SCHWERPUNK T Traumatherapien Traumatherapien: Welche gibt es und wie wirken sie? Wer im Internet das Stichwort „Traumatherapien“ googelt, findet eine Reihe zunächst verwirrender Namen und Begriffe. In den letzten 20 Jahren haben Traumaexperten weltweit eine Vielzahl neuer Behandlungsmethoden entwickelt. Die folgende Aufzählung ist der Versuch, die wichtigsten Verfahren und Techniken, die aktuell zur Traumabehandlung verwendet werden, kurz vorzustellen; sie kann nur unvollständig sein. Hilfesuchende können sich auch an eine Beratungsstelle wenden wie z. B. das Trauma Hilfe Zentrum München (THZM)*. ren Erfahrung, der eigenen Ressourcen. Wichtig ist auch der Gebrauch von Imagination oder (bildhaften) Vorstellungen, z.B. vom „inneren sicheren Ort“. Dabei wird mit inneren Aspekten gearbeitet (sog. „Ego-States“ wie dem inneren Kind, dem Beobachter und dem Erwachsenen-Teil) und/ oder dissoziativen Persönlichkeitsanteilen. Der Erwachsenenanteil mit seinen mentalen Fähigkeiten wird aufgebaut und gestärkt, seine stabile Anwesenheit in der Therapie (und im Leben) ist Voraussetzung für die Traumadurcharbeitung. Dies ist besonders wichtig bei der Behandlung von Menschen mit komplexen Kindheitstraumata. •Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie Diese auf Francine Shapiro zurückgehende Methode entstand Mitte der 1980er Jahre zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). EMDR wurde in Deutschland 2006 vom wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie zur Behandlung der PTBS anerkannt und ist seit 2014 offiziell Teil der deutschen Richtlinienpsychotherapie in der Behandlung der PTBS bei Erwachsenen (zur EMDR-Methode siehe auch S. 12 ff.). Verhaltenstherapeutisch orientierte Traumatherapeuten nutzen heutzutage eine Fülle verschiedener Werkzeuge, wenn sie mit traumatisierten Menschen arbeiten. In der Regel geht es dabei um eine (wiederholte) Konfrontation mit dem Trauma, um die Symptome mit der Zeit abklingen zu lassen – was für Betroffene sehr belastend sein kann und eine gewisse Stabilität voraussetzt. Die Konfrontation kann mit Distanzierungstechniken, etwa sich vorzustellen, man sehe die belastenden Ereignisse wie auf einem Bildschirm, abgemildert werden. (Typisch verhaltenstherapeutisch orientiert ist z. B. auch das Therapieprogramm, von dem im Interview auf S. 10 f. berichtet wird.) •Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT®) Die von der deutschen Psychoanalytikerin und Nervenärztin Luise Reddemann entwickelte Methode integriert auf Basis der Tiefenpsychologie verschiedene kognitive, imaginative und erlebnisorientierte Elemente aus anderen Therapieschulen und aus der buddhistischen Lehre. Achtsamkeit, Mitgefühl und das Konzept eines „heilen Kerns“ spielen dabei eine wichtige Rolle. Am Anfang steht die Stabilisierung und Stärkung der Persönlichkeit und der inne* Wir danken dem Trauma Hilfe Zentrum München e.V. für die hilfreichen Informationen. Zur Arbeit und dem Beratungsangebot des Zentrums siehe mehr im Internet unter www.thzm.de sowie auf Seite 27 in dieser "daz"-Ausgabe. 