Die Besetzung starker Beiratsgremien als

Kapitel III n Human Resources-Beratung
Die Besetzung starker Beiratsgremien
als strategisches Kalkül
Völlig zu Unrecht wird der Beirat in seiner Funktion als „freiwilliger Aufsichtsrat“ oft
nur müde belächelt. Denn eine starke Geschäftsführung kann aus einem starken Beirat
einen hohen Mehrwert erzielen.
W
enn der Gesetzgeber heute für die Beset­
zung von Aufsichtsräten kapitalmarkt­
orientierter Unternehmen einen Finanz­
experten vorschreibt, so kommt dieser Schritt nicht
von ungefähr. Zu häufig konnte nach Unterneh­
menspleiten die Frage nach der Kompetenz der Auf­
sichtsorgane nicht oder nur unbefriedigend beant­
wortet werden. Allzu oft wurden – und werden heute
immer noch – der Qualifikation zur Ausübung des
Amtes diverse sachfremde Auswahlkriterien voran­
gestellt: von parteipolitischem Proporz über Organi­
sationszugehörigkeiten bis hin zu persönlichen Ab­
wägungen zur „Erleichterung der Durchsetzung von
Entscheidungen“. Dass ein solcher Schritt durch die
Gesetzgebung erforderlich wurde, war deshalb der
Bestandsaufnahme geschuldet, wie zu der Zeit die
Besetzung der Gremien vorangetrieben wurde.
Schließlich sollte es im Interesse des Vorstands lie­
gen, dass sein Kontrollorgan seine Entscheidungen
nicht einfach abnickt, sondern diese kritisch prüft
und hinterfragt.
Das Resultat einer solchen Besetzungspolitik liegt
auf der Hand. Man wird schnell Einigkeit darüber
befinden, dass die Entscheidungen des Geschäfts­
führers genau die richtigen sind. Ein weiteres Resul­
tat wird aber dann deutlich, wenn es zu einem uner­
warteten Ausfall des Geschäftsführers kommt und
der Nachfolger bei diesem Beirat Unterstützung in
operativen Entscheidungen sucht und diese nicht
findet. Insbesondere „Junioren“, die im Familien­
unternehmen unerwartet mit der Führungsaufgabe
betraut werden, wenden sich an uns, da sie mit der
Situation und der Unterstützung durch das vorhan­
dene Beiratsgremium höchst unzufrieden sind. Auch
erkennt gerade die zweite und dritte Generation in
familiengeführten Unternehmen, dass ein qualitativ
hochwertiger Beirat nicht ein Hindernis, sondern
vielmehr eine außerordentliche sinnvolle und das
Geschäft fördernde Institution sein kann – vorausge­
setzt, die Mandatsträger werden professionell und
systematisch ausgewählt.
Freunde statt Fachexperten
Selbst kleinere Unternehmen kommen heute nicht
mehr umhin, von Zeit zu Zeit externes Know-how in
Form von Beratungsaufträgen einzukaufen. Und
wenn die Wahl erst einmal getroffen ist, gibt es keine
Beratung auf Probe. Die Beratungsleistung muss
bezahlt werden und ist nur selten an den tatsächli­
chen, oftmals langfristig erhofften Erfolg geknüpft.
Das bedeutet, dass bei einem Beraterstab von vier
oder fünf Beratern mit entsprechenden Tagessätzen
sehr schnell eine sechsstellige Summe erreicht und
nicht selten ohne erkennbaren Return on Investment
ausgegeben wird.
Mit einem Beirat als Beratungsgremium, der das
Unternehmen über viele Jahre begleitet und in regel­
mäßigen Abständen seine Kompetenz in die strate­
Noch interessanter wird die Situation bei der Betrach­
tung von Beiräten mittelständischer Unternehmen.
Schließlich entscheidet hier nicht selten der geschäfts­
führende Gesellschafter darüber, sich selbst – auf
freiwilliger Basis – ein solches Gremium einzurich­
ten. Die Besetzung erfolgt dann häufig noch immer
aus dem bekannten Umfeld, indem etwa der dem
Unternehmen verbundene Steuerberater, der Wirt­
schaftsprüfer und vielleicht noch der Anwalt des
Hauses in die Funk­t ion des Beirats gehoben wird.
Soll darüber hinaus dem begrüßenswerten Anspruch
operativer Fachkenntnis genüge getan werden, wird
noch der gute Freund angesprochen, bei dem man
gegebenenfalls selbst im Beirat sitzt.
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Die Auswahl entscheidet
BeraterGuide 2012
Human Resources-Beratung n Kapitel III
gische Ausrichtung der Firma einfließen lässt, ist das
Risiko einer solchen Fehlinvestition deutlich geringer.
Bei der Auswahl der Beiratskandidaten muss sich der
Unternehmer jedoch von Beginn an die wesentlichen
Schlüsselfragen stellen:
- Welche Kompetenzen sind im Unternehmen (ins­
besondere im Vorstand oder der Geschäftsfüh­
rung) vorhanden?
- Wie können für diese Expertisen im Beirat adäqua­
te Konterparts besetzt werden?
