Andreas Metzner, Probleme so

Prof. Dr. Sven Papcke
Institut für Soziologie
Scharnhorststr. 121
48151 Münster
Besprochen wird:
Andreas Metzner,
Probleme sozio-ökologischer Systemtheorie. Natur und Gesellschaft
in der Soziologie Luhmanns, Opladen 1993
(WDR 3 – 1993)
Anfang Februar 1993 hielt Niklas Luhmann im überfüllten Audimax
der Universität Bielefeld seine Abschiedsvorlesung. Das Thema bei
dieser Gelegenheit: „Was ist der Fall? und „Was steckt dahinter?
Die
zwei
Soziologien
und die
Gesellschaftslehre“. Amüsant
und
spritzig, eben in gewohnter Manier, setzte sich der Soziologe vor
dem weiten Rund mit den Selbstzweifeln seines Faches auseinander. Denen sei allerdings beizukommen, so war zu hören, wenn sich
die Disziplin nur auf die Systemtheorie nach Bielefelder Webart
verständigen könnte.
Im „Modus der Beobachtung zweiter Ordnung“, so Luhmann, also
nachdem sie endlich in ein intellektuelles Glasperlenspiel verwandelt sei, bestünde ihre Idee der Wahrheit in allem möglichen, beruhte allerdings nicht mehr auf einer Beziehung zu den Gegenständen.
Von dieser Last wäre man befreit, da die „Soziologie nur mehr die
Gesellschaft in der Gesellschaft zu parodieren“ habe. Dabei wäre
dann - wie in der Literatur - der Reiz des Komischen, der dabei entstehe, offenbar umso wirkungsvoller, je größer die Fallhöhe zwischen Parodiertem (sprich Gesellschaft) und Parodie oder Soziallehre sei.
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Freilich, ob damit der Anspruch von Luhmann tatsächlich erreicht
würde, „ein Höchstmaß an gesellschaftlicher Resonanzfähigkeit zu
inkarnieren“, mag mit Fug und Recht bezweifelt werden. Obzwar ohne Frage seine Soziologie des Als-Ob einen hohen Unterhaltungswert bieten kann, weswegen sie gewissermaßen die durchaus angemessene Denkfigur der Sozialwissenschaften im Zeitalter der Medien zu sein scheint.
Allerdings sind die Opfer erheblich, die das Fach auf dem Altar
der parodistischen Beobachtungsbeobachtung zu bringen hat. Nicht
nur findet der „Projektbetrieb der empirischen Forschung“ wenig
Gnade in den Augen von Luhmann, der ihr nicht ohne Grund bescheinigt, sie lasse allemal „die Realität entscheiden, was wahr und
was unwahr ist“. Aber auch die beliebte Beschäftigung mit den
„Fünf-Sterne-Helden des Faches, den Klassikern“ gilt dem Vortragenden nurmehr als Hinweis auf „die Ermattung, die das Fach gegenwärtig kennzeichnet“.
Aber da ist ja Luhmann selbst, Gottseidank!, dem die Frankfurter
Allgemeine Zeitung bescheinigte, einen „entschiedenen Bruch mit
der soziologischen Tradition herbeigeführt zu haben“. Was immer
das heißen mag, auch Luhmann selbst beförderte jedoch aus Anlass
seiner Pensionierung diesen Eindruck. Etwa indem er unter Anspielung auf die chinesische Malerei feststellte, diese könne man bewundern, vor allem, wenn und weil sich die Eleganz ihrer Linienführung so gefällig in Nebel und Wolken aufzulösen pflegt. Man könne
aber auch sagen, das kommt: den Chinesen fehlte die Zentralperspektive. Und dieser Mangel treffe auch auf die ‚klassische Soziologie' zu, Abhilfe schaffe hier erst die Systemtheorie...
Eine maliziöse Anspielung, aber wie sooft bei dem Meisterdenker
ist einige Vorsicht bei seinen Beispielen angeraten. Mit Luhmann
sind soziale Systeme zu verstehen als Inseln verminderter Komple-
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xität im allfälligen Chaos. Kaum verwunderlich, dass ihr systemtheoretischer Ausdruck beansprucht, über mehr Verarbeitungskapazität
zu verfügen als andere Denkansätze. Fügt sich so alles aber erst in
alles, dann kommt es auf die Stimmigkeit der Einzelargumente gar
nicht mehr unbedingt an.
So auch in diesem Fall, oder anders ausgedrückt: Im Sprachgebrauch der von ihm herangezogenen ‚Perspektivik' vertritt Luhmann eine eigenwillige Variante dieser Fertigkeit: Ist sein Werk
doch nicht vom Gegenstand, sondern vom Betrachter her angelegt.
Man könnte auch von ‚Vogelperspektive' sprechen, für die das Reale zur Nichtigkeit schwindet. Wohingegen die gescholtenen Chinesen die Perspektivistik sehr wohl beherrschten, man denke an die
von ihnen gepflegte Kunst der so genannten Parallelperspektive.
Aber wie in der sogenannten ‚umgekehrten Perspektive' der mittelalterlichen Malerei, soll die in Ostasien gewählte Form des Aussparens ein auf das Weltganze gerichtetes Lebensgefühl ausdrücken.
