1 DEUTSCHLANDFUNK Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Redaktion: Karin Beindorff Sendung: Dienstag, 12.01.2016 19.15 – 20.00 Uhr Unbequeme Helfer Die PKK und ihr Kampf gegen den IS Von Marc Thörner URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - 1 2 Musik Atmo: Stimmen, Auto hält. Handbremse wird angezogen. Autor: Nordirak, Provinz Kirkuk. Vorderste Frontlinie im Kampf gegen den IS. Der Aufstieg muss schnell gehen, sagt mein kurdischer Begleiter Fuad. Wir hasten vorbei an einem Bagger, der dabei ist, Erde zu einem improvisierten Schutzwall zusammenzuschieben. Atmo: Tür geht auf. Insassen springen heraus, klettern. Stimme PKK-Mann (Kurd.)Fuad: „Diese Bäume, die sind IS... müssen wir uns etwas neigen, damit die Sniper nicht auf uns zielen können, uns nicht sehen, bis wir nach oben gehen.“ Bulldozergeräusch wird lauter, Klettern... Autor: Oben angekommen laufen wir gebückt bis zu einer Mauer, die aus Betonziegeln besteht. Auf einer Art Rampe aus festgestampfter Erde steht ein zerbeulter alter Humvee aus USBeständen - wie das Sinnbild wechselnder strategischer Allianzen. Hinter einem MG im Drehkranz späht ein kurdischer Kämpfer auf die Stellungen der Feinde vom IS, den sie hier Da-esh nennen, ein Akronym, das - Abwertung gemeint - an den arabischen Begriff ‘Zwietracht säen‘ angelehnt ist. Atmo: Stimme Autor. „Jetzt...“, Stimme Fuad: „Jetzt können wir wieder.... (/)Wir sehen jetzt ein Hummer-Fahrzeug, das gehört den Guerilla-Kämpfern. Wir sind jetzt ganz oben. Das ist eine Stützpunktmauer, die sie gebaut haben. Das ist hier der letzte Punkt für die PKK-Kämpfer gegen die IS... Ansage: Unbequeme Helfer Die PKK und ihr Kampf gegen den IS Ein Feature von Marc Thörner O-Ton Uli Grötsch, SPD: Bundestagsrede Es geht einzig und allein um Gewalt als Mittel des politischen Kampfes. Und um die Frage, 2 3 wie die PKK heute dazu steht. Jüngste Vorkommnisse zeigen uns auch, dass Gewaltanwendungen und Gewaltaufforderungen der PKK weiterhin auf der Tagesordnung stehen. Atmo: Stimme Fuad: Jetzt begrüßen wir die Kollegen. Rosbasch.... Buta: „Hallo.“ Fuad: “Er spricht ein bisschen Deutsch.“ (/) Buta: „Ein bisschen. Ich hab schon lange nicht gesprochen. (/) Viele Wörter fallen mir nicht gleich ein...“ O-Ton Buta: Kannst du mal mitkommen, am besten gehen wir hier rein. Wir können auch von hier schauen, aber ab und zu schießen sie, das ist nicht gut. Also, Da-esh befindet sich in diesem Dorf. Das ist am nächsten. Und hier gegenüber in den anderen Dörfern sitzt Da-esh. O-Ton Uli Grötsch, SPD: Das Bundesministerium des Inneren teilt in seinem Bericht zu gegenwärtigen Erkenntnissen zur Fortführung des Vereinsverbots der PKK vom 16. Oktober 2014 im übrigens auch diese Auffassung. Autor: Der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch im Bundestag. O-Ton Uli Grötsch, SPD: Das zitiere ich auch ganz kurz: ‚Die PKK kalkuliert, unbeschadet aller Friedensbekundungen den Einsatz von Gewalt und Militanz auch in Europa taktisch, abhängig allein von den Gegebenheiten in ihren nahöstlichen Herkunftsgebieten. O-Ton Buta: Gerade eben, vor zwanzig Minuten haben die auch wieder geschossen. Dieses Dorf ist ungefähr 1200 Meter...Unsere Aufgabe ist, dass wir hier beschützen, diese Grenze hier. Ab und zu schießen die halt (/).Wir schießen genauso. (/) Jetzt gerade sind wir mehr in Verteidigungsposition. Wenn’s aber nötig, wenn die näher kommen, greifen wir dann auch an. 3 4 O-Ton Uli Grötsch, SPD: Außerdem hat das BMI Kenntnisse darüber, dass die PKK Personen im mittleren zweistelligen Bereich rekrutiert hat, eben um in Syrien und im Irak gegen den IS zu kämpfen. (/)Auch wenn wir damit sozusagen einen gemeinsamen Feind haben, ist für mich der Feind meines Feindes nicht automatisch mein Freund. Atmo: Koranrezitation Autor Im Frühsommer 2015 beherrschte der selbsternannte Islamische Staat IS weite Teile Syriens und des Irak, verübte weltweit Anschläge. Eine US-geführte internationale Antiterrorkoalition versuchte mit Luftangriffen dagegen vorzugehen, Bodentruppen wollte keines der beteiligten Länder stellen. Und jetzt, im Juni 2015, griff auch die Türkei in den Krieg ein. Türkische Kampfjets warfen Bomben im nordirakischen Kandil-Gebirge ab. - Atmo Koranrezitation Autor Es gehe darum, den Terror auszumerzen, hieß es aus Ankara. Aber nur wenige Bomben trafen Stellungen des IS. Die meisten klinkten türkische Piloten über Dörfern im Nordirak aus, die zum Rückzugsgebiet der PKK gehörten, der militanten kurdischen Arbeiterpartei. Das türkische Vorgehen wird als Menschenrechtsverletzung scharf kritisiert, denn oft sind auch Zivilisten die Opfer. Europäische Regierungen, allen voran die deutsche, halten sich jedoch zurück, schließlich will man es sich mit den Konservativen in Ankara in der Flüchtlingsfrage nicht verderben. Atmo: Demonstration Erbil Autor: Kaum hatte Ankara mit den Luftangriffen begonnen, forderte Masud Barzani, der