Arzneimittelsuchstrategien in der Homöopathie Es ist zunächst zu

Arzneimittelsuchstrategien in der Homöopathie
Es ist zunächst zu sagen, daß Arzneimittelsuchstrategien immer Erfolgsstrategien sind.
Sie sind wie eine kriminalistische Tätersuche. Symptomensammlung ist Spurensuche.
Alle Erfolgsstrategien als solche werden sie induktiv gefunden oder bestätigt.
Hahnemann und seine Entwicklung als Arzt sind ein beredtes Zeugnis für dieses
Vorgehen. Dabei fand eine fortwährende Verbesserung seiner Kenntnisprämissen statt:
er hat sich selbst im Alter von 80 Jahren nicht davor gescheut, für sein neues Pariser
Klientel neue Potenzierungsformen homöopathischer Arzneien zu entwickeln, d.h. seine
Methodik weiterzuentwickeln.
Wenn man heute die homöopathischen Schulen betrachtet, so finden wir einerseits die
"guten" Traditionalisten oder Klassiker und die "bösen" Eklektiker auf der anderen
Seite. Hauptkennzeichen der Eklektiker ist die Kürze ihrer zeitlichen Existenz, die
zumeist mit dem Tode des Begründers verendet, weshalb der erledigte Eklektizismus
hier keine Erwähnung mehr finden soll.
In allen klassischen Schulen wird die Repertorisation exzessiv gepflegt, unabhängig
davon welche Präferenzen vorherrschen. Es wundert daher kaum, daß ein Vergleich der
nachfolgenden klassischen Suchstrategien von H. Frei unter dem Titel "Die
Rangordnungen der Symptome von Hahnemann, Bönninghausen, Hering und Kent,
evaluiert an 175 Kasuistiken" in der Zeitschrift für Klassische Homöopathie Heft 4/99
erschienen ist. Es handelt sich in der homöopathischen Welt um den bislang einzigen
Versuch, Erfolge von Arzneimittelsuchstrategien zu dokumentieren. Leider fehlen die
175 unterlegten Kasuistiken als solche, aber wir wollen dem Autor nicht unterstellen,
daß hier manipuliert wurde, zumal damit keine kommerziellen Interessen verbunden sein
können. Hierzu sei darauf verwiesen, daß es wirtschaftlich keinen Unterschied macht,
ob ich Lachesis D200 nach Hering oder Kent verordne. Alle Klassiker gehen vom
Hahnemannschen Suchschema aus, in dem folgende Symptomenhierarchie defineriert
wird:
Hierarchien der Klassischen Homöopathie
Auffallende, ungewöhnliche Symptome (§153)
Gemütssymptome (§210)
Modalitäten(§133)
Gynäkoligische (besser: rhythmische)Symptome (§94)
Symptome innerer Organe (CK I/120)
Symptome der Körperoberfläche (CK I/120)
Hahnemann
Hierarchien der Klassischen Homöopathie
Auffallende, ungewöhnliche Symptome (§153)
Gemütssymptome (§210)
Modalitäten(§133) oder Causa (§5)
Gynäkoligische (besser: rhythmische)Symptome (§94)
Symptome innerer Organe (CK I/120)
Symptome der Körperoberfläche (CK I/120)
nach Bönninghausen
Zuletzt entstandene Symptome
Auffallende, ungewöhnliche Symptome (§153)
Gemütssymptome (§210)
Modalitäten(§133)
Gynäkoligische (besser: rhythmische)Symptome (§94)
Symptome innerer Organe (CK I/120)
Symptome der Körperoberfläche (CK I/120)
nach Hering
Auffallende, ungewöhnliche Symptome (§153)
Gemütssymptome (§210)
Modalitäten(§133) Verlangen und Abneigung physisch und psychisch
Allgemeine Symptome (auch rhythmische)
Teilsymptome
nach Kent
Betrachtet man diese Abfolge, so zeigt sich welche Konstanz die Homöopathie bis Kent
(das sind die ersten 100 Jahre) hatte. Immer wieder ist genau diese Konstanz
Gegenstand der Kritik einer modernen Medizin, die alle fünf Jahre auf den
Internistenkongressen die Wahrheit von gestern zum Irrtum von heute erklärt. Die
klassische Homöopathie hat sich diesem Ansinnen immer wieder nachhaltig widersetzt
und widerstanden. Im wesentlichen wird sie auch heute noch so praktiziert wie vor 150
Jahren. Nehmen wir den Fall des Lycopdium-Psychiaters, so erhalten wir nach allen vier
Modellen dasselbe Ergebnis: nämlich die Notwendigkeit einer Lycopodiumverordnung,
die sich dann durch ihren vollständigen Erfolg als richtig erwiesen hat. (Nichts ist
erfolgreicher als der Erfolg oder wer heilt, hat recht.)
