Bulletin... - Friedrich-Naumann

TÜRKEI BULLETIN 21/15
Berichtszeitraum: 01.-15. November 2015
Überblick
Kurz vor dem zweitägigen G-20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer im türkischen
Badeort Belek (Prov. Antalya) haben Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte die benachbarten Bezirke
Manavgat und Alanya durchkämmt und dabei etwa 20 mutmaßliche Anhänger des „Islamischen Staates“ (IS) festgenommen, unter ihnen zwei russische Staatsbürger sowie zwei Frauen. Nur einen Tag
vor dem Gipfelstart wurden in der Stadt Gaziantep nahe der türkisch-syrischen Grenze vier ISKämpfer von türkischen Soldaten getötet.
Während des G-20-Gipfels am 15. und 16. November werden etwa 11.000 Sicherheitskräfte im Einsatz sein.
Bei Polizei-Razzien gegen Anhänger des islamischen Gelehrten Fethullah Gülen in der Provinz Izmir
wurden 35 Menschen festgenommen. Darunter seien auch leitende Regierungsangestellte und Polizeibeamte, so Nachrichtenagenturen. Die Polizei führte auch eine Razzia gegen den Gülen-nahen
Unternehmerverband TUSKON (türk.: Türkiye İşadamları ve Sanayiciler Konfederasyonu) durch.
TUSKON wurde im Jahre 2005 gegründet und vereinigt unter seinem Dach 55.000 Unternehmer.
Die regierungsfreundliche Zeitung „Sabah“ hat berühmte Künstler wegen kritischer TwitterNachrichten an den Pranger gestellt. Die Ausgabe vom 4. November erschien auf der Titelseite u.a.
mit einem Foto des weltberühmten Pianisten Fazıl Say und der Überschrift: „Die Künstler, die ihr Volk
verachten“. Im Innenteil der Zeitung sind die Bilder von insgesamt 16 Musikern und Schauspielern mit
von ihnen abgesetzten Tweets abgebildet. Die Kurznachrichten seien hasserfüllt und demütigten Millionen Wähler der AKP, so das Blatt. Der Pianist Say hatte nach dem Wahlsieg der AKP getwittert:
„Möge diese 13-jährige Ära ein Ende finden und mögen wir erleuchtet werden. Möge jeder von uns
dieses eine Leben in Gleichheit und Frieden leben können.“
Wegen eines Werbespots mit abschätzigen Bemerkungen über das türkische „Nationalgetränk“ Ayran ist laut Medienberichten ein staatliches Tee-Unternehmen zu einer Geldstrafe von umgerechnet
etwa 70.000 EUR verurteilt worden. Grund dafür sei, dass man Ayran „grundlos beleidigt“ habe. Auch
werde den Konsumenten die „schlechte Botschaft“ vermittelt, dass sie weniger davon trinken sollten.
Das Joghurtgetränk war im Jahre 2013 von Tayyip Erdoğan in den Rang eines „Nationalgetränks“
erhoben worden. Damit wollte Erdoğan seine Mitbürger dazu bewegen, weniger Rakı, einen Schnaps
mit Anis-Aroma, und stattdessen mehr Ayran zu trinken.
Nach dem Verbot des „Rakı-Festivals“ in der südtürkischen Stadt Adana durch den dortigen Gouverneur haben Anhänger des traditionellen Anis-Schnapses ihrer Feier kurzerhand einen anderen Namen gegeben. Der Event im kommenden Monat heiße nun „Kebap- und Şalgam-Festival“, so Medien. Şalgam ist ein alkoholfreies Rübengetränk und hat mit Rakı nichts gemein.
Die islamisch-konservative AKP hat in ihrer 13-jährigen Regierungszeit die Steuern für Alkohol und
Tabak merklich erhöht – nach offiziellen Angaben, um die öffentliche Gesundheit zu schützen.
