3. Symposium zum 5. ARB

Beitrag VSOP-newsletter Jubiläumsausgabe
Drittes zum Symposium zum 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung –
VSOP im Beraterkreis des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
Mitte 2016 will das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen ersten Entwurf des
neuen Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung vorlegen. Zur Bearbeitung hat das
BMAS ein Gutachtergremium mit Begleitstudien beauftragt und einen Beraterkreis zur Beratung
eingerichtet, die mittlerweile zu drei Symposien zusammen getroffen sind.
Beim ersten Symposium am 27. Januar 2015 wurde das Themenspektrum gegenüber dem letzten
Bericht um drei Themen erweitert: Reichtum, sozialräumliche Segregation und atypische
Beschäftigung. Bundesministerin Andrea Nahles hat zum Auftakt die Zielsetzung des Berichts
beschrieben: «Der Armuts- und Reichtumsbericht soll gesellschaftliche Entwicklung so beschreiben
und erklären, dass daraus Handlungskonzepte für Politikgestaltung gewonnen werden können.»
Beim zweiten Symposium am 7. Mai 2015 ging es um die Weiterentwicklung des Indikatorentableaus:
In dem neuen Internetportal www.armuts-und-reichtumsbericht.de wurden alle Indikatoren in
Zeitreihen und Grafiken aufgeführt und ein Archiv aller bisherigen Armuts- und Reichtumsberichte
und Begleitstudien aufgeführt: Bundesministerin Andrea Nahles hierzu: «Mir ist es wichtig, den
Entstehungsprozess des Armuts- und Reichtumsberichts offen und transparent zu gestalten.»
Beim dritten Symposium am 4. Dezember 2015 standen das überarbeitete Indikatorentableau, Studien
zur sozialräumlichen Segregation, zur atypischen Beschäftigung und zu subjektiven Wahrnehmungen
von Armut und Reichtum im Zentrum. Staatssekretär Thorben Albrecht machte zur Einführung
deutlich: «Ich lege Wert darauf, dass es ein Bericht der Regierung ist, ein Bericht, der die politische
Debatte weiterbringt, der aber stärker als in der Vergangenheit mit den Akteuren abgestimmt ist: Die
Internetseite ist gut genutzt. Gespräche mit Armutsbetroffenen, die umfassende
Ausgrenzungserfahrungen gemacht haben, haben stattgefunden. Wege aus der Armut als klar
formulierte Politikziele fehlen allerdings noch.»
Mit der Bearbeitung des Indikatorentableaus ist das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung
(IAW) Tübingen beauftragt. Rolf Kleimann gab einen Einblick in die Indikatorenwerkstatt. Alle
Indikatoren aus dem 4. Armuts- und Reichtumsbericht wurden übernommen. Neu ist, dass es jetzt
mehr Indikatoren und mehr Differenzierungspotenziale gibt: 20 gesellschaftliche Indikatoren zu den
Themen Demografie, Lebenserwartung, Einkommens-, Vermögensverteilung, Arbeitsmarkt,
Erziehung / Bildung, Wohnen und Umwelt, soziale Teilhabe, 11 Armutsindikatoren zu Armutsrisiko,
Langzeitarbeitslosigkeit, Leistungsbezug, Überschuldung, materielle Deprivation, Bildungsarmut und
7 Reichtumsindikatoren zu Einkommensreichtum, Vermögensreichtum, Einkommenssteuerpflichtigen
mit Einkommen über 1 Mio. €, Spitzenverdiener, Vermögensübertragung. Jeder Indikator ist
differenziert nach Alter, Geschlecht, Haushaltsstruktur, Erwerbsstatus, Einkommen,
Migrationshintergrund, Urbanitätsgrad und für den Zeitraum 1995 bis 2015 aufgebaut, bis 2005 im
Fünfjahresrhythmus, ab dann jährlich und enthält jeweils eine Definition, Tabelle, Grafik und
Interpretation.
Das Ausmaß und die Trends sozialräumlicher Segregation in Deutschland hat das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin untersucht. Jan Goebel hat dies methodisch illustriert. Verwendet
werden Daten der Fa. Microm GmbH, die flächendeckend zu allen Häusern in Deutschland mit
Verein für Sozialplanung
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mindestens fünf Haushalten Informationen hat (Betriebsgeheimnis wie bei einer Reihe anderer
Privatfirmen), mit denen sich – durch Verknüpfung von microm-Daten und Daten des
Sozoökonomischen Panels (SOEP) – Segregationsindizes für die ethnische und soziale Segregation
berechnen lassen. Dazu wertet das DIW statusniedrige und statushohe Haushalte aus. Einige
Ergebnisse und Folgerungen aus dieser Segregationsstudie: statusniedrige Gruppen bleiben zum
Großteil auf ein statusniedriges Gebiet verwiesen, soziale Segregation ist wirkmächtiger als ethnische
Segregation, bei der gemeindespezifischen Segregation gibt es kaum Veränderungen über die Zeit, in
Großstädten wird Segregation erst sichtbar, wenn man das Umland einbezieht (Kontexteffekt),
insgesamt sind die räumlichen Effekte auf Armut aber nicht so hoch zu veranschlagen wie härtere
Indikatoren wie Einkommensarmut oder Bildungsarmut.
