Birte Weiß, basis & woge e.V. Hamburg Doris Liebscher, Humboldt Universität Berlin Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) Was bedeutet die Etablierung einer Antidiskriminierungskultur in bezug auf den Zugang von Menschen mit Migrationshintergrund zu Qualifizierung und Arbeit? 1. Antidiskriminierungskultur bedeutet, dass Diskriminierung erkannt und benannt wird und alle Beteiligten dazu beitragen, dass sie besprechbar gemacht wird. In bezug auf Diskriminierung beim Zugang von Migrant_innen zu Qualifizierung und Arbeit bedeutet dies, dass ein Problembewusstsein vorhanden sein sollte, dass Diskriminierung in jeder Gesellschaft und damit in jedem Unternehmen, in jeder Behörde und in jedem Team vorkommen kann. Es ist bekannt und mittlerweile auch mit ersten empirischen Untersuchungen nachgewiesen, dass sich Diskriminierung auf den Zugang zu Bildung und Qualifizierung ebenso auswirkt wie in Stellenbewerbungsverfahren. (Vgl. ). Die Ursache ist in Vorurteilen und einem Defizitblick auf Migrant_innen genauso zu suchen wie in strukturellen Rahmenbedingungen oder beispielsweise überhöhten Anforderungen an Deutschkenntnisse. Diskriminierung besprechbar zu machen, bedeutet, subjektive Diskriminierungserfahrungen nicht als Schuldvorwurf oder potentiell imageschädlich abzuwehren („Diskriminierung gibt es bei uns nicht!“), sondern ernst zu nehmen und als Chance für Veränderung zu begreifen. So führt beispielsweise die Einführung von anonymisierten Bewerbungsverfahren nicht nur zu erhöhten Chancen für die Bewerber_innen deren Herkunft, Alter, Geschlecht etc. nicht auf den ersten Blick aus den Bewerbungsunterlagen hervor gehen, sondern auch zu Chancen für Arbeitgeber_innen für die Personalauswahl. Grundsätzlich gilt: wenn Ursachen von Diskriminierung beim Zugang zu Qualifizierung und Arbeit erforscht und reflektiert werden, können auch Handlungsstrategien für ihren Abbau entwickelt und umgesetzt werden! 1 2. Antidiskriminierungskultur bedeutet, dass das Recht auf Nichtdiskriminierung respektiert wird und durchsetzbar ist. In bezug auf Diskriminierung beim Zugang von Migrant_innen zu Qualifizierung und Arbeit bedeutet dies: In Behörden, in Betrieben, in den Personalabteilungen, in Betriebsräten und Gerichten brauchen wir ein Klima, in dem das Recht auf Nichtdiskriminierung als Menschenrecht betrachtet und damit als Selbstverständlichkeit respektiert wird: - Ermessenspielräume, sind so zu nutzen, dass Menschen mit Migrationshintergrund, die aus verschiedenen Gründen unterrepräsentiert sind in Qualifizierung und Weiterbildung einen verbesserten Zugang erhalten, • in Betrieben ist dafür Sorge zu tragen, dass alle Mitarbeiter_innen für ein diskriminierungsfreies Handeln geschult werden, es sind zuverlässige und durchsetzungsfähige Beschwerdewege zu etablieren, die von Betroffenen von Diskriminierung ohne Angst vor negativen Konsequenzen wahrgenommen werden können. Ein Konfliktmanagement muss die Dimension rassistischer Diskriminierung im Betrieb als mögliche Ursache von Konflikten angemessen berücksichtigen. Etablierung von Mechanismen zur Konfliktbelegungen bzw. Wiedergutmachung, sind nichts wofür sich ein Betrieb, eine Organisation schämen muss. Im Gegenteil: sie sind Aushängeschild für eine professionelle Antidiskriminierungskultur im Organisationsalltag und sollten als solche auch öffentlich gemacht werden. - Stellenanzeigen und Bewerbungsverfahren sind auf Benachteiligungen hin zu überprüfen - Positive Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Benachteiligung sind im Bewerbungsverfahren wie im Betriebsalltag zu implementieren und auszuwerten. - Das Recht auf Religionsausübung ist zu gewährleisten. Hierzu gehört der Abbau von Ausschlüssen aufgrund religiöser Kleidung wie dem islamischen Kopftuch genauso wie eine weitreichende Überpfrüfung, ob betriebliche Abläufe an die Bedürfnisse der Mitarbeiter_innen angepasst werden können (z.B. Urlaubs- und Feiertagsregelungen). 