DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Feature Vielleicht doch im Garagenhof? Nachdenken über Opernregie Von Stefan Zednik Regie: Burkhard Reinartz Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 10. Juli 2015, 20.10 - 21.00 Uhr 1 A00 Musik Tosca, Ende 1. Akt, Akt-1-Scarpia_Aufn_offiziell, GP in Berliner Staatsoper 2014, ca. 35 Sek frei, dann weiter unter Text Sprecher 2 /Zitat Alvis Hermanis, aus Tip Interview vom 30.9.2014, über Musik Mein Traum ist es, der altmodischste Regisseur des 21. Jahrhunderts zu werden. Sprecher, über Musik Alvis Hermanis, Regisseur der Tosca. Staatsoper Berlin, Herbst 2014. Musik Tosca, frei 01 O-Ton Holger Potocki, Ich bin da sehr dagegen, mit der Brechstange darauf zu gehen, irgendwas zu finden, was tagespolitisch brisant oder spannend halt ist. Das führt meiner Ansicht nach zu oft dazu, dass man ein Stück irgendwo reinquetscht und es relativ deformiert da rauskommt. Sprecher über Musik Holger Potocki, für eine Puccini-Oper an den Landesbühnen Sachsen engagierter Regisseur. Musik Tosca nochmals kurz hoch 02 O-Ton Nadia Loschky Man kommt sehr schnell an einen Punkt ,wo man so Abziehbilder austauscht. Das, was die Musik da eigentlich tut, ist auf Basis eines exotischen Bodens eigentlich Seelenräume zu öffnen und auch sehr wenn man genau hinhört und auch die Partitur genau analysiert ein sehr kontroverses und widersprüchliches Bild einer Frau zu zeichnen. Sprecher über Musik Nadia Loschky, Regisseurin der „Butterfly“ im Stadttheater Bielefeld. Musik frei, dann Kreuzblende in A 01 leiser Sound einer startenden Harley Davidson darüber 2 03 O-Ton, Julia Lwowski Da wir uns halt im Bereich experimentelles Musiktheater (..) ausbreiten und da forschen, haben wir beschlossen eine Garagenoper, ein Garagen-Musiktheater zu machen, welches aus verschiedenen Musikstücken, verschiedenen Opernarien, verschiedenen Texten zusammengesetzt ist, das ist eine Stückentwicklung mit zwei Schauspielern, zwei Sängern, zwei Performern und einem Musiker. Sprecher Julia Lwowski, Regisseurin in Projekten der freien Szene A 01 Sound der Harley hoch, darüber Ansage Vielleicht doch im Garagenhof? Nachdenken über Opernregie Ein Feature von Stefan Zednik Sprecher über Hofatmo A 02/A03 Berlin-Pankow. In einem U-förmig angelegten Hof mit über hundert Garagen sind Bastler am Werk, „Schrauber“. Über dem Hof liegt die Einflugschneise des Flughafens Tegel. Die hölzernen Doppeltüren vieler Stellplätze sind geöffnet, man sieht alte, liebevoll restaurierte Autos und getunte Motorräder. Auch professionelle Werkstätten haben sich hier eingemietet. Ein ganzkörpertätowierter KFZ-Meister mit Sonnenbrille schraubt mit seinem Nachbarn, einem koreanischen Airbrusher, an einer blinkenden Harley herum. Deren breiten Tank ziert ein von Gothic-Art inspirierter Totenkopf. A04a Gesang (Herbstlied von Mendelssohn live auf Probe gesungen) Sprecher über Gesang Aus einer der offenen Garagen erklingt Musik, erklingt Gesang. Das „Herbstlied“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sprecher 2 über Musik „Ach, wie so bald verhallet der Reigen, wandelt sich Frühling in Winterzeit! Ach, wie so bald in traurendes Schweigen wandelt sich alle die Fröhlichkeit!“ 3 Sprecher Kaum ein Text passt weniger zu dem merkwürdigen Setting dieser Szenerie. In einer Doppelgarage steht links ein Mercedes aus den 90er Jahren; auf dem Kofferraum sitzt mit angezogenen Beinen ein älterer Schauspieler. Rechts agieren vier junge Frauen. Zwei sind Sängerinnen, eine ist Schauspielerin und eine Regisseurin: Julia Lwowski. Gemeinsam mit Franziska Kronfoth hat sie sich in der Berliner Off-Szene einen gewissen Ruf erworben. Beide entstammen der Regieausbildung der „Hochschule für Musik Hanns Eisler“ Berlin. 04 O-Ton Wort Julia Lwowski, Es ging darum, sich ein bißchen gegen die böse Männerwelt zu wappnen, als Team zu agieren, zwei junge Frauen die trotzdem halt irgendwie arbeiten wollen, die sich nicht so schnell runterbuttern von der männlichen starken Kritik in den großen dicken Opernhäusern und dann haben wir gesagt, lass uns doch dieses kleine Ding machen, wir wollten eigentlich jede Woche eins machen, und die erste Aktion war wirklich: jede Woche war eine Oper da. Sprecher Ein gutes Dutzend Opern-Performance-Abende haben Lwowski und Kronfoth in den letzten drei Jahren realisiert, mit kleinstem Budget. Meist in den Räumen einer Galerie. Ihr Unternehmen nennen sie „Hauen und Stechen“. An zwei, drei aufeinanderfolgenden Tagen finden die Veranstaltungen statt, werden täglich mehrfach wiederholt für ein kleines, aber hochinteressiertes und selbst für Berliner Verhältnisse unkonventionell gemischtes Publikum. Das nun geplante Stück trägt den kryptisch anmutenden Titel „Die Herzen des Oktopus“. Es ist Programmpunkt eines viertägigen Festivals unter dem Motto „Männer in Garagen“. Die künstlerische Leiterin der Berliner Sophiensäle und Veranstalterin des Festivals, Franziska Werner, erläutert die Wahl dieses Ortes: 06 O-Ton Franziska Werner, Es geht um Männerthemen, um Männerklischees und um Männerorte und gleichzeitig geht es natürlich genau auch dann um die Brechung