Erstmals in der Geschichte der Türkei hat eine Richterin mit Kopftuch den Vorsitz in einem Gerichtsverfahren geführt. Die Richterin habe im Justizpalast von Istanbul eine zivilrechtliche Anhörung geleitet, berichtet die regierungsfreundliche „Sabah“. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK)
hatte kurz vor den Parlamentswahlen des 7. Juni das Kopftuchverbot für Richterinnen aufgehoben.
Kritiker werteten die Entwicklung als „das Inkrafttreten des islamischen Rechts“.
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Nach den Wahlen: Präsidialsystem wieder ganz oben auf der Agenda
Elf Tage nach dem überraschend klaren Sieg der islamisch-konservativen AKP bei der Parlamentswahl hat die Wahlkommission das amtliche Endergebnis vorgelegt. Die AKP von Präsident Tayyip
Erdoğan gewann demnach mit 49,5 Prozent der Stimmen 317 der 550 Sitze in der Nationalversammlung (zuvor: 258). Damit fehlen ihr nur 13 Abgeordnete zur Herbeiführung eines Verfassungsreferendums, mit dem die Partei ein Präsidialsystem mit Erdoğan an der Spitze einführen will.
Die wichtigste Oppositionspartei – die Republikanische Volkspartei CHP – gewann 25,32 Prozent der
Stimmen und stellt künftig 134 Abgeordnete. Drittstärkste Kraft im Parlament wird die pro-kurdische
HDP mit 59 Sitzen (10,76 Prozent), gefolgt von der rechtsnationalistischen MHP mit 40 Sitzen (11,9
Prozent). Je nach Wahlkreisgröße ist eine unterschiedliche Anzahl von Stimmen erforderlich, um ein
Parlamentsmandat zu gewinnen. So erklärt sich, warum die HDP trotz geringerem Stimmenanteil
mehr Sitze als die MHP errungen hat. Die neue Nationalversammlung ist bis ins Jahr 2019 gewählt.
Die Europäische Union sollte nach Ansicht des FDP-Europapolitikers Alexander Graf Lambsdorff
nach dem Wahlsieg der AKP nicht länger mit der Türkei über eine Aufnahme sprechen. „Dieser
Wahlsieg bringt in der Türkei zwar eine stabile Lage – politisch sind die Verhältnisse jetzt klar. Aber
das war doch um einen sehr hohen Preis, was Grundwerte, was Meinungsfreiheit, was andere Fragen angeht“, so Lambsdorff in einem Rundfunk-Interview. Angesichts der Repressionen gegen regierungskritische Medien und Online-Dienste sagte Lambsdorff: „Die Türkei ist ein Beitrittskandidat und
an einen Beitrittskandidat muss man andere Maßstäbe anlegen. Oder man muss sich eben ehrlich
machen und sagen: Wenn die Grundwerte so mit Füssen getreten werden, wie das hier geschehen
ist, dann kann das Land eben auch kein Beitrittskandidat mehr sein.“
Nur wenige Tage nach den Wahlen gab es schon die ersten Anzeichen dafür, dass die Einführung
des Präsidialsystems wieder ganz oben auf der Agenda der Regierung stehen wird. Die Debatte über
die dafür notwendige Volksbefragung werde beschleunigt, kündigte Erdoğans Sprecher Ibrahim Kalın
nur drei Tage nach den Wahlen an. Der Ausbau der präsidialen Vollmachten sei keine Frage der Zukunft des amtierenden Präsidenten: „Er ist bereits in die Geschichtsbücher eingegangen.“ Dem Präsidenten gehe es darum, das politische System der Türkei effizienter zu machen. Sollte eine Volksbefragung nötig sein, so werde es eine solche geben, um das Volk über den Wechsel zu einem „starken
Präsidialsystem“ abstimmen zu lassen. Das Präsidialsystem werde der Türkei „einen Sprung nach
vorne“ ermöglichen.
