Klassische Ensembles - Theoretisch

Kapitel 11
Klassische Ensembles
Für wechselwirkende Systeme hängt die Energie des Gesamtsystems von der relativen Lage
der mikroskopischen Teilchen ab. Die innere Energie wird dann nicht mehr, wie für ein ideales Gas, durch eine einfache Integration über die Variablen im µ-Raum berechenbar sein. Dies
legt nahe, für allgemeinere Systeme mit sehr vielen Freiheitsgraden die Statistische Physik im
Phasenraum zu formulieren. Diesen Weg wählte schon J OSIAH G IBBS in seinen bahnbrechenden Beiträgen zu der klassischen Statistischen Physik.
11.1
Mittelbildungen
Makroskopische Messinstrumente haben eine endliche Zeit- und Raumauflösung und jede
Messung beinhaltet eine Mittlung über Skalen die klein gegenüber den mikroskopischen Skalen sind. Im gegenwärtigen Kontext sind dies Mittelungen über Zeitintervalle die wesentlich
größer als die Stoßzeit sind. Die zentrale Annahme der statistischen Methode ist nun, dass
diese Zeitmittlung durch ein Mittel über eine geeignet gewählte Menge von Systemen, auch
Gesamtheit (statistisches Ensemble, Schar) genannt, ersetzt werden kann. Man sagt kurz,
Zeitmittel = Scharmittel.
Eine Gesamtheit ist eine (im Idealfall) unendliche Menge von identischen Kopien des Systems, charakterisiert durch eine Verteilungsfunktion %(t, x) im Phasenraum:
%(t, x)d2fx Anzahl Systeme in d2fx zur Zeit t.
(11.1)
Jeder Punkt x = (q, p) ∈ Γ charakterisiert einen (reinen) Zustand und d2f x = dfq df p ist das
Volumenelement im Phasenraum. Die Wahrscheinlichkeit dafür, das System im infinitesima131
11. Klassische Ensembles
11.2. Mikrokanonische Gesamtheit
132
len Phasenraumvolumen d2fx zu finden ist dann
p(t, x) = R
%(t, x)
.
%(t, x)
(11.2)
d2fx
Das Ensemble- oder Scharmittel einer physikalischen Größe O(x) ist dann
Z
hOiρ = d2fx p(t, x)O(x) .
(11.3)
Strebt das System ins thermischen Gleichgewicht, dann nähert sich die Gesamtheit einem
Gleichgewichtsensemble mit zeitunabhängiger Verteilung %(x). Die Scharmittel bezüglich %(x)
sind dann Zustandsgrößen der Thermodynamik. Für einen festen Anfangspunkt ist eine Trajektorie im Phasenraum allein durch die Hamiltonfunktion H(x) bestimmt. Deshalb wollen
wir annehmen, dass %(x) nur über H von den Orten und Impulsen der Teilchen abhängt,
% = %(H). Dann ist die Verteilung %(H) automatisch stationär, da die Hamiltonfunktion eine
Konstante der Bewegung ist. Die Ergodenhypothese besagt dann, das ein zeitlicher Mittelwert
gleich dem Scharmittel ist,
lim ŌT = hOiρ ,
T →∞
ŌT =
1
T
Z
T
dt O(x).
(11.4)
0
Hierbei ist ŌT der zeitliche Mittelwert der Observablen O(x) entlang einer Trajektorie im Phasenraum. Wenn Gleichung (11.4) wahr ist, muss die Trajektorie vollständig ergodisch sein.
Für fast alle Anfangsbedingungen kommt die Trajektorie mit Wahrscheinlichkeit Eins irgendeinem Punkt x auf der Energiefläche zu einem späteren Zeitpunkt beliebig nahe. Die Ergodenhypothese und der damit verwandte Wiederkehrsatz von Poincare gelten für viele, aber
nicht für alle Systeme (Satz von KAM).
11.2
Mikrokanonische Gesamtheit
Für ein abgeschlossenes System ist die Energie erhalten und deshalb %(H) konstant auf jeder
Energiefläche,
ρ0 für E − ∆E < H(x) ≤ E
ρm (x) = ρ(H(x)) =
(11.5)
0 sonst,
wobei die feste Energiedifferenz ∆E E die Unsicherheit in der Energiemessung spezifiziert. Unabhängig vom Anfangszustand wird also ein Gleichgewicht erreicht, in dem Zustände mit gleicher Energie gleichwahrscheinlich auftreten. Das Phasenraumvolumen der mikrokanonischen Gesamtheit ist
Z
Z
Γ(E, V ) =
d2fx =⇒ d2fx ρm (x) = ρ0 Γ(E, V ).
(11.6)
E−∆E<H(x)≤E
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
11. Klassische Ensembles
11.2. Mikrokanonische Gesamtheit
133
Die Abhängigkeit vom räumlichen Volumen rührt von der Einschränkung der Integration
über die Ortskoordinaten. Die mikrokanonische Gesamtheit enthält also nur Zustände in einer Energieschale der Dicke ∆E. Wegen ∆E E ist das Schalenvolumen die Oberfläche der
Energiefläche zur Energie E multipliziert mit der Schalendicke ∆E, so dass
Z
∂Ω(E, V )
Γ(E, V ) =
d2fx
(11.7)
∆E, wobei Ω(E, V ) =
∂E
H(x)<E
das von der Energiefläche zur Energie E umschlossene Phasenraumgebiet ist.
Wenn wir jetzt als Beispiel ein ideales Gas mit N Teilchen betrachten, so ist seine Energie
durch die kinetische Energie der Teilchen gegeben:
E=
N
rp2
1 X 2
pk =
.
