Die christliche Reaktion auf die Flüchtlingskrise Wir nennen es „die Flüchtlingskrise“ - Millionen von Menschen machen sich auf den Weg zu uns nach Europa, und besonders gerne zu uns nach Deutschland. Sie sind Flüchtende, sie fliehen, sie laufen weg vor Krieg, Armut und Diskriminierung. Und auch wenn sehr viele Menschen in unserem Land weder jemals einen dieser Flüchtlinge getroffen haben, noch in ihrem Leben in irgendeiner Form durch die bereits angekommenen Menschen beeinträchtigt worden sind, sind Angst und Sorge groß. Szenarien, an die bisher nur Verschwörungstheoretiker geglaubt haben, wie die Islamisierung (oder zumindest die Orientalisierung) des Abendlandes, scheinen für viele Bürger auf einmal gar nicht mehr so abwegig. (Bsp. Ansprechpartner: „Und was machen sie, wenn wir hier alle geköpft werden?“) Mich erschreckt nicht die große Anzahl von neu angekommenen Muslimen, sondern vielmehr wie unglaublich schnell ein Land wie Deutschland (!) zart nach rechts rückt. Nach den Vorfällen der Silvesternacht sind rechte Vorurteile und Vorbehalte auf einmal wieder salonfähig geworden. Endlich darf man kulturrassistische Aussagen machen, ohne dafür dann „in die rechte Ecke gestellt zu werden“! Und auch wenn in Deutschland die meisten das Label nicht mögen – beschreibt der Begriff eine politische Einstellung, die immer mehr Anhänger findet. Wenn du keine Flüchtlinge in Deutschland willst (oder zumindest nicht dauerhaft), weil sie unsere Hilfe nicht verdient haben, oder weil wir nicht einfach alle gleich behandeln können, oder weil sie halt keine Deutschen sind, oder weil es hier dann eine gesellschaftliche Verschiebung geben wird, dann bist du politisch nunmal rechts. Ich versuche mit dieser Predigt darzulegen, wie eine Reaktion aussehen muss, die sich am Evangelium von Jesus orientiert, die im besten Sinne biblisch und christlich ist. Bei Facebook wird diese Sicht von Glaubensgeschwistern als 'linksliberal' oder 'mainstream' abgetan. Auf eine theologische oder biblische Gegenargumentation warte ich allerdings immer noch vergebens. Die Frage, die Christen sich stellen sollten, ist aber folgende: Ist meine Sichtweise vom Evangelium der Gnade Gottes bestimmt? Alle anderen Argumente und Überzeugungen sind für den Christen erstmal völlig außenvor. Ich freue mich, dass den meisten instinktiv klar zu sein scheint, dass eine „Rette sich wer kann“Mentalität, die wegschaut und wegschickt, die abschottet und abschiebt, nicht wirklich mit den Lehren eines Jesus von Nazareth zu vereinbaren ist. Es hat eine kurze Rückbesinnung auf christliche Werte gegeben. Aber nach Köln scheint es für viele ein frommer Wunschtraum gewesen zu sein, eine zerplatzte humanitäre Seifenblase. Vielleicht wird der berühmte Satz von Chesterton ein weiteres Mal erfüllt: „Das Christentum wurde nicht versucht, und als mangelhaft verworfen. Es wurde für zu schwierig befunden und deswegen gar nicht erst versucht.“ Besorgt bin ich über die Glaubensgeschwister, die nationale Anliegen und bürgerliche Ängste vergeistlichen oder mit frommen Themen vermischen. Es wird als 'die wahre Sicht' auf die Dinge präsentiert - eine Art prophetischer und spiritueller Selbstanspruch – gleichzeitig das klassische fundamentalistische Paradigma: „Wir sehen es wie es wirklich ist, wir sagen es wie es wirklich ist – alle anderen sind verblendet, dumm, naiv oder gemainstreamt, sie werden schon noch sehen, dass wir Recht hatten!