2. Besprechungsfall

Professor Dr. Christian Koenig, LL.M.
Zentrum für Europäische Integrationsforschung
Übungen im Öffentlichen Recht
Wintersemester 2015/2016
2. Besprechungsfall
29.10.2015
Professor Dr. Christian Koenig, LL.M.
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Fußballfans
A wohnt seit vielen Jahren als Nießbraucher mit einem lebenslangen Nießbrauchrecht
in einem freistehenden Einfamilienhaus in der kreisfreien Stadt B in NRW. Im Umfeld
des von A bewohnten Hauses befinden sich überwiegend Ein- und
Mehrfamilienhäuser. Zudem gibt es einen Bäcker, einen Metzger und einen
Kindergarten. Ein Bebauungsplan liegt für das Gebiet nicht vor. Das Grundstück, auf
welchem sich das von A bewohnte Haus befindet, liegt an der nur wenig befahrenen CStraße am Rande der Gemeinde B in der Nähe zu einem Wald und Ackerfeldern.
Seit D in das Nachbarhaus eingezogen ist, dessen Grundstück sich ebenfalls an der CStraße befindet und unmittelbar an jenes von A angrenzt, empfindet A die vormals
harmonische Wohnatmosphäre als zerstört. D ist nämlich leidenschaftlicher Fan des
Fußballvereins X, den A abgrundtief verabscheut. A stört es besonders, dass D nahezu
seine gesamte Garteneinrichtung in den Farben des X-Vereins gestaltet hat. Als D
Anfang Februar – ohne vorherige Beantragung einer Baugenehmigung – in seinem
Garten in zehn Meter Abstand zu dem Grundstück des A einen etwa vier Meter hohen
Fahnenmast installiert und eine zwei Quadratmeter große Fahne des Fußballvereins X
hisst, wird es A zu bunt. Er fühlt sich durch den Fahnenmast mit der großen Fahne
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gestört. Dies sei kein in einem Wohngebiet zu akzeptierender Ausdruck des
Zugehörigkeitsgefühls zu einem Fußballverein mehr. D weigert sich jedoch auch nach
mehreren Gesprächen mit A, den Fahnenmast mit der Fahne zu entfernen. Den
Fahnenmast hat D nämlich mit einer einbetonierten Bodenhülse fest mit dem Boden
verbunden. Er ist der Ansicht, dass er keine Baugenehmigung für das Aufstellen eines
Fahnenmastes mit Fahne benötige.
Durch die ganze Aufregung erschöpft, entschließt sich A Anfang Mai, erst einmal für
vier Monate in Kur zu fahren. Als er aus dieser Anfang August zurückkommt, muss er
feststellen, dass D den Fahnenmast mit der Fahne weiterhin in seinem Garten stehen
hat.
A setzt daher ein Schreiben an die zuständige Baubehörde auf, welches dieser Mitte
August zugeht. In dem Schreiben fordert er die Behörde auf, D zu verpflichten, den
Fahnenmast mit der Fahne des X-Vereins zu beseitigen. Als Begründung führt er aus,
dass es sich bei dem Fahnenmast mit der Fahne des X-Vereins um eine Werbeanlage
handele, die nicht der Nutzung des Wohngrundstücks diene und in einem Wohngebiet
einen unzulässigen Störfaktor darstelle. Denn bei der Fahne des Fußballvereins X
handele es sich um eine diesen als börsennotiertes Unternehmen anpreisende
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Werbeanlage im Sinne des § 13 Abs. 1 BauO NRW, die auch – was zutrifft – von den
öffentlichen Verkehrsflächen, mithin der C-Straße, sichtbar sei. Im Internet werde –
was zutrifft – ausführlich über die Aktie des X-Vereins berichtet. Daher sei die
Vereinsfahne nicht nur eine solche des X-Vereins, sondern das Werbelogo eines Wirtschaftsunternehmens. Die Fahne auf dem Grundstück des D weise daher auf dieses
Unternehmen als Gewerbebetrieb hin, unabhängig davon, ob D selbst gewerbliche
Zwecke verfolge.
