Symposium Eine Geschichte der immerwährenden Gewalt ? Ursachen für heutige ethnopolitische Konflikte im Kaukasus in der Zeit seit dem 18. Jahrhundert Freitag, 22. April bis Sonntag, 24. April 2016 Im 18. Jahrhundert geriet der gesamte Kaukasusraum, der bis dahin nur punktuell von den drei angrenzenden Großmächten Persien, dem Osmanischen Reich und Russland direkt kontrolliert wurde, und der politisch in eine Fülle von kleinen, kleinsten und mittelgroßen Territorial- und Clan- und Stammesherrschaften untergliedert war, zunehmend unter die Kontrolle Russlands. Zwischen etwa 1735 und 1878 wurde nahezu der gesamte Kaukasusraum durch St. Petersburg militärisch unterworfen und durch die Beseitigung der nichtrussischen Lokal-und Regionalherrschaften administrativ direkt in seine autokratische Verwaltungsstrukturen einbezogen. St. Petersburg betrachtete - wie später auch die Sowjetunion - größere Teile des Kaukasus als potentielle Siedlungskolonie. Das osmanische Reich und Persien übernahmen ähnliche Konzeptionen der ethnischen Neugestaltung der von ihnen kontrollierten Teile des Raumes, dem sich im Verlauf des 20. und frühen 21. Jahrhunderts unter anderen Vorzeichen auch die größeren Nationalbewegungen bzw. Staatsbildungen im Kaukasus anschlossen. Von Beginn der sich stufenweise vollziehenden Inkorporierung des Kaukasus in das Zarenreich an kam es zu einer planmäßigen ethnischen und auch religiösen Umgestaltung des Raumes. Die Folgen waren innerhalb weniger Jahrzehnte drastisch. In jahrzehntelangen kleineren und größeren Feldzügen und Expeditionen waren hunderttausende nichtrussische Bewohner des nördlichen und zentralen Kaukasus gewaltsam zu Tode gekommen. Mehrere hunderttausend wurden vor allen in das Osmanische Reich vertrieben. Zehntausende wurden innerhalb des russischen Reiches umgesiedelt. Auch das materielle kulturelle Erbe wurde vielerorts systematisch beseitigt. Betroffen von diesen ethnopolitischen Gewaltmaßnahmen besonders in den Jahren um 1826-1864 waren die tscherkessisch-sprachigen Völker, die 1 Tschetschenen, Tataren, Abchasen, die turk-sprachigen Karatschaier, Qumuqen und Balkaren, aber auch viele georgische Gruppen wie Swanen oder Mingrelier, und in Daghestan Awaren und Lesghier. Die ethnische und sprachliche Landkarte des Raumes veränderte sich rasch. Bereits nach dem Verwüstung Georgiens durch persische Truppen 1795 und dem russisch-persischen Krieg von 1804-1813 sowie dem osmanisch-russischen Krieg von 1806-1812 flohen zehntausende von Armeniern und Georgiern vor Progromen nach Russland, während bereits damals die ersten Fluchtwellen von nordkaukasischen Völkern ins Osmanische Reich und auch nach Persien strömten. Ursachen, Verlauf und Folgen dieser Geschichte von Gewalt und Zwangsassimilation aus gesamtkaukasischer Perspektive zu diskutieren, ist ein zentraler Schwerpunkt des geplanten Symposiums. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Beleuchtung des Phänomens ethnonational und religiös begründeter Gewalt im Kaukasus in sowjetischer und postsowjetischer Zeit. Fallbeispielhaft sollen einige dieser Konflikte wie in Abchasien, Südossetien, Tschetschenien, Berg-Karabagh/Arzach behandelt werden, aber auch Fragen wie die zur georgischen Nationalitätenpolitik etwa hinsichtlich der Armenier und Mesketen. Ein weiteres Thema ist die besondere Situation in Daghestan im Kontext des globalen islamischen Djihadismus. Schließlich ist nach Brücken und Lösungsansätzen auf eine zumindest friedvollere Zukunft der höchst heterogenen Gesellschaften in einer der faszinierendsten, aber auch gewalttätigsten Kulturlandschaften an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident zu stellen. Tagungsort: Lepsiushaus Potsdam Große Weinmeisterstraße 45 14469 Potsdam Themen und Referenten Keynote: Ethnische „Säuberungen unter neuen nationalen und religiösen Vorzeichen im Kaukasus im 19 und 20 Jh. Grundlegende Bemerkungen. Prof. Dr. Michael Schwartz (München/Berlin) Moderation: 2 Dr. Meinolf Arens (München) Dr. Rolf Hosfeld (Potsdam) Prof. Dr. Thede Kahl (Jena) Vorträge: Massenmord und Vertreibung der tscherkessischen Völker durch Russlands Kolonisationspolitik 1792-1878 Marieta Kumpilova M.A. (Leipzig) Umsiedlungs- und Assimilationspolitik gegenüber kleinen Völkern und Sprachgruppen in Dagestan in der sowjetischen und postsowjetischen Zeit Prof. Dr. Diana Forker (Bamberg) Die Mesketen -Muslimische Georgier oder Turkvolk ? Massenmord, kollektive Deportation und Assimilationspolitik 1918-1989. Wolfgang Feurstein (Freudenstadt) Ossetien/Osseten zwischen Russifizierung, Georgisierung und Selbstbehauptung nach 1918 Dr. Meinolf Arens (München) Tschetschenien/Inguschetien: Panislamische Projektionen bei nordkaukasischen Völkern - 19. Jh. bis in die Gegenwart Dr. Uwe Halbach (Berlin) Die russische Armenierpolitik seit dem 19. Jhd. Dr. Tessa Hofmann (Berlin) Berg-Karabagh/Arzach: Geschichte des Konflikts. Varsenik Minasyan, M.A. (Berlin/Eriwan) Berg-Karabagh, ein Dauerkonflikt? Dr. Frank Evers (Potsdam) Konfliktlösung im Südkaukasus in postsowjetischer Zeit: Das Beispiel Abchasien Dr. Dieter Boden (Potsdam) Ethnische und religiöse Minderheiten in Georgien im 20 Jh. zwischen Assimilation und Vertreibung. Dr. Urzula Markowka (Warschau) Lange Folgen: Nationalitätenpolitik in Georgien im Stalinismus. Dr. Marc Junge (Bochum) 3 Turksprachige Völker und Nationen im nördlichen Kaukasus nach 1918 zwischen Sowjetisierung, Regionalsierung, regionalen Nation-Building und pantürkischen Konzeptionen. Mythen und Realitäten. Dr. Yusuf Yildiz (Bonn) Optional: Dr. Christian Kolter (Bremen), Dr. Dittmar Schorkowitz (Halle), Manfred Quiring Veranstalter: Lepsiushaus Potsdam Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus e.V – INTEREG München Institut für Slawistik und Kaukasusstudien - Friedrich-Schiller-Universität Jena Philosophische Fakultät 4
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