2m
2m
(11.8)
k=1
Der hier auftretende Radius rp ist der Radius der Impulskugel im 3N -dimensionalen Impulsraum. Auf dieser Kugel liegen alle Phasenraumpunkte, die zur Energie E gehören. Für nichtwechselwirkende Teilchen sind die Energieflächen Kugeloberflächen. Das Volumen einer ddimensionalen Kugel mit Radius r ist
Vd =
π d/2
r d ≡ Cd r d .
Γ(1 + d/2)
(11.9)
und deshalb ist das von der Energiefläche eingeschlossene Phasenraumvolumen
Ω(E, V ) = C3N V N (2mE)3N/2 .
Damit ist das Volumen der Energieschale zwischen den Energieflächen zu den Energien E −
∆E und E gleich
Γ(E, V ) = K(N, V, m) E 3N/2−1 ∆E.
(11.10)
Der Faktor K spielt keine Rolle, weil er im Zähler und Nenner von (11.2) auftritt. Es sei nun
O(x) eine Funktion auf dem Phasenraum (eine Observable), deren Scharmittel wir bestimmen wollen. Wegen des ungeheuer großen Exponenten in (11.9) und (11.10) sind Ω(E) und
Γ(E) sehr schnell wachsende Funktionen der Energie,
Ω(E − δE, V ) Ω(E, V )
und Γ(E − δE, V ) Γ(E, V ).
(11.11)
Deshalb kann für makroskopische Systeme die untere Integrationgrenze E − ∆E in der Integration über die Energie ohne messbaren Fehler durch 0 ersetzt werden. Nach dieser Ersetzung findet man zum Beispiel für das Scharmittel der Energie des idealen Gases den Ausdruck
RE
dE 0 E 0 Γ(E 0 )
3N
hHim = 0R E
=
· E = E − O(10−23 )E.
(11.12)
0
0
3N
+
2
dE Γ(E )
0
————————————
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11. Klassische Ensembles
11.3. Kanonische Gesamtheit
134
Wie erwartet ist der Erwartungswert wenig sensitiv auf den genauen Wert von ∆E.
Wir wollen die Ausdrücke für die Scharmittel im allgemeinen Fall, also auch für Systeme
mit Wechselwirkung, umformen. Offensichtlich gilt
Z
Z
Z
dE 0 d2fx δ(E 0 − H(x))O(x).
d2fx O(x) =
E−∆E<E 0 ≤E
E−∆E<H≤E
Andererseits gilt für stetige Funktionen
Z
1
∆E→0
dE 0 f (E 0 ) −→ f (E).
∆E E−∆E<E 0 ≤E
(11.13)
Damit können wir das mikrokanonische Scharmittel einer Funktion (Observablen) O(x) wie
folgt schreiben,
R 2f
d x δ(E − H(x)) O(x)
(11.14)
hOiE = R 2f
d x δ(E − H(x)).
Hier ist offensichtlich, dass das Scharmittel von H exakt gleich der Energie E ist. Die mikrokanonische Gesamtheit im mechanischen Sinne beschreibt das adiabatische (abgeschlossene)
System im thermodynamischen Sinne.
11.3
Kanonische Gesamtheit
Eine wesentlich elegantere Methode zur Berechnung von Scharmitteln und damit von thermodynamischen Größen ist mit der kanonischen Gesamtheit gegeben. Mechanisch gesehen
ist dies ein System, dessen Energie E nicht mehr wie bei der mikrokanonischen Gesamtheit festgehalten ist. Das System kann mit einem sehr großen (im Idealfall unendlich großen)
zweiten System Energie austauschen. Dieses zweite System spielt, thermodynamisch gesprochen, die Rolle eines Wärmereservoirs, so dass die kanonische Gesamtheit ein isothermes
System beschreibt. Es soll nun auch hier der thermodynamische Gleichgewichtszustand, d.h.
eine entsprechende stationäre Dichte, gefunden werden.
Wir werden für das Gesamtsystem, bestehend aus dem betrachteten System und dem
Wärmebad, den mikrokanonischen Gleichgewichtszustand ansetzen. Die Hamiltonfunktion
des Gesamtsystems ist dann
HG (x; X) = H(x) + HB (X) + V (x, X),
(11.15)
wobei x die kanonischen Variablen des Systems und X die kanonischen Variablen des Bades
sind. Das Wechselwirkungspotential V sorgt hier für die Möglichkeit des Energieaustauschs.
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
11. Klassische Ensembles
11.3. Kanonische Gesamtheit
135
Es genügt dafür jedoch eine sehr kleine Störung V von H + HB . Wir erwarten aus der Thermodynamik, dass der angestrebte Gleichgewichtszustand von den Details des Kontakts unabhängig ist. Wir setzen also in der Berechnung der mikrokanonischen Gesamtheit als Näherung einfach V = 0 (hierdurch entsteht definitiv ein nicht-ergodisches Gesamtsystem). Für
Observablen, die nicht von den Koordinaten des Wärmebades abhängen, erhalten wir als Erwartungswert
Z
1
hOi =
d2fx d2FX δ(H(x) + HB (X) − EG ) O(x)
N
Z
Z
1
2f
d x O(x) d2FX δ (HB (X) − {EG − H(x)})
=
N
Z
1
=
d2fx O(x) ρB (EG − H(x)),
(11.16)
N
wobei der Normierungsfaktor N gleich dem Integral mit O = 1 ist, damit das Scharmittel der
Einsfunktion gleich Eins ist. In der letzten Formel haben wir die mikrokanonische Gesamtheit
des Bades,
Z
ρB (EB ) = d2FX δ(HB (X) − EB )
(11.17)
definiert, wobei EB als Differenz von Gesamtenergie EG und Energie H des betrachteten Systems gleich der Energie des Wärmebades ist. Die Erwartungwerte bei Kontakt mit einem Wärmebad sind also durch eine Dichtefunktion gegeben, die nicht mehr nur auf eine Energiefläche konzentriert ist.
