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Caritasverband
für das Bistum Essen e.V.
Presse-Information / Interview
PI 106/2016/b - Essen, den 19.12.2016
Wer zahlt mehr? Wer zahlt weniger?
Caritas-Experten zu den Änderungen der Pflegereform, die im Januar
2017 in Kraft tritt
Essen (cde). Frank Krursel und Stephan Reitz, Fachreferenten der Caritas im Bistum Essen
für Altenhilfe und ambulante Pflege, erklären, was sich für Betroffene und ihre Angehörigen
ab Januar 2017 ändert.
Wer hat Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung?
Krursel: Jeder, der Pflege benötigt, kann Leistungen beantragen – mit dem
Pflegebedürftigkeitsbegriff werden nun auch Menschen mit psychischen oder kognitiven
Beeinträchtigungen stärker berücksichtigt. Bisher waren die Kriterien hierzu enger gefasst. Alle
profitieren von der Pflegereform: Pflegebedürftige, pflegende Angehörige aber auch die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflege.
Reitz: Bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit spielten bisher vor allem körperliche Gebrechen
eine Rolle, künftig werden dementielle Veränderungen und ähnliche Störungen, die die
Bewältigung des Alltags erschweren, viel häufiger als bisher bei der Begutachtung berücksichtigt.
Im Kern wird nun gefragt: Wie selbstständig ist der Mensch noch? Statt drei Pflegestufen definieren
künftig fünf Pflegegrade die Pflegesituation. Grundsätzlich gilt: Jeder, der Pflege benötigt, kann
Leistungen beantragen – egal, ob ursächlich körperliche, psychische oder kognitive
Beeinträchtigungen der Pflegebedürftigkeit zu Grunde liegen.
Wie wird der Pflegegrad festgelegt?
Reitz: Der Pflegegrad wird auf der Grundlage eines neuen Begutachtungsverfahrens ermittelt,
dafür ist aber wie gewohnt der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) zuständig. Das
System, die nötige Pflegezeit in Minuten darzustellen, wird abgeschafft. Das bedeutet ganz
praktisch: Das Minutenzählen entfällt zukünftig. Stattdessen gibt es ein Punktesystem. Das Maß für
diese Einschätzung mit Punkten von Pflegebedürftigkeit soll den Grad der Selbstständigkeit eines
Menschen ausdrücken, also was er oder sie noch ohne Hilfe und Unterstützung selbst kann.
Was sind die Kriterien zur Beurteilung dieser Selbständigkeit?
Krursel: Es werden sechs Kategorien berücksichtigt: Mobilität, geistige und kommunikative
Fähigkeiten, Verhalten, Selbstversorgung, Umgang mit Erkrankungen und Belastungen sowie
soziale Kontakte. Für jede Kategorie werden Punkte vergeben. Von der Gesamtpunktezahl hängt
ab, welcher Pflegegrad anerkannt wird. Ein Beispiel: Wenn jemand im Modul 1 ‚Mobilität‘ keine
Treppen mehr steigen kann, dann werden ihm, unabhängig davon, ob er aufgrund der
Wohnsituation Treppen steigen muss oder nicht, drei Punkte anerkannt. Wenn er die Treppe nur
noch mit Unterstützung gehen kann, dann erhält er zwei Punkte und wenn er lediglich Begleitung
beim Treppensteigen benötigt, dann erhält er einen Punkt.
Herausgeber: Stabsstelle Kommunikation
verantwortlich: Michael Kreuzfelder
Redaktion: Michael Kreuzfelder (mik), Christoph Grätz (ChG)
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Was ändert sich für Menschen, die bereits heute gepflegt werden?
Reitz: Niemand, der jetzt eine der drei Pflegestufen hat, erhält weniger als vorher. Alte Regelungen
genießen Bestandsschutz. Eine Überleitung der Pflegebedürftigen aus den bisherigen Pflegestufen
in die zukünftigen Pflegegrade hat keine Nachteile für die individuelle Zuzahlung des
Pflegebedürftigen zum anerkannten Leistungsbezug. Ein Beispiel: Pflegebedürftige, die
ausschließlich körperliche Beeinträchtigungen haben, erhalten anstelle der bisherigen Pflegestufe
den nächsthöheren Pflegegrad – also bei Pflegestufe I dann Pflegegrad 2. Menschen mit
dementiellen Veränderungen werden zusätzlich von Pflegestufe I in Pflegegrad 3 übergeleitet. Die
Überleitung in den Pflegegrad gilt auch für Bewohner/-innen von stationären Einrichtungen, die in
der sogenannten Pflegestufe 0 sind und bei denen zusätzlich eine eingeschränkte
Alltagskompetenz festgestellt wurde, werden in den Pflegegrad 2 übergeleitet. Einen Besitzstand
für die Zuzahlung, den Eigenanteil, zu den Heimkosten gibt es jedoch für diesen Personenkreis
nicht. Für Bewohner/-innen in der sogenannten Pflegestufe 0 ohne eine festgestellte
eingeschränkte Alltagskompetenz besteht weder ein Anspruch auf Überleitung in einen Pflegegrad
noch ein Besitzstandsanspruch bezüglich des Eigenanteils. Dieser Personenkreis ist von der
neuen Regelung leider nicht berücksichtigt worden.
Was müssen Betroffene und Angehörige zum 1. Januar 2017 tun?
Krursel: Nichts. Wer bisher eine Pflegestufe hatte, wird automatisch ab 1. Januar in den neuen
Pflegegrad übergeleitet. Wer noch in diesem Jahr einen Begutachtungstermin mit dem
Medizinischen Dienst vereinbart, wird noch mit den alten Maßstäben beurteilt – selbst wenn die
Begutachtung 2017 stattfindet. Nach den neuen Kriterien wird bewertet, wer einen Antrag nach
dem 1. Januar 2017 stellt.
