Gruppe 5_Nachkriegszeit - Stadtmuseum Kaufbeuren

In Memoriam
„Euthanasie“ im Nationalsozialismus
Gruppe 5
Nachkriegszeit
Als Arbeitsmaterial benötigt ihr Schreibzeug und einen Notizblock.
Arbeitsaufträge
1. Lest den Informationstext aufmerksam durch. Bearbeitet anschließend die Aufgaben
der Reihe nach.
2. In Film 1 berichtet der Zeitzeuge Dolf Hamburger von seinen Eindrücken in der Heilund Pflegeanstalt Eglfing-Haar. Besprecht gemeinsam in eurer Gruppe wie er den
Zustand der Patienten beschreibt. Welches „Haus“ hatte einen besonders
schlechten Ruf?
3. Diskutiert in eurer Gruppe wie sich die Kollegen von Dolf Hamburger ihm gegenüber
verhalten haben und notiert eure Ergebnisse.
4. Lest gemeinsam Text 1 aufmerksam durch. Diskutiert das Urteil im Prozess gegen Dr.
Valentin Faltlhauser. Wie sollte eurer Meinung nach heute ein Urteil aussehen?
Begründet eure Überlegungen.
5. In der Sonderausstellung auf Fahne 23 seht ihr ein Foto von Dr. Valentin Faltlhauser.
Lest das rot gedruckte Zitat darüber und diskutiert in eurer Gruppe wie die
Ermordung von psychisch Kranken im Nachhinein gerechtfertigt wurde.
6. Betrachtet Bild 1 und lest gemeinsam Text 2 aufmerksam durch. Besprecht in eurer
Gruppe von welchem Vorgang in der Textstelle berichtet wird. Inwiefern hat die
Geschichte von Ernst Lossa heute eine Bedeutung? Notiert eure Gedanken.
7. Betrachtet gemeinsam Textfahne 24. Welche Anklagepunkte wurden im Rahmen der
Nürnberger Ärzteprozesse in der Anklageschrift aufgezählt. Notiert eure Ergebnisse.
Zusammenfassung:
Erarbeitet einen Kurzvortrag von höchstens 5 Minuten Dauer, in dem ihr eure
Mitschüler/-innen von euren Arbeitsergebnissen informiert. Nutzt für den Vortrag
eure Notizen sowie das ausgeteilte Bildmaterial und/ oder Abbildungen in der
Ausstellung. Begründet abschließend, welche Menschenrechte verletzt worden sind
und zeigt dies anhand der ausgeteilten Symbolkarten.
In Memoriam
„Euthanasie“ im Nationalsozialismus
Informationstext:
Im Rahmen des „Euthanasie“-Programms verübten Psychiater in Heil- und Pflegeanstalten
an psychisch Kranken und Behinderten schwere Verbrechen. Einer der Täter war der
Psychiater Dr. Valentin Faltlhauser, der die Heil- und Pflegeanstalt in Kaufbeuren seit 1929
geleitet hat. Er setzte sich zunächst für die Versorgung kranker Patienten ein. Der Vorrang
der Behandlung und das Eingehen auf die Bedürfnisse der Patienten verloren aber mehr und
mehr an Bedeutung, weil die „Volksgesundheit“ im Vordergrund stand. Nur tüchtige und
gesunde Frauen und Männer konnten arbeiten und waren somit für die Gesellschaft von
Nutzen. Menschen, die diesem Ideal nicht entsprochen haben, fielen der „Vernichtung
lebensunwerten Lebens“ zum Opfer und wurden getötet. Männer, Frauen und Kinder, die
erblich blind oder taub oder körperlich missgebildet waren, wurden zwangssterilisiert. Die
ungeborenen Kinder von Frauen mit solchen „Makeln“ wurden gegen ihren Willen
abgetrieben. Diese Verbrechen wurden von Psychiatern in Kliniken in ganz Deutschland an
Patienten verübt. Nach dem Ende der NS-Zeit begannen im Dezember 1946 erste
Gerichtsverfahren, in denen Psychiater und Ärzte angeklagt wurden. Dabei handelte es sich
um den Nürnberger Ärzteprozess.