von Männerklischees, von Männeruniversen und den Männerorten. Und deswegen sind natürlich bei uns auch viele Frauen, die arbeiten und die sich vielleicht mit Phantasien und Utopien und diesem erstmal männlichen Raum auseinandergesetzt haben und dann halt gucken ob sie da Sachen noch verstärken… 4 07 O-Ton Regisseurinnen, Julia+Franziska J:Was uns auch wichtig ist, war so eine Art Surrealität in der ganzen Sache zu behalten, weil wir können halt nicht behaupten, das ist jetzt ein Mann der hat ne Garage und da werkelt der jetzt extrem drin rum, sondern es ist ein schon Kunstraum F: Die Regisseurinnen sind ja (..) Frauen, die sich so ausdenken, was der Mann da in der Garage tut, und das ist natürlich eine Projektion. (..) was man sieht ist, was wir uns vorstellen, wonach wir uns sehnen, was wir vielleicht gerne für einen Platz einnehmen wollen in den Gedanken und im Leben und Handeln von so einem Mann und insofern wird der ja auch auf so einer übergeordneten Ebene von uns verschlungen. A04 b hochfahren und moderat ausblenden (hat keinen wirklichen Schluss, da aus Probe) (Akustik Theorie) Sprecher 2 Zitat Adorno, aus Spiegel Interview 9/1968, über voriger Musik Ich kann mir eine Kultur vorstellen, in der die Oper in einer ähnlichen Weise verschwindet wie eine ganze Reihe anderer Formen. (..) Ich glaube, dass sie vielleicht noch dieses Jahrhundert überleben wird, das nächste kaum mehr. Sprecherin ... sagte Theodor W. Adorno, Philosoph und Musikwissenschaftler, 1968 in einem Spiegel-Interview. Fast fünf Jahrzehnte später spitzt der Soziologe Dirk Baecker dieses Diktum noch zu. Sprecher 2 Die Zukunft der Oper muss mit der Möglichkeit der Abschaffung der Oper rechnen, sonst gibt es keine Zukunft der Oper. ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------A05 Musik Radebeul, Lauretta-Arie aus Gianni Schicchi nach Gefühl (vor a capella Stelle) ausblenden Sprecher Die Landesbühnen Sachsen sind ein Mehrspartentheater im Dresdner Vorort Radebeul. Der Ort ist vor allem als Heimat des meistgelesenen 5 deutschen Autors, Karl May, bekannt. Dass an dem kleinem Haus für gerade 400 Besucher ganz große Oper gepflegt wird, hat Tradition. Als nach dem Krieg Dresden komplett zerstört war, entstanden hier, im Saal einer Ausflugsgaststätte, die ersten Opernproduktionen. Wie in der Berliner Staatsoper steht auch in Radebeul die Premiere einer Oper von Giacomo Puccini bevor. Nicht der Politkrimi „Tosca“, sondern die heiterste Oper des Italieners, der Einakter „Gianni Schicchi“. Gesungen wird auf Deutsch, so Intendant Manuel Schöbel, der sich bekennt zu einer 09 O-Ton Intendant Manuel Schöbel Tradition des erzählenden Musiktheaters, was sich dem Inhalt der Botschaft, der Interpretation der Wirklichkeit verpflichtet sieht. Davon will auch ich nicht abrücken, weil da komme ich her, mit meinem Studium der Theaterwissenschaft ein Brechtianer und demzufolge sozusagen in der Tradition und in der Linie begriffen. Für mich ist die Wahl der Sprache aber dann am Ende aber keine Frage der Religion und das muss immer genauso entschieden sein sondern am Ende können wir bei jedem Werk neu prüfen und es kann sein dass der eine Verdi, der Maskenball, richtig in Deutsch ist und dass man den anderen dann den Don Carlo in Italienisch macht, das hängt stark von der Interpretation, vom Werk, von dem konzeptionellen Ansatz ab. Sprecher Das Besondere des Abends in Radebeul ist die Kombination zweier Einakter. Im ersten Teil spielt man eine unbekannte Oper von Ruggiero Leoncavallo. Es ist die Geschichte von König Oedipus, der zu der Erkenntnis gelangen muss, Mörder seines Vaters und Gatte seiner Mutter geworden zu sein. Die Sache endet bekanntlich schrecklich: Die Mutter erhängt sich, Oedipus sticht sich selbst die Augen aus und verbringt den Rest seiner Tage als blinder Bettler. Holger Potocki widersteht einer vordergründigen Aktualisierung des Stoffs. 10 O-Ton Holger Potocki, Gerade im Musiktheater sind viele Phasen gewesen in den letzten Jahrzehnten die Haltung eingefordert haben, die eine musikalische Haltung eingefordert haben, die eine soziale Haltung eingefordert haben, ich glaube dass das alles sehr richtige und gesunde Phasen waren aber dass sie oft auch die Gefahr hatten dass aus einer Haltung eine Attitüde wird. Ich habe auch Phasen gehabt, wo ich das Gefühl hatte ich muss das so und so in eine Ästhetik setzen, um dem Zeitgeist zu entsprechen, um überhaupt feuilletonfähig zu sein oder.... ich glaube auch da sollte man wirklich gucken, dass man vom Stück ausgeht, dass man sich Gedanken über das Stück macht und sagt, wie kann ich das am besten erzählen, was mir da aufscheint, was 6 ich da spannend finde und von da aus losgehen und sagen ich suche mir Ort und Zeit aus um mir eine möglichst dichte Erzählung zu ermöglichen. Davon bin ich absolut überzeugt. Ich bin nach wie vor überhaupt nicht der Meinung dass eine Jeans und T-Shirt allein eine Inszenierung modern macht. Sprecher über Musik Im zweiten Teil des Abends, dem Einakter von Puccini, greift der Regisseur die Grundidee des ersten Stückes auf – und macht sich gleichzeitig die Notwendigkeit der Besetzung durch