20.06.2015 Augsburger Allgemeine

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Komödie
Großes Theater
im kleinen Dorf
Bayern
Wochenklatsch
Die Kanzlerin
im Jungbrunnen
Panorama
Bayern
11
Samstag, 20. Juni 2015
AUSGABE NR. 139
Das Vermächtnis des Ernst Lossa
Kommentar
VON TILL HOFMANN
im Kino
Geschichte Mit 14 Jahren musste der Bub in einer Heil- und Pflegeanstalt im Allgäu sein Leben lassen. Mit dem aufwendigen Euthanasie
» [email protected]
Kinofilm, der gerade über ihn gedreht wird, bekommen die Opfer des NS-Euthanasieprogramms ein Gesicht
ende geboren, an, dass ihn Lossas
Geschichte bewegt.
Am Mittwochabend hat das
Filmteam in der Augsburger Innenstadt verspätet „Bergfest“ gefeiert.
Die Hälfte der auf 40 Tage angesetzten Dreharbeiten ist vorüber.
Üblicherweise wird den Beteiligten
schon einmal eine Auswahl der entstandenen Filmsequenzen gezeigt.
Diesmal nicht. Denn an einen geselligen Abend, an dem auch mal herzhaft gelacht wird, wäre dann nicht
mehr zu denken gewesen. „Das
spricht für den Film, nicht gegen
ihn“, sagt Limmer, Geschäftsführer
der Collina-Filmproduktion und
zugleich als Professor an der Hochschule für Fernsehen und Film
München tätig.
Seit Sonntag inszenierte Regisseur Kai Wessel in der Region.
Mehrere Tage auf einer Wiese bei
VON TILL HOFMANN
Augsburg/München Ermutigendes
Schulterklopfen hat Ulrich Limmer
oft erhalten in den vergangenen Jahren. Und eine Bestätigung dessen,
von dem er ohnehin überzeugt ist.
„Der Film, den du machst, ist wichtig.“ Aber als es um die Finanzierung ging, reichte die Begeisterung
meistens nicht mehr aus: „Nicht mit
meinem Geld.“
Der Münchner Filmproduzent
fand letztlich doch genügend Geldgeber, obwohl seinen Gesprächspartnern klar war, dass die Menschen im Frühjahr 2016 vermutlich
nicht die Kinos stürmen werden,
obwohl dort ein aufwendig hergestellter Film mit exzellenten deutschen Schauspielern zu sehen sein
wird. Diese Woche ist in Augsburg
und Umgebung gedreht worden. Es
ist keine leichte Komödie, die das
Publikum dort erwartet. Es ist kein
Mainstream-Kino, sondern „mein
schwierigster und anspruchsvollster
Film, den ich bislang produziert
habe“, sagt Limmer. Er bezieht das
nicht nur aufs „Klinkenputzen“,
sondern vor allem auf das Thema.
Basierend auf dem Tatsachenroman des Allgäuers Robert Domes
(„Nebel im August“) wird das
Schicksal
von
Ernst
Lossa
(1929-1944) nacherzählt, der als Jugendlicher in der Heil- und Pflegeanstalt Irsee umgebracht wurde. Er
war eines der Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms.
Zwischen 1939 und 1945 wurden
rund 275 000 Patienten getötet, weil
sie nach NS-Lesart als „lebensunwert“ galten. Demnach nutzten sie
der „Volksgemeinschaft“ nicht,
sondern lagen ihr vielmehr auf dem
Geldbeutel. Adolf Hitler war der
Gedanke unerträglich, dass ein
Kriegsverletzter ohne Bett ist, weil
es ein Geisteskranker belegt.
Lossa geriet in diese tödliche Maschinerie. Er war aufsässig und unangepasst. In zwei Kinderheimen
wurde man mit dem „asozialen Psychopathen“ – die Einschätzung einer Gutachterin und zugleich sein
Todesurteil – nicht fertig. Weil er
„nicht erziehbar“ war, schob man
ihn in die Hölle ab: nach Irsee.
„Immer wenn ich das Bild dieses
Jungen sah, dachte ich: Diese Geschichte muss erzählt werden“, sagt
Produzent Limmer zu seiner Motivation. Und wenn er diesen Satz
hinter einer weißbauchigen Kanne
Tee sitzend in einem Augsburger
Hotel ausspricht, dann sieht man
dem Mann, zehn Jahre nach Kriegs-
„Diese
Geschichte
muss
erzählt
werden.“
Ulrich Limmer,
Filmproduzent
Kissing (Kreis Aichach-Friedberg)
und dann in Augsburg: in der Nacht
von Donnerstag auf Freitag im Goldenen Saal. Ein Nebenraum hat sich
in ein Filmset verwandelt. Im Frühjahr wird auf der Kinoleinwand in
dieser Szene zu sehen sein, wie Dr.