Der Hintergrund aller Repertorisation ist die intuitive Erkenntnis von Bönninghausens,
daß das Problem der Arzneimittelverordnung gelöst werden kann durch Anwendung der
Mengenlehre, die freilich zu seinen Lebzeiten nur in Mathematikerkreisen, in denen er
nicht verkehrt ist, bekannt war. Bönninghausen begriff das Symptom als Summe von
Teilsymptomen, die jeweils eine Lösungsmenge von Arzneimitteln repräsentierte. Die
Schnittmengenbildung der dargestellten Arzneimittelmengen lieferte dann die
Lösungsmenge, d.h. im Idealfall das heilende Arzneimittel. Es handelt sich also um
angewandte Mathematik. Lieferte die Repertorisation mehrere Arzneimittel, so war der
Befragungsprozess zu wiederholen oder man schloss das Studium der vergleichenden
Arzneimittellehre an, um schließlich eine eindeutige Lösung zu finden.
Oft aber bildet sich trotz lege artis angewandten Schemas nur die leere Menge als
Lösungsmenge ab, d.h. die Anwendung der Mathematik führt, wie übrigens auch in der
Mathematik selbst, zu keiner Lösung. Die Klassiker nun führen dies auf eine schlechte
Grundlage, d.h. Anamnese, zurück. Es heißt dann, ein wirklicher Meisterhomöopath
hätte das besser gemacht. Man verkennt dabei, daß in der reinen Mathematik zwingend
nicht lösbare Gleichungen existieren.
Aus diesem Grund sind heutzutage Supervisionen weit verbreitet. Allerdings ist es nach
meiner Erfahrung, u.a. mit Sankaran oder Vithoulkas bei den Geukens-Seminaren in
Hechtel, eher so, daß es auch einem Topsupervisor oft nicht gelingt, der angewandten
Mengenlehre zum Sieg zu verhelfen. Sankaran konnte z.B. 1993 in Hechtel keinem
einzigen von acht vorgestellten Patienten mit ungutem Fallverlauf, die entscheindende
Wende geben. Der Nachbeobachtungszeitraum betrug hier immerhin ein Jahr, in dem
er als Supervisor tätig war. Damit soll nicht gesagt werden, daß der nur mäßig
fortgeschrittene Homöopath nicht von einer Supervision profitieren könnte, aber der weit
fortgeschrittene Homöopath mit Erfolgsquote von 60-70% kommt so kaum noch weiter.
Offensichtlich besteht in diesen Umständen ein systematischer Mangel, den die
Eklektiker klarer erkannt haben als die Traditionalisten. Die Eklektiker können in der
Regel gut repertorisieren und haben oft die Meistererfolgsquote von 70% am
unselektierten Krankengut. Es gibt sogenannte Klassiker, die sogar Kent als Eklektiker
bezeichnen. Und in der Tat wich Kent mit den synthetisierten Arzneimittelbildern (vgl.
