiegsqualifizierung für alle Flüchtlinge schaffen 1. Rechtliche Hürden konsequent beseitigen Noch immer blockieren zu viele Hürden den Arbeitsmarktzugang von Flüchtlingen, dies beklagen auch Wirtschaftsverbände seit langem. Das muss sich endlich ändern. Die Vorrangprüfung muss komplett abgeschafft werden. Sie ist bürokratisch, zeitaufwendig und setzt die Jobchancen Asylsuchender aufs Spiel ohne die Integration von Benachteiligten auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Außerdem müssen endlich alle Beschränkungen für Flüchtlinge bei der Leiharbeit beseitigt werden. Auch die mangelhafte Regelung zum Bleiberecht während der Berufsausbildung muss nachgebessert werden. Derzeit müssen geduldete Azubis und ausbildende Betriebe jedes Jahr erneut eine Abschiebung fürchten. Asylsuchenden und geduldeten Ausländern über 21 Jahren versperrt die geltende Regelung den Weg in eine Berufsausbildung vollständig. Hier muss die große Koalition endlich Rechtssicherheit für die gesamte Zeit der Ausbildung und anschließende Beschäftigung schaffen. Sonst scheitert die Ausbildung von Flüchtlingen schon vor dem Start. 2. Integrationsteams organisieren Hilfe aus einer Hand Zahlreiche Behörden und Akteure sind am Integrationsprozess beteiligt. Während des laufenden Asylverfahrens sind die Arbeitsagenturen für die Flüchtlinge zuständig. Nach der Anerkennung des Asylantrags sind die Jobcenter für die weitere Integrationsarbeit verantwortlich. Der Wechsel führt zu Reibungsverlusten, Brüchen in der Integrationsarbeit und verursacht Doppel- und Mehrarbeit in den Behörden. Das kann verhindert werden, indem bundesweit Integrationsteams geschaffen werden, die sich von Anfang an und rechtskreisübergreifend um die Flüchtlinge kümmern. Die örtlichen Arbeitgeber-Services müssen in den Teams genauso vertreten sein, wie das BAMF, die Xenos Bleiberechtsnetzwerke und die IQ-Netzwerke. Die Integrationsteams erfassen die Qualifikationen, Kompetenzen und Potenziale der Asylsuchenden bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen. In dem Modellprojekt Early Intervention wurde die Zusammenarbeit erfolgreich erprobt. Die Bundesregierung muss jetzt dafür sorgen, dass diese Betreuung von Anfang an Standard wird. Vorbild könnten die Jugendberufsagenturen sein. 3. Struktur in den Wildwuchs der Programme bringen Zahlreiche Akteure haben die Lücke bei Unterstützungsangeboten für Flüchtlinge erkannt und sind in die Bresche gesprungen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA), die jeweiligen Regionaldirektionen und Jobcenter, zahlreiche Kommunen und Landesregierungen, verschiedene Bildungsträger, Vereine, Handwerkskammern, IHKs oder bestehende Netzwerke, wie Xenos oder IQ haben quasi über Nacht zig Projekte aus dem Boden gestampft. Auch heute vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neues Projekt ins Leben gerufen wird. Ohne dieses schnelle und beherzte Engagement gäbe es nur eine sehr karge Unterstützungslandschaft für Flüchtlinge. Doch die schiere Anzahl der Angebote verursacht mittlerweile auch Probleme. Es ist ein unübersichtlicher Dschungel an Maßnahmen entstanden. Teilweise können offene Plätze nicht mehr besetzt werden, weil die Projekte in Konkurrenz zueinander treten. Außerdem werden Teilnehmer häufig auf informellem Weg gewonnen. Der Zugang zu den Projekten hängt für die Flüchtlinge viel zu oft vom Zufall ab. Die Aufgabe lautet jetzt, Struktur in den Wildwuchs der Programme zu bringen. An die Stelle der vielen unkoordinierten Einzelprojekte muss ein System treten, dass flexible und passgenaue Unterstützung aus einer Hand bietet. Die Verantwortlichkeiten müssen dabei klar geregelt werden: Die Integrationsteams sind für die Integration der Flüchtlinge in Maßnahmen, Arbeit und Ausbildung zuständig. Für das passende Angebot an Sprachkursen liegt die Verantwortung bei der BA und dem BAMF. So werden Parallelstrukturen vermieden und jeder Asylbewerber hat die gleiche Chance auf Unterstützung. 