Präsident der kurdischen Autonomieregion im Irak, die PKK auf, ihre Enklaven im Nordirak zu räumen. In seiner Hauptstadt Erbil kam es zu Protesten. Doch die Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei rauszuwerfen, käme einer Katastrophe gleich, meinen viele, vor allem politisch Engagierte wie Mazen Yarzani: 4 5 O-Ton Mazen Yarzani Übersetzer 1: Als kurdischer Aktivist bin ich dagegen, dass die PKK die Autonomieregion verlassen soll. - Atmo Autor: Der junge Mann hatte selbst keine Verbindungen zur PKK. Er ist der Vorsitzende einer Nichtregierungsorganisation namens Kurdische Jugendhilfe. Außerdem gehört er einer religiösen Minderheit, den Yarzani, an. O-Ton Mazen Yarzani Übersetzer 1: Die PKK beschützt meine Leute, die Yarzani-Minderheit. Wenn sie Südkurdistan verlässt, werden meine Leute ohne Schutz sein. Was den Yeziden passierte, wird auch uns geschehen. Als religiöse Minderheit werden wir nicht akzeptieren, dass die PKK geht. Atmo: Erbil Autor: Ich hatte zunächst Mühe nachzuvollziehen, was mir Mazen berichtete. Erbil ist eine pulsierende Großstadt mit Hunderttausenden von Einwohnern. Ringsherum lagern waffenstarrend die Peschmerga-Einheiten, die offiziellen Truppen der kurdischen Autonomieregierung, ausgerüstet auch von der deutschen Bundesregierung. Atmo: Ausbildung, Schießen Autor Tagtäglich erhalten die Peschmerga inzwischen von ihren ausländischen Partnern noch mehr schweres Gerät: Moderne Panzerabwehrraketen, schwere Maschinengewehre, gepanzerte Geländefahrzeuge. Ausländische Militärberater gingen durch die Straßen, bereit, den Einsatz westlicher Luftstreitkräfte gegen den IS zu koordinieren. Und Einwohner derselben mächtigen und hochgerüsteten Stadt, sehen ihre einzige Hoffnung in einem Haufen schlecht bewaffneter Guerillas der PKK, die in abgetragenen Pluderhosen durch die Berge streifen? Ja, genau so ist es, bestätigte mir Mazen Yarzani. 5 6 O-Ton Mazen Yarzani Übersetzer 1: Wenn es darum geht, wer militärisch wirklich erfolgreich, wer wirklich stark ist, dann sind das die PKK und ihre syrischen Verbündeten, die YPG-Verbände. Sogar die Peschmerga selber räumen das ein. Auch sie halten diese Gruppen für schlagkräftiger als ihre eigenen. Die meisten Peschmerga sind verheiratet, sie haben ihr eigenes Familienleben, die meisten kämpfen ganz einfach nur deshalb, weil sie dafür bezahlt werden. Die PKK-Leute kämpfen nicht für Geld. Der Sold interessiert sie gar nicht. Sie kämpfen für die Menschen, die Bevölkerung. Natürlich ziehen auch die Peschmerga für ihr Land in den Krieg. Aber man kann sie nicht mit der PKK oder YPG vergleichen, die sich lebenslang nur für ihr Land, für Kurdistan, einsetzen. Wenn ein PKK-Kämpfer mehrere Jahre lang nicht nach Hause kommt, dann nimmt er das in Kauf. Autor: Was bedeuten solche Unterschiede zwischen diesen beiden kurdischen Gruppen? Ganz einfach, sagte Mazen Yarzani: Die PKK-Leute kämpften für ihre Ideen, die Peschmerga hingegen für Stammesautoritäten, wie zum Beispiel den aktuellen Kurdenpräsidenten Masud Barzani. O-Ton Mazen Yarzani Übersetzer 1: Barzani interessiert sich nicht für mein Wohlergehen oder meine Zukunft. (/)Er ist zwar Präsident der kurdischen Autonomieregierung. Aber zugleich ist er der Chef seiner Familie und seines Stammes. Und um diesen Stamm und seine Familie sorgt er sich mehr als um mich und mein Volk oder die Gesellschaft. Autor: Vertreter Deutschlands in Erbil schienen das anders zu sehen. Wann immer ich sie fragte, welche Führer und politischen Strukturen Deutschland unterstützte, betonten sie: ihr Partner sei nicht einzelne Führer, Gruppen oder Parteien. Die Bundeswehr, so ihr Sprecher Oberstleutnant Stephan, habe einen einzigen Partner: O-Ton Oberstleutnant Torsten Stephan, Deutsch Eine Armee der Regionalregierung Kurdistan. Eine regionale Streitmacht, die sich jetzt 6 7 unter einer einheitlichen Führung gefunden hat und zum jetzigen Zeitpunkt geeint gegen ISIS antritt, im Wesentlichen derzeit damit beschäftigt ist, das kurdische Gebiet gegen das Vordringen von ISIS zu behaupten; das zum jetzigen Zeitpunkt auch sehr erfolgreich tut und einheitlich mit einem unheimlich hohen Maß an Motivation kämpft. Autor: Erfolgreich, die Peschmerga? Mein kurdischer Begleiter Fuad hält das Bild von der nationalen einheitlichen Peschmerga-Armee für trügerisch. Er ist hier aufgewachsen, war unter dem Saddam-Hussein-Regime als kurdischer Aktivist zum Tode verurteilt, später begnadigt worden und fand dann in Deutschland Asyl. Nach seiner Rückkehr baute er in Erbil eine Hilfsorganisation für politische Gefangene auf. Für die von damals - und die von heute, wie er mit einem bitteren Lächeln hinzufügte. Während wir durch die Stadt fuhren, zeigte Fuad mir die Einschüsse in den Fassaden, die von den Gefechten zwischen den Fraktionen Barzanis und denen seines kurdischen Konkurrenten Talabani herrührten. O-Ton Fuad: Mitte der 1990er-Jahre gab es hier