Insbesondere handele es sich bei dem Fahnenmast mit der Fahne nicht um eine
Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 BauNVO, weil sie keine Eigenwerbung
darstelle, bei der ausnahmsweise von einer Nebenanlage ausgegangen werden
könne.
Die Fahne sei – was zutrifft – nicht nur von der Terrasse des A, sondern auch aus
seinem Wohnzimmer heraus dauernd sichtbar. Aufgrund der Größe der Fahne und den
auffälligen Farben steche sie bei jedem Blick aus dem Wohnzimmerfenster und von der
Terrasse direkt ins Auge und zerstöre den vormals schönen Ausblick. Dies sei absolut
unzumutbar.
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Nachdem die Behörde vier Monate lang nicht auf das Schreiben des A reagierte, reicht
es A. Er möchte gerichtlich durchsetzen, dass D verpflichtet wird, den Fahnenmast mit
der Fahne zu beseitigen.
Aufgabe: Prüfen Sie die Erfolgsaussichten einer verwaltungsgerichtlichen Klage des
A.
Hinweis: Es ist auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen – ggf. auch
hilfsgutachterlich – einzugehen.
Es ist davon auszugehen, dass die Rechtsform des X-Vereins eine Aktiengesellschaft i.
S. des AktG ist.
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Problemschwerpunkte
• Anspruch auf behördliches Einschreiten
• Untätigkeitsklage
• Gebietsgewährleistungsanspruch
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Anmerkungen
Der Sachverhalt und die Lösung sind angelehnt an VG Arnsberg,
Urteil vom 15. Juli 2013 – 8 K 1679/12, nachgehend
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 08. Juli 2014 – 10 A 1787/13.
Siehe zur Vertiefung Stefan Muckel, JA 2014, 76-78 (Entscheidungsbesprechung) und Roland Kintz, JuS 2014, 256-265 (Aufsatz).
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Die Klage des A hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
A.
Zulässigkeit
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
1. Keine aufdrängende Sonderzuweisung (+)
2. Generalklausel § 40 I 1 VwGO (+)
a. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Streitentscheidende Normen, jene des BauGB und der BauO NRW,
insbesondere § 61 I S. 1, 2 BauO NRW
 Nach modifizierter Subjektstheorie (Norm befugt und verpflichtet
Hoheitsträger) öffentlich-rechtl. Norm (+)  öffentl.-rechtl.
Streitigkeit (+)
b. Nichtverfassungsrechtlicher Art (+)
c. Keine abdrängende Sonderzuweisung (+)
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II. Statthafte Klageart §§ 88, 86 III VwGO
Richtet sich nach dem Klagebegehren
D soll verpflichtet werden, den Fahnenmast zu beseitigen.
Dies ist nur durch eine Beseitigungsanordnung der Behörde umzusetzen.
Behörde hat auf das Schreiben von A nicht reagiert.
Klagebegehren daher: Gericht soll die Behörde verpflichten, eine
Anordnung gegen D gerichtet auf die Beseitigung des Fahnenmasts mit
Fahne zu erlassen. (Beseitigungsanordnung)
Eine Beseitigungsanordnung stellt einen VA i. S. v. § 35 S. 1 VwVfG NRW
dar.
Statthafte Klageart ist daher die Verpflichtungsklage gem. § 42 I 2. Alt.
VwGO in Form der Untätigkeitsklage, § 75 VwGO.
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III. Klagebefugnis, § 42 II VwGO
 Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung des A durch Unterlassen
der Baubehörde, eine Beseitigungsanordnung gegen D zu erlassen.
(+), wenn nicht von vorneherein ausgeschlossen ist, dass A einen
Anspruch darauf hat, dass die Behörde dem D gegenüber die Beseitigung
des Fahnenmastes mit der Fahne anordnet.
1.