Eine weitere Studie zur sozialen Mobilität und der Dynamik von Armutsrisiken hat das IAW Tübingen
im Oktober 2015 abgeschlossen. Bernhard Boockmann hat dabei – orientiert am Konzept der
Lebensphasen – u. a. die intergenerationelle Mobilität, das meint den Zusammenhang zwischen
Bildungs- und Berufsstatus von Eltern und Kindern, und Armutsübergänge im Erwachsenenalter
untersucht. Mit besseren Daten aus dem Nationalen Bildungspanel hat er so eine Follow up-Studie
zum letzten Armuts- und Reichtumsbericht durchgeführt. Einige Befunde aus dieser Studie zur
intergenerationellen Mobilität: die Mobilität aus niedrigen in mittlere Bildungspositionen nimmt zu,
der günstige Einfluss eines mittleren Bildungsabschlusses der Eltern schwindet, die Mobilität im
Berufsstatus nimmt tendenziell ab, das Bildungsniveau der Eltern ist der wichtigste Faktor bei der
Wahl der Schulform in Klasse 5, Kinder von Arbeitslosen, Alleinerziehenden und anderen
Armutsrisikogruppen haben wesentlich schlechtere Chancen auf ein Gymnasium, Übergänge in den
Beruf dauern länger, berufliche Lebenswege werden weniger einheitlich.
Mit der Wahrnehmung von Armut und Reichtum hat sich die Fa. Approxima befasst. Sebastion Götte
hat dazu Anfang 2015 eine Telefonbefragung mit rund 2000 TeilnehmerInnen durchgeführt und
Armut / Reichtum auf der individuellen und gesellschaftlichen Ebene analysiert. Armut ist für mich –
so 95 % der Befragten – Einschränkung in grundlegenden Lebensbereichen. Reichtum ist für mich –
so 87 % der Befragten – sich jederzeit alles leisten können. Die Einschränkungen bei der Armut sehen
60 % im Mangel an Ressourcen, 31 % im Mangel an Finanzen und 25 % im Mangel an sozialer
Teilhabe. Die Vorteile im Reichtum sehen 47 % in ausreichenden Ressourcen, 59 % in den
verfügbaren Finanzen und 49 % in einer zufrieden stellenden Teilhabe. Als Armutsgrenze stufen die
Befragten ein Mittel von rund 950 € ein (Median 1.000 €), die Reichtumsgrenze setzen sie bei 9.600 €
an (Median 5.000 €). Die Vermögensreichtumsgrenze taxieren sie bei 750.000 € an (Median
500.000 €). Mehrheitlich befürwortet werden höhere Steuern auf große Privatvermögen. 50 % sagen,
den Armen wird genug abverlangt. Und 75 % sagen, die Reichen geben zu wenig ab.
Zum Thema Atypische Beschäftigung wurden zwei unabhängige Studien beauftragt: das
Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung (NIW) und das Rheinisch-Westfälische Institut für
Wirtschaftsforschung (RWI). Beide kommen zu dem Ergebnis, dass atypische Beschäftigung fast
ausschließlich Risiken beinhaltet und das Armutsrisiko steigert. Brückeneffekte in reguläre
Beschäftigung fehlen, stattdessen gibt es eher «Einsperreffekte». Besonders betroffen sind –
Merkmale, die mit Armutsgefährdung korrelieren – Geringqualifizierte, Frauen, Alleinerziehende,
Alleinstehende, Menschen mit Migrationshintergrund und mit Behinderung. Marcus Tamm (RWI)
macht allerdings deutlich, dass man für Feinanalysen atypische Beschäftigung differenzieren muss
nach Beschäftigungsform (befristet, Teilzeit / geringfügig, Leiharbeit / Zeitarbeit, freie Mitarbeit), dem
Zugang aus Nichterwerbstätigkeit bzw. aus Beschäftigung, dem Zeitpunkt des Eintritts und der Dauer
in solchen Beschäftigungsverhältnissen. Die stärksten Risiken tragen AkademikerInnen mit
schwierigen Einstiegen und Teilzeitarbeitende mit Kind/ern. Befristungen gehen beim ersten
Erwerbseintritt mit 8 % Lohnanteil einher, Zeitarbeit mit 20 %, bei Teilzeitarbeit und geringfügiger
Beschäftigung sind die Lohnnachteile noch stärker ausgeprägt. Stephan Thomsen ((NIW) hat die
Differenzen in den Erwerbseinkommen atypisch Beschäftigter gegenüber regulärer Beschäftigung
herausgearbeitet. Sein Gesamtergebnis: atypisch Beschäftigte verdienen im Schnitt 30 % weniger;
Frauen schneiden dabei noch schlechter ab. Am wenigsten verdienen dabei Teilzeitarbeitende mit
einem wöchentlichen Beschäftigungsumfang bis zu 20 Stunden (-46 %), geringfügig Beschäftigte
(-46 %) und freier MitarbeiterInnen (-38 %); bei Zeitarbeit sind es nur 10 % weniger.