einen Bruderkrieg zwischen den großen Parteien. (/) KDP und PUK. Aber Gott sei Dank, jetzt nicht mehr. Autor: Als Saddam Hussein gestürzt war, hatten sich die beiden langjährigen Rivalen darauf geeinigt, die Macht im Nordirak, dem Kurdengebiet, untereinander aufzuteilen. Die Präsidentschaft über die Region und ein Teil der Ministerien ging an Barzanis Kurdisch Demokratische Partei, die KDP. Die anderen Ministerien – und die zeremonielle Präsidentschaft über den Irak in Absprache mit Bagdad – an Kurdenführer Talabani und seine Patriotische Union Kurdistans, kurz PUK. Bis heute kontrollieren die Milizen beider Gruppen aber je einen Teil der Autonomiezone: Talabanis PUK die Region um Suleymaniah. Barzanis KDP die um Erbil. O-Ton Fuad: Eigentlich gibt es heute keinen großen Unterschied, obwohl (/) PUK sagt, ich bin Sozialdemokrat, zum Beispiel. Die andere sagt: ich bin auch demokratisch. Und beide sagen: Wir sind für Kurdistan. Das ist Theorie. Aber praktisch gibt es keinen großen Unterschied zwischen den beiden Parteien. 7 8 Atmo: Leierende Koranrezitation Autor: Außer in taktischer Hinsicht. Präsident Masud Barzani und seine KDP sind über persönliche und wirtschaftliche Kontakte eng mit der Türkei und der AKP-Regierung von Erdogan verknüpft – weshalb sie, auf Erdogans Geheiß, dem Krieg gegen die PKK Rückendeckung geben. Jalal Talabanis PUK hingegen macht ihre Politik und ihre Geschäfte vor allem mit Rückendeckung des Iran und dessen schiitischen Stellvertretern im Irak. Diese Verbindung sei in seiner Partei sehr eng, sagt mir Sadi Ahmed Pire, Mitglied im Politbüro der PUK. O-Ton Pire, PUK: Unsere Partnerschaft hat eine Geschichte. Wir haben einander kennen gelernt im Gefängnis, im Flüchtlingslager, bei der Beerdigung unserer gemeinsamen Märtyrer, im Kampf gegen Saddam Hussein. Diese Partnerschaft ist gesegnet bei Präsident Talabani und Ayatollah Hakim und Ayatollah Sadr und auch Sistani. Wir haben eigentlich eine sehr gute Beziehung mit Schiiten. Autor: Sadi Ahmed Pire, der in Wien studiert hat, gehört zum Führungszirkel um den Kurdenführer und irakischen Ex-Präsidenten Talabani. Und der sieht neben dem Iran auch in der PKK ein nützliches Gegengewicht zur Macht seines Rivalen Barzani und zu dessen Türkei-Connection. Was hält er von Barzanis Aufforderung, die PKK solle die kurdische Autonomieregion verlassen? O-Ton Pire, PUK: Ich glaube, das war ein bisschen misskalkuliert. Barzani kann nicht die PKK auffordern, weil niemand hat die PKK eingeladen. Die PKK ist nicht freiwillig hier. Autor: Sie sei Bestandteil eines breiten Bündnisses gegen den IS. Jeder Partner spiele da seine Rolle: Kurdische Gruppen, irakische Armee und Schiitenmilizen, zu denen seine PUK traditionell enge Kontakte unterhalte. 8 9 Und der Beitrag der PKK, will ich wissen? O-Ton Pire: … sehr wichtig. Die PKK waren in ... südlich von Erbil sehr aktiv. In Kirkuk haben sie eine kleine Einheit, die sehr erfahrene Partisanenkämpfer sind. Und auch in der Zentralfront, im Jesidi-Gebiet sind sie sehr aktiv. Ich glaube auch in manchen Stellen in Rojava, in SyrischKurdistan sind sie sehr aktiv. Ich denke, die PKK-Einheiten sind sehr aktiv. Atmo: Front Autor: Zurück an der Front O-Ton Buta: Jeder Freund hat bestimmte Aufgaben. Wir wechseln uns immer ab mit den Wachen. Autor: Der junge Guerillero, der sich Buta nennt, will mir aus Rücksicht auf seine Familie nichts über seine Geschichte verraten. Buta steckt in der üblichen Kluft der PKK-Guerilla: Olivfarbene Pluderhosen, olivfarbene Jacke, um den Kopf ein Tuch geschlungen. Mir fällt schon ein ganz äußerlicher Unterschied zwischen den Gruppen auf: Während die meisten Peschmerga stattliche Bäuche und oft birnenförmige Figuren haben, sehen Buta und seine Kameraden allesamt dünn, sehnig und federleicht aus. Von Butas Schärpe herunter baumeln, an Drähten befestigt, zwei Eierhandgranaten. O-Ton Buta Und meistens, wenn’s Zeit gibt, viele Freunde lesen, um sich auch ideologisch und theoretisch sich zu bilden. Einerseits unser Kampf ist nicht nur: Waffe, gleichzeitig auch dass wir uns ideologisch und theoretisch uns bilden. Wenn man dann Zeit hat, können viele Freunde auch individuell dann Bücher lesen. Autor: Die MGs, die Erdverschanzung mit den Unterständen, die Bewaffnung – alles erinnert mich an Photos aus dem ersten Weltkrieg, nur dass die übrige Ausrüstung der PKK hinter dem Stand von 1918 deutlich zurückbleibt. Helme oder Stiefel gibt es nicht. Ganz zu 9 10 schweigen von den Errungenschaften des späteren 20. Jahrhunderts: Präzisionsgewehren, Zielfernrohren, Nachtsichtgeräten, Panzerfäusten und MilanRaketen, wie sie etwa an die Peschmerga geliefert werden – und wie der IS sie von der irakischen Armee erbeutet hat. O-Ton Buta: Es sind auch Frauen da. (/) Die Frauen haben gleichzeitig ihr eigenes Programm, die PKK – es gibt ja sowieso auch eine Frauenarmee. Die reden gleichzeitig noch nebenher über die Frau, was ist die Rolle der Frau. Nicht nur in PKK, auch auf der Welt. Warum wird die Frau in der Welt als zweite Klasse gesehen, wie kann sich die Frau befreien von dieser Rolle? Autor: Erst jetzt bemerke ich, dass die Gestalt im Pluderhosendrillich, die etwas über uns an der Brüstung des Erdwalls IS-Positionen anvisiert, eine Frau ist. O-Ton Kämpferin Übersetzerin 1: Der IS ist ein schmutziger Gegner. Nichts als Dreck. Die kämpfen gegen die Menschheit. Typen, denen es um nichts als Macht geht. Und wenn sie die erst hätten, würden sie so lange weitermachen, bis sie uns alle unter Kontrolle hätten. Atmo: Euronews „Peschmerga erobern Sindschar...