Möglichkeit eines Anspruchs
a. Rechtsträgerschaft des A
Aufgrund der Grundstücksbezogenheit des Baurechts kommen
grundsätzlich nur Eigentümer als Inhaber subjektiv-öffentlicher Rechte in
Betracht.
Allerdings werden dinglich Berechtigte Eigentümern grundsätzlich
gleichgestellt, sodass A als Inhaber eines Nießbrauchrechts auch Inhaber
subjektiv-öffentlicher Rechte sein kann.
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b. Mögliche Anspruchsgrundlage: § 62 I S. 1, 2 BauO NRW
aa. Fahnenmast mit Fahne ist eine Anlage i. S. v. § 1 I S. 2 BauO NRW (+)
bb. Möglicher Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die auch
A schützen?
(1) Mögliche Verletzung des A in seinem Gebietserhaltungsanspruch
Anwendbarkeit:
Bauliche Anlage i. S. v. § 29 BauGB?
Keine Heranziehung der Definition der BauO der Länder, da es sich
um einen eigenständigen bundesrechtlichen Begriff handelt, der dem
Regelungszweck der §§ 30–37 BauGB Rechnung trägt, die
städtebauliche Ordnung und Entwicklung zu steuern.
Eine bauliche Anlage ist nach der Rechtsprechung des BVerwG
gekennzeichnet durch das Merkmal des „Bauens“ und der
„bodenrechtlichen Relevanz“.
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„Bauen“: Anlagen, „die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem
Erdboden verbunden sind“ (+)
Bodenrechtliche Relevanz? (+), wenn die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in
einer Weise berührt werden oder berührt werden können, die geeignet ist, das
Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung
hervorzurufen § 1 Abs. 6 Nr. 2 1. Var. BauGB (+)
- Kein Bebauungsplan/faktisches Wohngebiet
Möglicher Gebietserhaltungsanspruch aus:
 § 34 I BauGB  In Zusammenhang bebauter Ortsteil (+)
 Vorrang von § 34 II BauGB i. V. m. BauNVO  Hier § 4 BauNVO (allgemeines
Wohngebiet)
 Gebietserhaltungsanspruch gilt auch bei faktischen Wohngebieten.
 Nicht ausgeschlossen, dass Fahnenmast mit Fahne gem. § 34 II BauGB i. V. m. §
4 BauNVO unzulässig ist (materielle Illegalität).
Anmerkung: Es kann auch von einem reinen Wohngebiet i. S. v. § 3 BauNVO
ausgegangen werden.
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- Drittschutz (+)
 Möglicher Verstoß gegen Gebietserhaltungsanspruch des A (+)
(2) Möglicher Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, § 15 I S. 2
BauNVO, § 34 I BauGB
 Möglichkeit, dass Fahne mit Fahnenmast der Eigenart des Baugebiets
widerspricht und davon unzumutbare Belästigungen bzw. Störungen
ausgehen. (+)
 A ist als unmittelbar angrenzender Nachbar qualifiziert und individualisiert
betroffen  Drittschutz (+)
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2. Ergebnis
Es ist zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass A einen Anspruch
gegen die Baubehörde aus § 61 I S. 1, 2 BauO NRW auf Erlass einer
Beseitigungsanordnung gegen D aufgrund eines Verstoßes gegen § 34 II BauGB
i. V. m. § 4 BauNVO und/oder dem Gebot der Rücksichtnahme, § 15 I S. 2
BauNVO, § 34 I BauGB, hat.
Anmerkung: Da es sich hier um eine Verpflichtungsklage und keine Anfechtungsklage
handelt, muss die Möglichkeit eines Anspruchs des A auf Einschreiten der
Behörde begründet werden.
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IV. Vorverfahren
Gem. §§ 68 I S. 2, II i. V. m. 75 S. 1 VwGO nicht erforderlich, wenn ohne zureichenden
Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Zureichender
Grund nicht ersichtlich. Zudem gem. § 68 I S. 2, II VwGO i. V. m. § 110 I S. 1, 2, III S. 2
Nr. 7 JustG NRW in NRW ohnehin entbehrlich.