Text 1
Der Psychiater Dr. Valentin Faltlhauser war mit seinen Mitarbeitern für die Verschickung von
ca. 500 Menschen in die Tötungsanstalten Grafeneck und Hartheim verantwortlich. Er
musste sich in einer Beschuldigten-Vernehmung vor dem Landgericht Kempten dazu äußern:
„Es ist möglich, daß ich bei den letzten Transporten positiv gewußt habe, daß die Kranken zur
Vergasung weggebracht würden. Ich hätte jedoch die Transporte nicht verhindern können,
auch wenn ich mich dagegen gestemmt hätte. Im übrigen war ich für mich der Auffassung,
daß diese, von höherer Stelle angeordneten Maßnahmen rechtens seien. Ich war damals
innerlich
Anhänger
des
Euthanasiegedankens1
und
befürwortete
damals
diese
Maßnahmen.“2
Faltlhauser wurde von der amerikanischen Besatzungszone wegen Mordes angeklagt. Durch
die deutsche Justiz wurde er 1949 wegen Anstiftung zur Beihilfe zum Totschlag zu 3 Jahren
Haft verurteilt. Faltlhauser wirkte bei der Durchführung an leitender und verantwortlicher
Stelle mit. Die Staatsanwaltschaft des damals zuständigen Gerichtes in Kempten nahm an,
dass Faltlhauser mit Tatvorsatz gehandelt habe und zusammen mit anderen Menschen in
1
Der Begriff wurde von den Nationalsozialisten als Vorwand für die massenhafte Ermordung von
pflegebedürftigen Menschen gebraucht.
2
Valentin Faltlhauser, Protokoll seiner Beschuldigten-Vernehmung vom 21.4.1948 vor dem Landgericht
Kempten, AZ: 2WS 2p/48. In: Cranach, Michael von/Siemen, Hans-Ludwig: Psychiatrie im Nationalsozialismus.
München 1999, S. 282.
In Memoriam
„Euthanasie“ im Nationalsozialismus
einer unbestimmten Zahl von Fällen getötet hat. Nach einer ersten Internierungshaft 1945
wurde Dr. Valentin Faltlhausers Gefängnisstrafe wegen Haftunfähigkeit mehrfach
aufgeschoben. Im Dezember 1954 wurde er durch den bayerischen Justizminister begnadigt.
Text 2
Ernst Lossa, 14 Jahre alt, ist berühmt - er ist kein Promi, kein Sänger oder Schauspieler.
Trotzdem wurde über sein kurzes Leben von dem Autor Robert Domes ein Buch geschrieben,
das derzeit verfilmt wird und 2016 in die Kinos kommt. Auf dem Buchcover ist Ernst Lossa
dreimal abgebildet. Es ist das letzte Foto, das von ihm gemacht wurde, bevor er ermordet
wurde.
Ernst Lossa ist im November 1929 geboren. 1933 stirbt die Mutter. 1939 wir der Vater
zusammen mit zwei seiner Brüder und anderen Verwandten ins Konzentrationslager Dachau
gebracht. Er ist entweder im Konzentrationslager Mauthausen oder Flossenbürg ums Leben
gekommen. Die Gründe für die Inhaftierung bleiben unklar, eventuell wegen seines Berufes
als „Hausierer“; es ist auch die Rede davon, er sei Zigeuner, was von der Familie geleugnet
wird. Ernst Lossa kommt mit zwei Schwestern in ein Kinderheim in Augsburg-Hochzoll. Im
Februar 1940 wird er wegen Unerziehbarkeit in das Erziehungsheim Indersdorf bei Dachau
überstellt. Wegen der dort auftretenden Schwierigkeiten mit ihm wird ein Gutachten erstellt,
mit dem Ergebnis, daß Ernst Lossa im Frühjahr 1942 in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren
verlegt wird. Dort wird er am 9.8.1944 ermordet. Als die Amerikaner nach Kriegsende bei
ihren Ermittlungen um die Geschehnisse in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren alle
Mitarbeiter des Krankenhauses verhörten, wurden alle gezielt auch nach dem Schicksal von
Ernst Lossa gefragt, wohl mit der Absicht, an einem konkreten Schicksal die Ereignisse
beispielhaft zu dokumentieren. In dem Prozeß gegen Dr. Valentin Faltlhauser spielte auch das
Schicksal des Buben exemplarisch eine große Rolle, es wurde auch ausführlich darüber in der
Presse berichtet. Aus den Schilderungen der Mitarbeiter des Krankenhauses nach 1945 geht
hervor, daß alle Ernst Lossa geschätzt haben, trotz mancher Schwierigkeiten im Verhalten. Er
sei liebenswürdig gewesen, hilfsbereit, und immer wieder wird die Geschichte erzählt, daß er
über die Tötungen im Krankenhaus Bescheid wußte und daß er des öfteren versucht hatte,
hungernden Kranken Nahrungsmittel zu geben, die er in den Vorratskammern stahl. Es war
wohl diese „Aufmüpfigkeit“, die dazu führte, daß der ärztliche Leiter sowie der
Verwaltungsleiter sich für seine Tötung entschieden.3
3
Cranach, Michael von/Siemen, Hans-Ludwig (Hg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayerischen Heilund Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945. München 1999, S. 478.
In Memoriam
„Euthanasie“ im Nationalsozialismus
Bild 1
Cover zum Buch „Nebel im August. Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa.“ von Robert
Domes.