“ Autor: An einem Tag im Spätherbst 2015 wurde in den Nachrichten die Berichterstattung über die Attentate von Paris und ihre Folgen plötzlich von einer anderen Meldung abgelöst: „Sindschar“ ist vom IS zurückerobert, so meldete es Euronews und weitere europäische Sender. Dass andere kurdische Kräfte als die Peschmerga zuerst in Sindschar eingerückt waren, wurde in den Medien nicht erwähnt. Fuad, mein aus Erbil stammender kurdischer Begleiter, wusste den Grund dafür: Die kurdische Autonomieregierung unter Präsident Barzani lasse internationale Medienvertreter nur im Gefolge der Peschmerga nach Sindschar – beziehungsweise Schengal, wie es auf kurdisch heißt. 10 11 Atmo: Erbil, „Totale“, Muezzine, Stadt Autor: Auch in Erbil, so hatte mir Sadi Ahmed Pire, der Vertraute Talabanis verraten, gibt es Kontaktleute der PKK. Ich verschaffte mir eine Telefonnummer und traf Zagros Hiwa. Er ist bei den Guerillas für die Öffentlichkeitsarbeit und die internationalen Beziehungen zuständig. O-Ton Zagros Hiwa, PKK Übersetzer 2: Wir sind eine Volksbewegung. Wir beziehen unsere Macht, Stärke, Legitimität aus dem Volk. Der IS ist gegen die Frauen. Die PKK ist eine Organisation, die sich für Frauenrechte einsetzt. Der IS ist gegen alle Religionen, sogar gegen andere Varianten ihres eigenen sunnitischen Islam. Die Ideologie der PKK zollt allen Religionen und Kulturen Respekt. Der IS zerstört historische Stätten, die PKK respektiert die Geschichte aller Völker. - all the people Autor: Barzanis und Talabanis Peschmerga verfügten hingegen über keine solchen Ideale, nichts, was sie dem IS als Vision positiv entgegenzusetzen hätten. O-Ton Zagros Hiwa Übersetzer 2: Mr. Barzanis Peschmerga sind an vielen Fronten vor dem IS einfach davongelaufen. Wir mussten den Yeziden zu Hilfe kommen, denn noch vor den Yeziden hatten Präsident Barzanis Peschmerga die Flucht ergriffen. Autor: Deshalb, so sagt mir Hiwa, habe die PKK auch bisher mit Abstand die meisten Opfer im Krieg gegen den IS zu verzeichnen. Vor allem auch Frauen seien bereit dafür zu sterben, dass andere Frauen nicht unter die Herrschaft des IS geraten, um von den selbst erklärten Muslimen vergewaltigt oder versklavt zu werden. Vielleicht, so überlegte ich, vielleicht liegt das Besondere der PKK wirklich in diesem einen und entscheidenden Unterschied: Überall in der Region erklären junge Leute immer 11 12 wieder und seit Jahren, sie seien zum Sterben bereit, um ins Paradies zu kommen. Auch die PKK-Leute sind zum Sterben bereit. Aber nicht für ein besseres Jenseits, sondern dafür, was ihnen als ein besseres Diesseits erscheint: ein Kurdistan ohne fremde Herrschaft und eine säkular orientierte Gesellschaft im Mittleren Osten. Und wer ist außer ihnen eigentlich noch dazu bereit? Der PKK-Repräsentant Zagros Hiwa hatte mir versprochen, den Besuch bei einer Einheit zu organisieren, die an der Front gegen den IS kämpft. Atmo:Fahrt Autor: Von Erbil aus mache ich mich gemeinsam mit Fuad an die Front auf. Der Weg führt vorbei an Ölfeldern der Provinz Kirkuk. Zu beiden Seiten der Straße züngeln aus schlanken Schornsteinen orangefarbene Flammen auf, säumen silbern glitzernde Öltanks die Straßen. Nach einigen Minuten ändert sich die Szenerie – nur ganz anders, als wir erwartet hatten. Atmo: Leiernde Koranrezitation Autor Am Straßenrand flattern auf einmal Fahnen. Aber nicht die gelben der PKK mit dem roten Stern, sondern rote, grüne und schwarze. Von riesigen Postern blicken uns streng bärtige irakische Schiitenführer an. Diese Plakate sind so platziert, dass man den Eindruck haben muss, als verfolgten die Herren jedes Fahrzeug. Wir beschließen, in der nächsten Stadt ein paar Sachen einzukaufen und uns dann von Verbindungsleuten der PKK per Telefon weiterlotsen zu lassen. Die nächste Stadt ist Duskhurmatu. Fuad kennt sie seit seiner Kindheit gut – hatte er zumindest gedacht. Atmo: Muezzine O-Ton Fuad: Das ist eigentlich eine kurdische Stadt, aber man sieht hier (/) überall unterschiedliche schiitische Fahnen, Bilder von Ali, schwarze Parolen... Atmo: Autofahrt 12 13 Autor: An der Hauptstraße stehen viele Häuser leer, die Türen sind herausgebrochen, die Fensterränder rußgeschwärzt. Scherben und Möbelreste liegen auf den Gehwegen. O-Ton Fuad: Man sieht hier