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BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
Drucksache
21/2590
21. Wahlperiode
05.01.16
Große Anfrage
der Abgeordneten Dirk Nockemann, Prof. Dr. Jörn Kruse, Dr. Bernd Baumann,
Dr. Alexander Wolf, Andrea Oelschlaeger, Detlef Ehlebracht, Dr. Ludwig Flocken
und Dr. Joachim Körner (AfD) vom 14.12.15
und
Betr.:
Antwort des Senats
Neubewertung der Sicherheitslage in der Hansestadt Hamburg
Die Terroranschläge, die der Islamische Staat am 13. November 2015 in
Paris verübt hat, haben einmal mehr die Verwundbarkeit der Menschen in
europäischen Metropolen offenbart. Denn wie in Paris wären terroristische
Anschläge auch in der Hansestadt denkbar und hätten verheerende Folgen.
Angesichts dessen, dass der Islamische Staat mittlerweile auch offen mit
Anschlägen in Deutschland droht1 sowie vor dem Hintergrund des Erstarkens, das die islamistische Szene gegenwärtig in der Hansestadt erlebt2,
besteht Grund zu der Annahme, dass tatsächlich auch Hamburg zum Ziel
von islamistischem Terrorismus werden könnte. Zwar haben die deutschen
Sicherheitsbehörden noch keine explizite Terrorwarnung für die Hansestadt
ausgegeben, wie es bereits bei Bremen, Braunschweig, Dresden und Hannover der Fall gewesen ist, doch sprechen hochrangige Beamte wie BKAChef Holger Münch bereits davon, dass eine Anschlagsgefahr keineswegs
mehr abstrakt sei und Deutschland ohne Zweifel im „Zielspektrum“ islamistischer Terroristen stehe.3
Was mit dieser Aussage gemeint ist, lässt ein Blick auf die zur Verfügung
stehenden Zahlen erkennen; denn diese zeigen deutlich, dass deutsche
Großstädte mittlerweile mehr denn je ins Fadenkreuz islamistischer Terroristen geraten sind. So geht der Bundesverfassungsschutz mittlerweile von 420
„Gefährdern“ in Deutschland aus. Darunter versteht Innenminister de Maizière Personen, die „unter konkretem Verdacht stehen, zu politisch motivierten
Straftaten von erheblicher Bedeutung bereit zu sein.“ Aus ganz Deutschland
sollen bis heute zudem etwa 780 Personen ins Ausland gereist sein, um sich
dort dem „Dschihad“ des Islamischen Staates anzuschließen; viele von ihnen
sind mittlerweile bereits wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt und
wären dazu in der Lage, Anschläge zu verüben.4 Zudem gibt der Verfassungsschutz an, dass bereits 15 Personen nach Hamburg zurückgekehrt
seien, die eine militärische Schulung im Ausland erhalten und zum Teil sogar
1
IS droht Merkel und Deutschland in Mord-Video. „Die Welt“ Online vom 5.8.2015.
Zwischen 2013 und 2014 ist die Anzahl von Salafisten von 240 auf 400 angestiegen; im selben Zeitraum hat sich die Anzahl von Jihadisten von 70 auf 240 vergrößert. Confer Drs.
21/510.
3
Deutschland und die Frage nach dem Wann. „Die Welt“ Online vom 14.11.2015.
4
BKA-Chef Holger Münch gegenüber n-tv in einem Interview vom 18.11.2015.
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Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode
Kampferfahrung erworben haben5, woraus er eine „reale Terrorgefahr“ ableitet.6
Dass das potenzielle Milieu militanter Salafisten tatsächlich jedoch noch
weitaus größer sein dürfte als die Gruppe der „Gefährder“ kann man daraus
ersehen, dass gegenwärtig gegen 600 Personen aus dem salafistischen
Spektrum Ermittlungsverfahren mit über 900 Beschuldigten geführt werden.7
Stellt man diesen Daten nun die Zahlen gegenüber, die der Hamburger Verfassungsschutz in seinem Bericht für 2014 veröffentlicht hat, ergibt sich folgendes Bild: Mit insgesamt 240 Jihadisten zählt Hamburg zu den Städten mit
besonders hoher Gefährdungsdichte.8 Nimmt man zur Kenntnis, dass wohl
nicht einmal ein Dutzend Personen für die Anschläge von Paris verantwortlich sind, wird das Bedrohungspotential offensichtlich, das von den Jihadisten
in unserer Stadt ausgeht. Wie unlängst bekannt wurde, unterhielt mit Abdelhamid Abaaoud das Gehirn des Massakers von Paris Kontakte zu Salafisten
aus Deutschland.9 Zudem hat die Zeitung „Valeurs actuelles“ am 26.11.2015
ein polizeiliches Vernehmungsprotokoll eines Zeugen öffentlich gemacht,
dem zufolge Abdelhamid Abaaoud sich am 17.11.2015 über die deutschen
Sicherheitsbehörden lustig gemacht hat, die ihn problemlos über den Balkan
einreisen ließen.
