Brigitte Pothmer, MdB Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik September 2015 Masterplan „Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen“ auflegen - Hilfe aus einer Hand organisieren Mit der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen kommt eine große Aufgabe auf Arbeitsagenturen und Jobcenter zu. Hunderttausenden Menschen muss binnen kurzer Zeit geholfen werden. Für diese Herausforderung sind die Apparate nicht gerüstet. Das betrifft insbesondere die Jobcenter, die bisher null Unterstützung von der Bundesregierung bekommen haben. Unabhängig davon leidet die Arbeit der Agenturen und Jobcenter unter zahlreichen bürokratischen Vorschriften, kleinlichen Einschränkungen und dem Wechsel der Zuständigkeit nach der Anerkennung des Asylantrags. Unter den derzeitigen Bedingungen stoßen Agenturen und Jobcenter und ihre Beschäftigten schnell an die Grenzen des Möglichen. Dies gefährdet das Ziel einer möglichst zügigen Arbeitsmarktteilhabe der Flüchtlinge und damit deren Chancen auf eine gelungene gesellschaftliche Integration. Das muss verhindert werden. Hilfe darf nicht länger an fehlenden Mitteln, Rahmenbedingungen oder an den Grenzen des jeweiligen Sozialgesetzbuches scheitern, Reibungsverluste müssen minimiert werden. Um das zu erreichen, ist ein Masterplan „Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen“ erforderlich. Er umfasst die Schaffung von rechtskreisübergreifenden Integrationsteams für Hilfe aus einer Hand von Anfang an die Einstellung mindestens 2000 zusätzlicher Mitarbeiter für die Jobcenter eine massive Aufstockung der Mittel für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Deutschkurse die Beseitigung rechtlicher und bürokratischer Hürden Mit Integrationsteams Hilfe aus einer Hand organisieren Während des laufenden Asylverfahrens sind die Arbeitsagenturen für die Flüchtlinge zuständig. Nach der Anerkennung des Asylantrags sind die Jobcenter für die weitere Integrationsarbeit verantwortlich. Bis zum ersten Beratungstermin im Jobcenter kann aber viel Zeit vergehen. Der Wechsel führt zu Reibungs- und Informationsverlusten, Brüchen in der Integrationsarbeit und verursacht Doppel- und Mehrarbeit in den Behörden. Das kann verhindert werden, indem bundesweit Integrationsteams geschaffen werden, die sich von Anfang an und rechtskreisübergreifend um die Flüchtlinge kümmern. Vorbild könnten die Jugendberufsagenturen sein. Der Bund muss die Einrichtung solcher Integrationsteams unterstützen und mit bestehenden Modellprojekten wie Early Intervention zusammenführen. Langfristig soll der Wechsel der Zuständigkeiten von der BA zu den Jobcentern komplett überflüssig und die kontinuierliche Betreuung von Anfang an Standard werden. Jobcenter-Personal bedarfsgerecht aufstocken Die Jobcenter arbeiten schon jetzt an ihren Belastungsgrenzen und sind seit langem strukturell unterfinanziert. Obwohl bereits heute knapp 190.000 Flüchtlinge von den Jobcentern betreut werden, gab es bislang keinen zusätzlichen Cent für Personal und Maßnahmen von Bundesarbeitsministerin Nahles. Damit die zusätzlichen Aufgaben durch die Flüchtlinge nicht zu Lasten anderer Arbeitsloser gehen, müssen unverzüglich mindestens 2000 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Arbeitsförderung eingestellt werden. 1 Nach eigenen Angaben geht das Arbeitsministerium von bis zu 335.000 Flüchtlingen im erwerbsfähigen Alter aus. Legt man den Personalschlüssel der Jobcenter für erwachsene Arbeitsuchende von 1: 150 zugrunde, ergibt sich daraus allein für den Bereich der Arbeitsförderung ein Mehrbedarf von 2000 Stellen. Mehr Personal für die Leistungsgewährung ist dabei noch nicht berücksichtigt. Mittel für Deutschkurse und Fördermaßnahmen der Jobcenter massiv erhöhen Darüber hinaus müssen die finanziellen Mittel für Deutschkurse, Fördermaßnahmen sowie für die Anerkennung von im Ausland erworbener Berufsabschlüsse massiv aufgestockt werden. Auch hier fehlt es an allen Ecken und Enden. Die Zahlen, die Arbeitsministerin Nahles bei der Vorstellung ihres Haushalts genannt hat, lassen darauf schließen, dass sie es mit der bedarfsgerechten Ausstattung etwa der berufsbezogenen Sprachkurse nicht ernst meint. Obwohl sie öffentlich von 100.000 zusätzlichen Plätzen ausgeht, stellt sie dafür nur 180 Millionen Euro in Aussicht. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 kosteten die Kurse für knapp 26.000 Teilnehmer mehr 100 Millionen Euro. Um einen Arbeitsplatz zu finden, der den tatsächlichen Qualifikationen entspricht, müssen im Ausland erworbene Berufsabschlüsse anerkannt werden. Wenn bestimmte Teilqualifikationen dafür fehlen, dann müssen diese schnell und unkompliziert nachgeholt werden können. Die Finanzierung dieser Weiterbildung überfordert viele Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete und zwingt sie, unterhalb ihres Qualifizierungsniveaus mit entsprechend geringerem Einkommen zu arbeiten. Rechtliche und bürokratische Hürden abschaffen Neben strukturellen, finanziellen und personellen Gründen verhindern rechtliche und bürokratische Regelungen die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Die Liste der Hindernisse ist lang: Arbeitsagenturen können keine Dolmetscher beauftragen, weil sie nicht auf das Vermittlungsbudget zugreifen können. Jobcenter dürfen keine zusätzlichen Sprachkurse z.B. an Volkshochschulen bezahlen, wenn die in den Integrationskurs gewonnenen Deutschkenntnissen nicht genügen, um die weiterführenden berufsbezogenen Sprachkursen erfolgreich abzuschließen. Die bürokratische Vorrangprüfung gehört ebenso auf die Liste der abzuschaffenden Hürden wie die mangelhafte Regelung zum Bleiberecht während der Berufsausbildung. Nach derzeitigem Recht müssen geduldete Azubis und ausbildende Betriebe jedes Jahr erneut eine Abschiebung fürchten. Geduldeten über 21 Jahren und Asylsuchenden versperrt die Regelung den Weg in Ausbildung vollständig. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 waren fast 30 Prozent der Azubis in Deutschland bei Antritt der Ausbildung 21 oder älter. Die Große Koalition muss eine rechtssichere Lösung für Geduldete, Asylsuchende und Betriebe für die gesamte Zeit der Ausbildung und die anschließende Beschäftigung schaffen. Aus Fehlern der Vergangenheit lernen Die Fehler der Vergangenheit dürfen nicht wiederholt werden. Die misslungene Integration der „Gastarbeiter“ bis in die dritte Generation zeigt deutlich, dass mangelnde Investitionen am Anfang zu enormen sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgekosten führen. Darum muss die aktuelle Herausforderung sofort und umfassend angegangen werden – ohne dabei die Gruppen zu vergessen, die schon bisher strukturell vernachlässigt wurden, wie beispielsweise Langzeitarbeitslose. 2
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