Vom Wärmebad geht also nur die mikrokanonische Zustandssumme ein. Wir wählen ein
ideales Gas als Wärmebad. Dann ist ρB proportional zu Γ(E, V ) in (11.10),
3NB /2−1
ρB = K · EB
.
(11.18)
Wir lassen nun die Teilchenzahl des Bades gegen ∞ streben. Die Energie des Bades wird dann
proportional zu NB wachsen, EB = NB E1 . Für ein ideales einatomiges Gas ist im Mittel die
Energie eines Teilchen E1 = 3kT /2. Da das Wärmebad eine konstante Temperatur haben
soll, halten wir den intensiven Parameter E1 = EB /NB fest. Für ein sehr großes Wärmebad
ist EG ≈ EB = NB E1 . Mit dieser Näherung erhalten wir
Z
K
hOik =
d2fx O(x) (EG − H(x))3NB /2−1
N
Z
H(x) 3NB /2−1
1
2f
=
d x O(x) 1 −
,
(11.19)
N1
E1 NB
was wegen e−u = limn→∞ (1 − u/n)n für NB → ∞ übergeht in
Z
1
hOik = lim hOi =
d2fx O(x)e−3H(x)/2E1 .
NB →∞
N1
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
(11.20)
11. Klassische Ensembles
11.3. Kanonische Gesamtheit
Mit 2E1 /3 = kT finden wir dann für das Scharmittel der kanonischen Gesamtheit
R 2f
d x O(x)e−H(x)/kT
hOik = R 2f −H(x)/kT .
d xe
136
(11.21)
Dieses Scharmittel ist der kanonische Erwartungswert von O bei der Temperatur T . Wir schreiR
ben auch hOiβ = d2fx pβ (x)O(x) mit der kanonischen Gesamtheit
pβ (x) =
e−βH(x)
,
Z
β=
1
,
kT
(11.22)
und der kanonischen Zustandssumme
Z
Z = Z(β, V, N ) =
d2fx e−βH(x,p) .
(11.23)
Nun haben wir also zwei Gesamtheiten kennengelernt, die mikrokanonische und die kanonische. Diese werden sich im Allgemeinen unterscheiden, da ja die kanonische Gesamtheit
pβ im Gegensatz zur mikrokanonischen Gesamtheit nirgends im Phasenraum verschwindet.
Dies ist aber nicht störend, wenn wir beweisen können, dass der Unterschied zwischen beiden Gesamtheiten für sehr große Systeme irrelevant wird. Große Systeme bedeutet hier im
thermodynamischen Limes N → ∞, V → ∞ und entweder N/V oder β fest. Diese Behauptung nennt man Äquivalenz der Gesamtheiten. Unter gewissen Annahmen an die Wechselwirkung der Teilchen kann man beweisen, das im thermodynamischen Limes die Erwartungswerte von Observablen, die von nur wenigen Teilchenkoordinaten abhängen, in den
verschiedenen Gesamtheiten in der Tat gleich sind.
Wir zeigen hier, dass für große Systeme die kanonische Gesamtheit praktisch völlig in der
Nähe einer einzigen Energiefläche konzentriert ist. Die Größe die dies misst, ist die Streuung
der Energie, d.h.
2
h(∆H) iβ
1 ∂2Z
1
− 2
≡ hH iβ −
=
2
Z ∂β
Z
∂
1 ∂Z
∂U
=
=−
,
∂β Z ∂β
∂β
2
hHi2β
∂Z
∂β
2
(11.24)
wobei wir das Scharmittel der Energie, die wir als innere Energie des Systems interpretieren,
einführten:
U =−
1 ∂Z
= hHiβ .
Z ∂β
(11.25)
Mit β = 1/kT ist dann
h(∆H)2 iβ = kT 2
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
∂U
= nkT 2 CV
∂T
(11.26)
11. Klassische Ensembles
11.3. Kanonische Gesamtheit
137
mit der Molwärme CV . Nun ist aber nCV eine extensive Größe proportional zu N . Die Varianz der Energieverteilung geht also im thermodynamischen Limes gegen Unendlich. Andererseits ist die Streuung der Energiedichte (Energie pro Teilchen) h = H/N
1/2
(∆h)2
=
knCV T 2
N2
1/2
c
−→ √
N.
N →∞
(11.27)
Die Schwankung der Energiedichte in der kanonischen Gesamtheit strebt im thermodynamischen Limes gegen Null.
11.3.1
Thermodynamische Potentiale
Charakterisiert haben wir bereits die innere Energie U als Funktion von T, V und N aus der
Formel U = hHiβ . Leider sind dies die falschen Variablen für U . Es sind die kanonischen
Variablen für die freie Energie F . Nun gilt der Zusammenhang
U = F + TS = F − T
∂F
∂F
∂
=F +β
=
(βF ).
∂T
∂β
∂β
(11.28)
Andererseits ist
hHiβ = −
1 ∂Z
∂
=−
log Z.
Z ∂β
∂β
Identifizieren wir die linken Seiten dieser beiden Gleichungen, dann folgt
Z
1
F (T, V, N ) = − log Z + c0 (V, N ) = −kT log d2fx e−H(x)/kT + c0 (V, N ).