Ministerpräsident Davutoğlu rief indes die Opposition dazu auf, an der Erarbeitung einer neuen Verfassung mitzuwirken. „Ich rufe alle Parteien, die in das Parlament einziehen, auf, sich auf eine neue,
zivile nationale Verfassung zu verständigen“, so Davutoğlu. Der AKP-Abgeordnete aus Izmir und
enge Vertrauter von Erdoğan, Binali Yıldırım, machte nach den Wahlen nochmals klar: „Nach den
Wahlen waren alle AKP-Gegner im In- und Ausland schwer enttäuscht, ihre Gesichter waren bleich.
Wenn die Türkei Stabilität benötigt, so ist der einzige Weg dorthin das Präsidialsystem.“
Erneut Razzien gegen regierungskritische Medien
In der Türkei reißt die Serie der Anzeigen und Ermittlungen gegen regierungskritische Medien und
Journalisten nicht ab. Bei einer erneuten Razzia in Istanbul haben Polizisten die Redaktion der Zeitung „Zaman“ sowie die der englischsprachigen „Today’s Zaman“ und der zur selben Mediengruppe
gehörenden Zeitschrift „Aksiyon“ durchsucht, so Medienberichte. Die „Zaman“-Mediengruppe steht
dem im Exil in den USA lebenden islamischen Gelehrten Fethullan Gülen nahe. Gülen war einst ein
enger Verbündeter von Tayyip Erdoğan und seiner religiös-konservativen AKP, gilt aber inzwischen
als sein Erzfeind und sieht sich zudem dem Vorwurf einer terroristischen Verschwörung ausgesetzt.
Grundlage für die Durchsuchung sei der Verdacht gewesen, dass in der „Zaman“-Druckerei alternative Ausgaben der kürzlich beschlagnahmten und auf Regierungskurs gebrachten Zeitung „Bugün“
produziert würden.
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Ende vergangenen Monats hatten staatliche Treuhänder die Fernsehsender und Zeitungen der ebenfalls Gülen-nahen Mediengruppe Koza-Ipek übernommen und - wortwörtlich - über Nacht in regierungsfreundliche Medien verwandelt. Dazu gehörte auch die Zeitung „Bugün“. Gekündigte Redakteure haben inzwischen die alternative „Özgür Bugün“ gegründet.
„Zaman“ und „Today’s Zaman“ gehören zusammen mit der ebenfalls regierungskritischen linksnationalen Zeitung „Sözcü“ zu jenen Medien, die nicht zum G-20-Treffen im türkischen Antalya zugelassen
worden sind. „Sözcü“ teilte mit, man habe auf diverse Akkreditierungsanträge keine Antwort erhalten.
Alle drei Redaktionen sprachen übereinstimmend von „Zensur“.
Das Redaktionsgebäude des regierungskritischen Wochenmagazins „Nokta“ erhielt ein weiteres Mal
„Besuch“ von türkischen Sicherheitskräften. Nur einen Tag nach dem Wahlsieg der AKP seien zwei
leitende Redakteure der Zeitschrift, Cevheri Güven und Murat Çapan, festgenommen worden, so
„Nokta“ auf ihrer Internetseite. Die aktuelle Ausgabe sei beschlagnahmt worden. Die Titelseite zeigt
Staatspräsident Erdoğan mit der Aufschrift: „Montag, 2. November, Beginn des türkischen Bürgerkriegs“. Nur einen Tag später wurden Güven und Çapan unter dem Vorwurf eines „Putschversuchs“
angeklagt. Ein Gericht in Istanbul ordnete außerdem an, dass die jüngste Ausgabe des Blatts aus
dem Handel genommen werden müsse, da die Öffentlichkeit darin zu einem Verbrechen angestachelt werde. Bereits im September war „Nokta“ Ziel einer Polizeirazzia gewesen. Damals hatte das
Magazin eine Fotomontage mit Erdoğan verbreitet, der lächelnd ein Selfie vor dem Sarg eines getöteten türkischen Soldaten macht.