“ Als Daumenregel kann man sagen: Wenn jemand behauptet oder vorgibt, 'die Wahrheit' im Bezug auf eine Situation zu kennen ('die Wahrheit über Muslime', 'die Wahrheit über Flüchtlinge', etc.), oder eine Sichtweise so verbreitet wird, sollten die Alarmlampen angehen. In Zeiten wie diesen, in denen so stark polarisiert wird und viele sich in die eine oder andere politische Ecke gedrängt fühlen, ist es wichtig, sich an die Punkte zu erinnern, die das Adjektiv ‘christlich’ wirklich ausmachen: 1. Identität. Die Identität eines Christen ist zuallererst in Christus und seiner Kirche verwurzelt. Der Christ ist eine „neue Schöpfung“, zusammen sind wir „ein von Gott für Gott abgesondertes Volk“, eine „Nation von Priestern“. Wenn wir uns jetzt mit der Flüchtlingskrise konfrontiert sehen, müssen wir darauf achten, als treue Christen, nicht als besorgte Deutsche, Amerikaner, Ungarn, usw. zu denken, zu sprechen und zu handeln. Dein „Ich“ muss das christliche „Ich“ sein (ein Nachfolger Christi), unser „Wir“ das christliche „Wir“ (ein Teil der Kirche Gottes) sein. Du bist ein „Bürger des Himmels“. Dein Hauptanliegen muss es sein, Christus und sein Königreich – deine wahre Heimat – treu zu repräsentieren. Kulturen, Nationen, Rassen, Grenzen und politische Systeme sind alle Teil dieser Welt. Sie verändern sich, sind vergänglich. Das Reich Gottes ist es nicht. Du kannst dir natürlich Sorgen um dein Land machen – aber das ist in sich erst einmal kein christliches Anliegen. Schon alleine weil es den Nationalstaat damals noch gar nicht gab, war es für Jesus und die erste Kirche kein Thema. Darüber hinaus wurden die trennenden kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren durch das Evangelium überwunden. Christen brachten Männer und Frauen, Sklaven und Herren, Zivilisierte und Barbaren, Juden und Griechen, zusammen. Deswegen: Eine Reaktion, die mit Sorge oder Angst um Nationalität, Kultur oder Rasse beginnt oder darauf hinausläuft, ist keine christliche Reaktion. 2. Empathie. Empathie (auch bekannt als ‘Mitleid’) sagt: „Das könnte ich sein!“. Man versetzt sich ganz bescheiden in die Lage einer anderen Person. Man leidet mit, versucht, ihren Schmerz nachzuempfinden. Hast du das getan? Manche beschweren sich über Bilder von leidenden oder toten Flüchtlingskindern, sie würden zu sehr emotionalisieren (sprich: Mitgefühl erwecken). Eine 'nüchterne' Debatte wird gefordert. Wenn Nüchternheit bedeutet, dass auch der tote, ans Ufer gespülte Alan am Ende nur noch eine Zahl in den Flüchtlingsstatistiken ist, dann zum Teufel mit dieser Nüchternheit. Mitleid kostet uns etwas, es ist mit einem Risiko verbunden (siehe das Gleichnis vom barmherzigen Samariter: er riskierte sein Leben, bezahlte die Unterkunft, um zu retten). Ein Christ ist bereit, den Preis für Mitleid zu bezahlen und das Risiko einzugehen. Nicht berechnend, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern weil Mitleid eine göttliche Tugend ist. Der einzige Grund, warum du nicht in Aleppo oder Damaskus geboren bist ist die göttliche Vorsehung. Der einzige Grund warum Christus kam, um uns zu retten, ist Gottes Mitleid. Sein unverdientes Mitleid triumphierte über unser verdientes Urteil. Daher: Eine Reaktion, die nicht empathisch, sondern rau, kalt, herablassend, berechnend und eigennützig ist, ist nicht christlich. Es ertrinken weiterhin Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. 