Neue Arzneimittelbilder) recht deutlich von Pfad homöopathischer Tugend ab, der da
lauetet: nur ein (gut) geprüftes Arzneimittel ist verordnungsfähig. Kent war über die
Reaktion der Traditionalisten seiner Zeit so erschrocken, daß er seine Thesen nicht zu
wiederholen wagte. Erst jüngst wurde mit Macht von Jan Scholten diese systematische
Bildung von Arzneimittelbildern ohne AMP wieder eingeführt, deren Idee so an sich
ganz einfach ist: man nehme zwei Arzenimittelbilder und synthetisiere daraus ein drittes,
also ermittelt man aus Aurum metallicum und Acidum sulfuricum die Arznei Aurum
sulfuricum. Freilich funktioniert dieser Ansatz so nur mit Mineralien. Scholten ging dann
noch einen Schritt weiter und nutzte das Periodensystem der Elemente zur
Gruppenanalyse. Im übrigen hat Sankaran das miasmatische Gerüst für diese
Gruppenanalyse schon 1989 in Romanshorn geliefert.
Nahezu gleichzeitig mit Scholten kam Mangialavori mit dem Begriff der Familie in die
Arzneimittellehre. (Es ist nicht verwunderlich, daß diese Idee von einem Italiener
stammt). Er orientierte sich dabei nicht nur an Mineralien wie den Natriumsalzen,
sondern sprach von Schlangen- oder Spinnenmitteln, verglich Pfanzenfamilien, und kam
über den Polychrest zur Lösung durch ein wenig bekanntes Arzneimittel. Diesen
Versuchen, die sich nicht auf dem Boden der AMP und damit Hahnemanns befinden,
liegt die Erkenntnis der Schwäche der Klassischen Methode zu Grunde, daß von allen
ca. 2000 homöopathischen Arzneimitteln nur etwa 100 für die klassische Analyse
taugen. Je schlechter ein Mittel geprüft ist, desto weniger Symptome können in der
Repertorisation auftauchen. Ich selbst habe hierzu den Satz formuliert: "Es gibt zu allem,
was wir wissen, noch mindestens eines, das wir nicht wissen. Mangialavoris Idee ist
denn auch nicht allzu schwer zu begreifen: bringt der repertorisierte Polychrest keinen
Effekt, dann prüfe sein familiäres Umfeld und gewinne durch Versuch und Irrtum doch
noch den Krieg nach einer verlorenen Schlacht.
Einer dieser zeitgenössichen Eklektiker, die ich persönlich kennengelernt habe, ist
Hugbald Volker Müller, ein inzwischen in den 70 ern lebender Kölner Arzt und
Homöopath. Müller intensiverte zuerst die Anamnese, die er zu einem mehrstündigen
Lebensinterview ausbaute und das in seinem Buch "Die Psychoanamnese" ausführlich
beschrieben ist. Das war noch der Schritt innerhalb der Klassik durch Intensivierung der
Anamnese dennoch zum Erfolg zu gelangen. Durch die Vielzahl dieser Anamnesen kam
Müller zu der Überzeugung, daß auch die eindeutig genannte Lieblingsfarbe ein §153Symptom ist. Einige Jahre später stellte er durch die Briefe, die er von dankbaren
Patienten bekam, fest, daß die Schrift gelöster Coniumfälle auffällige Ähnlichkeiten
aufwies,
einige Coniumschriften
und errichtete ein Archiv von Handschriften gelungener Arzneitherapien. Müller hat auf
diese Weise zwei sich bedingende §153-Symptome, die der ärztlichen Interpretation
nur noch begrenzt unterliegen.