4. Praxisnahe Einstiegsqualifizierung für alle Flüchtlinge schaffen Flüchtlinge müssen in die Betriebe. Nur dort lernen sie den deutschen Arbeitsalltag und die Gepflogenheiten kennen und können Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern knüpfen. Die von Ministerin Nahles favorisierten Ein-Euro-Jobs können das nicht ansatzweise leisten. Sie sind arbeitsmarktfern angelegt und vornehmlich für langzeitarbeitslose ALG-II-Bezieher mit besonders schweren Vermittlungshemmnissen gedacht. Für die meist hochmotivierten, jungen Flüchtlinge gibt es viel bessere Instrumente, wie z.B. die Einstiegsqualifizierung - bisher allerdings nur vor einer Berufsausbildung. Diese Maßnahmen müssen an die Bedürfnisse der Flüchtlinge angepasst und ausgeweitet werden. Jeder Flüchtling soll eine solche Einstiegsqualifizierung durchlaufen können. Sie ist zeitlich flexibel und kombiniert je nach Bedarf Sprachkurse, Orientierungsworkshops, praktische Erfahrungen im Betrieb, sozialpädagogische Betreuung und zusätzliche Beratungs- und Qualifizierungsangebote. Mit diesem Baukastensystem ohne starre Altersgrenzen bekommt jeder Flüchtling genau die Unterstützung, die er oder sie auf dem Weg in Arbeit und Ausbildung braucht. Der Zugang zur betrieblichen Praxis ist originärer Bestandteil dieser Maßnahme – ein Zwischenparken in arbeitsmarktfernen Maßnahmen wird so verhindert. Elemente des Baukastensystems sind: Sprachkurse: Alle Flüchtlinge erhalten ab dem ersten Tag Zugang zu Sprach- und Integrationskursen. Sie sind passgenau auf den Bildungsstand der Menschen ausgerichtet und so früh wie möglich mit anderen Angeboten kombinierbar. Das spart Zeit und erleichtert das Lernen, weil nicht nur im Klassenraum gepaukt sondern der Praxisbezug direkt hergestellt wird. Orientierung am deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt: Alle Flüchtlinge können in Praktika verschiedene Berufsbilder und den deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt kennenlernen. Sollten sich nicht genug Praktikumsplätze in Betrieben finden, können auch Werkstätten von Berufsschulen oder Innungen genutzt werden. Wenn Zeugnisse und Nachweise fehlen, können auch berufspraktische Kompetenzen in Betrieben oder Werkstätten festgestellt werden. Zugang zu allen Maßnahmen: Das Rad muss nicht komplett neu erfunden werden. Viele bereits existierende Maßnahmen sind auch für Flüchtlinge gut geeignet. Alle Flüchtlinge erhalten mit Beginn der Einstiegsqualifizierung Zugang zu allen geeigneten Maßnahmen, unabhängig davon, ob es sich um ausbildungsinteressierte Jugendliche oder Flüchtlinge handelt, die bereits Qualifikationen mitbringen und direkt ein Arbeitsverhältnis anstreben. Betriebliche und betriebsnahe Ausbildung: Eine Ausbildung kann- etwa für die parallele Teilnahme an Sprachkursen – als Teilzeitausbildung gestaltet werden. Die grüne Ausbildungsgarantie gilt auch für Flüchtlinge. Wer keinen regulären betrieblichen Ausbildungsplatz ergattern konnte, kann eine betriebsnahe, individuell ausgestaltete Ausbildung beginnen, die ebenfalls zum Berufsabschluss führt. Individuelle Begleitung und Nachbetreuung: Alle Angebote können mit sozialpädagogischer Betreuung und individueller Begleitung kombiniert werden. Auch nach Eintritt in eine Maßnahme oder Aufnahme einer Ausbildung oder Beschäftigung sollen die Flüchtlinge weiter begleitet und betreut werden.
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