das hauseigene Ensemble zu Nutze. Denn Oedipus und Schicchi werden von demselben Sänger dargestellt. A06 Musik Gianni Schicchi, „Leb‘ wohl Firenze“, kann dann unter Text weiterlaufen Sprecher über Musik Schicchi ist in seiner florentinischen Oberschichtsfamilie ein Außenseiter, er gilt als bauernschlauer Tagedieb, dessen Gewitztheit die verlogene Familie der Erbschleicher für eine Testamentsfälschung nutzen will. Und er hat eine heiratsfähige Tochter, die mit ihm auftritt. Potocki lässt auch Schicchi – als Blinden auftreten. Das verleiht dem gesamten Abend eine besondere, humane Note. Denn auch nach der schlimmsten Katastrophe, wie sie Oedipus zu erleiden hatte, scheint die Chance auf ein sinnvolles Leben noch möglich zu sein. 11 O-Ton 11a Mann mit österreichischem Akzent Hervorragend, ich fand den ganzen Abend sehr spannend, vor allem auch die Kombination dieser Oedipus Tragödie und dann die wunderbar gespielte Gianni Schicchi Komödie, also sehr beeindruckend . 11b Frau mit sächsischem Akzent Das zweite Stück fand ich sehr schön (..) fand ich sehr schön, das erste war bissel schwer weil man das Stück halt auch nicht gekannt hat, man hat es zwar gelesen, aber das zweite Stück war realistisch, sehr gut 11c Frau Wirklich schön, gut gemacht, die haben prima gespielt im ersten Teil und auch im zweiten Teil fand ich, ganz toll . Wir gehen in Berlin meistens zur Oper. Wir sind hier nur besuchsweise. 7 11d Ihr Mann Wir sind nicht mehr so sehr begeistert in Berlin, die Inszenierungen, die sind alle zu sehr abgehoben, also ich mag‘s lieber ein bißchen realistischer. Das ist ja auch modern hier gewesen, aber trotzdem ist es irgendwie spielerisch schöner. Ich hab nichts gegen modern, aber es muss zum Thema passen, es darf nicht aufgesetzt sein .. Seine Frau .. und es muss was rüberkommen, man muss was fühlen, man muss lachen und weinen innerlich wenn man in die Oper geht. Was wir in Berlin sehen, da gucken wir zu, aber wir fühlen nicht mit. (Akustik Theorie) Sprecherin Auf einer Tagung in Berlin streiten Kunst- und Kulturwissenschaftler, Künstler und Komponisten, Theaterleiter und Regisseure darum, wie die Oper der Zukunft aussehen könnte. Der Soziologe Dirk Baecker vergleicht die aktuellen Bemühungen um die Oper mit der Implantierung eines Herzschrittmachers. 12 O-Ton Dirk Baecker, Symposion20131025-1-Die_Kunst und die Gesellschaft Das hören Sie, das sehen Sie, das erleben Sie, dass da irgendetwas am Leben gehalten wird wo der Geist noch lebendig und der Körper vielleicht schwach geworden ist, deswegen Herzschrittmacher, aber was in dieser Schwäche, die es gegenwärtig vielleicht an den Tag legt, eine extremstarke Aussage über die Konstitution von Kunst in der Gesellschaft macht, die Sie nicht verstehen. Sie verstehen diese Aussage nicht. Und genau das macht Oper interessant. Sprecherin Der Opernbesuch als Konfrontation mit dem vergangenen Fremden, bei dem gerade das Nichtverstehen zu interessierter Beschäftigung anregen soll? Der junge Komponist Klaus Lang wendet sich vehement gegen ein solches „System Oper“. 13 O-Ton Klaus Lang, Komponist, Symposion20131026-6-Die_Kunst Ich habe immer gedacht, das ist seltsam, daß das so wenig mit mir zu tun hat, weder als Person noch als Komponist. Man nimmt einen winzigen kleinen Zeitraum in der Geschichte, zwischen 1800 und 1900, und sagt: Das ist die Oper. Da liegen jetzt diese dreißig Mumien herum, die seit hundert Jahren mumifiziert werden, und dann kommen die Regisseure, die spritzen dann ihr Botox oder Formalin rein und dann zappelt die Mumie wieder ein bißchen. Und damit beschäftigt man sich, und das ist Oper. 8 Musik, Potpourri aus populären Opern 14 O-Ton Klaus Lang, Symposion20131026-6-Die_Kunst, über Potpourri … in Wirklichkeit geht es ja in diesem ganzen Opernbetrieb (..) nur darum, diesen Status quo des 19. Jahrhunderts aufrecht zu erhalten, um an der Oberfläche ein bißchen zu kratzen, um sozusagen alibihaft den Konservativismus aufrecht zu erhalten. Sprecherin Benedikt von Peter, 2015 Hausregisseur am Theater in Bremen, verteidigt das „Kernrepertoire“. 15 O-Ton Benedikt von Peter, Symposion20131025-3-Die_Regie, Wir haben eine spezielle Aufgabenstellung. Ähnlich wie in Hollywood, es gibt Blockbuster tatsächlich, es gibt Riesenhäuser, es gibt so etwas wie Mehrheitsfähigkeit, wenn wir ein Theater zu bespielen hätten von hundert Leuten dann wäre das anders, oder wenn wir im Off wären, aber das ist tatsächlich die Aufgabenstellung, der man sich stellt. Sprecherin Neue Werke des Musiktheaters werden vom traditionsorientieren Opernpublikum meist sehr reserviert aufgenommen, sie gelten als Gift für die Kasse. Das lang Vertraute steht weit höher im Kurs. Obwohl oder gerade weil es in einer fremd gewordenen Welt spielt. Die auch dem allgemeinen Publikumsinteresse verpflichteten Theaterleiter haben lange versucht, das Altbekannte wenigstens in neuem Gewand zu präsentieren. Doch seit den 70er Jahren, als aktualisierende Inszenierungen und psychologisch-realistische Deutungen auch in den Stadttheatern Einzug hielten, hat das Publikum sich daran gewöhnt – und zunehmend satt gesehen. 