mehrere Läden, zahlreiche Läden verbrannt, der gehörte Kurden. (/) Autor: Auch auf vielen Fassaden prangt das Konterfei des Stammvaters der Schiiten. Vor vielen Geschäften sind die Rollläden heruntergelassen. Auf einigen davon steht, in roten, arabischen Buchstaben: „Kurde“. Andere sind, ebenfalls mit roter Farbe, von oben bis unten durchkreuzt. Atmo: Auto hält, Tür wird geöffnet, Aussteigen Autor: Wir kommen an einem kurdischen Händler vorbei, der auf seinem Karren Gurken und Tomaten anbietet. Was ist los in dieser Stadt, fragen wir ihn. Warum gibt es überall Zerstörungen? O-Ton kurdischer Händler Übersetzer 3: Sie haben mehr als hundert Häuser und Läden von Kurden verbrannt. Sie haben mehrere Zivilisten gefangen genommen und gefoltert. Sie haben einen bekannten kurdischen Arzt erschlagen. Einfach deshalb, weil er ein bekannter kurdischer Arzt war. Autor: „Sie“ – wer sind „sie“? Der Händler blickte sich sorgfältig nach allen Seiten um. O-Ton kurdischer Händler Übersetzer 3: Die schiitischen Freiwilligenmilizen, die Hascht al Schaabi. (/) Vor rund 12 Monaten wurden sie hier her geschickt, um gegen den IS zu kämpfen. In unserer Stadt gibt es 13 14 Kurden, zudem arabische Minderheiten und turkmenische Schiiten. Die schiitischen Freiwilligenverbände versuchen jetzt, die kurdische Mehrheitsbevölkerung zu vertreiben und ihre Häuser zu übernehmen, also zu enteignen. Meine Verwandten haben sie bereits aus ihren Wohnungen in der Stadt verjagt. Atmo: Schiitische Sprechchöre / Koranrezitation Autor: Die Hascht al Schaabi – das mussten jene schiitischen Freiwilligenverbände sein, die seit dem Sommer 2014 weitgehend die irakische Armee ersetzen. Das hatte mir schon Sadi Ahmed Pire vom Politbüro der PUK gesagt: O-Ton Pire, PUK: Regierungstruppen gibt’s nicht mehr im Irak. Die haben in Mosul versagt, die haben in Tikrit versagt, die haben in Sindschar, in Hatra, in Anbar, in Falludscha, in Diyala, in Kirkuk... überall haben sie versagt. Autor: Und die PUK, in deren Einflusszone Kirkuk liegt, habe die Schiiten-Miliz in Absprache mit Autonomiepräsident Barzani aufgefordert, in diese kurdische Provinz zu kommen, um gegen den IS zu kämpfen. O-Ton Pire, PUK: Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der föderalen Regierung im Irak, mit dem Verteidigungsministerium und dem Innenministerium, mit unserem PeschmergaMinisterium. Ich bin selber ein Gesprächsführer bei dieser Angelegenheit. Autor: An der Front, in den PKK-Positionen, selbst in den Unterständen, auf Medaillons von Kämpfern und Kämpferinnen, fallen mir die Bilder des PKK-Gründers Abdullah Öcalan auf. Er ist in der Türkei zu lebenslanger Haft verurteilt, gilt aber dennoch als Führer der PKK und scheint überall präsent – ganz im Stile eines stalinistischen Personenkults. O-Ton Buta: Für uns läuft das ganze Ding über Öcalans Ideologie und die Philosophie von Abdullah 14 15 Öcalan. Unsere Linie ist das, eine Alternative zu diesem System. Weil, wir sind gegen diesen Kapitalismus, also gegen dieses System und wir wollen ein alternatives System sozusagen. Erstens in Kurdistan und zweitens im Mittleren Osten. Für die Völker. Damit die Menschen gleichberechtigt und in Frieden zusammen leben können. Autor: Immer, wenn der Name Öcalan gefallen war, hatte ich an längst vergangene Zeiten gedacht, an einen verstaubten Linksextremismus, der dem Gründerdatum der PKK, 1984, entsprach, dessen Dogmatismus und hierarchischer Zwang aber schon damals ziemlich überkommen schien. Seit 1993 unterliegt die Organisation in Deutschland einem Betätigungsverbot des Innenministeriums. 2002 wurde die PKK auf die Terrorliste der Europäischen Union gesetzt. Wie viele andere, hatte auch ich im Februar 1999 über die Medien von Öcalans spektakulärer Gefangennahme erfahren. Türkischen Geheimagenten war es damals gelungen, ihn beim Verlassen der griechischen Botschaft in Kenia zu überwältigen. Sie brachten ihn auf eine abgelegene Gefängnisinsel, ihm drohte die Todesstrafe. Noch immer sitzt er in Gefangenschaft. Buta hält Öcalan nach wie vor für einen wichtigen Politiker, er habe seine Position geändert. O-Ton Buta: Früher wollte die PKK auch einen Staat. So bis in die 90er war es ja so, dass die PKK auch einen Staat… wir wollten auch einen kurdischen Staat gründen. Aber dann, als Abdullah Öcalan gefangen wurde und als er in Imrale angekommen ist, hat er besser gemerkt, dass Staat keine Lösung ist, einen Staat zu gründen. Weil Staat ist einfach – Macht. Autor: Buta weist mich auf ein Buch Abdullah Öcalans hin, die 2008 erschienenen Schrift „Krieg und Frieden in Kurdistan“. Dort hinterfragt der PKK-Gründer alles, was die Ideologie der Organisation bis dahin ausgemacht hatte; er geht darin mit allem ins Gericht, was eine straff hierarchisch organisierte revolutionäre Kaderpartei ausmacht. 15 16 Zitator Öcalan: „Mitglieder einer solchen Partei orientieren sich (/) weniger an der Gesellschaft als an Autoritäten bzw. streben danach, selbst zu Autoritäten zu werden.