3. Die Würde jedes Menschen ist heilig. Christen glauben, dass alle Menschen gleichermaßen das Ebenbild Gottes tragen, weil er sie dazu geschaffen hat, ihn auf einzigartige Weise widerzuspiegeln. Wir haben angeborene Würde und Wert. Nicht nur, weil er uns geschaffen hat, sondern auch, weil er einer von uns wurde, um für uns alle zu sterben und aufzuerstehen. Seine Schöpfer-Retter-Liebe für jedes menschliche Wesen wird nicht dadurch geschmälert, dass wir Leben führen, die unserem Wert entgegenstehen. Wir sind gleichermaßen gefallen aber auch gleichermaßen geliebt. In diesem Sinne sind vor Gott alle Menschen gleich. Dieses Verständnis macht die humanitäre Katastrophe der Flüchtlingskrise, aber auch die Belästigung oder Vergewaltigung von Frauen am Kölner Hauptbahnhof oder sonstwo so inakzeptabel. Eine Reaktion, die nicht die Würde jedes Menschen achtet, sondern Menschen oder -gruppen ignoriert, entmenschlicht oder verteufelt, ist nicht christlich. 4. Evangeliums-Empathie. Empathie sagt: “Das könnte ich sein!” – Evangeliums-Empathie sagt:“Das bin ich!”. An das Evangelium zu glauben bedeutet, sich mit den Heimatlosen, den Armen, den Flüchtenden zu identifizieren, denn genau das sind wir geistlich und moralisch gesehen ohne Christus. Jeder Flüchtling, den du im Fernsehen oder im Internet siehst, ist eine Illustration für deinen ernsthaften geistlichen Zustand, aus dem du unverdienterweise gerettet wurdest. Dir wurde ein neues Leben geschenkt. Die Gnade Gottes zerstört jedes elitäre Denken. Die Kirche ist dazu berufen, die herrliche Gnade Gottes zu verkünden und zu verkörpern. Wir müssen uns also die Frage stellen: welche Reaktion auf die Flüchtlingskrise ist die beste Illustration für das Evangelium? Eine Reaktion, die keine Evangeliums-Empathie zeigt, ist nicht christlich. 5. Anbetung. In Christus identifizierte sich Gott so sehr mit der gefallenen Menschheit, dass er zu uns kam, um uns zu retten. Er identifiziert sich so stark mit den Hungrigen, Armen, Frierenden, Eingesperrten und Fremden (ja, das schließt Flüchtende mit ein), dass er sagt: Was auch immer ihr für einen von ihnen tut, tut ihr für mich. Was auch immer ihr für einen von ihnen nicht tut, tut ihr nicht für mich. Deswegen besteht die anbetende Reaktion auf die Krise darin, dass man Christus in den Menschen sieht. Wenn die Bedürftigen zu uns (der Kirche – siehe Punkt 1) kommen, ist das eine Chance für Anbetung. Wir würden all das gerne den Bedürftigen und Armen vorbehalten, die es unserer Meinung nach verdient haben, aber dann hätte es nichts mehr mit Gnade (unverdienter Gunst) zu tun. Eine Reaktion, die nicht Christus in den Flüchtenden sieht, ist nicht christlich. 6. Feindesliebe. Christen sehen nicht andere Menschen als ihre Feinde. Sie wissen, dass der eigentliche Kampf sich gegen böse Mächte richtet und mit den Waffen der Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe, Hoffnung und Glaube gekämpft wird. Außerdem unterscheiden sie strikt zwischen den erklärten Feinden eines politischen Systems, einer Nation oder Kultur und dem einen wahren Feind Gottes und der Schöpfung. Denjenigen, die sich gegen sie stellen, begegnen sie mit Liebe, Gebet, Dienst und Segen. So handeln sie als wahre Kinder ihres himmlischen Vaters und zeigen Vertrauen darauf, dass Gerechtigkeit von Gott kommen wird. Sie bauen ihr ganzes Leben auf die Überzeugung, dass Gott seine Feinde so sehr liebte, dass er kam und starb um die Welt mit sich zu versöhnen. Eine Reaktion, die keine Feindesliebe zeigt, ist deswegen nicht christlich. Selbst wenn du also bestimmte Flüchtlinge als kulturelle Feinde wahrnimmst – behandle sie so, wie Christen ihre Feinde behandeln sollen. 7. Die Bereitschaft, für Gutestun zu leiden. „Es ist keine Schande, als Christ (also weil ich christlich lebe und handle) zu leiden, sondern eine Ehre.