Was ändert sich in Pflegeheimen?
Reitz: Früher stieg der von jedem einzelnen zu zahlende Eigenbeitrag fürs Heim mit der
Pflegestufe. Viele Familien fürchteten deswegen eine Höherstufung. Das hat nun ein Ende.
Innerhalb eines Heimes sollen die Eigenanteile aller Bewohner ab Pflegegrad 2 gleich hoch sein.
Das hat nicht für alle Bewohner einen finanziellen Vorteil; für Menschen der Pflegestufe 1 bislang
wird im Pflegegrad 2 zukünftig im 294 Euro weniger im Monat gezahlt, im Vergleich zur bisherigen
Pflegestufe 2 zum Pflegegrad 3 zukünftig 68 Euro weniger – dafür erhalten alle Bewohner/-innen
im Pflegegrad 5 zukünftig deutlich mehr Geld zur Refinanzierung der Einrichtungskosten.
Was ändert sich für die ambulante Pflege?
Krursel: In der ambulanten Pflege profitieren bereits heute die Mitarbeiter/-innen von der
Pflegereform. Denn das Gesetz stärkt die fachlichen Grundlagen der Pflege und fördert die
Erarbeitung neuer Konzepte in den Sozialstationen. Konkret bedeutet das für die
Pflegebedürftigen, dass sie passgenauere Leistungen erhalten. Die ambulante Unterstützung kann
so früher beginnen und die Unterstützung verteilt sich gerechter auf den gesamten Pflegeverlauf.
Wer zu Hause gepflegt wird, bekommt einige Euro mehr für die sogenannte soziale Betreuung und
kann sich damit weitere Leistungen im häuslichen Umfeld oder vielleicht einen weiteren Tag in der
Tagespflege leisten. Diese in der Fachsprache als LK 31 und 32 bezeichneten Leistungen werden
minutengenau mit der Pflegeversicherung abgerechnet. Es geht um Assistenz bei der
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Sicherstellung der Haushaltsführung, um Unterstützung bei administrativen Angelegenheiten oder
bei der pflegerischen Betreuung - aber auch um Unterstützung beim Hobby, Begleitung zu
Freizeitaktivitäten oder auch zum Friedhofsbesuch.
Neu ist auch, dass pflegende Angehörige 40 Prozent des Budgets zu ihrer Entlastung einsetzen
können.
Wie werden die Betroffenen informiert?
Reitz: Die ersten Pflegekassen haben ihre Kunden im Oktober über die Neuerungen informiert,
andere versenden den neuen Bescheid in diesen Tagen. Bis Ende Dezember sollte jeder Post von
der Pflegeversicherung bekommen haben. Die Träger der Einrichtungen werden, nach heutigem
Stand, offenbar nicht von den Pflegekassen informiert, so dass die Pflegebedürftigen oder deren
Bevollmächtigte aufgefordert sind, den Bescheid der Pflegekasse an die Einrichtungen in Kopie
weiterzuleiten.
Krursel: Für Menschen in der ambulanten Pflege hat die Fachgruppe Ambulante Dienste der
Caritas in NRW eine Broschüre erarbeitet, die den Caritaseinrichtungen zur Verfügung gestellt
wird. Hier sind alle Neuerungen leicht verständlich erklärt und auch mit Arbeitshilfen versehen,
etwa einem Pflegetagebuch oder auch Tipps, wie Betroffene und Angehörige sich auf den Besuch
des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zur Pflegebegutachtung vorbereiten können.
Was ist noch neu?
Reitz: Bis vor einigen Jahren waren in den stationären Einrichtungen Angebote wie Gesellschaft
beim Spazierengehen, Spielen oder Einkaufsbegleitung eine freiwillige Leistung. Künftig sind die
Heime verpflichtet, Menschen einzustellen, die die Bewohner bei ganz alltäglichen Dingen
begleiten wie Singen, Kartenspielen oder Fotos ansehen.
Wer bezahlt die Mehrkosten für die Zusatzleistung?
Krursel: Zum einen sind die Konten der Pflegekassen gut gefüllt – zum anderen wurde der
monatliche Beitrag zur Pflegekasse 2015 um 0,3 Prozentpunkte auf 2,35 Prozent angehoben, und
zum 1. Januar 2017 steigt er erneut – auf 2,55 Prozent. Erwerbstätige ohne Kinder (über 23
Jahren) zahlen übrigens 0,25 Prozent mehr. Die Pflegekassen nehmen durch die Erhöhung im
Jahr 2,4 Milliarden Euro zusätzlich ein.
Frank Krursel (1967 geboren) war 7 ½ Jahre als Pflegedienstleiter und Einrichtungsleiter in der
ambulanten Pflege tätig. Seit 2009 ist Krursel Diözesan-Referent für ambulante Pflege und
palliative Versorgung im Caritasverband für das Bistum Essen e. V.
Stephan Reitz (1967 geboren) ist seit 26 Jahren für die Altenpflege im Dienst der Caritas tätig.
Seit Anfang 2016 ist Reitz Diözesan-Referent für offene, teilstationäre und stationäre Altenhilfe im
Caritasverband für das Bistum Essen e.V.
Die Broschüre kann unter folgender Seite heruntergeladen werden:
https://www.caritas-essen.de/aktuelles/presse/pflege-das-aendert-sich-2017-222d1a03-9e45-4bd2-8f29985aa4f3f2e7