“ „Das Streben der PKK nach institutioneller politischer Macht. (...) Eine an institutioneller Macht orientierte Struktur steht jedoch der Demokratisierung der Gesellschaft entgegen (…) Autor: Öcalan übt auch Selbstkritik. Zitator Öcalan: “Das weitverbreitete individuelle und institutionelle Untertanentum, welches eines der größten Hindernisse für die Demokratisierung darstellt. (...) Solange es keine Parteien und parteinahen Institutionen gibt, die gesellschaftlichen Interessen verpflichtet sind, statt sich zum Erfüllungsgehilfen des Staates zu machen, wird eine Demokratisierung des politischen Lebens nur schwer möglich sein. Der klassische Staat mit seinem despotischen Machtgebaren ist inakzeptabel. Die Institution des Staates ist einem demokratischen Wandel zu unterziehen. Autor: Öcalans neues Paradigma lautet demnach: Basisdemokratie. Kommunale Selbstverwaltung. Zitator Öcalan: “Nicht staatliche Behörden sind Träger dieser Selbstverwaltung, sondern die Bürger selbst.” Atmo Stadt Duskhurmatu Autor Auf dem Weg zur Front hatten wir im Basar von Duskhurmatu Seitengassen bemerkt, die mit schmiedeeisernen Gittern abgesperrt waren. Daran hingen die Konterfeis schiitischer Märytrer, Ali, des Stammvaters der Schiiten und seines Sohnes Hussein. Neben diesen 16 17 abgeriegelten Wohnbezirken lagen Gebäude, Wohnhäuser oder Läden, die einst Kurden gehörten und in denen jetzt Uniformierte Wache schoben – junge Männer zwischen 18 und 25 in selbst zusammengestellten Tarnuniformen, die Köpfe mit grünen Tüchern umwickelt. An die Mauern ihrer Unterkünfte waren die Bezeichnungen der unterschiedlichen Einheiten gesprüht. Ich ging auf zwei dieser Uniformierten zu, fragte sie, woher sie kommen und zu welcher Einheit sie gehören. Warum nicht – schließlich bin ich Deutscher und wir befinden uns ja mit den irakischen Schiitenmilizen in ein und derselben Allianz gegen den IS. Atmo: “Salam aleikum” ... Autor Die beiden Uniformierten winkten ab. Kein Kommentar. Ihre Blicke wirkten nicht so, als ob sie in mir einen Verbündeten sehen würden. Fuad machte mir ein Handzeichen. Lieber weiter, und am besten: raus aus dieser Stadt, meinte er. Er hatte sich inzwischen bei der kurdischen Bevölkerung über die Vorgänge in der Stadt umgehört und riet mir, derartige Gesprächsversuche nicht mehr zu wiederholen. O-Ton Fuad: Auf dem rechten Arm, auf den Klamotten, gibt es ein Zeichen für iranische offizielle Pasdar. Wenn sie uns entführen, als Kidnapper, was sollen wir machen? (/)Es gab hier mehrere Entführungen, Ermordung. Ich hab gemerkt: die sind Iraner da drinnen. Die Iraner, natürlich, sie wollen die Europäer haben... O-Ton Pire, PUK: Kriegszustand, das ist Dschungelgesetz, was sie sich erlauben. Diese Hascht al Schaabi... die meisten sind Verbrecher, die aus dem Gefängnis freigelassen wurden. Autor: Sadi Ahmed Pire vom Politbüro der PUK hatte das mir gegenüber angesichts des Vorgehens der schiitischen Freiwilligenverbände eingeräumt. Aber schließlich – man müsse nehmen, was die irakische Regierung einem schicke. O-Ton Pire, PUK: Man fragt Irak: Wer sind deine Truppen? Sagt er: soviel Polizisten, soviel reguläre Armee, soviel Hascht al Schaabi. Du kannst nicht Hascht al Schaabi sagen: Ich kann nicht mit 17 18 denen arbeiten. Das ist die Kraft, die die Regierung hat. Autor: Fuad und ich beeilen uns also, so schnell wie möglich aus Duskhurmatu herauszukommen. An der nächsten Abzweigung gelingt es meinem Begleiter, wieder den Kontakt zur PKK herzustellen. Wir warten, bis ein weißer Pickup der Organisation sich vor uns setzt und fahren ihm hinterher. Atmo:Front Autor: Eine Frage brennt mir auf den Nägeln, seit ich den PKK-Kämpfern an der Front in Kirkuk begegnet bin: Wie steht es um ihr Verhältnis zum Terror? Buta nimmt mich in einen Unterstand mit. Dort sitzt ein Verantwortlicher, eine Art Offizier – der sich allerdings nicht so nennen lassen will. Schließlich gebe es bei der PKK keinerlei Ränge. Aber offensichtlich ist er befugt, offizielle Statements für die Organisation abzugeben. O-Ton Offizieller Übersetzer 2: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Bei den Kämpfen in Rojava ist eine Kämpferin auf die Feinde vorgerückt und hat sich in ihren Positionen in die Luft gesprengt. Derartige Operationen gibt es. Es gibt sie aber nur im militärischen Kontext und nicht gegen die Zivilbevölkerung. Atmo: Aufbruch, Fahrt Autor: Gleich darauf beginnt eine Operation. Wir müssen die Frontlinie verlassen. Es bleibt kaum Zeit, sich von Buta zu verabschieden. Auf der Rückfahrt nach Erbil studiere ich, was der PKK in Deutschland in Punkto Terror zur Last gelegt wird. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Mai 2014 sind es die fortgesetzten Angriffe der PKK auf Einheiten der türkischen Armee, die diesen Tatbestand erfüllen: 18 19 Zitator: „Dies betrifft ohne Weiteres diejenigen Attentate, die unter dem Deckmantel der "TAK" gegen zivile Objekte und Personen durchgeführt wurden. Auch diejenigen Anschläge, die durch die Unterorganisation HPG vor allem im Osten der Republik Türkei auf militärische, paramilitärische oder polizeiliche Einrichtungen verübt wurden, sind weder nach nationalem Recht noch gemäß den Regeln des Völkerrechts gerechtfertigt. Dies entspricht der langjährigen, ständigen Rechtsprechung der mit Staatsschutzstrafsachen befassten Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland.“ Atmo: Erbil Autor: Wieder in Erbil, der kurdischen Hauptstadt im Nordirak angekommen, treffe ich den jungen Menschenrechtler Mazen Yarzani wieder. Er erzählt mir, dass er in der Zwischenzeit verhaftet worden war. Der Grund – er hatte mit anderen zusammen wieder einmal gegen Präsident Barzani demonstriert. Dagegen, dass der die PKK aus der Autonomieregion rauswerfen wolle. Beamte des kurdischen Peschmerga-Sicherheitsdienstes hätten ihm eine Kapuze übergezogen und ihn in ihr Auto geworfen. O-Ton Mazen Yarzani Übersetzer 1: Ich fragte: Was ist los, was habe ich getan. Als Antwort droschen sie auf meinen Rücken ein. Etwa fünfmal, sehr heftig. Also sagte ich nichts mehr. Es war sehr schmerzhaft.(/)Auch auf den Nacken schlugen sie mich. Sie fuhren extra schnell, als ob sie den Eindruck erwecken wollten, es handele sich um ein Kidnapping. Dann ging es zu einem Gebäude. Obwohl sie meinen Kopf umwickelt hatten, konnte ich durch einen Spalt erkennen, dass es das Hauptquartier der Sicherheit war. (/)Ich hörte, wie sie miteinander sprachen: “Pass auf, dass keine anderen ihn sehen, macht ihn unkenntlich.” Zwei, drei Männer stießen mich immer weiter voran, ich konnte kaum gehen. Ich sagte ihnen: “Lasst mich selber gehen.” Sie sagten zueinander: “Bringt ihn zu einem isolierten Raum”. Dort warfen sie mich auf den Boden und traten mich. Ich sagte: “Ist das eure Demokratie?” Sie riefen mir zu: “Maul halten.” Dann traten sie mich weiter, so ging es etwa eine halbe Stunde. Dann fragten sie mich nach meinem Namen, meiner Stammeszugehörigkeit. 19 20 Autor: Warum, will ich wissen, geht der kurdische Regierungschef der Autonomieregion gegen kurdische Demonstranten vor, die fordern, dass die kampfstarke PKK im Nordirak bleiben kann? O-Ton Mazen Yarzani Übersetzer 1: Barzani möchte dem türkischen Präsidenten Erdogan beweisen, dass er ein treuer Freund ist. Und deshalb fordert er die PKK auch auf, das Kandil-Gebirge zu verlassen. (/) Warum? Weil er sich nicht um die Gesellschaft und unsere Menschen sorgt, sondern um seinen eigenen Profit. Um die Beziehungen seiner Familie zur Türkei. Wohin geht schließlich unser ganzes Öl? Alle Artikel auf unseren Märkten stammen aus der Türkei. Wieso? Weil Barzani der Türkei die kurdische Autonomiezone als eine Art von Kolonie geschenkt hat. Autor: Lässt die Familie Barzani sich tatsächlich von türkischen Firmen schmieren? Sadi Ahmed Pire aus dem Politbüro der Regierungspartei PUK, dem Koalitionspartner Barzanis: O-Ton Pire, PUK: Ich werde nicht überspitzt das Ganze formulieren (/) Aber da und dort wird das Mitgliedern dieser Familie vorgeworfen. Ich glaube, die Frage sollen sie beantworten. Diese Diskussion über diese Geschichte werden wir auf Kurdisch führen. Auf Deutsch habe ich kein Interesse. Diese alte Wäsche zu waschen. Autor: Aber dann verrät er mir doch, dass mindestens Barzanis KDP-Partei im Ölschmuggel tätig ist, genauer gesagt: einige aus Erbil stammende Kommandos der Partei: O-Ton Pire: Von hier bis Kobri, auf beiden Seiten des Weges, gibt es Privatraffineries, das gehört den Kommandos. Nicht von hier, nicht von PUK, die sind von Erbil. Erlaubt oder nicht erlaubt. Niemand fragt: Woher beziehen sie dieses Öl? 20 21 Autor: Und Pires Partei, die PUK? Macht sie ähnliche Ölgeschäfte, schmuggelt sie möglicherweise Öl in das Land ihrer politischen Partner, etwa in den Iran? O-Ton Pire: So was gibt’s nicht. Aber ich verneine gar nicht, dass irgendein Kommando von PUK sich erlaubt, Rohöl zu transportieren und zu verkaufen, ganz billig. Autor: Ali Hama Saleh hält das für eine Schutzbehauptung. Der Abgeordnete der systemkritischen Gorran-Partei sitzt im kurdischen Regionalparlament in der Kommission für Öl und Gas. Er habe ganz andere Erkenntnisse, sagt er mir. Kurdische Funktionsträger aus dem Gebiet der Autonomieregion hätten lukrative Geschäfte auch mit dem IS gemacht. Die Beweise warfen ein so schlechtes Licht auf die Barzani-Regierung, dass die sich zum Handeln gezwungen sah. In der zweiten Jahreshälfte 2014 wurden 15 Personen verhaftet; eine parlamentarische Untersuchungskommission befasst sich seitdem mit den Fällen. O-Ton Ali Hama Saleh Übersetzer 3 : Die Untersuchungskommission hat aber die Namen der 15 beschuldigten Personen bis heute nicht bekannt gegeben. Und selbst, dass es sich um 15 Fälle handeln soll, habe ich nur vom Innenminister persönlich erfahren. Ich