2 - In Rechtsberatungen, Anwält_innen, Gewerkschaften und Gerichten ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eine wichtige Rechtsgrundlage und sollte als solche offensiv zur Anwendung gebracht werden. Betroffene brauchen hierfür Anlaufsstellen und qualifizierte Antidiskriminierungsberatung, die mehrheitsgesellschaftlichen Institutionen können ermutigen und ihren Beitrag zur Rechtsdurchsetzung leisten, statt rassistische Diskriminierung aus rechtlicher Auseinandersetzung aufgrund von Unkenntnis oder Bagatellsierung herauszuhalten. 3. Antidiskriminierungskultur bedeutet, Teilhabegerechtigkeit und Inklusion als gemeinsame Werte und Ziele zu verankern. Antidiskriminierungskultur ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Ein Prozess in dem stetig und gemeinsam um gleiche Teilhabe und Mitgestaltung an der Gesellschaft gerungen wird. Dies bildet eine Basis für konkrete Maßnahmen zu Erreichung der Ziele. In bezug auf Diskriminierung beim Zugang von Migrant_innen zu Qualifizierung und Arbeit bedeutet dies, dass sich Schulen, Hochschulen, Organsiationen und Institutionen der beschäftigungsorienterten Beratung stärker öffnen und sich den Bedarfen zugewanderter Menschen anpassen, um Chancen auf Teilhabe zu ermöglichen, nicht allein umgekehrt beurteilt wird, welche Defizite bei Menschen mit Migrationhintergrund zu beheben sind, um sie optimal in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dies hat weitreichende Konsequenzen. Für die Institutionen des Arbeitsmarkt, für Arbeitgeber, Kammern und Betriebe ist ein erster Schritt Barrieren und Ausschlüsse zu erheben und konkrete Ziele und darauf aufbauend Maßnahmen zu formulieren. Diskriminierung wirkt auf drei Ebenen: 1. Als Ausschluss von materiellen Ressourcen, z.B. dadurch, dass die Bewerbungschancen allein aufgrund eines ausländisch klingenden Namen sinken, Migrant_innen überrepräsentiert sind in niedrig qualifizierten, prekären und schlecht bezahlten Jobs und ein höheres Armutsrisiko haben. 2. Als Ausschluss von politischer und gesellschaftlicher Teilhabe, die sich z.B. 3 zeigt, wenn Migrant_innen, in den politischen Gremien, die über Arbeitsmarktpolitiken entscheiden unterrepräsentiert sind und oft auf Gremien verwiesen werden, die nur beschränkt politische Einflussnahme haben (z.B. Beiräte). 3. Als Verweigerung von Anerkennung, Respekt, Interesse – die immer auch eine Verletzung menschlicher Würde darstellt – und sich beispielsweise ausdrückt, wenn Migrant_innen nicht als ganz normale Bürger_innen, mit zum Teil besonderen Kompetenzen (z.B. Mehrsprachigkeit) behandelt und dargestellt werden, sondern als defizitäre Sonder- und Problemfälle. Antidiskriminierungskultur bedeutet, diese Ausschlüsse zu benennen, zu analysieren und durch konkrete Maßnahmen abzubauen und setzt dabei auf jeweils drei Ebenen an: 1. Auf Individueller Ebene: Diese verweist auf zwischenmenschliche Interaktionen, z.B. Einstellungsentscheidungen, Vermittlungsentscheidungen, herablassende Behandlung, diskriminierende Sprache. 2. Auf Institutioneller Ebene: Diese verweist auf in Gesetzen und institutionellen Abläufen verankerte, nicht immer intendierte benachteiligende Effekte: z.B. gesetzlich Vorschriften, die die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erschweren oder behördeninterne Erhebungen, die Migrationserfahrung als Defizit und nicht als interkulturelle Kompetenz und Mehrsprachigkeit auflisten. 