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Zum Abschluss des Symposiums zieht Benjamin Mikfeld (BMAS) ein kurzes Resumée: der
Indikatorensatz wird dynamisch weiterentwickelt, die Studien zum Reichtum werden noch
ausgewertet, atypische Beschäftigung wird noch stärker differenziert und – eigentlich erfreulich aus
kommunaler Sicht – für die Länder- und kommunale Ebene sollen «Übersetzungshilfen» zur
Berichterstattung angeboten werden, insbesondere was die Erfassung von Reichtum betrifft. Einen
ersten Beratungsentwurf kündigt Mikfeld zum Ende des ersten Halbjahres 2016 an.
Aus kommunaler Sicht, wo Armut und Reichtum sichtbar wird, wo Verteilungskonflikte manifest
werden, soziale und ethnische Segregationsprozesse zunehmen, unterstreichen wir von Seiten des
VSOP, dass mehr amtliche Daten und Indikatoren, die auf Bundes- und Länderebene zur Verfügung
stehen, auch den Kommunen für ihre kleinräumige Sozialberichterstattung bzw. lokale Armuts- und
Reichtumsberichterstattung zur Verfügung gestellt werden. Hier rät der VSOP dem BMAS zu einem
Prüfauftrag im Rahmen der Erstellung des 5. Armuts- und Reichtumsberichts, wie die Kommunen zu
mehr Grundlagendaten kommen (z, B. aus der Einkommenssteuerstatistik, wie sie der Städtetag ab
und zu fordert) und damit eine bessere vertikale Datenverfügbarkeit über die verschiedenen föderalen
Ebenen hinweg zustande kommt. Die Flughoheit und Initiative zur erforderlichen Anpassung
entsprechender Statistikregelungen liegt schließlich auch bei der Regierung.
Man darf gespannt sein – mit einem kritischen Rückblick auf die Beratungen und
Regierungskorrekturen zum 4. Armutsbericht, wie die Konzeption und Umsetzungsrelevanz des
regierungsamtlichen 5. Armuts- und Reichtumsberichtes ausfallen und in welcher Deutlichkeit die
Ergebnisse der Begleitstudien in den Bericht eingehen, nachdem im Bundestag am 18. Juni 2015 und
am 1. Oktober 2015 dazu bereits lebhafte und kontroverse Debatten stattgefunden haben. Da gab es
die Forderung nach einer unabhängigen Kommission und eine Mehrheit für einen regierungsamtlichen
Bericht, nach einem Handlungsprogramm zur effektiven Armutsbekämpfung und Einblendung der
Bekämpfung sozialer Ungleichheit mit Vorschlägen zu einer gerechteren Verteilung zwischen Reich
und Arm als politisches Ziel und Berichtsbestandteil und einer Ersetzung des «Hartz IVSanktionssystems durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung». Zu Irritationen hat in dem
Zusammenhang die Äußerung von Bundesministerin Nahles in der Süddeutschen Zeitung geführt, die
Armutsrisikogrenze führe in die Irre, obwohl das im Gemeinschaftsprozess für den EU 2020-Prozess
als Konvention fest vereinbart wurde. Nach den Verlautbarungen im Bundestag ist zumindest
strategisch eine gemeinsame Basis da, wenn man mehrheitlich der Auffassung ist, dass die Schere
zwischen arm und reich in Deutschland zu weit auseinander klafft und dass der Armuts- und
Reichtumsbericht ein wichtiges und geeignetes Instrument zur Analyse der gesellschaftlichen
Wirklichkeit in Deutschland ist.
Das 3. Symposium wird unter www.armuts-und-reichtumsbericht.de dokumentiert.
Bericht: Walter Werner und Dr. Ingo Gottschalk, Mitglieder im Beraterkreis zum 5. Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung
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