Voraussetzungen und Wege für eine qualifizierte Armuts- und Reichtumsberichterstattung Walter Werner Vortrag zur Konferenz des Mannheimer Bündnisses UMfairTEILEN «Kinderarmut in einem reichen Land. Die Situation in Mannheim» am 11. April 2015 im Jugendkulturzentrum Forum Kontakt: Walter Werner, [email protected] 1 1 Inhalt 1. Armut und Reichtum spitzen sich lokal zu – darum ein kommunaler Armuts-/Reichtumsbericht ..... 2. Armut / Reichtum– zur Methodik kommunaler Armuts- und Reichtumsberichterstattung 3. Informationen zu Armut und Reichtum in MA – Näherungen und Spekulationen 4. Integriertes Management und offene Beteiligung – Erfolgsfaktoren für den Berichterstattungs- und Umsetzungsprozess 5. ..... und MA ist eine Fundgrube vieler Anläufe und Ansätze, auf denen eine Armuts-/Reichtumsberichterstattung aufbauen kann 2 1. Armut und Reichtum spitzen sich lokal zu Kommune ist Austragungsort von Armut, Ausgrenzungs- und UMfairTEILUNGs- prozessen; hier wachsen Armut/Reichtum und Differenzen im Alltag Sozialräumliche Spaltungsprozesse zwischen Stadtquartieren nehmen zu Politik von Bund/Land tragen nur begrenzt zur lokalen Armutsbekämpfung, gesellschaftlichen Umverteilung und Herstellung von sozialer Gerechtigkeit bei Lokale Strukturpolitik braucht die Verzahnung der zentralen FBe für Arbeits- marktpolitik, Stadt(teil)entwicklung, Jugendhilfe, Wohnen, Bildung, Gesundheit MA als «Stadt der Veränderung» hat Potenzial und Kreativität fürs UMfairTEILEN und beste Voraussetzungen für qualifizierte Armuts-/Reichtumsberichterstattung! ... ein Armuts- und Reichtumsbericht in einer Stadt ist die klare politische Ansage, dass man Armut bekämpfen und sich mit Verteilungsfragen ernsthaft auseinandersetzen will und Antworten sucht, wie man Reichtum in einer Stadt nachhaltig für eine solidarische Stadtgesellschaft einsetzen kann 3 2. Armut / Reichtum – zur Methodik Jede Definition von Armut ist eine normative Setzung. Ansätze zur lokalen Vermessung von Armut und Reichtum Ressourcenansatz (Ansatz relativer Einkommensarmut; EU-Standard) Armut = Eklatanter Mangel an materiellen Ressourcen Reichtum = Freie Verfügung über materielle Ressourcen Lebenslagenansatz (Ansatz der Handlungsspielräume) Armut = Kumulative Unterversorgung in mehreren Lebenslagen Reichtum = beste Ausstattung für alle Lebenslagen Capability-Ansatz (Befähigungsansatz, Chancenansatz, Teilhabeansatz) Armut = Mangel an Verwirklichungschancen Reichtum = Optimale Voraussetzung für Chancenverwirklichung 4 2. Armut / Reichtum – zur Methodik Die zentralen Aufgaben der Berichterstattung Aufklärungsfunktion Beschreibung sozialer Strukturen und Entwicklungen, Situationsdeutungen gesellschaftlicher Verteilungsprobleme, problemorientierte Datenaufbereitung Planungsfunktion Kontextinformationen für Planungsprozesse, Indikatorenbildung zur Steuerung, lfd. Monitoring und Wirkungsanalysen, Programmentwicklung, Politikberatung Kommunikationsfunktion Verständigung über gesellschaftliche Probleme und Lösungen in einem offenen Beteiligungsrahmen, verständliche Aufmachung der Themen und des Prozesses Innovationsfunktion Identifizierung neuer Problemlagen und Problemlösungsstrategien, Entwicklung neuer Analyse- und Handlungsmuster, neue Indikatoren 5 2. Armut / Reichtum – zur Methodik Standardindikatorensatz für den Lebenslagenansatz Wirtschaft/Arbeitsmarkt Kaufkraft, Beschäftigung, Arbeitslosigkeit ... Einkommen/Vermögen Einkommen, Steuerveranlagungen, Sozialtransfers .. Wohnen Mieten/Eigentum, KdU/Wohngeld, Wohnungslos... Bildung Übergangsquoten, Abbrecherquoten ... Gesundheit Vorsorge-/Schuleingangsunters., Präventionsprogr. Partizipation/Teilhabe Beteiligungs-/Teilhabeprozesse, Engag.potenzial ... «In Germany there is no governmental understanding of poverty and social exclusion. Therefore, an over-all-strategy to reduce poverty does not exist.» EU-KOMM in ihrem Synthesebericht zu den Nationalen Reformprogrammen 2014 zu Deutschland 6 2. Armut / Reichtum – zur Methodik Operationalisierung von Armut und Reichtum Operationalisierung von Armut Operationalisierung von Reichtum Prekarität von Lebenslagen Unterscheiden zwischen Einkommens- und Vermögensreichtum Bezug von SGB II-Leistungen Kumulation von Unterversorgungslagen Materielle Deprivation Abhängigkeit von Mindestsicherungsleistungen Ausschluss von Teilhabechancen ..... Modellierung und Schätzungen von Reichtum aus Einkommens-, Steuer- und Vermögensstatistiken sowie Erhebungen/Umfragen Immobilieneigentum mit großen Wohnflächen ..... 7 2. Armut / Reichtum – zur Methodik Berichtsformate der Armuts- Reichtumsberichte Integrierte Berichte (Armut – Reichtum, ressort- und themenübergreifend) Thematische Berichte (Kinderarmut, Altersarmut, Erwerbsarmut ,,,) Kombinierte Berichte (Kommune – Träger – Betroffene) Mischformen (Verknüpfung von Formaten, Koppelung Bericht & Umsetzung) ..... Das endgültige lokale Format hängt von verschiedenen Faktoren ab: starke Fürsprecher für einzelne Berichtsformate, Mainstream integrierter Planung und Berichterstattung in der Kommune, Wissenschaft vor Ort mit dem Know how, organisierte Lobby, politische Willensbildung ..... ..... Wichtiger als der Bericht ist der Prozess! 8 3. Informationen zu Armut und Reichtum in MA Armut in der Kommune wird mit Bezug auf Hartz IV definiert. Reichtum in der Kommune ist (noch) ein lokaler Suchprozess. Messung von Armut – Zugänge Messung von Reichtum – Zugänge < 60% DurchschnEinkommen > doppeltes DurchschnEinkommen Kleinräumiges Hartz IV-Profil/ sozialräumliche Segregation Kleinräumige Verteilung Lohn- und Einkommenssteuerpflichtige Mindestsicherungsleistungen Stiftungen, Spendenaufkommen Prekäre Beschäftigung Eigentümer großer Wohnungen Bezahlbarer Wohnraum Verteilung von Alarmanlagen? ..... ..... ..... Menschen, die das Existenzminimum aus unmittelbarer Nähe betrachten ..... Menschen, die ihr Leben exklusiv anlegen können 9 3. Informationen zu Armut und Reichtum in MA Entwicklung Vollzeit- und atypische Beschäftigung in MA 2006 – 2014 (2006 =100) % 170 Die Zahl sozialvers.pflichtiger Beschäftigter ist von 156.364 auf 178.114 gestiegen. Der Zuwachs resultiert ausschl aus atypischer Beschäftigung. 160 Teilzeitarbeit 150 140 Leiharbeit 130 120 Geringfügige Beschäftigung (ausschl) 110 100 Vollzeitarbeit 90 80 70 2006 2007 2008 2009 2010 Vollzeit Teilzeit 2011 Leiharbeit 2012 2013 2014 GeB Quelle: Regionaldatenbank Atypische Beschäftigung der Hans-Böckler-Stiftung 10 3. Informationen zu Armut und Reichtum in MA HH-Typen in Hartz IV Existenzprobleme armer Familien 10/2014 Arbeit fehlt bzw. Arbeitslosigkeit in der Familie Einkommen reicht nicht, Verschuldung zu hoch Wohnung nicht bezahlbar, Wohnkosten zu hoch 10% 17% 52% 21% Single Paare mit Kindern Alleinerziehende Paare ohne Kinder Zu Möglichkeiten bei der Wohnungswahl und zu Mietkosten armer Familien: In MA gilt eine vierköpfige Familie als arm, wenn sie max. 1.466€ mtl zur Verfügung hat. Für eine Wohnung im unteren Preissegment muss die Familie 506€ ausgeben, das entspricht 38,2% ihres Einkommens. Nach Abzug der Mietkosten verbleiben der Familie 906€. Das sind 22% weniger als der SGB II-Regelsatz einer vierköpfigen Familie (2 Erw, 1 Kind 7-14, 1 Kind 0-6) (Heyn 2013, empirica-Studie i. A. der Bertelsmann Stiftung), Sonderauswertung der Mikrozensusdaten 2011). 