Cuprum-Arsenicosum-Schriften und kleiner Fall
Hat sich der Fall eines Patienten in diesem Netz verfangen, hat Müller eine deduktive
Prämisse, die er nur noch über die Arzneimittellehre einer induktiven Bestätigung
zuführen muß. Das Müllersche Archiv hat allerdings einen gemeinen Haken: es sind
maximal 300 von 2000 Arzneischriften bekannt. Das ist nicht viel besser als die Basis
der klassischen Methodik. Seine dreibändige Kasuistiksammlung "Die Farbe als Mittel
zur Similefindung" zu diesem, seinem Vorgehen stellt aber das Phänomen der Schrift
noch gar nicht vor. Diese findet sich nur in seinen Kasuistiken, die in der AHZ
regelmäßig veröffentlicht werden. Da ich dieses Verfahren nach einer Hospitation bei
Müller 1994 regelmäßig neben dem klassischen Verfahren anwende, sind mir auch
seine Grenzen hinreichend bekannt. Fast unmöglich wird dieses Verfahren, wenn es von
einem Intellektuellen praktiziert wird. Er überlegt sich seine Lieblingsfarbe und ist oft,
aus Angst vor der Bewertung des Arztes, unfähig zu einer spontanen oder gar echten
Antwort. Die spontane Antwort auf die Frage nach der Lieblingsfarbe ist aber
entscheidend. Geradezu rätselhaft muß es anmuten, daß Müller den
entscheidungsunfähigen Anacardiumpatienten die Lieblingsfarbe zitronengelb
entlocken konnte, während ich selbst diese Patienten zwischen schwarz und weiss
schwanken sah. Aber ich habe in seiner Praxis oft erlebt, wie leicht sich die Kölner mit
dieser scheinbar leichten Frage tun, und sehe in meiner Praxis in Stuttgart, welches
Drama sich Schwaben aus der Frage nach der Lieblingsfarbe machen können. Hier
spielt die kulturelle Unbefangenheit des Katholizismus offensichtlich eine wichtige Rolle.
Es handelt sich wohl um eine Kontextfrage, die über Wohl und Wehe des Vorgehens
entscheidet. Die Methode an sich ist wertvoll als Ergänzung zum klassischen Vorgehen,
ganz besonders bei den sogenannten einseitigen Krankheitsfällen, zu denen auch
Krebserkrankungen gehören, und bei symptomarmen Fällen, auch und gerade dann,
wenn die Symptomarmut in einer diskordanten Kommunikation besteht.
Eine weitere Form des Eklektizismus stellt die Überprüfung der Verordnung mittels
einer Drittmethode dar. Ihnen wird das Phänomen unterlegt, daß der Patient
energetisch wie Proband funktioniert und in Verbindung mit dem Arzneimittel ein
messbares Resonanzphänomen erzeugt. Eine altbekannte, immer wieder vorgebrachte
Art dieser prognostischen Überprüfung stellt die Kinesiologie dar. Hier wird dem
Patienten das Medikament in die Hand gegeben und anschließend geprüft, ob er mit
dem Medikament in der Hand mehr Widerstand gegen einen ausgeübten Druck des
Untersuchers aufbringen kann. Solche Verfahren sind, obwohl weit verbreitet, genauso
abzulehnen wie der RaC nach Nogier, da hier Untersucher und Untersuchter eine nicht
wiederholbare energetische Vereinigung eingehen. Außerdem besteht eine starke
Abhängigkeit von der gesundheitlichen Verfassung des Untersuchers. Sie setzt einen
voll gesunden Untersucher voraus. Weniger problematisch ist die wissenschaftlich
schon besser abgesicherte Anwendung der Elektroakupunktur nach Voll. Hier werden
an vorgegebenen Messpunkten (= Akupunkturpunkten) Hautwiderstände mit und ohne
Arzneimittel überprüft. Die prognostizierte Arzneimittelwirkung zeigt sich dann in einem
Herstellen "idealer" Hautwiderstände an möglichst vielen, möglichst allen Messpunkten.