V. Frist
Gem. § 75 S. 2 VwGO erst nach Ablauf von drei Monaten nach Antragstellung. (+)
Verwirkung, weil Antragstellung erst 6 Monate nachdem der Fahnenmast mit der
Fahne aufgestellt wurde und noch 4 Monate auf eine Antwort der Behörde
gewartet wurde?
 Herleitung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB
 venire contra factum proprium: ein Recht darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn
seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment)
und besondere Umstände hinzutreten, die eine verspätete Geltendmachung als
treuwidrig erscheinen lassen (Umstandsmoment).
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Zeitmoment:
In entsprechender Anwendung von § 58 II VwGO ein Jahr ab Kenntnis oder
Kennenmüssen  Hier jedoch keine Baugenehmigung, von der A hätte
Kenntnis erlangen können oder müssen. Daher ist auf das Aufstellen des
Fahnenmastes mit der Fahne selbst abzustellen.
 Nach sechs Monaten Schreiben an Behörde; nach 10 Monaten Klage 
Zeitmoment nicht überschritten!
Umstandsmoment:
Keine Anhaltspunkte, dass der mögliche Anspruch verwirkt sein könnte.
Insbesondere hat A dem D ausdrücklich mitgeteilt, dass er mit dem Aufstellen
der Fahne nicht einverstanden ist.  Kein Vertrauen
 Verwirkung (-)
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VI. Klagegegner, § 78 I VwGO
Die Klage ist gegen den Rechtsträger der Behörde zu richten, von der der Erlass des
Verwaltungsakts begehrt wird (Rechtsträgerprinzip). Demnach ist richtiger Klagegegner
die kreisfreie Stadt B als Rechtsträger der Baubehörde.
VII. Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO
 A als natürliche Person gem. § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO (+)
 B als juristische Person des öffentl. Rechts gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO (+)
VIII. Prozessfähigkeit, § 62 VwGO
 A gem. § 62 I Nr. 1 VwGO als geschäftsfähige Person (+)
 Juristische Personen sind streng genommen selbst nicht prozessfähig. Vielmehr
sind sie bloß durch ihre gesetzlichen Vertreter handlungsfähig. Für B muss gem. §
62 III VwGO ihr gesetzlicher Vertreter vor Gericht auftreten. Dies ist gem. §§ 63 I 1,
40 II 3 a. E. GO NRW der OB der Stadt B.
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VII. Zwischenergebnis
Die Verpflichtungsklage des A ist zulässig.
B. Beiladung
D ist gemäß § 65 II VwGO notwendig beizuladen.
C. Begründetheit
Die Verpflichtungsklage des A ist begründet, soweit die fehlende Anordnung der
Beseitigung der Fahnenstange mit Fahne gegen D rechtswidrig war, A dadurch in
seinen Rechten verletzt ist und die Sache spruchreif ist, § 113 V S. 1 VwGO.
Anmerkung: Die Spruchreife ist erforderlich, da A andernfalls nur einen Anspruch auf
eine Bescheidung der Behörde hätte, nicht jedoch auf Erlass des konkret begehrten
VA.