β
(11.29)
(11.30)
Um die temperaturunabhängige Integrationskonstante c0 besser zu verstehen betrachten wir
wieder ein ideales Gas in einem Behälter mit räumlichem Volumen V . Wir erhalten die Zustandssumme
Z
3N
2πm 3N/2
N
3
−βp2 /2m
N
Z=V
d pe
=V
,
(11.31)
β
die neben den thermodynamischen Größen von der Atommasse abhängt. Also ist
3
1
− log Z = −N kT
log T + log V + konst. ,
β
2
(11.32)
was sich unmittelbar mit dem thermodynamischen Ergebnis (4.31) vergleichen lässt. Hier
treten Logarithmen von dimensionsbehafteten Größen auf, so daß die Konstante von der
Einheitenwahl abhängt. Vergleicht man den Ausdruck (11.32) mit der thermodynamischen
freien Energie, dann fehlt ein Term ∝ −N log N ≈ log(N !) (er kommt vom Term −RT log V0 in
(4.31)). Erst nach Addition dieses Terms wird log Z in (11.32) zu einer extensiven Größe. Die
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
11. Klassische Ensembles
11.3. Kanonische Gesamtheit
138
klassische statistische Mechanik kann diesen Term nicht erklären, der aber nötig ist um die
freie Energie zu einer extensiven Größe von V und N zu machen. Man kann ihn allerdings
dadurch motivieren, dass Teilchenkonfigurationen, die sich im Phasenraum nur in der Nummerierung der Teilchen unterscheiden als gleich betrachtet werden. Es fallen dann jeweils
N ! Phasenraumpunkte zusammen. Als Maß im Phasenraum verwendet man anstelle des bisher verwendeten Maßes d2fx das Maß d2f x/N !. Dies folgt auch, wenn wir die klassischen
statistische Mechanik als Grenzfall der Quanten-Statistischen Mechanik ableiten. Dabei ergibt sich noch eine weitere Modifikation, nämlich eine Messung des Phasenraumvolumens
in Einheiten der Planckschen Konstante. Wir benutzen für N Teilchen das dimensionslose
Phasenraumvolumenelement
Q 3
1
d xk d3 pk
dω =
,
(11.33)
N!
h3N
was zu einer extensiven und dimensionell korrekten freien Energie führt,
Z
F (T, V, N ) = −kT log dω e−H(x)/kT .
(11.34)
Mit dieser mikroskopischen Form für die freie Energie können viele thermodynamische Eigenschaften von Stoffen mikroskopisch, d.h. aus der Hamiltonfunktion, berechnet werden.
Die anderen thermodynamischen Potentiale ergeben sich nun in bekannter Weise aus der
freien Energie. Für die Entropie erhalten wir
−βH Z
e
∂F
2 ∂ log Z
= −kβ
= k log Z + kβ dωH
S = −
∂T
∂β β
Z
Z
Z
= k dω pβ (log Z + βH) = −k dω pβ log pβ .
(11.35)
Diese schöne Formel besagt, dass die Entropie proportional zum Scharmittel von log pβ ist.
Über die Diskussion der kanonischen Gesamtheit fanden wir wieder die Boltzmannsche Formel, nach der die Entropie dem Logarithmus der Anzahl mikroskopischer Realisierungen eines thermodynamischen Zustandes proportional ist. Die Formel (11.35) ist auch in der Informationstheorie als Shannon-Entropie bekannt. Sie ist ein Maß für die Information. Die kanonische Gesamtheit erlaubt aber nicht nur die Berechnung thermodynamischer Potentiale. Man kann damit auch Fluktuationen thermodynamischer Größen berechnen. Ein großes
technisches Problem ist dabei die (näherungsweise) Berechnung von hochdimensionalen Integralen. Die Virialentwicklung ist eine derartige Näherung.
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
11. Klassische Ensembles
11.4
11.4. Gleichverteilungssatz
139
Gleichverteilungssatz
Es sei ξ eine Koordinate oder ein Impuls, der in der Hamiltonfunktion H eines Systems vorkommt. Der Mittelwert der Größe
ξ
∂H
∂ξ
ergibt sich zu:
∂H
ξ
∂ξ
1
=
Z
Z
dξdη ξ
∂H −βH(ξ,η)
e
.
∂ξ
(11.36)
η soll dabei für die restlichen Koordinaten und Impulse stehen. Faktoren wie N ! und Potenzen von h sind hier sowohl in der Zustandssumme als auch im Phasenraumintegral fortgelassen, da sie bei der Mittelbildung herausfallen. Nun wird vorausgesetzt, daß der Ausdruck
ξ exp(−βH) für große |ξ| schnell genug gegen Null strebt. Dann können mit Hilfe von
∂H −βH
∂ −βH = e−βH − β ξ
ξe
e
∂ξ
∂ξ
bezüglich ξ partiell integrieren,
Z
∂H
1
ξ
=
dξdη e−βH(ξ,η) = kT.
∂ξ
βZ
(11.37)
Ein wichtiger Spezialfall ergibt sich dann, wenn die Koordinate oder der Impuls ξ nur an einer
Stelle der Hamiltonfunktion in der Form eines quadratischen Terms auftritt,
H(ξ, η) = f (η) ξ 2 + g(η).
Der Beitrag, den dieser Term zur inneren Energie liefert, ergibt sich zu
1
∂H
kT
2
f (η) ξ =
ξ
=
.
2
∂ξ
2
(11.38)
(11.39)
Damit liefert jede kanonische Variable, die quadratisch in die Hamiltonfunktion eingeht einen
Beitrag kT /2 zur Gesamtenergie. Dies ist der sogenannte Gleichverteilungssatz. Er gilt nur in
der klassischen statistischen Mechanik. Insbesondere findet man für die mittlere kinetische
Energie eines Teilchens
2
pk
3
= kT.
