führen ja, aber wohin?

PERSPEKTIVEN 03-04/2015 > MANAGEMENT
SCHWERPUNKT DEMOKRATISCHES UNTERNEHMEN
FÜHREN JA, ABER WOHIN?
von Barbara Sommerhoff
Zwei Drittel der Deutschen wünscht sich „demokratischere“ Unternehmen. Sie möchten die Unternehmensstrategie mit entwickeln und ihren Vorgesetzten selbst wählen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie, die die Technische Universität München (TUM) und das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF) München vorgelegt haben. Anlass für die Befragung ist die fortschreitende
Digitalisierung der Wirtschaft, die sogenannte Industrie 4.0. Wie wird sie unsere Arbeitswelt verändern?
Führungskräfte in Zukunft? Nicht zuletzt:
Wer unterstützt sie, ihre eigene – vertraute – Rolle abzulegen und neue Formen der
Zusammenarbeit mit Mitarbeitern zu etablieren?
Fragen, die derzeit Unternehmen auf der
ganzen Welt diskutieren. Und mancherorts
wird aus der Theorie bereits Praxis. In München hatten die Initiatoren der Studie zusammen mit der Human Resources Alliance
(HRA) zu einer internationalen Konferenz
eingeladen, um darüber zu diskutieren. „Das
demokratische Unternehmen – Aufbruch
in eine neue Humanisierung der Arbeitswelt?“ lautete der Titel der Konferenz. Das
Fragezeichen hatten die Veranstalter klug
gesetzt.
Klagelieder und Fährtensucher
Barbara Sommerhoff
Dank digitaler Vernetzung können Mitarbeiter zunehmend orts- und zeitunabhängig
arbeiten. Wissen, das bislang von Experten gehortet wird, und Informationen, die
ausgewählten Hierarchiestufen vorbehalten waren, kann frei zugänglich sein. Mehr
individueller Freiraum, mehr Transparenz:
Das sind nur zwei der vielen in ihrer Wirkung
massiven Folgen von Industrie 4.0. Was bedeuten sie für das Machtgefüge in einem
Unternehmen? Für die Unternehmensleitung und nicht zuletzt für das mittlere Management?
Thema mit Fragezeichen
Führungskräfte stehen, wie bei jedem
Change, vor ganz neuen Aufgaben: Wie kontrollieren sie die Leistung ihrer Mitarbeiter,
oder ist Kontrolle künftig obsolet? Wie viel
Führung braucht Industrie 4.0 überhaupt
noch, und welche Kompetenzen benötigen
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Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) war zur Konferenz angereist. Mitarbei-
ter müssten als „Bürger im Betrieb“ ernst genommen werden. Die Digitalisierung der Arbeitswelt biete enorme Chancen, aber auch
große Risiken, weshalb ein „Flexibilitätskompromiss“ notwendig sei, so die Ministerin.
Wie das so klingt, wenn Politik auf Wirtschaft
trifft.
Auch die IG Metall war vertreten. Vorstandsmitglied Christiane Benner klagte: Trotz Mitbestimmung hätten Mitarbeiter vielfach den
Status von Untertanen. Ihre Rechte endeten
oft am Werktor. Benner konstatierte eine
Überforderung der Führungskräfte. Wobei
sie hier womöglich auch an BR-Mitglieder im
Aufsichtsrat dachte.
Politik und Gewerkschaft an der Klagemauer. Wissenschaft und Wirtschaft auf Fährtensuche. Möchte die Mehrheit der Mitarbeiter tatsächlich über Gehaltshöhe – die
eigene wie die der Kollegen und Vorgesetzten – mitentscheiden, ihre Urlaubsansprü-
DREI STUDIEN DER TU MÜNCHEN ZUM
­DEMOKRATISCHEN UNTERNEHMEN
Von 1.000 Deutschen im Alter von 18
bis 65 Jahren stimmen rund zwei Drittel ganz oder teilweise der Aussage zu,
dass Unternehmen demokratischer
geführt werden sollten.
Zu einer demokratischen Führung gehört nach Ansicht der Befragten
die eigene Führungskraft zu wählen,
die Firmenstrategie mitzubestimmen.
Führungskräfte halten mehr Demokratie im Unternehmen für schwer rea­
lisierbar. Das zeigt die Befragung der
TUM von 45 Führungskräften.
Kleinere Unternehmen agieren nach
eige­ner Einschätzung demokratischer
als größere.
Merkmale einer demokratischen Orga­
ni­
sationsstruktur wirkten sich positiv auf die Attraktivität als Arbeitgeber und auf die Entscheidung, in die
­Unternehmen zu investieren, aus. Das
ist das Ergebnis einer Befragung von
rund 200 Studierenden und Berufsanfängern sowie 78 Investoren.