Auch hier spielt der Untersucher eine Rolle, aber abgesehen von interindividuellen
Unterschieden der Untersucher besteht eine ordentliche Reproduzierbarkeit. Obwohl
das Vollsche Verfahren vom Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen mit grosser
Beharrlichkeit als wissenschaftlicher Mumpitz abgetan wird, wurde es von der
russischen Raumfahrt mit großem Erfolg getestet. Selbst von der Bundeswehr liegt ein
positiver Testbericht vor. Allein in der Vielfalt der mitzuführenden Apotheke sah der
dortige Untersucher ein Problem für die "Feldtauglichkeit". Via EAV lassen sich sogar
die Klassische Methode wie auch die vorher erwähnten Eklektizismen preemptiv
verifizieren.
Bei allen Erfolgen mit diesem System entstehen zwei wesentliche Gefahren:
1
Es verleitet zur Polypragmasie, weil nicht alle Messpunkte ausgeglichen
werden können. Die Endstufe ist dann ein persönliches homöopathisches
Komplexmittel mit 30-50 oder mehr Arzneimitteln. Hierdurch entsteht die
schon von Hahnemann gefürchtete kombinatorische Explosion der Wechselwirkungen, die im Mißerfolgsfall unlösbare Folgeprobleme aufwerfen. Die
Methode verliert nun die intellektuelle Kontrolle durch den Arzt.
2
Der prognostische Wert ist in der Praxis limitiert: was jetzt ein Resonanzphänomen zeigt, muß dies morgen nicht wiederholen. Die vom Messverfahren
vorgegebene Spezifität für das System Apparat-Patient ist nicht genau genug.
In der Praxis erweist sich dieses Verfahren allerdings als einzigartig zum Ausschluß
einer folgenschweren Fehlverordnung. Jeder Homöopath weiß um seine Verantwortung
in der Differentialdiagnose zwischen Causticum und Phosphorus oder zwischen Sepia
und Pulsatilla. Hier entscheidet die richtige Verordnung über Wohl und Wehe des
Patienten und in diesen Fällen zeigt der Apparat der EAV oft die einzige
Kontrollmöglichkeit zur Vermeidung einer Fehlverordnung. Aber man sieht auch hier:
steht man sicher auf dem Boden der Klassischen Homöopathie,dann setzt man den
Eklektizismus nur als Zünglein an der Waage ein.
Der einfache chronische Fall, insbesondere wenn er womöglich den roten
Arzneimittelfaden enthält, ist das Primat der klassischen Verfahren. Die Verordnung
kann via EAV "geprüft" werden, doch sollte man sich hier nicht übervorsichtig
gebährden. Allerdings warnt der EAV-Test vor einer groben Fehlverordnung durch
Unterdrückung. In diesem Fall zeigen die Meridiane lebenswichtiger Organe (ZNS, Herz
oder anderer), in welchem System sich nachteilige Wirkungen zeigen werden.
Auch das Auftreten von Clustererkrankungen, d.h. Kombinationen oder Alternierungen
von Organerkrankungen, sollte man zunächst klassisch angehen, weil insbesondere die
eigentümlichen Cluster eine Domäne der Repertorien sind.
Bei der komplizierten Chronizität, hierzu gehören alle chronischen Hauterkrankungen,
Krebs, MS u.a., aber auch chronische Kopfschmerzen, insbesondere wenn sie länger
als fünf Jahre dauern, ist Skepsis gegen die Lösungen der Klassik angebracht, ganz
besonders, wenn bereits einige Fehlverordnungen bekannt geworden sind. Die
Münchner Kopfschmerzstudie von Springer u.a. ist ein Musterbeispiel für das Versagen
des klassischen Ansatzes.
Bei der Anwendung der EAV ist darauf zu achten, daß das Resonanzphänomen nur
eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den Therapieerfolg darstellt.