16 O-Ton Benedikt von Peter, Symposion20131025-3-Die_Regie Die Hauptprobleme sind Bebilderung, Verortung, Aktualisierung, auch, dass jemand mit dem Blut rumrennt, der Krieg, der Krieg, aber wir haben alle keinen Krieg erlebt, genau diese Themen, dass sozusagen die Oper, die großen Häuser, auch viele Intendanten, immer noch in politisch-soziologischen Kontexten denken, und eben nicht anfangen mit spekulativem Realismus und darüber nachdenken oder Psychoanalyse mit hineinzudenken oder privatere Formen der Stoffentdeckung. Sie sind in einem anderen Jahrhundert aufgewachsen, es gibt bestimmte Dinge, die sich inhaltlich nicht transportieren an unsere Generation oder an mich persönlich, weil ich denke, was erzählst du mir da von Krieg und da fährt ein Panzer über die Bühne, ich hab den nie erlebt und was soll mir der Stoff? 9 A07 b Längere Orchesterstelle/Butterfly Sprecher Ein Psychothriller mit tödlichem Ausgang, ein Blockbuster mit Splatterqualitäten, steht auch am Stadttheater in Bielefeld auf dem Spielplan. Wie in der Berliner Staatsoper, wie in den Sächsischen Landesbühnen ist er von Maestro Puccini, und Nadia Loschky, die junge Regisseurin, hat sich gefreut. 17 O-Ton Loschky ...als es hieß Puccini, der erste Puccini, und dann habe ich angefangen mich mit den Stück auseinanderzusetzen, dass ich eben bisher nur kannte aus der Situation als Kind dass man mitgeht und guckt, die ganze Verwandtschaft weiblicherseits heult Rotz und Wasser und irgendeine Dame im weißen Gewand rammt sich einen Säbel unter den linken Arm und tut so als ob sie stirbt, das war mein Bild, das ich davon hatte, ich hab es auch ansonsten nicht oft auf der Bühne gesehen muss ich sagen und wenn dann meistens schlecht … Sprecher „Madame Butterfly“ gilt vielen Regisseuren als die schwierigste aller Opern des Italieners. Denn die Geschichte vom „Fräulein Schmetterling“, wie sie in alten Übersetzungen gern genannt wurde, ist –in traditioneller Lesart – meist als verkitschtes Japanmelodram zu erleben. Oder – in aktualisierter Umsetzung – als Kritik an Sextourismus und Kinderprostitution. A 07c Musik “Summchor” 17a O-Ton Loschky, Ich habe (dann) als ich angefangen habe mich damit zu beschäftigen erstmal gedacht oha, das ist aber ganz schön schwierig sich da reinzuarbeiten und zwar weil ich schnell an den Punkt gekommen bin dass ich dachte, dass das, was Puccini da beschreibt, er sagt ja ich gebe Nagasaki meiner Zeit wieder, aber es geht ja überhaupt nicht darum dass er ein Bild von einer Land kreiert ,das eine Genauigkeit hat, eine historische oder dass er ein Gesellschaftsportrait entwirft, es ist so ein bißchen exotisches Kolorit und man hat das Gefühl, da wird so eine Art Phantasiejapan eigentlich, das sich eben aus seinem Hintergrund gespeist hat entworfen und das war für mich am Anfang ganz schwierig, weil ich dachte was macht man denn jetzt damit und sehr schnell war mir klar dass es mich überhaupt nicht interessiert, ein Gesellschaftsbild der damaligen Zeit oder man sucht nach 10 Übersetzungen und man sagt wo findet denn jetzt im asiatischen Bereich Sextourismus statt…, Der Schritt dann hin zu sagen das, was die Musik da eigentlich tut, ist auf Basis eines exotischen Bodens eigentlich Seelenräume zu öffnen und auch sehr wenn man genau hinhört und auch die Partitur genau analysiert, ein sehr kontroverses und widersprüchliches Bild einer Frau zu zeichnen. Mit sehr vielen Sprüngen und Brüchen und das hat mich dann angefangen wahnsinnig zu interessieren. Dann war die Frage da wie geht man denn jetzt damit um? Kann man das überhaupt mit einer Figur auf der Bühne zeigen? Kann man diese Diskrepanzen und diese Spannweiten mit einer einzelnen Darstellerin voll ausloten? Und daraus entstand eigentlich die Idee zu sagen, man setzt sich quasi mit zwei Figuren auseinander und schafft eine Figur, die in den Dialog und in den Konflikt mit sich selbst mit der eigenen Erinnerung geht und darüber kann man immer wieder quasi aus der Geschichte rausspringen, kann neu drauf gucken, kann einen anderen Blickwinkel einnehmen und kann damit immer wieder das Pathos und den Kitsch, das ist ja immer so die Gefahr bei Puccini, die Gefahr des Zuckergusses, und kann das damit unterlaufen und dann an anderen Stellen wieder befeuern und trotzdem immer wieder in die Fülle der Emotionalität reingehen. Das braucht es schon, man kann nicht sagen, wir machen Puccini, aber ohne Emotionen, das geht nicht. Sprecher In Bielefeld erlebt, betrachtet, erinnert oder träumt Butterfly, eine koreanische Sängerin in den Dreißigern, ihre eigene Geschichte, die einer heranwachsenden Frau. Ihr alter ego wird dargestellt von einer stumm agierenden und wesentlich jüngeren Schauspielerin mit ebenfalls koreanischer Herkunft. Alles an diesem konzeptionellen Einfall unterstützt die Glaubwürdigkeit der Geschichte: Der Altersunterschied der Darstellerinnen, ihr körperlicher Unterschied – die Schauspielerin ist zierlich, sie wirkt zerbrechlich im Vergleich zur Sängerin - geben dem präzis gearbeiteten Spiel eine beklemmende Atmosphäre von Wahrhaftigkeit. Selbst die vollkommene Stummheit der jungen Butterfly ist erlebbar als Scheu einer 15-Jährigen vor dem amerikanischen Marineoffizier. So changiert der Abend ständig zwischen erträumter und realer Welt, zwischen Gestern und Heute, zwischen ersehnter Zärtlichkeit und gewalttätig männlichem Zugriff. Es entsteht ein Theater der psychischen Zwischenwelten. Dabei entfaltet Musik ihre höchste Energie, es entsteht Oper im besten, selten erlebbaren Sinne. 