“ Dass eine bestimmte Handlungsweise Leid mit sich bringt, führt aus christlicher Sicht nicht zu der Schlussfolgerung, dass diese Option falsch, unweise oder naiv sein muss. Das Evangelium lehrt uns, dass Gott sowohl seine Macht als auch seine Weisheit dadurch zeigte, dass er freiwillig diente, demütig und opferbereit war – zum Nutzen für Andere. Wenn wir also fertig über die Frage nachgedacht haben, inwiefern das stückweise Aufgeben unseres außergewöhnlich hohen Lebensstandards (dazu gehört neben Wohlstand auch öffentlicher Frieden und Ordnung) dem Titel „Leid“ gerecht wird, müssen wir als Christen anerkennen, dass es der Weg Jesu und der Weg des Segens ist, wenn wir für Gutestun leiden. Eine Reaktion, die das Ertragen von Leid als Konsequenz richtigen Handelns nicht als Tugend versteht ist nicht christlich. 8. Glaube statt Angst. Wenn wir vor etwas Angst haben, dann halten wir es für eine Art der Bedrohung. Angst ist erst einmal einfach ein grundlegender, menschlicher Instinkt. Wir wollen uns schützen – vor Allem unsere körperliche Unversertheit. „Der Körper bedeutet uns alles. Deswegen fürchten wir diejenigen, die dem Körper schaden und ihn töten können – und damit exakt diejenigen, von denen Jesus uns gesagt hat, dass wir sie nicht fürchten sollen!“ (Volf) Aus christlicher Perspektive ist die einzige potentielle Bedrohung jedoch Gott selbst. Weil wir uns aber durch den Glauben an Jesus in die Hände eines souveränen, allweisen und liebenden Gottes begeben haben, müssen wir auch vor ihm keine Angst haben. „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten ´können` – die Seele können sie nicht töten. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele dem Verderben in der Hölle preisgeben kann. Denkt doch einmal an die Spatzen! Zwei von ihnen kosten nicht mehr als einen Groschen, und doch fällt kein einziger Spatz auf die Erde, ohne dass euer Vater es zulässt. Und bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Seid darum ohne Furcht! Ihr seid mehr wert als eine noch so große Menge Spatzen.“ (Jesus in Matthäus 10,28-31) Der Flüchtlingsstrom ist weder eine Bedrohung für den einzelnen Christen, noch für die Kirche. Selbst wenn Horden von Menschen mit der Absicht kommen würden, das Christentum zu schwächen, zu unterwandern oder zu vernichten - Jesus hat gesagt: „Auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und selbst die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden.“ Wovor hast du also Angst? Jesus hat die Welt, die uns so Angst macht, überwunden. Christen glauben, dass Gott ihnen keinen Geist der Angst gegeben hat, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Über hundert Mal in der Bibel spricht Gott: „Fürchte dich nicht!“ – und fordert statt dessen Vertrauen. Eine Reaktion, die auf Angst statt auf Vertrauen auf die Souveränität und Liebe Gottes beruht ist verständlich – aber nicht christlich. Und ich könnte noch mehr Punkte nennen: dass wir Friedensstifter und nicht Anheizer sein sollen, oder dass wir zu Taten berufen sind. Vieleicht ein anderes Mal. Ich hoffe, dass uns auffällt, dass ein Großteil dieser Punkte rein rational betrachtet zum Kopfschütteln verleitet. Das klingt unpraktikabel, gefährlich, naiv. Aber genau das sollte uns darin bestätigen, sie als echte christliche Reaktion zu begreifen. Diese Reaktion erfordert Glauben an Gott und an das Evangelium! Sie ist kein Kompromiss, keine Anpassung an das, was viele 'Realität' nennen. Sie ist ein Glaubensstatement.
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