weiß nicht, ob irgendjemand von ihnen vor Gericht gestellt wurde. (/)Uns sind keine weiteren Details mitgeteilt worden. Autor: Der Parlamentarier Ali Hama Saleh hütet sich davor, konkrete Namen zu nennen, denn wer in der kurdischen Autonomieregion solche Tabus offen anspricht, wer Zahlen, Daten Fakten zur Korruption in der PUK und KDP auf den Tisch legt oder sie in anderer Weise kritisiert, muss mit dem Schlimmsten rechnen. In Fuads Gefangenenhilfsorganisation laufen viele solcher Fälle auf. Der Bruder von Baschdar Osman, Sardascht Osman war ein bekannter Journalist, der in Erbil u.a. für den britischen Guardian arbeitete. Eines Tages veröffentlichte Sardasht einen satirischen Artikel unter dem Titel “Ich möchte gern Barzanis Tochter heiraten” 21 22 O-Ton Osman Übersetzer 1: Sie haben ihm eine Kugel in den Mund geschossen. Das war eine Botschaft, um die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Sie sollten davor zurückschrecken, den Mund aufzumachen, wie er es getan hatte oder etwas zu schreiben. Sardasht lebte in Erbil. Und viele seiner Artikel beschäftigten sich mit den politischen Verhältnissen und den Regierenden in dieser Stadt. Und wer regiert hier? Das ist die Familie des Präsidenten Masud Barzani. Mein Bruder Sardasht wurde wegen seiner Kritik am hiesigen politischen System ermordet. Autor: Karzan Karim Mohammed, ein Mitarbeiter am Flughafen von Erbil, veröffentlichte Dokumente die Bestechungen beim Bau des Airports offenlegten – und wurde vom Sicherheitsdienst der Peschmerga in ein Geheimgefängnis transportiert. O-Ton Karzan Karim Mohammed Übersetzer 3 : Ich haben gesehen, wie man einigen Gefangenen die Körperteile anzündete. Andere wurden in den Schnee geworfen. Wieder anderen wurde gedroht, dass man ihre Familienangehörigen vergewaltigen würde. (/)Mich selber schlugen sie mit einem Stromkabel, auf die Füße, auf den Kopf. Dann stellten sie mich in die Sonne. Später haben sie gleißendes Licht auf mich gerichtet, und ich musste immer die Augen offen halten. Es waren die gleichen Methoden, wie sie früher das Saddam-Hussein-Regime gegen die Kurden anwandte. Zitator: Anfrage der Linken im Bundestag: „Worauf stützt die Bundesregierung ihre Behauptung, „die PKK kalkuliert – unbeschadet aller ‚Friedensbekundungen‘ – den Einsatz von Gewalt und Militanz auch in Europa taktisch, abhängig allein von den Gegebenheiten in ihren nahöstlichen Herkunftsgebieten“? Aus der Antwort der Bundesregierung: „Im Verlauf des Oktober 2014 kam es zu zahlreichen „Besetzungsaktionen“ und Sitzblockaden an strategisch günstigen Orten (Schiffe, Mediengebäude, Bahnhöfe, Flughäfen, Parteibüros etc.).“ 22 23 O-Ton Uli Grötsch, SPD: Und jüngste Vorkommnisse zeigen uns auch, dass Gewaltanwendungen und Gewaltaufforderungen der PKK weiterhin auf der Tagesordnung stehen. Ich nenne Ihnen kurz drei Beispiele. Im September letzten Jahres erschien in der türkischsprachigen PKKNachrichtenagentur ein Artikel, in dem die kurdische Jugend in Europa zu aktiven Aktionen aufgerufen wurde. O-Ton Karim Übersetzer 3: Barzanis Geheimgefängnis befindet sich im Barzan-Gebiet. Es liegt nur zehn Minuten von seinem privaten Wohnhaus entfernt. Sie hielten mich 26 Tage an diesem Ort gefangen. Jede Nacht, manchmal dreimal, brachten sie mich zum Verhör. O-Ton Uli Grötsch, SPD: Anfang Oktober 2014 kam es an mehreren Tagen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Salafisten in Celle und Hamburg. Meiner Meinung nach reichen diese Beispiele aus, um deutlich zu machen, dass die PKK nicht als harmlos zu bewerten ist, nach wie vor nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Autor: Meine Reise in den Nordirak zur PKK hat manche Fragen offengelassen. Vor allem die nach dem Personenkult um Abdullah Öcalan; wie verträgt sich der mit der angeblich neuen Ausrichtung auf Basisdemokratie und der Abschaffung jeglicher Hierarchie? Auch die schon bestehenden demokratischen Modelle in den von PKK und YPG kontrollierten Kantonen von Rojava konnte ich nicht recherchieren, dort wo das neue Modell schon Fuß gefasst haben soll. Aber etwas ist mir klar geworden: Die offiziellen Partner Deutschlands und des Westens hingegen, lassen sich schwere Menschenrechtsverletzungen zuschulden kommen: von ethnischen Säuberungen bis hin zum politischen Mord. Wie aber soll ein Krieg gegen den Terror je gewonnen werden, wenn man sein eigenes Verhältnis zum Terror nicht klärt – und wenn man nicht einmal zu wissen scheint, wer Freund und wer Feind ist? Absage: Unbequeme Helfer Die PKK und ihr Kampf gegen den IS 23 24 Ein Feature von Marc Thörner Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2016 Es sprachen: Robert Dölle, Daniel Berger, Florian Seigerschmidt, Gregor Höppner, Bruno Winzen und Marietta Bürger Ton und Technik: Gunther Rose und Katrin Fidorra Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Karin Beindorff Musikausklang 24
© Copyright 2024 ExpyDoc