8 da z Nr. 73, I/2016 •Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) •Somatic Experiencing (SE®) Der amerikanische Psychologe Peter A. Levine geht davon aus, dass die in traumatischen Situationen vom Körper bereitgestellte Überlebensenergie vom menschlichen Nervensystem oft nur unvollständig oder verzögert aufgelöst wird: „Ein Trauma ist im Nervensystem gebunden. Es ist somit eine biologisch unvollständige Antwort des Körpers auf eine als lebensbedrohlich erfahrene Situation. Das Nervensystem hat dadurch seine volle Flexibilität verloren. Wir müssen ihm deshalb helfen, wieder zu seiner ganzen Spannbreite und Kraft zurückzufinden“. Seine Methode beruht auf Beobachtungen von Tieren in freier Wildbahn, die ja häufig lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt sind, jedoch nicht nachhaltig traumatisiert würden, da sie über angeborene Mechanismen verfügten, um die hohe, im Überlebenskampf mobilisierte Stress-Energie wieder abzubauen. Bei dieser körperorientierten Methode ist es nicht nötig, traumatische und vielleicht verdrängte Erin- Foto: Susann Städter/photocase.de E s gibt verschiedene Herangehensweisen in der Traumatherapie in Form von Körpertherapien, ressourcenorientierten Verfahren, imaginativen und hypnotherapeutischen Methoden usw. Als hilfreich für Traumatisierte haben sich auch kreative Methoden erwiesen wie etwa Kunst-, Musik- und Tanztherapie sowie Yoga oder Qi Gong. Man kann bei den verschiedenen Therapieformen auch unterscheiden zwischen „Verfahren“ und „Techniken“. Zu ersteren zählen z.B. verhaltenstherapeutische und psychodynamische (psychoanalytisch-tiefenpsychologische) Ansätze. Innerhalb eines Verfahrens können wiederum verschiedene Techniken (z.B. EMDR) angewendet werden. SCHWERPUNK T Das Wichtigste: die Beziehung zum Therapeuten Egal um welche Art der Therapie es sich handelt, entscheidend für das Gelingen einer Traumatherapie ist eine gute Beziehung zur Person des Therapeuten/der Therapeutin. Die „Chemie“ muss stimmen! Daher ist es wichtig, sich vor Beginn einer Therapie zu fragen: Erscheint mir dieser Therapeut/diese Therapeutin vertrauenswürdig? Kann ich mir vorstellen, mit ihm/ihr über wirklich alles, auch sehr belastende, unangenehme und mir peinliche Dinge zu sprechen? Kann er/sie mir ein Gefühl der Sicherheit und seelischen Halt geben? Fühle ich mich verstanden und angenommen, so wie ich bin? In der Regel kann nach dem heutigen Stand des Wissens davon ausgegangen werden, dass eine reine Gesprächstherapie oder Verhaltenstherapie nicht ausreicht, um ein Trauma aufzulösen. Aus diesem Grund sollte man auch danach fragen, ob der Therapeut/die Therapeutin eine traumatherapeutische (Zusatz-)Ausbildung bzw. Erfahrungen in der Behandlung von Traumafolgestörungen hat. nerungen bewusst wieder zu durchleben. Eine mögliche Re-Traumatisierung wird so vermieden. •Brainspotting (BSP) Brainspotting ist ein neuartiger psychotherapeutischer Ansatz zur Traumaverarbeitung, der von dem New Yorker Psychoanalytiker David Grand entwickelt wurde. Das Vorgehen knüpft an die Techniken von Somatic Experiencing und EMDR an, führt aber methodisch darüber hinaus. Ähnlich wie bei EMDR wird beim Brainspotting ein emotional belastendes Ereignis erinnert. Dabei folgen die Augen einer langsamen Handbewegung des Therapeuten/der Therapeutin. Wird die Augenbewegung durch eine unwillkürliche Reaktion wie zum Beispiel starkes Blinzeln unterbrochen, hat man an dieser Stelle einen „Brainspot“ gefunden. Während der Patient dort mit dem Blick verweilt, richtet er die Aufmerksamkeit auf seine innere Wahrnehmung, dabei auftauchende Erinnerungen, Gefühle und Körperempfindungen. Dies scheint die Selbstheilungsprozesse anzukurbeln. •Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (MPTT) Dies ist ein von Gottfried Fischer, einem der Pioniere der Traumatherapie in Deutschland entwickeltes