(11.40)
2m
2
Wenn das Teilchen im Potential eines harmonischen Oszillators schwingt oder wenn man
(wie im Festkörper) durch Transformation auf neue Koordinaten und Impulse ein System von
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
11. Klassische Ensembles
11.5. Variationsprinzipien
140
unabhängigen harmonischen Oszillatoren erhält, ist die mittlere potentielle Energie, die zu
jeder Koordinate gehört, ebenfalls gleich
mω 2 2
1
qi = kT.
(11.41)
2
2
Für den Festkörper führt der Gleichverteilungssatz zum Gesetz von Gesetz von Dulong-Petit
U (Gitter) = 3N kT,
(11.42)
wobei N die Anzahl Gitteratome ist, so daß es insgesamt 3N Normalschwingungskoordinaten
gibt. Zu jeder dieser Schwingungsmoden ergibt sich eine mittlere Energie kT , wobei jeweils
die Hälfte auf die potentielle bzw. kinetische Energie entfällt.
11.5
Variationsprinzipien
Eine Gesamtheit ist bestimmt durch eine Wahrscheinlicheitsverteilung p(x) ≥ 0 auf dem Phasenraum. Insbesondere gilt
Z
p(x)dω = h1ip = 1.
(11.43)
Die bekannten Ensemble können über Variationsprinzipien charakterisiert werden: Sie maximieren die „Entropie“
Z
S[p] = −k p(x) log p(x)dω
(11.44)
unter gewissen Nebenbedingungen. Die Art der Nebenbedingungen legt fest, um welche Art
von Gleichgewichtszustand es sich handelt. Wir haben hier den Ausdruck für die Entropie der
kanonischen Gesamtheit in (11.35) auf beliebige Zustände übertragen.
11.5.1
Gleichverteilung
Maximieren wir die Entropie auf der Menge der Zustände {p},
S[pmax ] = sup S[p]
(11.45)
p
ohne Nebenbedingung, dann ist die maximierende Verteilung pmax die Gleichverteilung auf
dem Phasenraum (oder auf einer Energiefläche). Bei der Variation müssen wir allerdings die
Normierungbedingung (11.43) beachten und dies tun wir mit Hilfe eines Lagrangeschen Multiplikators λ. Wir müssen also das Variationsproblem
Z
Z
n
o
sup S[p] + kλ(h1ip − 1) = sup −k p log p dω + kλ
p dω − 1
,
(11.46)
p
p
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
11. Klassische Ensembles
11.5. Variationsprinzipien
auf der Menge aller (positiven) Phasenraumfunktionen lösen. Die Variation ergibt
Z
0 = δp(x) log p(x) + 1 − λ dω(x) = 0,
141
(11.47)
mit beliebigem δp. Offensichtlich muss log p(x) = λ − 1 gelten. Der dimensionslose Multiplikator λ wird nun so gewählt, dass p eine Wahrscheinlichkeitsdichte ist. Dies ist nur möglich
wenn der Phasenraum ein endliches Volumen hat, oder wenn wir p auf die Energiefläche einschränken. Die letzte Wahl führt dann auf das mikrokanonische Ensemble.
11.5.2
Kanonische Verteilung
Im kanonischen Ensemble ist die Energie H(x) des mechanischen Systems nicht fixiert, sondern nur deren Erwartungswert
Z
hHip = p(x)H(x) dω(x),
(11.48)
die innere Energie. Wir suchen nun das Maximum der Entropie bei festgehaltener mittlerer
Energie. Wir berücksichtigen die Nebenbedingung hHip = U durch Einführung eines Lagrangeschen Multiplikators k/T und dies führt auf das Variationproblem
1
sup S[p] − (hHip − U ) .
(11.49)
T
p
Die Variation des Ausdrucks zwischen den Klammern muss verschwinden,
Z
δp(x) log p + 1 + βH(x) − λ dω = 0 .
Der Multiplikator λ wird bei gegebenen β durch die Normierungbedingung h1ip = 1 festgelegt
und man erhält die kanonische Gesamtheit
Z
1 −βH(x)
pβ (x) =
e
, wobei Zβ = e−βH(x) dω(x)
(11.50)
Zβ
die kanonische Zustandssumme ist. Der Multiplikator 1/T könnte (im Prinzip) mit Hilfe der
Nebenbedingung hHiβ = U berechnet werden. Da dies für realistische wechselwirkende Systeme nicht möglich ist, behält man den Multiplikator in der Verteilung bei, bemerkt aber, dass
T die Bedeutung der absoluten Temperatur zukommt.
Bei der Berechnung der maximierenden Verteilung in (11.49) geht der Wert U der mittleren Energie nicht ein. Dieser würde nur gebraucht wenn wir den Multiplikator β durch U
ausdrücken würden. Das Variationsproblem (11.49) ist also äquivalent zur Minimierung der
freien Energie,
Fβ ≡ F [pβ ] = inf F [p],
p
mit F [p] = hHip − T S[p] = U [p] − T S[p].
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
(11.51)
11. Klassische Ensembles
11.5. Variationsprinzipien
142
Wir berechnen noch die Entropie des kanonischen Ensembles,
Z
Z
1
S[pβ ] = − dωpβ log pβ = − dωpβ (−βH − log Zβ ) = βU [pβ ] + log Zβ .
k
Der Vergleich mit (11.51) zeigt, dass gilt
Fβ = −kT log Zβ ,
(11.52)
und dies ist in Übereinstimmung mit unserem früheren Resultat (11.34).