- Wo gilt es Kompetenzlücken zu schließen?
- Haben die angedachten Kandidaten das Profil und
das Standing, Entscheidungen der obersten Füh­
rungsebene kritisch zu hinterfragen?
- Gibt es bestehende Beziehungen zu Personen oder
Organisationsteilen, die einer objektiven Entschei­
dung und Meinungsfindung entgegenstehen?
- Bringen die Beiratsmitglieder die erforderliche
Vielfalt (Diversity) in das Gremium?
- Ist das Gremium dennoch willens und in der Lage,
als Team zu agieren?
Wenn es gelingt, diese Fragen im Vorfeld klar zu
beantworten, steht einer echten „Be(i)ratungsinstanz“
nichts im Wege.
Selbstverständlich obliegt auch dem Beirat ein
Stück Aufsichtspflicht. Die primäre Ausrichtung ge­
genüber dem fakultativen Aufsichtsrat sollte aber in
der Be­ratung des Vorstands respektive der Geschäfts­
führung liegen. Und wenn sich doch mal ein Kandidat
als ungeeignet heraus stellt, so ist dieser relativ ein­
fach zu ersetzen, ohne dass das Unternehmen einen
größeren Schaden davon trägt.
Komplementär oder korrespondierend
Grundsätzlich gibt es gute Argumente für komple­
mentäre wie auch für korrespondierende Besetzun­
gen. Wenn also der über Jahre erfahrene Vorstand
eines Anlagenbauers strategische Überlegungen zur
Ausweitung seines Geschäfts in Richtung der Auto­
mobilindustrie anstellt, kann es sehr sinnvoll sein,
den Beirat mit jemandem zu besetzen, der genau in
diesem Umfeld tätig ist und die notwendigen Kompe­
tenzen mitbringt. Ist er sehr erfahren im Inlandsge­
schäft und denkt über eine Expansion ins Ausland
nach, wäre ein Beirat mit internationaler Erfahrung
der richtige Kandidat zur Komplementärbesetzung.
Das zweit genannte Beispiel macht außerdem deut­
lich, dass als Auswahlkriterien nicht nur fachliche
Kompetenzen zählen, sondern auch Expertise in
Markt- oder Kundenkenntnis, Branchenerfahrungen
oder auch Erfahr­u ngen mit Sondersituationen des
Das Jahrbuch für Beratung und Management
Unternehmens, wie eine geplante Fusion, Abspaltung
von Unternehmensteilen oder eine komplette Neuaus­
richtung des Portfolios. Bei allen Beispielen handelt
es sich um Komplementärbesetzungen, das heißt es
werden durch den Beirat Kompetenzen an Bord ge­
holt, die ansonsten bei externen Dienstleistern ein­
gekauft werden müssten.
Kritisches Hinterfragen noch ungewohnt
Nicht weniger relevant sind die korrespondierenden
Kompetenzen, wobei darauf geachtet werden sollte,
dass jeder Geschäftsführer ein adäquates Pendant im
Beirat hat. Für den kaufmännischen Vorstand sollte
ebenso ein kritischer Beobachter im Beirat sein, wie
für den technischen Vorstand. Nur damit ist gewähr­
leistet, dass Entscheidungen der Geschäftsführung
auch kritisch kompetent hinterfragt und gegebenen­
falls neu überdacht werden können. Nach unserer
Erfahrung wird insbesondere diesem Teil eine viel
zu geringe Beachtung geschenkt. Noch viel zu oft
fällt es insbesondere geschäftsführenden Gesellschaf­
tern, die ihr Unternehmen schon über viele Jahre
erfolgreich führen, besonders schwer, ihre Entschei­
dungen hinterfragen zu lassen und offen mit Einwän­
den umzugehen.
Natürlich ist es aber kaum möglich, für jede Kom­
petenz einen eigenen Kandidaten zu ernennen. Unter
Hinzunahme rechtlicher, strategischer und personel­
ler Kompetenzen wäre sehr schnell eine Gremiums­
größe erreicht, die überhaupt keine Entscheidungen
mehr in akzeptabler Zeit treffen könnte. Es ist daher
notwendig, entsprechend der Unternehmenssituation
zu priorisieren und Kandidaten zu finden, die im
besten Falle mehrere der geforderten Kompetenzen
mitbringen.
Die Besetzung und Konstituierung eines Beirats
ist auf jeden Fall ein hoch komplexes Thema. Daher
sollte in diesem Fall durchaus die Beratung durch
Experten in Anspruch genommen werden. Bei Aus­
wahl erfahrener Berater wird das Ergebnis den Auf­
wand rechtfertigen und das strategische Kalkül ge­
winnbringend untermauern.
n
Der Autor
Dipl.-Ing. Ralf Berker ist Partner und
Gesellschafter der Labbé & Cie. GmbH,
Aufsichtsrats- und Beiratsservices sowie
Top Executive Search & Advisory. In der
Besetzung und Beratung ist er spezialisiert auf die technische Expertise in Aufsichts- und Leitungsgremien. Er
ist außerdem Sprecher der Landesvertretung des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) in Nordrhein-Westfalen.
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