Werner Veithausen als Leiter der
Heil- und Pflegeanstalt Kollegen
von den Vorzügen einer Hungerkost überzeugt. Die nahezu eiweißund fettlose Nahrung diente dazu,
die Menschen buchstäblich zu Tode
zu hungern. Dahinter steckte der
perverse Gedanke, dem Leidenden
ein Ende zu bereiten, wenn man das
Leiden schon nicht abstellen kann.
Bis auf Lossa haben die Filmfiguren nur ähnlich klingende Namen –
in Wirklichkeit hieß der barbarisch
agierende Arzt in Irsee Valentin
Faltlhauser. „Damit wollen wir
deutlich machen, dass sich die Geschichte Lossas überall zu dieser
Zeit in Deutschland abgespielt hat
und nicht nur an einem bestimmten
Ort“, sagt Limmer. Es sei auch 70
Jahre später nicht zu begreifen, wie
die „Perfektionierung des Bösen“ in
diesem Land funktioniert habe.
Einer der Nachfolger Faltlhausers
war Michael von Cranach, 26 Jahre
lang bis 2006 Ärztlicher Direktor
des Bezirkskrankenhauses Kauf-
beuren. Mit Nachdruck forschte er
in der braunen Vergangenheit seines
Hauses und thematisierte die Euthanasieverbrechen unter anderem in
einer Ausstellung. Für den Film
„Nebel im August“ ist der Psychiater historischer und medizinischer
Berater. Seine Frau bietet einmal in
der Woche für das Filmteam eine
psychologische Betreuung an. Denn
die Arbeit mit dem Stoff hinterlässt
Spuren. Und nicht jeder ist immun
gegen diese unfassbaren Vorgänge.
Von Cranach sieht vor allem zwei
Motive, wie Ärzte in der NS-Zeit zu
diesen Unmenschen werden konnten: Viele seien begeisterte Nationalsozialisten gewesen. Und: „Die
Behandlungsmethoden waren sehr
eingeschränkt und die Ärzte wollten
nicht mit ihrem Versagen konfrontiert werden.“ Da habe die Frage
nahegelegen, wer behandlungsfähig
sei und wer nicht und – weitergedacht – wer lebenswert sei und wer
nicht. Von Cranach: „Es bestand
eine enge Beziehung zwischen Heilen und Vernichten.“
Die Wirkung scheint der Film
nicht zu verfehlen, weiß Ulrich
Limmer aus der eigenen Familie.
Seine 13-jährige Tochter nahm er
einmal in den Schneideraum mit. Sie
sah sich einige Szenen an, sei ganz
ruhig geworden. „Danach hat sie
geweint und mich gefragt, wie Menschen nur so grausam sein können.“
Eine passende Antwort hatte der
Vater nicht – oder vielleicht doch?
„Wir machen diesen Film, damit so
was nie mehr passiert“, sagte er der
Tochter. Sie ist nur wenig jünger,
als Ernst Lossa kurz vor seinem
qualvollen Tod war. »Kommentar
Dieser Film
wird aufwühlen
E
s ist eine abgedroschene Formel,
aber sie bleibt richtig: „Ein
Bild sagt mehr als 1000 Worte.“ So
ergeht es vielen, die das Foto des
kahl geschorenen Ernst Lossa betrachten, dessen Blick einen regelrecht durchdringt.
Der 14-jährige Bub gibt den vielen anonymen Opfern der gruseligen Nazi-Euthanasie ein Gesicht.
Nachdem gezielte Massentötungen psychisch kranker oder behinderter Menschen (die Generalprobe für den Holocaust übrigens) auf
Widerstand in der Bevölkerung
gestoßen waren, ließ Hitler der Perversität im Geheimen weiter ihren
Lauf – mit der sogenannten Hungerkost und den Todesspritzen in
der Phase der „wilden Euthanasie“.
Wie ein bleierner Schatten lag die
grausame Vergangenheit jahrzehntelang über der Psychiatrie in
Deutschland, die ohnehin ein mit
Tabus behaftetes Feld ist.
Dass mit einem ambitionierten
Film nach über 70 Jahren dieses
unfassbare Kapitel deutscher Geschichte im Kino aufgeblättert
wird, ist ausgesprochen lobenswert.
„Nebel im August“ wird aufwühlen. Dem Film ist ein breites Publikum zu wünschen.
Notizen aus der Region
Dem Blick Ernst Lossas kann sich keiner entziehen. So ging es dem medizinischen Berater Michael von Cranach, so ging es dem Produzenten Ulrich Limmer. Foto: Archiv
Der Film
„Nebel im August“ ist eine deutsche
Produktion mit Millionenbudget.