11.5.3
Großkanonisches Verteilung
Nun erlauben wir neben dem Energieaustausch mit dem Wärmebad auch den Austausch
von Teilchen. Obwohl die Teilchenzahl fluktuieren kann werden wir bei einer thermodynamischen Beschreibung den Erwartungswert der Teilchenzahl festhalten. Wir müssen also
gleichzeitig Systeme mit N = 0, 1, 2, . . . Teilchen zulassen. Das Untersystem mit N Teilchen
werde durch eine Hamiltonfunktion HN auf dem N -Teilchen Phasenraum Γ(N ) beschrieben
und die Verteilung der N Teilchen durch eine positive Funktion pN (x) mit x ∈ Γ(N ) charakterisiert. Nur die Kenntnis aller Verteilungen p = {p0 , p1 , p3 , . . .} in den Subsystemen mit fester
Teichenzahl bestimmt den Zustand des mechanischen Systems vollständig.
R
Das Integral pN dωN ist die Wahrscheinlichkeit dafür, im System N Teilchen vorzufinden.
Entsprechend werden wir fordern
XZ
pN (x)dωN (x) = 1.
(11.53)
N
Offensichtlich ist die mittlere Teilchenzahl dann gegeben durch
X Z
hN ip =
N pN (x)dωN (x).
(11.54)
N
Die Entropie eines Systems mit unbestimmter Teilchenzahl ist die Summe der Entropien der
Subsysteme,
XZ
X
S[p] =
S[pN ] = −k
pN (x) log pN (x)dωN (x),
(11.55)
N
N
Γ(N )
und der Erwartungswert der Energie ist
hHip =
X
N
hHN ipN =
XZ
N
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
Γ(N )
HN (x)pN (x)dωN (x).
(11.56)
11. Klassische Ensembles
11.5. Variationsprinzipien
143
Wir suchen jetzt das Maximum der Entropie bei fluktuierender Energie und Teilchenzahl aber
bei gegebener mittlerer Energie hHip = U und mittlerer Teilchenzahl hN i = N̄ . Das Variationsprinzip lautet dann
1
µ
sup S[p] − (hHip − U ) + (hN ip − N̄ )
(11.57)
T
T
p
Berücksichtigen wir noch (11.43) dann erhalten wir für die Variation
XZ
1
δpN (x) log pN + 1 + βHN (x) − µβN − λ dωN = 0, β =
.
kT
N
Die Multiplikatoren T, µ und λ berücksichtigen alle Nebenbedingungen, so dass die Variationen unabhängig sind. Nach Elimination des Multiplikators λ finden wir für die extremierende
Verteilung die großkanonische Gesamtheit
pβ,µ = {pβ,N (x)}
mit pβ,N (x) =
1
Zβ,µ
e−β(HN (x)−µN ) .
Die hier auftretende großkanonische Zustandssumme
XZ
Zβ,µ =
e−β(HN −µN ) dωN
(11.58)
(11.59)
N
ist die gewichtete Summe der kanonischen Zustandssummen der Systeme mit fester Zeilchenzahl,
Z
X
Zβ,µ =
z N Zβ,N mit Zβ,N = e−βHN dωN
(11.60)
N
eβµ . Die großkanonische Zustandssumme hängt von den Multiplikato-
und der Fugazität z =
ren 1/T und µ ab. Der Multiplikator µ ist gerade das chemische Potential. Um dies einzusehen
berechnen wir die Entropie der großkanonischen Gesamtheit,
XZ
T S[pβ,µ ] = −kT
dωN pN log pN = hHiβ,µ − µhN iβ,µ + kT log Zβ,µ .
(11.61)
N
Hier erinnern wir uns an das großkanonische Potential
J(T, V, µ) = F − µN = U − T S − µN,
(11.62)
siehe (4.53). Ein Vergleich der beiden letzten Beziehungen führt auf die Identifikation
J(T, V, µ) = −kT log Zβ,µ .
(11.63)
Damit ist auch für das großkanonische Ensemble der Logarithmus der Zustandsfunktion ein
thermodynamisches Potential. Dies wird auch durch die Ableitungen von −kT log Zβ,µ nach
der Temperatur und dem chemischen Potential bestätigt,
∂J
∂T
∂J
∂µ
= −
1
(11.61)
(hHiβ,µ − µhN iβ,µ + kT log Zβ,µ ) = −S[pβ,µ ]
T
= −hN iβ,µ .
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
(11.64)
11. Klassische Ensembles
11.5. Variationsprinzipien
144
Das großkanonische Potential ist eine Funktion von V, T und µ und hat als extensive Größe
deshalb die Form J = ω(T, µ)V . Seine partielle Ableitung nach V ist gleich dem negativen
Druck, siehe (4.54). Also ist ω = −p und damit
J(T, V, µ) = −pV = −kT log Zβ,µ .
(11.65)
Dass großkanonische Potential wird bei der Diskussion der Fermi-Dirac und Bose-Einstein
Statistik eine wichtige Rolle spielen.
11.5.4
Teilchen mit Paarwechselwirkung
Für ein nicht-relativistisches System mit N gleichartigen Teilchen mit Paar-Wechselwirkung
hat die Hamiltonfunktion die Form
HN
N
X
X
pi2
=
+
V (|xi − xj |) .
2m
i=1
(11.66)
i<j
und die kanonische Zustandsumme ist
Z
N Z Y
P
Y
1
3
−βp 2 /2m
3
−β
V (|xi −xj |)
d
p
e
d
x
e
.
Zβ,N =
i
N ! h3N
(11.67)
i
Die Gaußschen Integrale über die 3N Impulskomponenten können wir mit Hilfe der (bekannten) Formel
r
Z
2π
2
dp e−αp /2 =
α
leicht ausführen. Wir finden
Zβ,N =
1 1
N ! λ3N
Z Y
d3 xi e−β
P
V (|xi −xj |)
,
(11.68)
i
wobei die thermische de-Broglie Wellenlänge auftritt,
λdB = √
h
.