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I. Anspruchsgrundlage: § 61 I S. 1, 2 BauO NRW
„Die Bauaufsichtsbehörden haben [nach § 61 I S. 1, 2 BauO NRW] bei der
Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung
sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des §§ 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW darüber zu wachen,
dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften […] eingehalten werden. [..] Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Beseitigung einer genehmigungsbedürftigen baulichen Anlage nur im Fall ihrer formellen und materiellen Illegalität angeordnet werden darf, wenn also die bauliche Anlage weder genehmigt
worden noch zu irgend einem Zeitpunkt genehmigungsfähig gewesen ist. Bei
nicht genehmigungsbedürftigen baulichen Anlagen kommt es allein auf die
materielle Illegalität an. Verlangt – wie hier – ein Nachbar die Beseitigung einer
baulichen Anlage im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens, reicht die
bloße Rechtswidrigkeit der baulichen Anlage nicht aus. Es muss zudem ein zu
seinen Lasten gehender Verstoß gegen eine nachbarschützende Vorschrift des
öffentlichen Rechts festzustellen sein.“ (VG Arnsberg, Urt. v. 15.07.2013 – 8 K
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1679/12, Rn. 24)
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D. h.:
- Sofern genehmigungsbedürftig: formelle und materielle Illegalität
- Sofern nicht genehmigungsbedürftig: materielle Illegalität
+ in beiden Fällen: Verstoß gegen Vorschrift, die zumindest auch den
rechtsschutzsuchenden Nachbarn schützt (Verstoß gegen
drittschützende Norm; Voraussetzung für die subjektive
Rechtsverletzung)
Anmerkung: Bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen kommt eine
formelle Rechtswidrigkeit nicht in Betracht, denn es bedarf gerade
keiner Genehmigung.
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I. Genehmigungsbedürftigkeit
Gem. § 63 I S. 1 BauO NRW grundsätzlich für alle baulichen Anlagen i. S. v.
§ 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW (+)
Ausnahmen § 63 I S. 1 a. E. BauO NRW  Hier § 65 I Nr. 22 BauO NRW
 Der Fahnenmast ist nicht genehmigungsbedürftig.
 Da ein Fahnenmast zum Anbringen von Fahnen bestimmt ist, ist auch das
Hissen einer Fahne grundsätzlich von der Genehmigungsfreiheit erfasst.
 Daher kommt es für die Zulässigkeit des Fahnenmastes mit der Fahne
allein auf die materielle Illegalität an.
II. Materielle Illegalität
Erforderlich ist, dass sich die materielle Illegalität des Fahnenmasts mit Fahne
aus einem Verstoß gegen eine zumindest auch dem Schutz des A dienende
Vorschrift ergibt (drittschützende Norm).
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1. Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs des A?
 Schutzanspruch des Nachbarn gerichtet auf die Wahrung der Gebietsart nach der
BauNVO.
 Gilt auch bei einem faktischen Wohngebiet  wie hier gem. § 34 II BauGB i. V. m.
§ 4 BauNVO (allgemeines Wohngebiet)
a. Gebietsunverträgliche Nutzung?
- Keine gem. § 4 II BauNVO zulässige Nutzung.
- Gem. § 4 III Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zulässige Nutzung, wenn es sich
bei dem Fahnenmast um einen nicht störenden Gewerbebetrieb handelt:
„Ein Gewerbebetrieb im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1968 liegt hier nicht
vor. "Gewerbebetrieb" im Sinne des § 8 BauNVO ist ein gerichtlich in vollem
Umfang überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff. Ein solches Gewerbe ist jede
selbständige, auf Dauer und auf Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit. […]
Die Beigeladenen betreiben jedoch mit der am Fahnenmast gehissten Fahne von
Borussia Dortmund ganz erkennbar keine selbstständige, auf Dauer und auf
Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit.“ (VG Arnsberg, Urt. v. 15.07.2013 – 8 K
1679/12, Rn. 30, 32)
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b. Zulässigkeit aufgrund von § 14 I S. 1 BauNVO?
Fahnenmast mit Fahne als untergeordnete Nebenanlage oder Einrichtung, die dem
Wohnzweck dient und diesem seiner Eigenart nach nicht wiederspricht?