integratives Verfahren. Es verbindet imaginative, kognitive und verhaltenstherapeutische Elemente mit EMDR und einem psychodynamischen Konzept der Beziehungsgestaltung. MPTT wird besonders in der Therapie von Akuttraumata eingesetzt. •Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy (IRRT) Diese schonende konfrontative Traumatherapiemethode entwickelte der amerikanische Verhaltenstherapeut Mervyn Smucker. Mit Imaginationsübungen werden belastende Bilder und tief sitzende Blockaden so bearbeitet, dass sie emotional bewältigt werden können. Die Methode ist besonders wirkungsvoll bei Angststörungen, die mit wiederkehrenden traumatischen Bildern verbunden sind. •Trauma Recapitulation with Imagination Motion and Breath (TRIMB®) Die schonende, nicht konfrontative Methode enthält eine spezielle Technik zur Lösung intensiver Gefühlsbindungen mittels Imagination, Atmung und lateralisierenden (Kopf-) Bewegungen. Die deutsche Ärztin Ingrid Olbricht hat diese bei mittelamerikanischen Indiandern entdeckt, die sie als „Feueratmen“ bezeichneten und anwandten, um kollektive Traumata wie Hungersnöte, Naturkatastrophen, kriegerische Auseinandersetzungen u.ä. zu bewältigen. TRIMB kann auch bei komplex traumatisierten Menschen und bereits in der Stabilisierungsphase eingesetzt werden. •Körper-, Ressourcen- und Systemorientierte Traumatherapie (KReST) Das KReST-Modell wurde von dem Psychiater und Traumatherapeuten Lutz-Ulrich Besser entwickelt und eignet sich ebenso wie PITT auch zur Behandlung chronischer, komplexer Kindheitstraumata. Es ist eine sanfte und ressourcenorientierte integrative Methode, die Erkenntnisse der Neurobiologie, Stress-, Bindungs-, Verhaltensforschung und systemische Aspekte mit einbezieht. Sowohl tiefenpsychologische als auch verhaltenstherapeutische, imaginative, hypno- und körpertherapeutische Techniken zur Symptomreduktion und Heilung werden genutzt. • Emotional Freedom Techniques (EFT, Klopfakupressur) Diese Behandlungsmethode wurde von den amerikanischen Psychologen Roger Callahan und Gary Craig entdeckt bzw. weiterentwickelt. Dabei geht der Klient in ein belastendes Gefühl, während der Therapeut sanft Akupunkturpunkte am Kopf und an den Händen beklopft. Dahinter steckt die Vorstellung, dass ein Trauma zu Blockaden im Energiesystem des Körpers führt, die durch die Behandlung aufgelöst werden sollen. Die Wirksamkeit ist (noch) nicht wissenschaftlich belegt, doch es gibt glaubwürdige positive Erfahrungsberichte aus der Praxis dazu. •Tension & Trauma Releasing Exercises (TRE®) TRE ist bisher noch weniger wissenschaftlich erforscht und anerkannt als EFT. Es handelt sich um eine Technik, die von dem amerikanischen Traumatherapeuten und Bioenergetiker David Berceli entwickelt wurde. Er geht davon aus, dass das Zittern nach einem Schock, Trauma oder anderen sehr belastenden Ereignissen zur Grundausstattung von Säugetieren gehört und dem Organismus dazu dient, sein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen. Berceli hat daraufhin auf der Grundlage der Bioenergetik, von Yoga, Tai Chi und anderen östlichen Methoden eine Folge von körpertherapeutischen Übungen entwickelt, die ein leichtes „neurogenes Zittern“ hervorrufen und eine tief entspannende Wirkung auf den Körper haben soll, mit dem Ziel, traumatisch bedingte muskuläre Verspannungen und damit auch das Trauma selbst zu „lösen“ (release). J. Bauer da z Nr. 73, I/2016 9
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