2πmkT
(11.69)
Die thermische Wellenlänge stellt ein einfaches Mittel zur Abschätzung der Quantennatur
eines System dar. Ist sie mit anderen charakteristischen Längen des Systems, zum Beispiel
die mittleren freien Weglänge der Teilchens oder dem mittleren Abstand, vergleichbar, dann
spielen Quanteneffekte eine Rolle. Die Wellenlänge nimmt bei sinkender Temperatur zu und
das Gas verhält sich deshalb bei sehr tiefen Temperaturen nicht mehr klassisch.
Für ein ideales Gas aus N freien Teilchen ist die kanonische Zustandssumme
Zβ,N =
1 VN
N ! λ3N
dB
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
(11.70)
11. Klassische Ensembles
11.6. Virialentwicklung
145
und entsprechend finden wir für die großkanonische Zustandssumme
Zβ,µ =
X
z N Zβ,N =
N
X 1 zN V N
3
= ezV /λdB .
3N
N ! λdB
(11.71)
N
Das entsprechende Potential (11.65) ist dann
J(T, V, µ) = −
kT z
V,
λ3dB
(11.72)
und wir erhalten mit dz/dµ = βz folgenden Zusammenhang zwischen mittlerer Teilchenzahl
und Fugazität
hN i = −
z
∂J
= 3 V.
∂µ
λdB
(11.73)
Ersetzen wir in (11.72) die Fugazität durch die mittlere Teilchenzahl, dann ergibt sich für das
großkanonische Potential die Formel J = −kT N̄ , was mit J = −pV sofort auf das ideale
Gasgesetz führt,
pV = N̄ kT.
(11.74)
Abschließend notieren wir noch, dass nach (11.73) für ein ideales Gas die Fugazität proportional zur Teilchenzahldichte ist,
z = λ3dB
hN i
= λ3dB n.
V
(11.75)
Die Fugazität ist die mittlere Anzahl Teilchen in einem Gebiet, dessen lineare Ausdehnung
etwa gleich der thermischen de-Broglie Wellenlänge ist.
11.6
Virialentwicklung
Für ein System von wechselwirkenden Teichen hat die kanonische Zustandssumme die Form
(11.68). Das Funktion V (r) im Exponenten ist das abstandsabhängige Potential zwischen
zwei Teilchen. Für manche Gase ist das Lennard-Jones-Potential eine gute Näherung, welches ein anziehendes van-der-Waals Potential mit einer aufgrund des Pauli-Prinzips starken
Abstoßung für kleine Abstände verbindet:
σ 12 σ 6
V (r) = 4ε
−
.
(11.76)
r
r
6
= 2σ 6 und
Bei Abstand σ verschwindet das Potential und das Potentialminimum liegt bei rmin
hat dort den Wert V (rmin ) = −ε. Das Lennard-Jones Potential wird in vielen Untersuchungen,
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
11. Klassische Ensembles
11.6. Virialentwicklung
146
bei denen es eher um grundsätzliche Fragen und nicht so sehr um die Berechnung spezieller Materialen geht, benutzt. Simulationen mit diesem Potential waren und sind auch heute
noch wichtig in der Festkörperphysik.
Weil die exakte Berechnung der Zustandssumme für reale Gase unmöglich ist, sind wir an
einer Entwicklung nach der Dichte interessiert, welche Korrekturen zur Zustandsgleichung
des idealen Gases liefert. Diese Virialentwicklung für die Zustandsgleichung hat die Form
3
2
p
N
N
N
+ B3 (T )
+ ...
(11.77)
=
+ B2 (T )
kT
V
V
V
mit Virialkoeffizienten Bj . Zur Herleitung der Virialkoeffizienten setzt man eine Entwicklung
nach der Fugazität an. Zuerst wird das großkanonische Potential J = −pV = −kT log Zβ,µ
nach z entwickelt, um dann über die Beziehung zwischen Teilchenzahl und der Ableitung
von J nach µ den Zusammenhang zwischen z und Teilchenzahldichte bis zur gewünschten
Ordnung zu erhalten. Die als Funktion der Dichte geschriebene Fugazität setzt man anschließend in die Entwicklung von J = −pV ein, um die gesuchte Modifikation des idealen Gasgesetzes zu finden.
Die großkanonische Zustandssumme hat die Potenzreihenentwicklung
Zβ,µ =
∞
X
z N Zβ,N (T, V )1 +
N =0
X
∞z N Zβ,N (T, V ),
(11.78)
N =1
mit kanonischen Zustandssummen (11.68) in den Untersektoren mit N Teilchen. Wir finden
dann folgende Entwicklung von log Zβ,µ nach Potenzen von z:
!
∞
X
J
pV
log Zβ,µ = −
=
= log 1 +
Zβ,N z N
kT
kT
N =1
X
−3
j
= V λdB
bj (T )z .
(11.79)
j=1,2,...
Die Koeffizienten bk können nach der Entwicklung des Logarithmus in Potenzen von z abgelesen werden:
Z 3
λ3dB
λ3dB
d x
b1 (T ) =
Zβ,1 =
= 1.
V
V V λ3dB
Die kanonische Zustandssumme für ein Teilchen enthält die Wechselwirkung noch nicht. Der
Koeffizient
λ3
1 2
b2 (T ) = dB Zβ,2 − Zβ,1
V
2
enthält die kanonische Zustandssumme für zwei Teilchen,
Z
1
Zβ,2 =
e−βV (|x1 −x2 |) d3 x1 d3 x2 .