Die Angaben der Sicherheitsbehörden sind aber auch vor dem Hintergrund
relevant, dass es in der Hansestadt mehrere Moscheen gibt, die laut Verfassungsschutz vermehrt von als Salafisten und Jihadisten geltenden Personen
besucht werden; in einer von ihnen wurde bereits sogar ein Mitarbeiter als
Salafist identifiziert.10 Auch hat die Häufigkeit von Koranständen drastisch
zugenommen11, von denen man weiß, dass sie von Salafisten als Anwerbestellen für neue Mitglieder genutzt werden; in Einzelfällen sind auch an diesen Ständen aktiv gewesene Personen nach Syrien ausgereist.12
Bedeutend ist aber auch, dass Salafisten bereits mehrfach den Versuch
gestartet haben, mit Flüchtlingen in Kontakt zu treten, wobei sie diesen
Korane schenkten beziehungsweise Sachspenden übergaben. Wie das Bundeskriminalamt kürzlich erklärte, liefen gegenwärtig in 120 Fällen Ermittlungen wegen des Verdachts einer Einreise von als Flüchtlingen getarnten Jihadisten.13 Zudem ist in Hamburg bereits ein Fall publik geworden, in dem ein
für die Betreuung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen zuständiger
Mitarbeiter des Landesbetriebes für Erziehung und Beratung (LEB) als
Salafist enttarnt sowie bei dem Versuch ertappt wurde, die ihm anvertrauten
Jugendlichen ideologisch zu beeinflussen.14
Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:
1.
Sind dem Senat Fälle bekannt, in denen islamistische Terroristen versucht haben, Anschläge in Hamburg zu planen oder zu begehen?
Den Sicherheitsbehörden liegen keine entsprechenden Erkenntnisse vor.
5
Confer Drs. 21/1204.
Confer Drs. 21/510.
7
BKA-Chef Holger Münch gegenüber n-tv in einem Interview vom 18.11.2015.
8
Confer Bericht des Hamburger Verfassungsschutz 2014. Seite 41.
9
„Lohberger Brigade“: Paris-Attentäter hatten enge Kontakte zu deutschen Islamisten. „SPIEGEL ONLINE“ vom 28.11.2015.
10
Confer Drs. 21/1987.
11
Allein im August 2015 hat es mehr als 80 Koranstände in Hamburg gegeben. Confer Drs.
21/1278.
12
Confer Drs. 21/1306.
13
BKA-Chef Holger Münch gegenüber n-tv in einem Interview vom 18.11.2015.
14
Confer Drs. 21/328.
6
2
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2.
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Welche Konsequenzen zieht der Senat aus den Terroranschlägen von
Paris? Wäre es in Anbetracht der Unfähigkeit der französischen Sicherheitsbehörden, die Vorbereitungen der Tat rechtzeitig zu erkennen, nicht
unumgänglich, eine Neubewertung der hiesigen Bedrohungslage durch
Jihadisten vorzunehmen sowie gegebenenfalls die Konfiguration der
Sicherheitsarchitektur zu überarbeiten?
Siehe Drs. 21/2303.
3.
Hat der Senat aufgrund von konkreten Hinweisen bereits Maßnahmen
mit dem Ziel unternommen, Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund zu verhindern?
Siehe Antwort zu 1.
4.
Liegen dem Senat gegenwärtig Informationen vor, die darauf hindeuten
beziehungsweise belegen, dass Hamburg heute oder in Zukunft zum
Ziel von Anschlägen werden soll?
Hinweise auf eine konkrete Gefährdung Hamburgs liegen den Sicherheitsbehörden
derzeit nicht vor. Im Übrigen siehe Antworten zu 1. und 2.
5.
Welche aktuellen Informationen liegen dem Senat in Bezug auf den
Organisationsgrad der salafistischen/jihadistischen Szene Hamburgs
vor?
Die salafistische Szene in Hamburg ist vielgestaltig und unterliegt einem ständigen
Wandel. Es bestehen zahlreiche Kennverhältnisse und Netzwerke innerhalb dieser
Klientel sowie verschiedene Formen der Zusammenarbeit. Diese sind oft nur vorübergehender Natur. Auch die örtlichen Schwerpunkte innerhalb der Stadt wechseln. Im
Übrigen siehe Antwort zu 15. sowie Drs. 21/1278 und 21/2578.
6.
Hat der Senat Kenntnis davon, dass Hamburger Salafisten mit Gesinnungsgenossen aus Frankreich beziehungsweise dem übrigen EUAusland in Verbindung stehen?
Den Sicherheitsbehörden liegen derzeit keine Informationen über Verbindungen zwischen Hamburger Salafisten und den Pariser Attentätern oder über sonstige verfestigte Verbindungen mit Gleichgesinnten im Ausland vor.
7.
In Drs. 21/1278 erfolgt eine Auflistung von in Hamburg gemeldeten
Salafisten mit Angabe von deren Staatsangehörigkeit. Gibt es in Hinblick
auf Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit neue Erkenntnisse?
Ja. Im Rahmen der intensiven Beobachtung der salafistischen Klientel fallen beständig weitere Informationen an.