11 A07 d Musik, Arie „Un bel dì, vedremo“, Sprecher 2/Sprecherin 2 Zitate über Musik, Vorschlag für Auswahl aus Zeitungen/Netz; Neue Westfälische vom 28.9.2014 von Anke Groenewold (NW), Westfalenblatt vom 29.9.2014 von Uta Jostwerner (WB), theaterpur.net vom 2.10.2014 von Thomas Hildemeier (TP), Lippe aktuell vom 4.10.2014 von (ame) (LA), … ein abgründiges, scharfkantiges Psychodrama zwischen Wahn und Wirklichkeit … (NW) … ebenso analytisch wie emotional … (NW) … ein Seelendrama von Wucht und Konsequenz … (NW F02 Foyeratmo Bielefeld 19a 1 Frau Sehr gut sehr gut, das hatte ich nie gedacht, für mich war .. ich hab das schon so oft gesehen die Butterfly, ich hatte gedacht wenn das auch so kitschig ist, wie manchmal in anderen Opernhäusern, dann geh ich in der Pause, aber dieses ist ja sensationell, unglaublich 19c Frau Sehr berührend, ich bin eigentlich sprachlos, ja ich hab noch nie so eine schöne Inszenierung gesehen. Sprecher 2/Sprecherin 2Zitate … Loschky sorgt für große Ruhe und Gelassenheit und lässt dadurch jede Situation ungeheuer einprägsam werden … (TP) … unglaublich dichte, in ihrer Konsequenz fast schon unheimliche Butterly … (TP) (Musik hoch) 19 ff O-Ton Wort Vox pop 19d Mann Also ich fand die Inszenierung atemberaubend, die Spannung bis zum Schluss gehalten, phantastische Aufführung, einfach großartig … 19b Frau 12 Ich glaub das ist das tollste was ich je in meinem Leben an Inszenierung gesehen hab, also ich bin völlig sprachlos, phantastisch, wir haben gerade gesagt, es fehlen einem die Worte eigentlich, also eine solche Spannung über diese ganze Zeit .. Sprecher 2/Sprecherin 2Zitate … soviel Tiefe in jedem Detail … (LA) … Mehr Oper geht nicht ! (LA) Sprecher über Musik, im Folgenden ausblenden So äußert sich ein begeistertes Publikum, schreiben die regionalen Zeitungen. Die Feuilletonisten der großen Blätter, Kritiker der Rundfunkhäuser oder der Fachzeitschrift „Opernwelt“ sind nicht vor Ort. 19ff O-Ton Wort Vox pop 19 f 2 Frau Großartig, aber ich habe fürchterlich geweint! Beifall nach Butterfly -(Akustik: Theorie ) 20 O-Ton Wort Jonathan Meese, Symposion20131025-6-Die_Kunst Kreativität muss abgeschafft werden, wir müssen wieder instinktiv werden, wir müssen nicht identisch sein mit uns, sondern Masken tragen. Sprecherin Seit langem versteht sich der Opernregisseur nicht mehr nur als Organisator des szenischen Ablaufs, als bloßer Handwerker im Dienst von Stück, Darstellern, heater und Publikum. Der Regisseur ist in seinem Selbstverständnis längst zum Vollblut-Künstler geworden. Der Anspruch: möglichst nie zuvor Gesehenes auf die Bühnenbretter zu bringen, also: schöpferisch zu sein. Das ihn beauftragende Theater bemüht sich, ihm diesen Freiraum zu ermöglichen – oder es engagiert gleich einen „echten“ Künstler. Einen wie Jonathan Meese. Der international bekannte Maler und Performer bringt sich in die Diskussion des Berliner Symposions ein. Er fordert die Total-Herrschaft der Kunst auch auf der Bühne. 13 21 O-Ton Wort Jonathan Meese, Symposion20131025-6-Die_Kunst In der Kunst bin ich aufdringlich, weil ich sage: Haut ab, geht nach Haus, spielt, belästigt mich nicht, lasst mich in Ruhe! Das ist Kunst, Distanzschaffungsmaßnahme ist Kunst, auf Distanz gehen zu dem was nicht Kunst ist. Und Oper ist nicht politisch, sondern stärker als Politik, das ist wichtig zu wissen, Kunst ist nicht politisch, sondern stärker als Politik, deshalb muss ja auch Kunst an die Macht. Wir brauchen keinen Authentizitätsfanatismus, wir brauchen auch keine Identifikation und auch keine Kreativität. Kreativität ist viel zu langsam, wenn ich in Gefahr bin, muss ich instinktiv handeln, nicht kreativ. A 08 Musik, , längere Passage aus Garagenproduktion: Beginn mit ruhigem melancholisch schrägem Gitarrensolo, Sprecher über Musik Das Innere der Operngarage in Pankow ähnelt einem der Kunsträume Meeses. Ein scheinbares Chaos von Werkzeugen und Musikinstrumenten, links der alte Mercedes, an den Wänden Plastikfolien, eine Stativleinwand für Projektionen, ein dickes Knäuel Schiffstau auf dem Fußboden. Von der Decke baumelt ein ausgebauter Motor, aus ihm tropft Öl. Wie der Kelch mit dem Blut Christi in Wagners „Parsifal“ fängt hier eine Plastikschüssel den schwarzen Lebensstoff des kultisch verehrten und todkranken Autos auf. Und tatsächlich lassen die Regisseurinnen „Parsifal“ vom Band erklingen, der Schauspieler spricht dazu. A08/ 22 O-Ton jetzt freistehend, , der Schauspieler zitiert Parsifal, hüte Dich vor Klingsohr! Er ist böse. Und er will, dass du auch böse wirst. Er ist sehr, sehr böse. Sprecher Parsifal im Garagenhof? Die Oper als kultureller Steinbruch, aus dem man sich herausklaubt, was gerade passt? Das Spiel „Die Herzen des Oktopus“ bewegt sich ständig auf einer Grenze zwischen Ernst und Slapstick, Passion und Comedy, Inszenierung und Improvisation. Julia Lwowski und Co-Regisseurin Franziska Kronfoth suchen das Handwerk der Regie, verwegenes dramaturgisches Denken und ein Theaterverständnis in der Nachfolge Christoph Schlingensiefs zu verbinden. 