11 3. Informationen zu Armut und Reichtum in MA Was sagt uns Hartz IV über Armut in MA? – Statusbericht 2015 15.000 Bedarfsgemeinschaften mit 29.000 Personen leben in Hartz IV SGB II-Quote liegt bei 11,2%, SGB II-Quote U25 bei 21,5% Kinderarmutsquote (SGB II U15) bei 22,1%, fast jedes 4. Kind in Hartz IV 1/3 sind Aufstocker (fast die Hälfte < 450€) 20% der Alleinerziehenden sind in Hartz IV (55% der BG mit Kindern) 40% der BG haben kein Einkommen außer Hartz IV 50% sind 4 Jahre und länger im Hartz IV-Bezug ¾ der BG hat schon Vorbezug: Stigma «einmal Hartz IV, immer Hartz IV» jährlich 35.000 neue Sanktionen (Schnitt 50€/J, vorw. Meldeversäumnis) Stand: Juli 2014 – Feb. 2015 12 3. Informationen zu Armut und Reichtum in MA 10 Jahre Hartz IV in MA – was hat´s gebracht? 25.000 Trotz Beschäftigungszuwachs und Halbierung der Arbeitslosigkeit im letzten Jahrzehnt haben sich Armut, bes. Kinderund Familienarmut, Langzeitbezug und die sozialräumliche Segregation auf hohem Niveau verfestigt oder sogar verstärkt. Erwerbsfähige LeistungsbezieherInnen 20.000 Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften 15.000 Arbeitslose 10.000 Hartz IV-BezieherInnen U15 5.000 Alleinerziehende in Hartz IV- 0 2005 2010 2014 13 4. Erfolgsfaktoren für den Berichtsprozess Eckwerte einer lokal wirksamen Armuts- und Reichtumsberichterstattung Politische Prioritätensetzung für eine regelmäßige ARB in MA Offener Dialog über eine solidarische Stadtpolitik von Arm und Reich: Runder Tisch und ständige Plattform Existenzsicherung über gute Arbeit, bezahlbares Wohnen und bedarfsorientierte Grundsicherungsleistungen (Bund und Land in der Pflicht) Integrierte Entwicklungs- und Handlungskonzepte für inklusive Quartiere statt sozialräumlicher Segregation Koordination der Planung, Programme und Förderung zwischen den Ressorts und Wirkungscontrolling der Aktivitäten gegen Armut und für sozialen Ausgleich – Armuts-/Reichtumspolitik kein Spezialjob für Soziales Nachhaltige Gemeindefinanzreform zugunsten der Kommunen – Senkung der kommunalen Soziallasten, höhere Steuerzuweisungen 14 5. MA – Fundgrube für Sozialberichterstattung In MA gibt´s viele Anläufe und Ansätze für eine integrierte Berichterstattung ..... anschlussfähig für einen gemeinsamen Kurs einer MA ARB RT Kinderamut 2007 ff. Stadtteilprojekt HO 2007 ff. Bildungsbericht 2005/2010 Jobcenter FB Bildung Netzwerk FB Soziales/GBG Gremien Projekte Quartiermanagement (IHEK) 2000 ff Träger/FB Soziales Sozialatlas 1985/2005 FB Soziales Siedlungsmonitoring 2010 ff. Sozialpolit. OrientRahmen 2011 PWV Netzwerke Berichte Sozialpolit. Offensive 1994 ff. WohnRaumStadt II Wohnungsmonitoring 2015 Netzwerk FB Städtebau Change2 Strat.Ziele OB/StratSteuerung 15 Quellen Butterwegge, Christoph, 2015: Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik? Weinheim/Basel. Heyn, Timo/ Braun, Reiner/Grade, Jan, 2013: Wohnungsangebot für arme Familien in Großstädten. Eine bundesweite Analyse ..., Gütersloh. Kronauer, Martin/Siebel , Walter (Hg.),2013: Polarisierte Städte. Soziale Ungleichheit als Herausforderung für die Stadtpolitik, Frankfurt/New York. Lauterbach, Wolfgang/Druyen, Thomas/Grundmann, Matthias (Hg.), 2011: Vermögen in Deutschland. Heterogenität und Verantwortung, Wiesbaden. Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz, 2015: «Armut und Reichtum in Rheinland-Pfalz», 5. Armuts- und Reichtumsbericht, Mainz. Rammer, Georg, 2013: Armut essen Seele auf (Reichtum auch), Neustadt-Weinstraße. Spannagel, Dorothee, 2013: Reichtum in Deutschland. Empirische Analysen, Wiesbaden. VSOP, 2014: Grundsätze und Eckpunkte für die Sozialplanung im Handlungsfeld Wohnen. VSOP, 2012: Inklusive Sozialplanung, Speyer. 16
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