Wie bei den Chinesen, so in der klassischen Soziologie: Ihr fehlte
keineswegs die Zentralperspektive, sie vertrat allerdings ein gänzlich anderes Wirklichkeitsverständnis. Aber sei dem wie es sei, das
alles ist - wie immer bei Luhmann - intellektuell aufregend formuliert. Aber dass der Luhmanncharme auch Problemseiten hat - über
das Spielerische seines Meditierens hinaus -, das verdeutlicht die
Schrift von Andreas Metzner, der an der Universität in Kassel beschäftigt ist. Worum geht es dieser Arbeit?
„Die Überführung von Positionen naturalistischer Erkenntnislehre
in eine universalistische Systemtheorie der Gesellschaft wirft Fragen nach dem Realitätsbezug der mit diesem Ansatz zu gewinnenden sozialwissenschaftlichen Erkenntnis auf“. So heißt es einmal
etwas umständlich im vorliegenden Buch, das nicht immer einfach
zu lesen ist. Der Bielefelder Soziologe Luhmann, so Metzner, gehe
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letztlich davon aus, dass es tatsächlich so etwas wie Systeme in
actu gibt.
Metzners Hauptbemühen ist daher dem Versuch gewidmet, die Naturalistik dieser Erkenntnistheorie auszuweisen und ihre Leistungsfähigkeit zu testen. Dabei sollen die Grenzwerte dieser Spielart des
Systemdenkens ansichtig werden. Die Abarbeitung dieser Fragen
stellt allein eine beachtenswerte Leistung dar. Insgesamt erhellt
das Buch auf dem Boden profunder Kenntnisse der naturwissenschaftlichen und der sozialwissenschaftlichen Systemdebatte die
erkenntnislogischen Voraussetzungen und Grenzen des Luhmannismus.
Ein weiterer Schwerpunkt ist der systemtheoretischen Aneignung
der Ökologiefragen gewidmet. Der Autor weist nach, dass sich auf
dem von Luhmann angestrebten Abstraktionsniveau die Schwierigkeiten dieser Themenstellung zwar angemessen darstellen lassen.
Aber eben auch anders, als Luhmann sie behandelt, da dessen
hochflektierte Sichtweise die mit diesem Dilemma gestellten Wirklichkeitskomplikationen letztlich wieder verdrängt. Denn die in der
Systemtheorie angelegte Verdoppelung der realpolitischen Unverantwortlichkeit wirkt einigermaßen zynisch, etwa wenn es bei Luhmann heißt, dass sich „die Gesellschaft ökologisch nur selbst gefährden“ könne.
Laut Metzner hingegen trifft die Grundunterscheidung von ‚System' und ‚Umwelt' in Luhmanns Theorie auf die mit der Ökologisierung unserer Weltsicht - als Folge der zunehmenden Zerstörung der
natürlichen Umwelt von Geschichte - sichtbar gewordene Vernichtungsgefahr gerade nicht zu.
Es gibt noch ein drittes Kritikfeld, auf das sich Metzner mit Blick
auf die soziologischen Handicaps der Systemtheorie einlässt. Da
durch die funktionale Differenzierung als Voraussetzung erfolgrei-
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cher Sozialentwicklung die Gefahrenherde gesellschaftlich nur selektiv wahrgenommen und infolgedessen politisch kaum bearbeitet
werden können, existieren sie für die Systemtheorie eigentlich auch
gar nicht. Wer wäre für Herausforderungen wie Krieg, Armut oder
Umweltvernichtung dann aber noch zuständig?
Nun, ein derartiges Ausblenden fördert eher Ideologie denn Soziologie, frei nach Zygmunt Bauman, der vor kurzem die Mängel der
Systemphilosophie
theoriekritisch
als
schlechte
Widerspiegelung
sozialgeschichtlicher Fehlverläufe vermessen hat, die noch immer
ihrer Spontanvergesellung folgen (sollen), ohne alle Rücksichten
auf die sozial- und humanökologischen Folgekosten.
Metzner hat nicht nur eine anregende Arbeit zu Fragen einer systemtheoretisch anspruchsvollen Ökologiedebatte vorgelegt. Seine
Studie setzt auch das allerorten nurmehr abspulende Luhmanngarn
einem Haltbarkeitstest aus. Das Ergebnis lautet: Nur bedingt tauglich, jedenfalls in den angesprochenen Bereichen.
Das
betrifft
zunächst
den
Sachzwangcharakter
des
Sozialver-
ständnisses, bei Luhmann findet sich ohne Zweifel eine Art neuer
Gesellschaftsmetaphysik. Und das betrifft zum anderen die bei ihm
vertretene Auffassung einer Geschichte ohne Subjekt, auf die Ulrich
Beck kürzlich mit der Bemerkung reagiert hat, wir hätten es hierbei
offenbar mit „einer Art Realgespenst“ zu tun.
Metzner widmet überdies wichtige Abschnitte seiner Arbeit der
Darlegung, weshalb nicht nur „funktional differenzierte Gesellschaften ihre eigenen Instabilitäten produzieren, insofern keine vorausschauende Koordination des Operierens der einzelnen Subsysteme
möglich“ sein soll. Darüber hinaus legt er auch dar, wieso das systemtheoretische Nachdenken über die Autopoiesis sozialer Einrichtungen entsprechende Kurzschlüsse des Sozialdenkens nach sich
zieht.