Mitteilungen - Stadt St.Gallen

Stadt St.Gallen
Botanischer Garten
Mitteilungen
Juni 2015 / 64. Jahrgang Nr. 6
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Die Armenische Steinglocke
Vom Erscheinungsbild her sind die Steinglocken
nahezu gleich wie die Glockenblumen (CampanuArmenische Steinglocke
la): Bei beiden finden wir dieselben fünf sternförmig
(Symphyandra armena)
angeordneten Kronblätter, die im unteren Teil glockenartig verwachsen sind und ebensolche strahlenförmig abstehende Kelchblätter. Auch die Früchte,
die aus den Blüten hervorgehen, sind weitgehend identisch: es sind Kapselfrüchte mit nur
wenigen porenförmigen Öffnungen, aus denen die
feinen Samen entweichen können. Damit sorgen Steinglocken wie Glockenblumen dafür, dass nur starke Winde
fähig sind Samen aus der Kapsel zu blasen, Winde also,
die sie weit forttragen können. Auch bezüglich der Staubblätter, den männlichen Geschlechtsorganen in der Blüte,
herrscht weitgehende Übereinstimmung. Bei beiden
Gattungen stehen sie kreisförmig um das Fruchtblatt, stets
fünf an der Zahl.
N
Einen gewichtigen Unterschied gibt es jedoch, zumindest in
den Augen der exakten Botaniker: Bei den
G
Glockenblumen stehen die fünf Staubblätter
G
wohl nahe nebeneinander, sie bleiben jedoch
St
auf ganzer Länge unverwachsen. Bei den
St
St
Steinglocken dagegen sind die Staubbeutel zu
einer Röhre vereint, während die Staubfäden frei bleiben.
F
F
Bei der üblichen Stellung der Staubblätter ist das Verwachsen der Staubbeutel eigentlich ein kleiner Schritt, für die
Systematiker aber Grund genug, die Steinglocken desweG = Griffel, N = Narbe,
St = Staubbeutelröhre
gen in eine eigene Gattung zu stellen. Sowohl der mitunter
F = Fruchtknoten
verwendete Umgangsname „Männerbundglocke“ als auch der
wissenschaftliche Gattungsname (symphyein = zusammenwachsen, andros = Mann) nehmen auf diese Eigenart Bezug. Sehr ähnliche, die Fruchtblätter umfassende Staubbeutelröhren finden wir auch bei den Korbblütlern (Asteraceae). Nicht umsonst sind die Glockenblumengewächse (Campanulaceae) und die Korbblütler nahe verwandte Familien.
Die extreme Nähe von Staub- und Fruchtblättern birgt die Gefahr von Selbstbestäubung. Um
diese Pollen-Übertragung innerhalb einer Blüte zu erschweren, reifen die Geschlechtsblätter
nicht gleichzeitig, sondern gestaffelt. Junge Blüten befinden sich in der männlichen Phase.
Hier schütten die Staubbeutel den Pollen ins Innere der Röhre. Durch das Wachstum des
borstigen Griffels mit noch geschlossener Narbe wird der Pollen aus der Röhre gefegt, Beim
Ausbeuten des Nektars wird er von Insektenkörpern unbewusst abtransportiert. Wenn sich
dann die drei Narbenlappen öffnen, die Blüte also in die weibliche Phase wechselt, ist am
Griffel meistens kein Pollen mehr vorhanden. Dadurch ist die Chance hoch, dass die Narbe
mit Pollen einer anderen Blüte belegt wird.
Die Armenische Steinglocke ist entweder eine zweijährige Pflanze oder eine kurzlebige
Staude. In der östlichen Türkei, dem Kaukasus und dem Nordwesten Irans ist sie weit verbreitet und besiedelt Felsfluren bis in Höhen von 3600 Metern.
www.stadt.sg.ch
21. Juni – 18. September 2015: „Unkraut“, Ausstellung der Künstlergruppe ohm41
Botanische Gärten sind in erster Linie Anlagen, in denen Pflanzen gesammelt, erhalten und
einem interessierten Publikum präsentiert werden. Wie alle Gärten sind sie gleichzeitig auch
ein Stück Kultur. Es liegt daher nahe, den Garten von Zeit zu Zeit Künstlerinnen und Künstlern zu öffnen, wie es der Botanische Garten St.Gallen nun tut. Während dreier Monate zeigen Markus Eugster, Thomas Fri Freydl, Stefan Kreier, Errico Mirto, Renato Müller, Fulvio
Musso, Roland Rüegg, Andreas Schedler, Kurt Scheiwiller, Franz Zuber, Franziska Peterli
Bartholdy und Tuli Eugster im Freiland des Botanischen Gartens ihre Werke. Diese Ostschweizer Kulturschaffenden haben sich vor rund 20 Jahren zum Künstlernetzwerk ohm41
zusammengeschlossen. Warum sie ihrer Ausstellung den Titel „Unkraut“ gegeben haben?
