Zur Ansprache von Papst Franziskus am 17.10.2015

MFThK, 22.10.2015
Hermann J. Pottmeyer
Zur Ansprache von Papst Franziskus am 17.10.2015
bei der 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode
1. Die Ansprache des Papstes hat es in sich
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weil seine Ausrufung einer „ganz synodalen Kirche“ das Ende des römischen
Zentralismus einläutet;
weil die hier angestrebte ‚Kirche von unten’ sich weniger als emanzipative
Absetzbewegung von einer sich herrschaftlich gebenden Kirche versteht, sondern schon einen Schritt weiter – vom Aufbruch der Basis erwartet wird, die ihren Glauben
im Alltag von Mensch zu Mensch bezeugt und verkündigt;
weil die Kirchenreform, die der Papst in seiner Programmenzyklika Evangelii
Gaudium vorzeichnet, an jene Reformbemühungen anknüpft, die das 2. Vatikanum
grundgelegt hat und unter Paul VI. in Gang kamen, aber schon bald ins Stocken
gerieten.
2. Die Kirchenreform als Rückkehr und Aufbruch zu einer synodalen Kirche
Das Thema der Ansprache ist aus gegebenem Anlass die angestrebte Wiederbelebung der
ursprünglichen synodalen Praxis der Kirche. Synodalität als Wesenszug und Lebensvollzug
von Kirche ist für Papst Franziskus eng mit seinem Leitbild von Kirche verbunden: Kirche als
das Volk Gottes, gemeinsam auf dem Weg (syn-hodos) durch die Geschichte zu Gott und
seinem Reich. Es ist jenes Leitbild, mit dem das Konzil die einseitige Sicht der Kirche als
hierarchische Institution überwand, um sie wieder als Gemeinschaft der Gläubigen zu
verstehen.
Der Papst führt alle jene Aussagen des Konzils auf, die eine grundlegende Synodalität der
Kirche begründen: der sensus fidei der Gläubigen, der unfehlbare Konsens der Gläubigen im
Glauben, die Mahnung, dass alle, Hirten und Laien, aufeinander hören, verbunden im
gemeinsamen Hören auf den Heiligen Geist, und schließlich die Erinnerung an die
ursprüngliche synodale Tradition der Kirche.
Die Betonung, dass es beim Aufeinanderhören um die Erkenntnis des Willens Gottes hier und
heute geht, ist nicht der einzige Hinweis, um dem Missverständnis vorzubauen, es gehe bei
der Erneuerung der synodalen Praxis um eine Art Demokratisierung der Kirche. Papst
Franziskus unterstreicht auch die besondere Rolle und Autorität der Hirten als Nachfolger der
Apostel. Auffallend der Nachdruck, mit dem er unter Berufung auf das 1. und 2. Vatikanum
die besondere Stellung und Autorität des Nachfolgers Petri hervorhebt.
Bemerkenswert ist aber, wie er „die Synodalität als konstitutive Dimension der Kirche“ zum
„angemessenen Interpretationsrahmen“ macht, um das hierarchische Amt als „sich
erniedrigenden“ Dienst zu verstehen. Bildete im vorkonziliaren Kirchenbild das Petrusamt die
Spitze einer sich hierarchisch gliedernden Pyramide, heißt es jetzt: „Doch in dieser Kirche
findet sich die Spitze wie bei einer auf den Kopf gestellten Pyramide unter der Basis.“ Und:
„Für die Jünger Jesu – gestern, heute und allezeit – ist die einzige Autorität die Autorität des
Dienens, die einzige Macht die Macht des Kreuzes.“
In diesem Sinn erhofft er sich in einer synodalen Kirche eine Ausübung des Primats, die
deutlicher zum Vorschein bringt, dass der Papst nicht in einer Alleinstellung über der Kirche
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MFThK, 22.10.2015
steht, sondern nicht weniger in ihr als Getaufter unter Getauften und als Bischof unter
Bischöfen, als Nachfolger Petri Bischof der Kirche von Rom, „die in Liebe allen Kirchen
vorsteht“. Wie schon in EG 32 spricht er von der Notwendigkeit und Dringlichkeit einer
„Konversion des Papsttums“.
Mit der Einberufung der doppelten Bischofssynode zu Fragen der Ehe und Familie unter
Einbeziehung der Basis tat Papst Franziskus einen ersten Schritt zu einer synodalen Kirche.
Es ist ihm aber wichtig, dass die Erneuerung der synodalen Praxis an der Basis, also in den
Ortskirchen und mit deren Gremien einer Mitsprache, einsetzt. „Nur in dem Maße, in dem
diese Organismen mit ‚dem Boden’ verhaftet bleiben und von den Menschen, von den
täglichen Problemen ausgehen, kann eine synodale Kirche beginnen, Gestalt anzunehmen.“
Ein wichtiger Schritt zu einer „Dezentralisierung“ wäre ferner die Stärkung der mittleren
Ebene der Kirche, nicht zuletzt dadurch, dass deren synodale Organismen wie nationale und
kontinentale Bischofskonferenzen oder Partikularkonzilien eine Erweiterung ihrer
Kompetenzen erfahren. Der Papst verweist dazu auf die Praxis der alten Kirche. Auch steht
ihm hier offensichtlich die große Bedeutung vor Augen, die die Generalkonferenzen des
lateinamerikanischen Episkopats von Medellin (1968), Puebla (1979) und Aparecida (2007)
sowie der Lateinamerikanische Bischofsrat (CELAM) für diesen Kontinent hatten und haben.
Die Stärkung dieser Ebene wurde seit dem Konzil immer wieder von Theologen gefordert.
Der Papst sieht darin wie in der Wiederbelebung der synodalen Tradition überhaupt zudem
einen wichtigen Schritt der Annäherung an die orthodoxen Kirchen.
Mit einem Wort: Die von Papst Franziskus im Einklang mit dem letzten Konzil eingeleitete
Reform ist nichts weniger als eine Re–volution im ursprünglichen Sinn des Wortes: die
Rückkehr zu einer Kirche des Volkes Gottes, die sich vom Kopf wieder auf ihre Füße stellt.
Ob und wieweit sie gelingt, hängt nicht zuletzt davon ab, in welchem Maße sich die dazu
Eingeladenen von seiner Freude am Evangelium anstecken lassen.
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