2!λ6dB
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
(11.80)
11. Klassische Ensembles
11.6. Virialentwicklung
147
Weiter unten werden wir Zβ,2 für realistische Potentiale abschätzen.
Um nun die Fugazität über die Dichte auszudrücken, benutzt man die Darstellung der
Teilchenzahl als Ableitung von J nach dem chemischen Potential:
X
∂J
∂J ∂z
∂
N =−
=−
=z
log Zβ,µ = V λ−3
jbj (T )z j .
(11.81)
dB
∂µ T,V
∂z ∂µ
∂z
j=1,2,...
Also gilt wegen b1 = 1
1 N
≡ n = 3 z + 2b2 (T )z 2 + . . . .
V
λdB
Daraus berechnet man nun z(n) bis zur zweiten Ordnung in der Dichte,
z = λ3dB n − 2b2 (T )z 2 + . . . =⇒ z = λ3dB n − 2b2 (T )λ6dB n2 + O(n3 ).
(11.82)
Das setzen wir in die Entwicklung für pV /kT ein und erhalten nach Division durch V
log Zβ,µ
p
=
kT
V
=
1 2
z(n)
+
b
z
(n)
+
.
.
.
2
λ3dB
=
n − b2 (T )λ3dB n2 + O(n3 ).
(11.79)
(11.83)
Dies ist die gesuchte Virialentwicklung für pV /kT bis zur zweiten Ordnung in der Dichte. Der
in (11.77) definierte zweite Virialkoeffizient ist also
B2 (T ) = −λ3dB b2 (T ).
(11.84)
Es verbleibt die Berechnung von
b2 (T ) =
=
Z
1
−βV (|x −y |) 3
3
2
e
d xd y − V
2V λ3dB
Z h
i
1
−βV (|x −y |)
e
−
1
d3 x d3 y .
2V λ3dB
Da der Integrand nur von x − y abhängt, ist es naheliegend zu Relativ- und Schwerpunktskoordinaten der beiden Teilchen überzugehen. Wenn man aber bei festgehaltenem Schwerpunkt die Relativkoordinaten über den ganzen Raum variieren lässt werden auch Orte der
Teilchen beschrieben, die außerhalb des vorgegebenen Kastens liegen. Weil aber der Integrand für große Relativabstände der Teilchen schnell gegen Null strebt, kann man den dadurch gemachten Fehler vernachlässigen und das Integral durch
Z
Z
h
i
3
d R
d3 r e−βV (r) − 1 , mit r = |r |,
V
R3
nähern. Nach der einfachen Integration über die Schwerpunktkoordinaten und über den
Winkelanteil der Relativkoordianten finden wir für das Integral
Z ∞ h
i
4πV
r2 e−βV (r) − 1 dr.
0
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik
11. Klassische Ensembles
11.6. Virialentwicklung
Insgesamt ergibt sich
Z ∞ h
Z ∞ h
i
i
2π
b2 (T ) = 3
r2 1 − e−βV (r) dr.
r2 e−βV (r) − 1 =⇒ B2 (T ) = 2π
λdB 0
0
148
(11.85)
Für ein Lennard-Jones Potential (11.76) kann man b2 weiter vereinfachen, indem man ausnutzt, dass im Bereich 0 < r < σ das Potential wegen der Abstoßung sehr groß und deshalb
der Term exp(−βV ) sehr klein wird. Zudem entwickeln wir in Potenzen von 1/T um B2 in eine
Form zu bringen, die mit der van-der Waals Zustandsgleichung verglichen werden kann:
Z ∞ h
Z σ
i
2
r2 1 − e−βV (r) dr
r dr + 2π
B2 (T ) ≈ 2π
0
Z ∞ σ
2π 3
≈
r2 V (r)dr.
(11.86)
σ + 2πβ
3
σ
Dividieren wir die van-der Waalsche Zustandsgleichung in der Formulierung (5.3) durch kT ,
dann erhalten wir
p
n
n2
=
− am
kT
1 − nbm
kT
= n 1 + (bm − βam )n + O(n2 ) .
Ein Vergleich mit (11.77) zeigt, dass bm − βam gleich B2 (T ) in (11.86) sein muss. Damit ergeben sich folgende Ausdrücke für die mikroskopischen Koeffizienten in der vdW Zustandsgleichung:
bm =
2π 3
4π σ 3
σ =4·
3 Z
3 2
∞
r2 V (r)dr.
am = −2π
(11.87)
σ
Während bm also bis auf eine Faktor 4 das Volumen eines Teilchens mit dem Durchmesser σ
angibt (und so von der „hard-core“-Abstoßung kommt), beschreibt am den attraktiven und
langreichweitigen Teil der Wechselwirkung. Für das Lennard-Jones Potential (11.80) ist am =
16πεσ 3 /9.
Die Virialkoeffizienten Bj geben Auskunft über die Wechselwirkung zwischen den Gasteilchen und man kann über eine genaue Messung von Druck und Temperatur bei Variation
der Teilchendichte Rückschlüsse auf die Form des Potentials ziehen. Von theoretischer Seite ist es deshalb von Interesse die Virialkoeffizienten für realistische Potentiale bis zu einer
genügend hohen Ordnung zu berechnen.
Das Verfahren der Virialentwicklung findet zum Beispiel auch bei der Behandlung von
Colloid-Lösungen Verwendung. Durch Wahl der Größe der großen und kleinen Colloidteilchen bzw. Polymere, durch Variation der Dichte der Polymere und durch Einbringen von
elektrisch geladenen Teilchen können viele Zustände simuliert werden: Gele, Gase, Festkörper und Flüssigkeiten.
————————————
A. Wipf, Thermodynamik und Statistische Physik