3. Auf Diskursiver Ebene: Diese verweist auf „den Diskurs“, das öffentliche Reden darüber, was normal ist, wer wie viel wert ist, wessen Stimme gehört wird und wessen Stimme zählt. Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob migrantische bzw. nichtweiße Menschen in Publikationen mit Arbeitsmarktbezug als Problemfall, als Ausnahmefall der_die es „geschafft hat“ oder als „ganz normale“ Klientin oder Mitarbeiterin eines Jobcenters präsentiert werden. Um Diskriminierung erfolgreich zu adressieren und nachhaltig eine Kultur der Antidiskriminierung zu etablieren, müssen alle drei Zielfelder für Inklusion auf allen drei gesellschaftlichen Ebenen gleichzeitig bearbeitet werden. 4 Welchen Prämissen folgt Antidiskriminierungskultur? 1. Diskriminierung ist kein Minderheitenproblem sondern gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Eine Gesellschaft deren Ziel Teilhabegerechtigkeit ist, hat ein Problem, solange Teile der Gesellschaft Ausschlüssen auf den unterschiedlichen Ebenen ausgesetzt sind. Antidiskriminierungskultur verschiebt den Fokus von der „Minderheit“ zur „Mehrheit“, wobei es nicht um quantitative Mehr- und Minderheiten, sondern um Marginalisierungsprozesse geht, denen entgegengewirkt werden soll. Diskriminierung geht uns alle an! 2. Diskriminierung ist kein ausschließlich individuelles Problem (Vorurteile) sondern ebenso strukturelles Problem (gesellschaftliche Hierarchien und Machtverhältnisse): Eine solche Analyse von Diskriminierung verschiebt den Fokus von individueller Schuld zu individueller und gesellschaftlicher Verantwortung. Das erleichtert zum Einen das sachliche Reden über Diskriminierung, die oft „nicht böse gemeint“ ist, aber trotzdem gravierende Effekte zeitigt. Zum anderen kann Diskriminierung auf individueller Ebene nur im Einklang mit strukturellen Veränderungen erfolgreich sein. 3. Abbau von Diskriminierung bedeutet Abbau von Privilegien: Privilegien sind oft unsichtbar, eine Reflektion über Privilegien ist der erste Schritt um über ihren Abbau nachzudenken und schließlich Powersharing zu betreiben. 4. Diskriminierung wirkt mehrdimensional. Ein Merkmalsübergreifender An- satz hilft komplexe Diskriminierungstatbestände besser zu verstehen und besser zu adressieren. Lebensrealitäten sind oft mehrdimensional, niemand ist nur Frau, nur Migrantin oder hat nur ein bestimmtes Lebensalter. Ein mehrdimensionaler Arbeitsansatz zeigt ganz praktisch auf , dass wir alle „verschieden verschieden“ sind und kann die Antidiskriminierungskompetenz und Sensibilität für andere Perspektiven erhöhen. Auch hier gilt: Diskriminierung geht uns alle an! 5. Inklusion statt Integration: Antidiskriminierungskultur setzt auf den Inklu- sionsansatz: Es reicht nicht die „Anderen“ zu fördern, auch das „Wir“ muss sich ändern. Antidiskriminierungskultur ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess! 5 6. Eine zentrale Prämisse betrifft die Perspektive der von Diskriminierung Betroffenen. Sie sind Expert_innen für die Wirkweise von Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen, wie auch von erfolgreichen Gegenstrategien und sollten als solche ernst genommen werden. Das bezieht sich nicht nur auf den Kontext von konkreten Einzelfallberatungen. Auch bei der Planung struktureller Veränderungen sollte diese Perspektive und Erfahrung mit einbezogen werden. 7. Antidiskriminierung ist kein Sonderbereich sondern Querschnittsaufgabe: Nur die strukturelle und langfristige Verankerung von Antidiskriminierungspolitiken in allen Arbeitsbereichen einer Institution, Organisation, Kommune etc. trägt zu einer nachhaltigen Etablierung einer Antidiskriminierungskultur bei. 6
© Copyright 2024 ExpyDoc