14 23 O-Ton Franziska Kronfoth Das Stück ist in 5 Kapitel gegliedert, die alle einzeln funktionieren, aber die ergeben alle zusammen eine große Geschichte über ein Ritual von einem Mann und seinem Auto und eigentlich ist das Ganze eine große Abschiednahme und Zeremonie für so ein verunglücktes wunderschönes Auto, einen alten silbernen Mercedes aus den 90er Jahren und es hängt in dem Raum ein Motor und der Motor ist gewissermaßen das Herz des Autos und es geht ganz doll um den Austausch Herz des Menschen, Herz des Autos, inwiefern verschmilzt der Mensch mit dem Auto, wie kann der eine über das andere erzählt werden. 24 O-Ton Musik/Text von Performance, Schauspielerin Das ist ein Oktopus, und wie wir ja alle wissen, der Oktopus hat drei Herzen, für jedes Glied eins, und darum sind wir hier, um zu verteidigen, dass wir unser eines Herz nicht aufteilen wollen in der Liebe, nicht zerstückeln, sondern dass wir ganz viele Herzen ansammeln im Laufe des Lebens, ganz viele, weil da reicht nicht eins. Und das ist das Herz, packen wir mal aus. Sprecher über O-Ton Performance Die Akteure beginnen die Operation am Motor, dem Herzen des Automobils. Was wie ein Doktorspiel von Kindern anfing, entwickelt sich zum dramatischen Kampf um das Überleben des Patienten. A09a O-Ton Musik von Performance, ab 0’27, Wagner, Isolde, bei „todgeweihtes Haupt“ ausblenden und überblenden in A09 b Musik Parsifal Ende I. Akt, mit Choreinsatz „Selig im Glauben! Selig in Liebe!“ dann weiter unter Text irgendwann auslaufen lassen Sprecher 2 über Musik „Selig im Glauben! Selig in Liebe!“ dann Musik wieder frei, erst dann Meese über Musik 25 O-Ton Wort Meese, Symposion20131025-6„Hier gilt’s der Kunst“ – das ist der Spruch und der gilt auch. Und speziell, dass ich eingeladen wurde, ist ein gutes Zeichen, weil ich eben kulturlos bin. 15 Sprecherin Jonathan Meese 2013 auf dem Berliner Symposium über Opernregie, offenbar berauscht von seiner Berufung als Parsifal- Regisseur in Bayreuth 2016 Ich finde das großartig, also mit Kultur hat das überhaupt nichts zu tun, das sind alles Liebende, die lieben das, was sie tun, dieser Ort ist so voller Liebe, das können Sie sich überhaupt nicht vorstellen, jeder Sitz ist voll Liebe, jede Strebe in dem Haus ist voll Liebe, alles ist Liebe, totale Kunst, und da muss man sich einfach nur hingeben, es geht ja um Leidenschaft und Hingabe, das ist der einzige Ort, wo überhaupt noch was passiert, und das merken die Leute auch, und da sind sie sauer, dass ich das bekommen hab, ohne zu schleimen, kannte die gar nicht, die haben mich gefragt, ich hab mich nicht beworben, man bewirbt sich nicht in der Kunst, ihr Mickrigen, Das tut man nicht, das macht man in der Kultur, und dann wird man wegkultiviert, und das passiert eben in Bayreuth nicht, das ist ein Machtzentrum, da gilt’s nicht der Politik, die Politik hat keine Chance, da werden alle zu Kindern, selbst Adolf Hitler wurde zum Kind, in Bayreuth *.. so gut, es ist nie gut genug !!! *.. Mann *.. Merkel ist zum Kind geworden, alle Politiker werden entpolitisiert in Bayreuth, das ist so, das ist ein Kraftzentrum … das ist wie ein Zoo *.. A10 Musik von Performance Wagner, Isolde, frei ab „todgeweihtes Herz“, am Ende hört man im Dialog, dass die OP misslungen ist Sprecher über A10 Im Pankower Garagen-Projekt ist die Notoperation am offenen Motor, am offenen Herzen des Oktopus, endgültig misslungen. Die Darstellerinnen setzen ihre Operations-Gasmasken ab. Traurigkeit beherrscht die Szene. Es folgt eine der ältesten Arien der Operngeschichte: Claudio Monteverdis verzweifelte Klage der vom Geliebten verlassenen, des Lebens müde gewordenen Ariadne. A 10 Musik Fortsetzung von Performance, Monteverdi, „Lasciate mi morire“, Sprecher Am Ende der Opern-Performance findet eine Begräbnisfeier statt, die Premieren-Zuschauer sitzen in der Garage beim Abendmahl dabei, rituell betrauern Spieler und Publikum das verstorbene Auto. Was vor einigen Monaten noch persönlicher Besitz einer Regisseurin war, ein Geschenk 16 ihres Vaters, ist mutiert zu einem theatralisch-kultischen Gegenstand. Ein heiliges Requisit wird verabschiedet. A 10 Musik hoch, weg (Akustik Theorie) Sprecherin Der Gedanke, Oper jenseits von Film- und Fernsehrealismus, weit entfernt vom Theater der Identifikation zu betrachten und sie ihrer Herkunft aus dem Maskenspiel, dem Religiösem, dem Kultischen wieder anzunähern, taucht in neueren Diskussionen immer wieder auf. Der Kulturwissenschaftler Navid Kermani geht auf dem Berliner Symposium noch einen Schritt weiter. 