Drehorte sind in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Oberösterreich.
● Besonderheiten Behinderte und
nicht behinderte Menschen spielen
mit. Für 80 Komparsenrollen wurden
etwa 1600 Bewerber gecastet.
Das Innere der Heil- und Pflegeanstalt wurde nachgebaut.
● Darsteller Sebastian Koch („Das
Leben der Anderen“) als Dr. Werner Veithausen, Ivo Pietzcker, zwölfjährige Entdeckung aus Berlin
(„Jack“) als Ernst Lossa. Außerdem
Thomas Schubert, Fritzi Haberlandt, Henriette Confurius, Branko
Samarovski, David Bennent, Jule
Hermann. (ioa)
A
B
FRIEDBERG
Glockenläuten erinnert
an tote Flüchtlinge
Hauptfiguren in „Nebel im August“: Der Jungschauspieler Ivo Pietzcker als Ernst Lossa und Sebastian Koch in der Rolle des Dr. Werner Veithausen.
Foto: Studiocanal
A
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Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die ausführlichen Teilnahmebedingungen finden Sie im Internet unter augsburgerallgemeine.de/teilnahmebedingungen.
Medizinhistorisches
Museum feiert Richtfest
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Auflösung der letzten Folge: A1
2
Glückwunsch!
Hans-Albert Wenzel aus Neuburg (Kreis Neuburg-Schrobenhausen) konnte sich gestern über 1000 ¤ freuen.
Im Kirchturm der Friedberger
Stadtpfarrkirche St. Jakob wird
eine Glocke heute ab 11 Uhr eine
Stunde fast durchläuten. Es ist die
Totenglocke. Ihre Schläge sollen am
Welttag der Flüchtlinge an die vielen Menschen erinnern, die im Mittelmeer umgekommen sind. 23 000
Tote sollen es seit dem Jahr 2000 gewesen sein. Im Erzbistum Köln
haben darum schon gestern Abend
230 Kirchenglocken jeweils 100mal geschlagen. Die Friedberger
Pfarrei schließt sich der Kölner
Aktion an. (scha)
INGOLSTADT
Abweichende Preise aus dem Mobilfunknetz möglich).
Premium-SMS: 52020 Senden Sie eine SMS
mit folgendem Inhalt: zeitung retro bild und
die Lösungskoordinaten (z.B. A1 ) Name
Adresse (50 ct/SMS inklusive 12 Cent VFD2-Anteil). Der
Unternehmer Grob spendet
zwei Millionen Euro
Erst vor zwei Jahren hatte der Mindelheimer Unternehmer Burkhart
Grob mit einer Großspende über
zwei Millionen Euro den Bau der
neuen Technikerschule mit Fachrichtung Maschinenbau in Mindelheim ermöglicht. Jetzt hat der
89-Jährige nachgelegt. Grob gibt
erneut zwei Millionen Euro. Bedacht wird das Kreisklinikum in
Mindelheim. Es kann nun einen
Magnetresonanz-Tomografen erwerben. Damit lässt sich die medizinische Versorgung etwa von Herzpatienten verbessern. (jsto)
War das so? – Das große Retro-Rätsel in Ihrer Heimatzeitung
So einfach geht’s
MINDELHEIM
WAS PASST NICHT AUF DIESEM BILD? – Das Foto schickte uns Albert
Beer aus Augsburg. Zu sehen ist sein damaliges Zuhause in der Georgenstraße. Das Bild entstand zwischen 1956 und 1958.
Lösung/
Koordinaten:
Mountainbike – Ein Mountainbike oder Geländefahrrad
ist besonders für den Einsatz abseits befestigter Straßen
geeignet. Grundsätzlich ist das Mountainbike eher ein
Sportgerät als ein Verkehrsmittel, deshalb ist es üblicherweise nicht mit Beleuchtung, Klingel und Rückstrahler ausgestattet. Heute wird allgemein das Jahr 1973
als die Geburtsstunde des geländegängigen Mountainbikes angesehen. Amerikanische Radsportler benutzten
die Fahrräder damals, um Schotterpisten herunterzurasen. Heute tun das Sportler auf aller Welt.
Medizingeschichte bekommt mehr
Platz: Das Deutsche Medizinhistorische Museum in Ingolstadt feierte
gestern Richtfest am dringend notwendigen Erweiterungsbau. Der 5,1
Millionen Euro teure Anbau an das
sogenannte Alte Anatomiegebäude
wird im kommenden Jahr bezogen. Dann wird die Dauerausstellung neu konzipiert und nach zeitgemäßen museumspädagogischen
Anforderungen strukturiert. Das
Haus kooperiert regelmäßig mit international anerkannten Fachmuseen. (haju)