Gegen Cengiz Çandar, einen der renommiertesten Journalisten und Kolumnisten des Landes, wurden wegen „Beleidigung des Staatspräsidenten“ gleich zwei Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch
Ertuğrul Özkök, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung „Hürriyet“ und nun als Kolumnist tätig, ist ins
Visier der Justiz geraten. Er soll in seiner Kolumne Präsident Erdoğan beleidigt haben und daher soll
ihm nun der Prozess gemacht werden; die Anklage hat für die Kolumne bis zu vier Jahren Haft gefordert. Auch dem bekannten türkischen Schriftsteller Ahmet Altan geht es ähnlich: Gegen ihn laufen
aufgrund eines Interviews bei Samanyolu TV zwei Ermittlungen wegen „Beleidigung des Staatspräsidenten“.
Fortschrittsbericht: EU wirft Türkei „Verlangsamung“ des Reformtempos vor
„Bemerkenswerte Rückschritte“ bei Demokratie und Menschenrechten, „besorgniserregende Entwicklungen“, „Stillstand“ – der sogenannte „Fortschrittsbericht“ 2015 der EU-Kommission über die Türkei,
dessen Veröffentlichung schon zweimal hinausgezögert worden war, konnte nun schließlich vorgestellt werden. Er ist – für manche überraschend – sehr kritisch ausgefallen. „Das Reformtempo hat
sich im vergangenen Jahr verlangsamt“, heißt es in dem von EU-Erweiterungskommissar Johannes
Hahn im EU-Parlament präsentierten Dokument. „Der Bericht unterstreicht den generell negativen
Trend im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte“, teilte die EU-Kommission mit. „Deutliche
Mängel beeinträchtigen die Justiz sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Türkei hat
eine ernsthafte Verschlechterung ihrer Sicherheitslage erfahren. Der Friedensprozess in der Kurdenfrage ist trotz früherer positiver Entwicklungen zu einem Stillstand gekommen. Es ist ganz wichtig,
dass die Friedensgespräche wieder aufgenommen werden. Die neue Regierung nach den Neuwahlen vom 1. November muss diese dringlichen Prioritäten angehen“, heißt es im Report.
Scharf kritisiert wird auch das Vorgehen der Regierung in Ankara gegen Medien und die praktizierte
Internet-Zensur. „Anhaltende neue Strafverfolgungen gegen Journalisten, Autoren oder Nutzer sozialer Medien, die Einschüchterung von Journalisten und Medien sowie die Aktionen der Behörden zur
Einschränkung der Medienfreiheit bieten Anlass zu ernsthafter Besorgnis. Änderungen im Internetgesetz sind ein bedeutender Schritt zurück – weg von den europäischen Standards.“ Die Unabhängigkeit der Justiz und das Prinzip der Gewaltenteilung sei 2014 „unterminiert“ worden. Richter und
Staatsanwälte stünden unter starkem politischen Druck. Die Kampagne der Regierung gegen „Parallelstrukturen“ im Staat (sprich: die Gülen-Bewegung) wird in diesem Zusammenhang gesehen.
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Die Leistungsbilanz der Türkei im Kampf gegen Korruption „bleibt unzulänglich“ heißt es weiter. Der
„unangemessene Einfluss der Exekutive auf die Ermittlungen und die Verfolgung von hochrangigen
Korruptionsfällen“ löse weiterhin „große Besorgnis“ aus.
Das brisante Papier sollte ursprünglich schon im Oktober veröffentlicht werden – also noch vor den
Wahlen des 1. November. Kritiker werfen der EU-Kommission vor, mit der Verzögerung der Vorlage
die AKP-Regierung unterstützt zu haben, um ein Entgegenkommen Ankaras in der Flüchtlingspolitik
zu erreichen.