26 O-Ton Navid Kermani, Symposion20131024-1-Kunst_und_Gesellschaft Wenn man sich die Themen der Wagner-Opern oder auch anderer Opern anschaut, sind das ja in vielen Fällen, bei Wagner am allermeisten, dezidiert religiöse Stoffe. Im Kern geht es um Religion, um das Heilige, um Gott, um Erlösung, um all das. Und was mir aufgefallen ist, jedenfalls in allen Inszenierungen die ich gesehen habe ist, daß unabhängig von Gelingen oder Misslingen von einzelnen Aufführungen sich sämtliche Aufführungen vor dieser religiösen Thematik ziemlich stark weggeduckt haben. Bis in die moderne Zeit hinein, hatten wir Gesellschaften meistens durch die Religion Möglichkeiten oder Mechanismen, mit denen eine Gesellschaft aus sich selbst herausgetreten ist, man kann das heute noch in den orthodoxen Ländern beobachten, etwa in der orthodoxen Messe, dass da jeden Tag fünf, sechs Stunden, egal ob dort jemand hingeht oder nicht, man eine bestimmte Inszenierung aufführt. Um des Aufführens willen. Es wird gar kein Publikum gesucht, es wird einfach gemacht, denn es ist genau dieses Reich der Zweckfreiheit. Und das ist etwas, was in vormodernen Gesellschaften institutionell eingebaut war, meistens durch die Religion. In der Moderne hat das in vielen Fällen die Kunst übernommen. Sprecherin Oper als Ersatz für kultische Handlung, Ersatz für kollektives religiöses Erleben? Vielleicht ist es das, was Richard Wagner einst als Opernrevolution in Bayreuth anstrebte. Die künstlerische Leitung des Grünen Hügels schien jedenfalls von Jonathan Meeses Radikalität beeindruckt, als sie ihn mit der Inszenierung des „Parsifal“ beauftragte – um diesen Auftrag wieder zurück zu ziehen. 17 Sprecher 2 Zitat Pressemitteilung Aufgrund erheblicher Finanzierungsprobleme hinsichtlich der bühnenbildnerischen und kostümlichen Gesamtausstattung hat die Leitung der Bayreuther Festspiele GmbH in Abstimmung mit den Gesellschaftern entschieden, sich von Jonathan Meese zu trennen. Sprecherin Zu aufwendig? Zu teuer? Oder fürchtet man vielleicht doch das enfant terrible, den Bürgerschreck, den gehypten Kunstclown, den PhantasieDiktator der Kunst? Der Meister jedenfalls ist enttäuscht, und seine Liebe zu Bayreuth schnell erkaltet. 27 O-Ton Jonathan Meese im Herbst 2014, frei gehaltene Rede (..) das ist der letzte Dreck und die müssen sich selbst bezichtigen und denunzieren, sie müssen sich bei Richard Wagner entschuldigen für dieses miese intrigante Spiel, das ist gar kein Spiel, was die mir spielen, das ist nur machterhaltendes optimiertestes Mittelmaß, das ist die Speerspitze, die Kaderschule der Weltsekte der Demokratie, durch das Bayreuther Festspielhaus geht der Vollblutdemokrat ein und aus, der will nur noch vollgepupst werden, der will in seinem Schlaf, in seiner Ohnmacht nicht mehr gestört werden, dieses widerliche Pack . Ich bin wahrscheinlich persona non grata, aber ist ja egal, der Parsifal ist von der Bühne von Bayreuth in die Realität gebracht worden, was denken Sie, was ich schon für Angebote habe, den Parsifal aufzuführen, das ist Wahnsinn, und es werden immer mehr. Katharina Wagner was haben Sie gemacht? Sie haben das Geilste verhindern wollen und jetzt kriegen Sie den totalen Alptraum. Das ist eine Staatsaffäre, das wird diesen Staat stürzen Mann, das ist der Anfang … A12 a Musik Macbeth Neuköllner Oper, Ouvertüre Sprecher Die Neuköllner Oper gilt in Berlin als „viertes Opernhaus“. Seit mehr als 25 Jahren bemüht man sich um ein Crossover Prinzip, bei dem immer wieder Genre-Grenzen durchbrochen werden. Ob große Oper in schräger Sichtweise, unbekannte Operette, ein neugeschriebenes Musical oder eine Soap-Opera – nur dass gesungen und gespielt werden soll ist verbindlicher Konsens. A12 b Musik Macbeth 18 Sprecher über Musik „Macbeth. Nach Verdi“ steht auf dem Plakat und verantwortlich sind – Julia Lwowski und Franziska Kronfoth, die Garagenperformer. Hier ist keine Belcanto-Schlacht zu erwarten. Die kleine Studio-Bühne fasst 60 Zuschauer, es agieren 5 Personen: ein Bariton als Macbeth, eine dramatische Sopranistin als Lady Macbeth. Auch die Co-Regisseurin ist besetzt, sie spielt wechselnde Rollen und – singt! In die Szene integriert: eine Musikerin und ein Musiker, an Klavier, Orgel, Akkordeon und Glockenspiel. Das Budget ist schmal - es zwingt zum Experiment. A 13 Musik, leichte beinahe heitere „Banda“-Musik Sprecher , kann über Musik An der Bühnenwand ein plakatwandgroßes Foto. Bill Clinton mit Hillary, offenbar in Wahlsieger-Sekt-Laune. Ein Zeichen für Macht und Lust, für Machtlust. Darüber hinaus gibt es zunächst nichts „Aktualisierendes“; die Inszenierung, die sich grob an den Ablauf der Macbeth-Geschichte hält, spielt vor allem mit dem Kanon theatralischer Formen. Immer wieder changiert das Stück zwischen Splatter und Comedy, psychologisch genauem Miteinander-Spielen und falschem Pathos. F03 Foyeratmo Neukölln 28 O-Ton vox pop 28a Mann Ich bin Opernfan und geh sonst in die klassische Oper, also Deutsche Oper oder Staatsoper …es ist doch eine große … war ganz anders als ich erwartet hatte. Ich find es zwiespältig. 