8.
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand befinden sich aktuell 15 DschihadRückkehrer in Hamburg. Werden diese Personen dauerhaft überwacht?
Siehe Drs. 21/2370.
9.
In Hamburg ist die Zahl der Gefährder bis heute angestiegen. Welche
Mittel stehen dem Senat für die Überwachung von als Sicherheitsrisiko
geltenden Salafisten zur Verfügung? Bei der Beantwortung sind bitte die
entsprechenden Angaben zu Personal, Geldmitteln und Arbeitsstunden
zu nennen.
Der Abteilung Staatsschutz (LKA 7) des Landeskriminalamts Hamburg stehen mit
Stand vom 1. Dezember 2015 insgesamt 192 Mitarbeiter zur Verfügung. Zu den Personalstärken einzelner Dienststellen innerhalb der Abteilung als auch zu den Arbeitsstunden werden keine Angaben gemacht, da dadurch Rückschlüsse auf bestimmte
Arbeits- und Einsatzschwerpunkte und somit auf das taktische Vorgehen möglich
wären. Dem LKA 7 wird zur Aufgabenerfüllung ein Gesamtbudget zugeteilt.
Stellenplan und Haushaltsansatz des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg können dem aktuellen Verfassungsschutzbericht entnommen werden. Detailliertere Angaben zum Einsatz der Ressourcen können darüber hinaus aus Gründen des
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Staatswohls nur gegenüber dem nach § 24 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz
für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) gemacht werden. Andernfalls bestünde die
Gefahr, dass Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Einblickstiefe des LfV Hamburg
gezogen werden könnten und eine künftige Beobachtung unverhältnismäßig
erschwert würde.
10. Plant der Senat, mehr Ressourcen zu mobilisieren, um der steigenden
Gefährderzahl bei einer Überwachung gerecht zu werden?
11. Wie gedenkt der Senat, die bisherige Überwachungstiefe angesichts der
wachsenden Zahl von Gefährdern sowie der begrenzten Mittel, die dafür
zur Verfügung stehen, auch weiterhin zu gewährleisten?
Siehe Drs. 21/2303.
12. Wie genau sieht eine Observierung durch die Sicherheitsbehörden aus?
Die Polizei sieht von der Beantwortung einzelner auf konkrete Maßnahmen oder
Erkenntnisse zielende Fragen ab, wenn beispielsweise zu befürchten ist, dass öffentliche Auskünfte die Wirksamkeit der polizeilichen Maßnahmen erheblich gefährden
können.
Detaillierte Angaben zur Arbeitsweise des LfV Hamburg können aus Gründen des
Staatswohls nur gegenüber dem nach § 24 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz
für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen PKA gemacht werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass sich
Extremisten auf die Arbeitsweise des LfV Hamburg einstellen könnten und eine künftige Beobachtung unverhältnismäßig erschwert würde.
13. Besteht zwischen dem Senat und den Dachverbänden der SCHURA ein
regelmäßiger Austausch darüber, ob Radikalisierungstendenzen in den
unterschiedlichen Moscheegemeinden zu beobachten sind?
Wenn ja, wie sieht dieser aus?
Wenn nein, warum nicht?
Siehe Drs. 21/2578.
14. In Drs. 21/1987 teilt der Senat mit, dass Hamburger Imame grundsätzlich keiner Eignungsprüfung durch den Staat unterzogen würden. In Hinblick auf die Anschläge von Paris sowie die steigende Anzahl von
gewaltbereiten Salafisten beziehungsweise Jihadisten erscheint eine
solche Maßnahme jedoch unbedingt erforderlich. Denn wenn der Senat
nicht weiß, wer die Predigten in islamischen Gotteshäusern besorgt,
kann er auch nicht eingreifen. Gedenkt der Senat daher, diese Reglung
in Zukunft zu ändern?
Siehe Drs. 21/1987.
15. Hat der Senat seit der Veröffentlichung des aktuellen Verfassungsschutzberichts neue Informationen zum Salafismus/Jihadismus in Hamburg gewonnen?
Siehe Drs. 21/1204, 21/1278 und 21/2303 sowie Antwort zu 7.
16. Was tut der Senat, um die Asylbewerber in Hamburg vor der Beeinflussung durch Salafisten zu schützen?
Siehe Drs. 21/1513, 21/1542, 21/1703 und 21/2081.
17. Wie viele der Syrienheimkehrer sind in die Gruppe der Desillusionierten
beziehungsweise in die Gruppe der Radikalisierten und Kampferprobten
einzuordnen?
Aufgrund der unübersichtlichen Lage in der Region Syrien/Irak und der schwierigen
Erkenntnislage können nur in wenigen Fällen verlässliche Aussagen darüber getroffen
werden, ob die Reisenden tatsächlich in die Kampfgebiete gelangt sind und welche
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Erfahrungen sie dort gemacht haben. Aus diesem Grund unterliegen die Rückkehrer
insgesamt der besonderen Beobachtung der Sicherheitsbehörden. Im Übrigen siehe
Antwort zu 8. und Drs. 21/2370.
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