„Der Fahnenmast mit aufgezogener Fahne in diesem Sinne stellt eine im reinen Wohngebiet zulässige Nebenanlage im Sinne des § 14 BauNVO dar. […] Der Fahnenmast
mit Fahne stellt sich seiner Dimension nach gegenüber dem Wohngebäude als
untergeordnet dar. Er dient dem Nutzungszweck des Wohnens, weil er eine nach
außen dokumentierte Verbundenheit der Bewohner des Grundstücks mit bestimmten
Ereignissen, Hobbys oder ähnlichem dokumentiert. Als solcher ist er auch nur dort
sinnvoll, wo sich die Personen regelmäßig aufhält, um hier den nach außen sichtbaren
gewünschten Bezug zu erreichen. An einer anderen Stelle aufgebaut und aufgezogen
kann dieser Zweck nicht erreicht werden, weil dann der nötige Bezug der gemäß Art. 5
Abs. 1 des Grundgesetzes geschützten Meinungsfreiheit sinngemäß dergestalt "Der
Fußballverein BVB ist derjenige, dem meine sportliche Verbundenheit und
Unterstützung gilt" nicht hergestellt werden kann. Das ist aber typischerweise beim
Wohnhaus der Fall, weil hier ein ersichtlicher Bezug zwischen dem persönlichen
Lebensbereich des Vereinsfans und seiner äußeren Meinungsbekundung besteht.“
(VG Arnsberg, Urt. v. 15.07.2013 – 8 K 1679/12, Rn. 37)
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Aber
 Keine Nebenanlage i. S. v. § 14 I S. 1 BauNVO, wenn es sich um eine
Werbeanlage handelt, da eine solche grundsätzlich als eigenständige
Hauptnutzung gem. §§ 2 ff. BauNVO zu betrachten ist.
 Legaldefinition in § 13 I S. 1 BauO NRW:
„Anlagen der Außenwerbung (Werbeanlagen) sind alle ortsfesten
Einrichtungen, die der Ankündigung oder Anpreisung oder als Hinweis auf
Gewerbe oder Beruf dienen und vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar
sind.“
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„11. Die Annahme, die Beigeladenen wollten mit der Aufstellung des Fahnenmastes
[…] für die börsennotierte Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA Werbung im oben
beschriebenen Sinne betreiben, ist fernliegend. […] Über die Erscheinung des
Fahnenmastes nach außen und die ohnehin nur einem begrenzten Betrachterkreis
bekannten gesellschaftsrechtlichen Hintergründe des Vereins Borussia Dortmund
hinaus tragen die Kläger nichts gegen diese Wertung des Verwaltungsgerichts vor. […]
Der hier in Rede stehende Standort des Fahnenmastes im Privatgarten eines an
einer kleinen Wohnstraße an der Grenze zum Außenbereich gelegenen Wohnhauses
mit eingeschränkter Wahrnehmbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum aus belegt
dagegen gerade seine ausschließliche Wohnbezogenheit. Die Begeisterung für den
Fußball als solchen und für die einzelnen Fußballvereine ist in der Bevölkerung
weit verbreitet und wird landesweit von einer Vielzahl von Anhängern typischerweise durch die Verwendung von Fanartikeln jedweder Art auch in der Öffentlichkeit kundgetan. Sofern dies - wie hier - im privaten Bereich ohne erkennbares
gewerbliches Interesse und mit einem klaren Bezug zu den Bewohnern des
Grundstücks geschieht, hält sich das durch das Aufziehen einer Fahne sichtbar
gemachte Bekenntnis zu einem Fußballverein als eine private Lebensäußerung im
eigenen Wohnbereich innerhalb der Variationsbreite bauplanungsrechtlich zulässiger
Wohnnutzung […].
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12. Soweit die Kläger meinen, das Zeigen der Vereinsfahne eines
börsennotierten Fußballvereins habe ohne weiteres gewerblichen Charakter,
verkennen sie den rechtlichen Prüfungsmaßstab. Nicht allein das
Erscheinungsbild der Anlage, um die es geht, sondern insbesondere die
konkreten Umstände ihrer Verwendung und ihre Zweckbestimmung
bestimmen in der Zusammenschau, ob sie den Charakter einer
Werbeanlage und damit den Charakter einer gewerblichen Nutzung hat.“
(OVG Münster, Beschl. v. 08.07.2014 – 10 A 1787/13, Rn. 11 f., eigene
Hervorhebung)
 Bei dem Fahnenmast und der daran angebrachten Fahne des X-Vereins
handelt es sich daher nicht um eine Werbeanlage i. S. v. § 13 I S. 1 BauO
NRW.