28b Mann mit Berliner Zunge Ich fand das war Schülertheater. Ich denk darüber nach und bin dann vielleicht ein bißchen gerechter, aber mein erstes Gefühl war, dass ich mich gelangweilt habe und dass ich das teilweise ärgerlich finde und dann noch mit dieser albernen Verquickung an einer völlig unpassenden Stelle mit der Ukraine. A14 Szene + Chor-Quintett Sprecher Die „Stelle mit der Ukraine“ spaltet die Lager. Denn mitten im Stück, erscheint plötzlich eine Videoprojektion: Die Verwandten der 19 Regisseurin sitzen in ihrem Wohnzimmer und sprechen ins Telefon über die sehr praktischen Probleme von Menschen im Kriegsalltag. Aufmerksame - oder der Verdi‘schen Oper kundige - Besucher brachten diese Szene mit der darauf folgenden musikalischen Nummer zusammen: Der Chor aus dem vierten Akt der Oper „Macbeth“, „Patria oppressa!“, „Unterdrückte Heimat“ ist bei Verdi ein Chor schottischer Kriegsflüchtlinge. Es sind keine Hexen, keine Adligen, keine Soldaten die hier singen. Es ist das Volk. am Ende von A14: Musik Quintett „Patria opressa“, 29 O-Ton vox pop, erste junge Frau, 29a Finde ich absolut ok, find ich gut dass man das macht einfach, es ist ja auch immer wichtig, was will man damit sagen, bei einem alten Stück, was will man damit in die Gegenwart tragen. Und es auch für die Menschen zu reflektieren dass das auch immer noch ein Gegenwartsbezug ist, dass diese Blutsucht, dass täglich an unseren Händen noch Blut klebt. O-Ton vox pop 3, zweite junge Frau 29b Es gibt schwache Momente, es gibt schwächere Passagen, die sich ein bißchen ziehen, es gibt aber auch ganz klare Momente die ich superstark finde wo einfach eine unheimliche Spannung ist, wo was ganz tolles entsteht, vor allem auch zwischen den Darstellern, wo einfach wirklich eine organische Wahrhaftigkeit zwischen denen ist. 30 O-Ton Franziska Kronfoth, Macbeth_ Es ist Shakespeare drin weil wir den lieben, es ist Verdi drin, das ist die Grundlage erstmal, das ist auch eine Liebeserklärung immer wenn man ein Stück von den Leuten macht. Wir hassen nicht die Sachen, die wir machen und zertrümmern sie deshalb, sondern es ist eigentlich eine Verbindung von Elementen die uns was sagen und die wir zusammen mit dem Theater auf eine neue künstlerische Ebene bringen. A16 b Musik, Arie der Lady Macbeth Sprecher Von vielen Besuchern werden die Intention und die Kraft, die hinter diesem Theater des Suchens stecken, positiv wahrgenommen. Das betrifft auch die Mischung von Sprechen und Singen, von laienhaften und professionellen Stimmen. 20 33 O-Ton junge Besucherin Ich sag einfach eins: Wenn Du weißt, was du erzählen willst, dann kannst du das auch mit einer ungebildeten Stimme, aber wenn du nicht weißt, wenn du schwimmst und inhaltlich irgendwie oder klanglich oder was auch immer dann blockiert das, und dann bleibt das total stecken im Hals, und das macht es auch mit Profisängern A 17 O-Ton Musik Tosca, „Vissi d’arte“, Akt-2-Tosca_Aufn_offiziell, GP in Berliner Staatsoper 2014 Sprecher „Ich lebte für die Kunst, ich lebte für die Liebe“ – so reflektiert die verzweifelte Tosca in der Staatsoper Berlin im Starbetrieb mit weltweit agierenden Solisten, finanziert durch staatliche Subventionen von bis zu 250 € pro abendlichem Sitzplatz. Mit Gagen für die Sänger der Hauptpartien, deren jede einzelne weit über dem Gesamtetat der Oktopus-Produktion im Garagenhof liegt. Und einem international gehypten Regisseur, dem Letten Alvis Hermanis, der vor der Premiere im September 2014 von sich selber sagt Sprecher 2 Zitat Alvis Hermanis, aus Tip Interview vom 30.9.2014 Ich habe, wenn ich Glück habe, keine Idee. Das ist mein Job. Die Dinge sollen auf jeden Fall bleiben, so wie sie sind. Man darf nicht stören.(...) Mein Traum ist es, der altmodischste Regisseur des 21. Jahrhunderts zu werden. Sprecher Die nationale Kulturkritik, Presse und Rundfunk, sind bei dieser Spielzeiteröffnung in der Hauptstadt natürlich zugegen, doch diesmal ist man wenig erfreut. Folgende Zitate mit O-Tönen collageartig überblenden Sprecher 2/Sprecherin 2 Zitate Auswahl aus Zeitungskritiken; Tagesspiegel vom 5.10.2014 von Frederik Hanssen (TS); Die Welt vom 5.10.2014 von Manuel Brug (W); Berliner Morgenpost vom 5.10.2014 von Volker Blech (BM) … Szenisch (..) ist die Aufführung enttäuschend kalt. Womit Alvis Hermanis und seine Solisten die Probenwochen verbracht haben, bleibt ihr Geheimnis. 21 34c O-Ton Wort DLRadio Kultur, Uwe Friedrich Da passiert wirklich nichts, das ist unglaublich ermüdend, um nicht zu sagen peinlich anzusehen, diese Inszenierung ist wirklich auf jeder Ebene rausgeworfenes Geld Sprecher Das gutsituierte Charlottenburger Premieren-Publikum kümmert das wenig, der Beifall ist zwar etwas kürzer als gewöhnlich, aber immer noch deutlich im wohlwollenden Plus-Bereich. Man will sich die Freude an diesem gesellschaftlichen Ereignis nicht verderben lassen, man hat viel Geld dafür bezahlt. Und schließlich geht man in die Oper – der Sänger wegen. A 18 Musik letzte Arie Cavaradossi aus Tosca „E lucevan le stelle“ Absage Vielleicht doch im Garagenhof? Nachdenken über Opernregie Sie hörten ein Feature von Stefan Zednik Es sprachen: Gregor Höppner, Sigrid Burkholder, Wolfgang Rüther und Silvia Systermanns Ton und Technik: Michael Morawietz und Oliver Dannert Regie: Burkhard Reinartz Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Unter Verwendung von Material des Symposiums „Die Zukunft der Oper – Oper anders denken“ der Kunstuniversität Graz, Leitung: Prof. Dr. Barbara Beyer. 22
© Copyright 2025 ExpyDoc