Das soll jeden warnen, auf dieser Basis durch Testung von allen bekannten
Arzneimitteln zur Lösung zu kommen. Eine Kollegin, die als Künzlischülerin in ihrem
Streben nach Perfektion schließlich bei dieser Arbeitsweise landete, weilt nicht mehr
unter uns, weil sie ihre eigene Krebserkrankung so nicht in den Griff bekam.
Der kurze Weg über Müllers Farben und Schrift führt dann in die Irre, wenn er nicht als
ein Folgeschritt nach der Repertorisation ist oder wenn er ohne Arzneiverifikation durch
die Arzneimittellehre erfolgt.
Krebs und andere autonome Erkrankungen, wie das toxische Schilddrüsenadenom,
sind nur dann klassisch homöopathisch lösbar, wenn man etwa nach Spinedi laufend
am "Symptomenball" bleibt und neu verordnet, d.h. das Mittel wechselt. Inwieweit diese
Vorgehen noch auf dem Boden Hahnemanns steht, bleibt das Geheimnis der Vertreter
dieser Vorgehensweise, zumal die Mittel noch am selben Tage wechseln können. Wenn
man die schulmedizinischen Verfahren der Operation und der Chemotherapie in
Krebsfällen mit einem meist "müllerisch" ermittelten Konstitutionsmittel begleitet, hält
sich der oft beobachtete Fall des Haupthaares in engen Grenzen, so daß meist eine
Perücke nicht nötig wird. Dies ist eine bemerkenswerte Besonderheit von einer Reihe
von Patienten, die ich so begleiten durfte.
Gefahr durch das Mittel der Konstitution entsteht dann, wenn bereits ein noch nicht
erkannter autonomer Prozess im Organismus stattfindet. Der autonome Prozess ist als
Ventil innerer Ausscheidung zu verstehen, der dann die gesamte Toxinbelastung tragen
muß. Das führte z.B. im Falle eines autonomen SD-Adenoms zur thyreotoxischen Krise,
die homöopathisch zumindest von mir nicht beherrschbar war.
Operation und/oder Chemotherapie plus Homöopathie könnten entscheidende
Verbesserungen in die Lebensqualität der Patienten bringen und möglicherweise auch
die Heilungschancen verbessern. Dies wäre aber zu verfifizieren.
Die Homöopathie ist keine Methode der Ausschließlichkeit, auch wenn sie als Basis
therapeutischen Vorgehens erhebliche Erleichterungen für die Patienten mit sich bringt,
aber schon Hahnemann wußte die Grenzen der Methode nur zu genau. Die
methodischen Grenzen sind durch das klassische Hierarchisierungsschema deutlich
genug gezeichnet, der Eklektizismus erweitert diese Grenzen nur sehr bedingt: es sind
höchstens zusätzliche 10-20%, so daß maximal 80% der Patienten erfolgreich einer
homöopathischen Behandlung zuzuführen sind. Das ist, wenn man die primär der
chirurgischen Therapie anheimfallenden Patienten ausnimmt, keine schlechte
Erfolgsquote, aber keinesfalls ausreichend für ein wie auch immer definiertes
Behandlungsmonopol, das immer wieder implizit von Puristen verlangt wird. Allerdings
ist und bleibt wahr: es gibt bislang innerhalb der bekannten Grenzen keine
Entscheidungskriterien, welcher Patient einer homöopathischen Behandlung zugänglich
ist und welcher nicht. Nicht klassische Ansätze der Arzneimittelfindung sollten erst dann
Anwendung finden, wenn die klassische Methodik nachweislich versagt hat oder dies
wenigstens nicht erfolgversprechend erscheint. Dies wird immer dann der Fall sein,
wenn man beginnt, den Fall außerhalb seiner Faktizität einer Lösung zuzuführen, also
sich in Ergrübelungen des Geistes (Hahnemann) bewegt. Die Methodik, einen
Grundirrtum der Wahrnehmung, eine basic delusion (Sankaran) zu erabreiten, erweist
sich oft selbst als basic delusion.