 Der Fahnenmast stellt vielmehr eine in einem allgemeinen Wohngebiet
zulässige Nebenanlage i. S. v. § 14 I S. 1 BauNVO dar.
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„Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich der
Fahnenmast der Hauptnutzung des Grundstücks, auf dem er steht, räumlich
und funktional unterordnet und als Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 1
BauNVO dem Charakter eines reinen oder allgemeinen Wohngebietes im
Sinne der §§ 3 beziehungsweise 4 BauNVO nicht widerspricht. Er stellt
insbesondere keine Anlage der Außenwerbung dar, welche Fremdwerbung zum
Gegenstand hat und deshalb als bauliche Anlage im Sinne des § 29 Satz 1
BauGB bauplanungsrechtlich als eigenständige Hauptnutzung gemäß den §§
2 ff. BauNVO zu betrachten sein könnte. Dem Fahnenmast fehlt bereits die für
eine Werbeanlage notwendige werbliche Funktion. […] Jedenfalls kann die Art
der baulichen Nutzung nicht losgelöst von der mit der baulichen Anlage
verfolgten Zweckbestimmung beurteilt werden. Ob eine Anlage eine werbende
Funktion hat, lässt sich nicht generell, sondern nur im konkreten Einzelfall unter
Berücksichtigung der örtlichen und sonstigen Gegebenheiten beurteilen.“ (OVG
Münster, Beschl. v. 08.07.2014 – 10 A 1787/13, Rn. 7)
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c. Zwischenergebnis
Da es sich bei dem Fahnenmast mit der Fahne um eine gem. § 14 I S. 1 BauNVO
zulässige Nebenanlage handelt, ist der Gebietserhaltungsanspruch von A nicht
verletzt.
2. Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme, § 15 I S. 2, II BauNVO/§ 34 I
BauGB
Im Einzelfall sind Anlagen der §§ 2 bis 14 BauNVO unzulässig, falls von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebietes unzumutbar
sind.
„Ebenso wenig bestehen Bedenken an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils insoweit, als
das Verwaltungsgericht in Bezug auf die Wohnruhe, die die Nachbarn der Beigeladenen für ihre
in einem Wohngebiet liegenden Grundstücke beanspruchen können, einen Verstoß gegen das
in § 34 Abs. 1 BauGB beziehungsweise in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte
Rücksichtnahmegebot zu Lasten der Kläger verneint hat. […] Bei einer solchen Entfernung [ 10
Meter] hält es der Senat mit dem Verwaltungsgericht für ausgeschlossen, dass die Grenze der
Zumutbarkeit wegen akustischer und oder optischer Beeinträchtigungen durch die BVB-Fahne
zu Lasten der Kläger überschritten wird […]“ (OVG Münster, Beschl. v. 08.07.2014 – 10 A
1787/13, Rn. 14)
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3. Zwischenergebnis
Der Fahnenmast mit der Fahne verstößt nicht gegen den A schützende
Vorschriften, sodass eine Rechtsverletzung des A nicht besteht.
A hat mithin keinen Anspruch auf behördliches Einschreiten nach § 61 I S. 1, 2
BauO NRW
.
IV. Ergebnis
Die zulässige Klage des A ist unbegründet.
Anmerkung: Wer hier davon ausgeht, dass der Fahnenmast aufgrund eines
Verstoßes gegen auch den A schützenden Normen materiell illegal ist, muss im
Folgenden prüfen, ob eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, sodass A einen
Anspruch darauf hat, dass die Behörde die Beseitigung anordnet, oder ob lediglich ein
Anspruch des A gegen die Behörde auf Entscheidung in der Sache besteht.
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Professor Dr. iur. Christian Koenig, LL.M. (LSE)
Geschäftsführender Direktor
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Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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