MEINUNG SCHLUSSPUNKT Kommentar von außen Flüchtlinge möglichst rasch versorgen Infolge zahlreicher internationaler Krisen sind derzeit weltweit fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es keine so große Flüchtlingsbewegung mehr. Die meisten der Flüchtlinge nehmen lebensbedrohliche Möglichkeiten in Kauf, um nach Europa zu gelangen. Dementsprechend rasch und unbürokratisch müssen sie ärztlich versorgt werden. ► Mitte September 2015 haben 13.000 Flüchtlinge sterreich erreicht, bis Jahresende erwartet das Ö Innenministerium 80.000 Flüchtlinge. Ein Großteil davon stammt aus Syrien, einem Land, in dem aufgrund des Bürger kriegs ein Großteil der Bevölkerung vertrieben wurde. Viele andere fliehen aus Afghanistan, Irak, Pakistan, Somalia, Iran, Nigeria und Algerien. In Österreich finden Flüchtlinge Zuflucht in improvisierten Erstaufnahmezentren oder Bahnhöfen. Was diese Menschen – neben Nahrung, Kleidung und einem sicheren Schlafplatz – wirklich benötigen, um wieder auf die Beine zu kommen, ist vor allem eine rasche und unkomplizierte medizinische Grundversorgung. Flüchtlinge kommen oftmals aus Län dern, die per se schon eine schlechte Gesundheitsversorgung aufweisen. Fast alle Flüchtlinge sind hungrig, müde und erschöpft, manche von ihnen sind krank. Jede Flucht birgt Risiken für somatische und psychische Erkrankungen. „Es macht mich zufrieden, aus meiner in vie lerlei Hinsicht auch rechtlich-privilegierten Position heraus so vielen Menschen, die drin gend der ärztlichen Hilfe und des menschli chen Beistands bedürfen, helfen zu können.“ Mittlerweile ist die medizinische Versorgung der ankom menden Menschen durch das Sanitätsteam Wien, koordi niert durch die Wiener Berufsrettung und unterstützt von einem Netz an freiwilligen Helfen an vielen Orten Wiens, einigermaßen sichergestellt. Doch bis es dazu gekommen ist, mussten erst viele Tage und Wochen ins Land ziehen. Dabei kann Österreich beziehungsweise deren Ärzteschaft auf eine lange Tradition des Helfens zurückblicken. Foto: AEK Wien Ausnahmesituation passiert nicht das erste Mal Beispiel 1992: In diesem Jahr kamen 80.000 Kriegsflücht linge aus Bosnien nach Österreich. Der damalige Bürgermei ster Helmut Zilk sowie das Magistrat haben gemeinsam mit der Caritas Socialis und dem evangelischen Flüchtlingsdienst einige große Flüchtlingslager in leer stehenden Gebäuden in Wien eingerichtet. Durch gelbe MA 12-Krankenscheine wur de allen Flüchtlingen unbürokratisch der Zugang zur hausund fachärztlichen Versorgung ermöglicht. Ich wurde damals vom Bezirksärztevertreter meines Bezirks gefragt, ob ich bereit wäre, Flüchtlinge hausärztlich zu betreuen. Ich sagte zu und betrat damit ein neues Feld meiner Berufstätigkeit. Zweimal wöchentlich hielt ich damals „Ordination“ in den Räumlichkeiten der Stationen der ehemaligen 2. Medizi nischen Abteilung, wo 1980 mein Turnus begann. Ein in Afrika geborener Arzt, der als Flüchtlingskind in Jugoslawien aufgewachsen war, dort Medizin studiert hat und in einem Ort als Allgemeinmediziner tätig war, aus dem 150 weitere Flüchtlinge stammten, dolmetschte. Er war also bereits das zweite Mal in seinem Leben geflüchtet. Durch die serbokroatischen Kenntnisse des Kollegen und seine englischen Übersetzungen konnten wir die Sprachbar riere überwinden. Ich lernte damals hervorragende Persön lichkeiten kennen. Einige von ihnen machten mich mit den Grundbegriffen der Posttraumatischen Belastungsstörung vertraut, und so erwarb ich mir sehr rasch das fachliche Rüst zeug, das benötigt wird, um Flüchtlinge optimal zu versorgen. Hans-Joachim Fuchs ist niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin sowie Universitätslektor für Allgemeinmedizin in Wien. Anrecht auf eine adäquate medizinische Versorgung Die besondere ärztliche Leistung in der hausärztlichen Be treuung von Flüchtlingen besteht im Erwerb von genügend Akzeptanz und einem Verständnis, das zur ärztlichen und emotionalen Unterstützung von traumatisierten Menschen notwendig ist. Der Zeitaufwand ist deutlich größer, ebenso die emotionale Belastung für den Arzt sowie das Ordinati onspersonal. Auch finanzielle Verluste sind selbst zu tragen. Denn die Grundversorgung der Asylwerber hat sich auch damals vielfach als lückenhaft erwiesen, sodass ich in zahl reichen Fällen auf mein Honorar verzichten musste und teil weise auch heute noch verzichte. Dennoch macht es mich zufrieden, aus meiner in vielerlei Hinsicht auch rechtlichprivilegierten Position heraus so vielen Menschen, die drin gend der ärztlichen Hilfe und des menschlichen Beistands bedürfen, helfen zu können. Seit 1992 habe ich einige Flüchtlingswellen miterlebt und zahlreiche Flüchtlinge aus dem Iran, Irak, Türkei, Afgha nistan, Tschetschenien und Georgien behandelt, das Case Management übernommen, oftmals in Kooperation mit Spezialisten im AKH, insbesondere der psychiatrischen Universitätsklinik. Jedes Mal haben zahlreiche Kolleginnen und Kollegen sowie deren Mitarbeiter enorme Leistungen er bracht, um Flüchtlingen die adäquate medizinische Versor gung zu gewähren, auf die sie nicht zuletzt auch ein Anrecht haben. Von der Gemeinde Wien und den politisch Verantwortlichen wünsche ich mir, dass diese Versorgungsleistung, die in den Jahren 1992 und 1993 in so vorbildlicher Kooperation aller Beteiligten und im Sinne eines humanen Geistes möglich war, jetzt wieder stattfindet. Die hier getätigten Äußerungen stellen ausschließlich die Meinung des Autors/der Autorin dar und müssen sich weder in rechtlicher noch in inhaltlicher Hinsicht mit der Meinung der Ärztekammer für Wien decken. 10_2015 doktor in wien 45
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