Wohl kaum deswegen, weil es in den Pflanzungen des Botanischen Gartens an spontan
wachsenden Arten fehlt... Wir dürfen gespannt sein, was die „Öhmler“ den bewusst angesiedelten Pflanzen gegenüberstellen werden.
Sonntag, 21. Juni 2015 um 10.30 Uhr: Vernissage zur Ausstellung „Unkraut“
Auch wenn die „Unkräuter“ in diesem Fall künstlerischer und nicht pflanzlicher Natur sind,
so sind doch botanisch interessierte Personen zur Vernissage ebenso herzlich eingeladen
wie kulturell Interessierte. Mit dabei sein wird auch das Theater Jetzt, das „sich im besten
Fall hoch hinaus wagt“.
Der Botanische Garten St.Gallen ist gewachsen!
Seit rund einem Monat ist der Botanische Garten St.Gallen um rund 150 Quadratmeter
grösser geworden. Diese Erweiterung befindet sich beim Eingang Stephanshornstrasse 4
hinter dem prächtigen kegelförmigen Mammutbaum (Sequoiadendron giganteum). Thema
der Bepflanzung im gesamten Eingangsbereich sind erdgeschichtlich ursprüngliche Pflanzen
aus den Unterabteilungen der Farne und der Nacktsamigen Pflanzen („Nadelgehölze“). Eigentlich naheliegend, solche primitiven Arten, mit denen auch das System der Gefässpflanzen beginnt, an den Anfang einer botanischen Sammlung zu stellen.
Die Erweiterung um anderthalb Aren mag geringfügig erscheinen, aber immerhin kommen
so weitere 20 Farne und rund 10 Nadelgehölze neu dazu. Darunter befinden sich zwergförmig wachsende Raritäten wie die Zwergsteineibe (Lepidothamnus laxifolius) aus Neuseeland, die als kleinstes Nadelgehölz der Welt gilt, oder die Australische Kugelfrucht-Steineibe
(Pherosphaera fitzgeraldii) aus den Blue Mountains. Zudem findet nun manche Art, die vom
Mammutbaum verdrängt worden wäre, ausreichend Platz. Beachtung verdient auch der Erschliessungsweg, der mit rotem Porphyrgestein aus einem längst aufgegebenen Steinbruch
im Kanton Aargau gepflästert ist. Diese einzigartigen Steine konnte der Botanische Garten
vom Friedhof Feldli übernehmen, wo ein entsprechender Weg aufgehoben wurde.
Öffentliche Führungen im Botanischen Garten
Sonntag, 5. Juli 2015 um 10.15 und 15.15 Uhr
Raffael Gmünder: Efeu, Ginseng und ähnliche Heilpflanzen
Der Efeu (Hedera helix) wird schon seit Jahrhunderten als Heilpflanze genutzt. In seinem
„New Kreuterbuch“ aus dem Jahr 1543 beispielsweise empfahl der damals hoch geachtete
Medizin-Professor Leonhard Fuchs aus Tübingen den Efeu gegen die Ruhr, gegen Geschwüre, Läuse in den Haaren und bei Bissen von Gifttieren. Diese Angaben beruhten teils auf
wenig gesicherten Überlieferungen und Behauptungen. Jedenfalls wird der Efeu heute bei
ganz anderen Krankheitsbildern angewendet, z.B. bei Infektionen der Atemwege. Drogerien
bieten aktuell verschiedene Produkte an, die Efeu enthalten. Da der Efeu leicht giftig ist, ist
es sinnvoll, Fertigprodukte mit der richtigen Dosis zu verwenden. Raffael Gmünder wird bei
seiner Veranstaltung nicht nur den Efeu, sondern auch den nahe verwandten Ginseng und
Arten mit ähnlicher Wirkung vorstellen. Er vertritt in verdankenswerter Weise Nicole Bühler,
die die Führung aus terminlichen Gründen nicht wie vorgesehen durchführen kann.