Trotz der massiven Rückschritte will EU-Erweiterungskommissar Hahn mit der Türkei neue Verhandlungskapitel angehen. Er sprach von der „Vorbereitung auf eine mögliche Öffnung der Kapitel 23 und
24 [Kapitel 23: Justiz und Grundrechte; Kapitel 24: Justiz, Freiheit und Sicherheit, Anm.d.Red.]“. Dies
wäre „eine ganz wesentliche Maßnahme, um auch die Türkei zu einem Lackmustest zu bewegen“,
wie sie es mit Grundrechten halte, erläuterte Hahn. „Beitrittsverhandlungen sind der beste Hebel, um
die Dinge zu verändern.“
Hahn verteidigte die laufenden Gespräche der EU mit Ankara über einen Aktionsplan zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wenn es um die Visafreiheit und um die Beitrittsverhandlungen gehe, würden aber klare Regeln gelten. „Es kann keine Speziallösung für ein Land geben“, was europäische
Standards betreffe. Visabefreiung gehe nicht ohne Monitoring und begleitende Maßnahmen von seiten des betreffenden Staates.
Ankaras Reaktion
„Unfair“, „exzessiv“ und schlicht „inakzeptabel“ sei die Schelte der EU-Kommission – so der Tenor der
Reaktionen aus der türkischen Hauptstadt. Die türkische Regierung wies „einige der Kommentare“
aus Brüssel zu den Themen Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit im Land entschieden zurück. Eine
ganze Reihe der Kritikpunkte im vorgelegten EU-Fortschrittsbericht seien „ungerecht“ und „unangemessen“, erklärte das EU-Ministerium in Ankara. Insbesondere könne man die Vorwürfe gegen die
Machtbefugnisse von Präsident Tayyip Erdoğan und dessen Amtsführung nicht hinnehmen. Beim
Vorgehen von Polizei und Justiz gegen Demonstranten oder die kritische Presse in der Türkei müsse
berücksichtigt werden, dass demokratische Freiheiten und nationale Sicherheit immer in einem ausgewogenen Verhältnis stehen müssten, hieß es weiter. In den vergangenen Jahren habe die Regierung zudem durchaus Maßnahmen ergriffen, um eine „unabhängige und objektive“ Justiz und die
Meinungsfreiheit zu stärken. „Richtige und angemessene Kritikpunkte“ im Bericht würden aber zur
Kenntnis genommen, wurde in Ankara beteuert.
Kämpfe zwischen Armee und PKK: Ausgangssperre in Silvan
Nach dem Wahlsieg der AKP geht das türkische Militär wieder gegen Anhänger der verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) vor. Die Streitkräfte teilten mit, dass die Luftwaffe am Tag nach den
Wahlen Stellungen der PKK in der südosttürkischen Grenzprovinz Hakkari und im Nordirak bombardiert habe. Nachrichtenagenturen teilten zudem mit, Sicherheitskräfte seien in den Provinzen
Diyarbakır und Hakkari gegen die PKK-Jugendorganisation YDG-H vorgegangen. Es sei zu Gefechten gekommen. Die türkische Armee setzt ihre Operationen gegen die PKK fort. Wie die Behörden
mitteilten, wurden mindestens elf PKK-Kämpfer bei Gefechten in den Bezirken Cizre und Silopi (Prov.
Şırnak) getötet. Die türkische Armee erklärte zudem, bei einem Einsatz gegen die PKK in der Provinz
Van nahe der türkisch-iranischen Grenze seien ein Soldat getötet und drei weitere verletzt worden.
Die Soldaten seien von PKK-Kämpfern von einem Haus aus beschossen worden. Zwei weitere Soldaten seien bei der Explosion einer Mine an einer Straße im Bezirk Lice (Prov. Diyarbakır) getötet
worden.
