Einführung in den Forschungsprozess und die Methoden der empirischen Kommunikations- und Medienforschung Vorlesung 4: Theoretische Konzeption von Untersuchungen II: Hypothesen 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 1 Gliederung Vorlesung 4 1. Begriff der Hypothese 2. Arten von Hypothesen 3. Anforderungen an Hypothesen 4. Anmerkungen zum Falsifikationsprinzip Literaturempfehlungen: Atteslander 47-50 Diekmann 124-140 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 2 1. Begriff der Hypothese Definition (allgemein): Vermutung über einen bestehenden Sachverhalt Menschen handeln hypothesenorientiert, d.h. sie transformieren ihre Erfahrungen (i.w.S.) auf jeweils neue Situationen → Grundsituation Hypothesen reduzieren Komplexität, bereiten auf Handeln vor (VorEinstellungen wie Images/Ruf-Bilder, Vor-Urteile Beispiel 1: Orientierungsreflex (psychophysiologische Reaktion auf „Neues“) Beispiel 2: self-fullfilling prophecies (Alltag, Börse, ...) 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 3 1. Begriff der Hypothese Wissenschaft: Hypothesen sind notwendig für → Theorieprüfung → Forschungsorientierung Definition (speziell): Hypothesen sind explizite Folgerungen aus einer (möglichst) explizit formulierten Theorie (in Bezug auf die untersuchenden Merkmale und deren Zusammenhang sowie in Bezug auf die zu verwendenden Methoden) Ein mit Begriffen formulierter Satz, o der an der Realität überprüfbar ist; o der wissenschaftlich begründet ist (also Bezug zu einer Theorie aufweist); o der über Bekanntes hinaus reicht (bzw. Bekanntes neuen Bedingungen aussetzt). 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 4 2. Arten von Hypothesen 2.1 Reichweite/Zentralität für die zu prüfende Theorien: o Grund-/Teil-Hypothesen o Haupt-/Neben-Hypothesen Beispiele: HH 1 Attributionen am Wahlabend folgen den Voraussagen der „Alltagslogik“ (z.B. ANOVA - Modell der Informationslagen) NH 1.1 Politiker weichen davon stärker ab als Experten und Journalisten (self-serving bias). HH 2 In den Medien werden nur wenige* Wahlergebnisse zum Gegenstand von Ursachenzuschreibungen (Nachrichtenwerte) NH 2.1 Wahlergebnisse, die stark von den Voraussagen abweichen, werden häufiger thematisiert (Überraschung) NH 2.2 Wahlergebnisse, die für die Regierungsbildung wichtig sind, werden häufiger thematisiert (Relevanz) 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 5 2. Arten von Hypothesen 2.2 Forschungsziele: o deskriptive Hypothesen: Konstatieren von Tatbeständen Es gibt X (in der Ausprägung Y). Physik: Higgs-Teilchen Biologie: Existenz von Zwischenformen (Darwin, Heckel) Mediaforschung: Beschaffenheit von Zielgruppen o Trendhypothesen: Entwicklung A hat von t1 zu t2 zugenommen. 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 6 2. Arten von Hypothesen 2.2 Forschungsziele: o bedingungsanalytische Hypothesen (Zusammenhänge) Wenn X, dann Y. Je (größer/kleiner) X, desto (größer/kleiner) Y. mathematische Funktionen nicht-monotone Zusammenhänge (z.B. U-Form) o kausalanalytische Hypothesen: X führt zu Y. o messtheoretische Hypothesen Merkmal X ist relevant für die Fragestellung F Methode A misst Merkmal X 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 7 2. Arten von Hypothesen 2.3 Art der Merkmale: Individual-/Kollektiv-/Kontexthypothesen 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 8 2. Arten von Hypothesen 2.4 Art der Merkmale: Charakter der Beziehung (Wahrscheinlichkeit) probabilistische Hypothesen (p<1) deterministische Hypothesen (p=1) 2.5 Funktion im Forschungsprozess: Forschungshypothesen (siehe 2.1 bis 2.3) statistische Hypothesen (Umformung von F.-Hypothesen) H0: Nullhypothese Y1 = Y2 (Statistik) H1: Alternativhypothese Y1 Y2 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 9 3. Anforderungen an Hypothesen o Aussage: keine Frage, kein Befehl, keine Wertung o enthält die Beziehung zwischen mindestens zwei Sachverhalten: o theoriebezogene Begriffe o empirisch umsetzbar o logische Verknüpfung von zwei Begriffen: o nicht tautologisch o Angabe der Geltungsbedingungen o (Begründung; Theorie-/Problembezug) 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 10 4. Zum Falsifikationsprinzip Popper: Hypothesen müssen nicht nur prüfbar, sondern widerlegbar (falsifizierbar) sein Begründung A: Charakter der Logik Induktion: Deduktion: vom Einzelnen zum Allgemeinen (Schluss der Erfahrung),ist logisch nicht abgesichert (riskant). vom Allgemeinen zum Einzelnen, ist logisch abgesichert. Begründung B: Informationsgehalt von Theorien Sicherheit nur bei Negativaussage, d.h. bei Scheitern der Hypothese an empirischen Daten d.h. nur die Widerlegung von Theorien ist „informativ“, bringt (nach Popper) Fortschritt (= Aussonderung von widerlegten Theorien) 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 11 4. Zum Falsifikationsprinzip Popper: Hypothesen müssen nicht nur prüfbar, sondern widerlegbar (falsifizierbar) sein Logische Operationen der Theorieentwicklung Induktion (riskant, fehlerbehaftet) vs. Deduktion (sicher) Nachteile: Forschung verläuft anders – Theorieprogramme eine singulär widerlegte Hypothese führt (meist) zu Präzisierungen, Verfeinerungen (z.B. Einführung von intervenierenden Variablen, Präzisierung der Geltungsbedingungen, Prüfungen mit anderen Methoden usw.) Vorteile: Aufforderung zur Präzision bei Hypothesenbildung: kühne Hypothesen, Nachdenken über Falsifikatoren 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 12 Übungsfragen Wie wird der Begriff der Hypothese definiert? Welche Anforderungen stellt man an Hypothesen? Erläutern Sie kurz die Gründe für diese Anforderungen! Formulieren Sie je eine Individual-, Kontext- und Kollektivhypothese an einem selbst gewählten Beispiel aus der Kommunikations- und Medienforschung! Welche Arten von Hypothesen werden unterschieden? Erklären Sie die Begriffe Induktion, Deduktion und Falsifikation! 09.11.2015 Forschungsprozess und Methoden 4 13
© Copyright 2024 ExpyDoc