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Die türkische Zeitung „Hürriyet“ berichtet, dass etwa 10.000 Menschen aus dem umkämpften Silvan
(Prov. Diyarbakır) im Südosten der Türkei geflohen seien. Für Teile der kurdisch dominierten Stadt
Silvan hatte eine seit zwölf Tagen andauernde Ausgangssperre bestanden, die am 14. November
aufgehoben worden ist. Der von der Regierung eingesetzte Landrat von Silvan, Murat Kütük, begründete die Ausgangssperre mit „Terrorakten“ der PKK. Die Ausgangssperre wurde über drei Bezirke
der Stadt verhängt, in der gut 85.000 Menschen leben. Es ist die sechste Ausgangssperre (!) dort seit
Juli 2015, als der Konflikt mit der PKK wieder offen ausbrach. Elektrizität, Wasser und Internet wurden abgestellt, während Armee und Sicherheitskräfte militärisch gegen die PKK vorgehen. Medienberichten zufolge ist die Zivilbevölkerung hierdurch erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden. Kütük
warf der PKK vor, Sicherheitskräfte mit Raketen, Mörsern und Sprengfallen angegriffen zu haben. In
den vergangenen zehn Tagen seien fünf Angehörige der Sicherheitskräfte und ein Zivilist getötet
worden. Andere Quellen sprechen von sieben getöteten Zivilisten.
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu erklärte, die gegen die PKK gerichtete Offensive in
Silvan sei „weitgehend abgeschlossen“. Er fügte aber hinzu: „Die Offensive wird weitergehen, bis der
Frieden in jedem Viertel von Silvan wiederhergestellt ist.“ Selahattin Demirtaş, Co-Vorsitzender der
pro-kurdischen HDP, fand klare Worte für die Zustände in Silvan: „Das ist keine Polizeioperation, um
die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Das ist ein urbaner Krieg, inklusive der Armee.“
Zuvor hatte die PKK den vor den Parlamentswahlen ausgerufenen Gewaltverzicht für beendet erklärt.
Nur einen Tag vor dieser Erklärung der PKK hatte Präsident Erdoğan in einer TV-Ansprache die
Fortsetzung des Kampfes gegen die aufständischen Kurden angekündigt, bis der Letzte von ihnen
„liquidiert“ sei. „Es wird keine Pause geben“, so Erdoğan: „Die Einsätze werden entschlossen fortgesetzt werden.“
Zahl der syrischen Unternehmen steigt rasant an
Die türkische Wirtschaft wird zunehmend durch syrische Unternehmer gestützt. Dies geht aus einer
Studie des wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts TEPAV (türk.: Türkiye Ekonomi Politikaları Araştırma Vakfı) hervor, so die „Hürriyet“. Allein im Jahre 2014 sollen insgesamt
1.257 neue Unternehmen in Partnerschaft mit syrischen Mitbürgern eröffnet worden sein. Im Jahr
2010 seien es lediglich 30 gewesen. Auch 2015 ist der Anteil an Syrern in entsprechenden Personengesellschaften weiterhin gestiegen, so der Dachverband der Handelskammern TOBB (türk.: Türkiye Odalar ve Borsalar Birliği). Die betreffenden Unternehmen seien weitgehend in Regionen nahe
der türkischen Grenze zu Syrien und in den großen Städten angesiedelt. In Istanbul gibt es dem Beitrag zufolge 559 neue Unternehmen, die seit 2014 in Partnerschaft mit Syrern gegründet worden
sind. In Hatay, Gaziantep, Şanlıurfa, Adana und Mersin – allesamt in relativer Nähe zur türkischsyrischen Grenze – habe es zuvor nur zwölf türkisch-syrische Partnerschaften gegeben. Bis zum
Ende des Jahres 2014 sei die Zahl auf 537 angewachsen. Der TEPAV-Bericht stellt in diesem Zusammenhang auch die positiven ökonomischen Auswirkungen auf die gesamte Türkei heraus. Die
Migranten hätten die Regionen nahe der Grenzen belebt und durch ihre Produkt- und Konsumgewohnheiten die Geschäfte angekurbelt.
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Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Projektbüro Türkei
Redaktion: Dr. Hans-Georg Fleck – Aret Demirci
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