MANAGEMENT < PERSPEKTIVEN 03-04/2015
che selbst definieren, ihren Chef wählen
und Verantwortung dafür übernehmen,
wer entlassen wird, wenn die Auftragslage
mau ist?
Die Antwort aus wissenschaftlicher Warte lieferte Professor Dr. Klaus Dörre vom
­Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Wer mehr Partizipa­
tion fordert, müsse zunächst einmal klären, wer in einem Betrieb dazugehört, so
Dörre. Gehören beispielsweise auch Teilzeitkräfte dazu? Zeitarbeitnehmer? Und
die via Cloud eher lose verbundenen Freelancer?
Dann müsse ein System entwickelt werden,
das Partizipation krisenfest macht. Aufbruchphasen eines Unternehmens sind prädestiniert für hohe Mitarbeiterbeteiligung,
so der Wissenschaftler. Aber wie sieht es
aus, wenn es dem Unternehmen wirtschaftlich schlecht geht?
Mein wunderbarer Arbeitsplatz
Eine Antwort darauf war kürzlich in einem
Film von Martin Meissonnier (ARTE) zu sehen. Unter dem Titel „Mein wunderbarer
Arbeitsplatz“ zeigt er Unternehmen, die
in massiven wirtschaftlichen Problemen
steckten und gerade deshalb ganz neue
Formen der Zusammenarbeit erprobt haben. Gezeigt werden sogenannte befreite
Unternehmen verschiedenster Branchen
und Größe.
Beispiel Poult, eine traditionsreiche französische Keksfabrik: Statt mit den konventionellen Mitteln – Sparprogramm und
Entlassungen – auf die drohende Insolvenz
zu reagieren, hatte der neue Investor die
gesamte Belegschaft aufgefordert, die
Strategie für den Turnaround gemeinsam zu
entwickeln. Ergebnis: Die gesamte mittlere
Führungsebene wurde abgeschafft, Verantwortlichkeiten wurde neu geregelt, die Produktivität wurde um elf Prozent erhöht.
Als Beispiel aus der öffentlichen Verwaltung zeigt der Film das belgische Sozialministerium. Die Behörde galt als verstaubt,
träge und das Gegenmodell zu einem attraktiven Arbeitgeber. Das hat sich geändert, seit die starre Hierarchie gelockert
wurde, Mitarbeiter mehr Mitsprache bei der
Bearbeitung ihrer Fälle erhielten und an bis
zu drei Tagen in der Woche zu Hause arbeiten können. Die Dauer für die Bearbeitung
eines Falles sank von 18 auf viereinhalb
Monate. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter
sei messbar gestiegen.
Den Innovationsgroßmeister Gore Tex,
ebenfalls im Film präsentiert, trieben keine wirtschaftlichen Nöte zur Veränderung,
sondern die innere Überzeugung des Firmengründers. Das Mantra von Bill Gore
lautet „Make money and have fun“. Mitarbeiter, die heute Teilhaber heißen, wählen
ihre Chefs selbst, werden von sogenannten
Sponsoren gefördert und sollen Spaß an ihrer Arbeit haben. Das Unternehmen erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 3 Mrd.
Dollar. Als der Gründer einmal nach seinem
Erfolgsrezept gefragt wurde, antwortete er:
Indem ich meine Mitarbeiter nicht kontrolliere.
Konfliktreicher Prozess
Das mag nach Spaßkultur klingen. In Wahrheit bedeutet es für die Unternehmen einen
harten und konfliktreichen Transformationsprozess. Partizipation erfordert erhebliche Steuerungsarbeit, warnte auch Professor Dörre auf der Konferenz. Die dafür
notwendige Zeit muss den Mitarbeitern zur
Verfügung gestellt werden. Eine Forderung,
die Change-erprobten Führungskräften aus
der Seele gesprochen sein dürfte. Wie auch
der Hinweis, dass Partizipation ein erhebliches Maß an Unsicherheit schafft. Sein
Resumée: „Niemand will andauernd partizipieren.“
Eine Frage der Persönlichkeit
Wie also das richtige Maß und das passende Konzept finden? Es ist wie im richtigen
Leben eine Frage der Persönlichkeit, die ein
Unternehmen darstellt. Und damit vor allem
eine Frage des Wertesystems, das die Unternehmensleitung repräsentiert. Im Kern,
so der Vorstandsvorsitzende der SpardaBank München, Helmut Lind, gehe es beim
„Demokratischen Unternehmen“ um die
innere Haltung einer Führungskraft. „Demokratie fängt bei mir persönlich an. Ich muss
mich zunächst einmal fragen, wie demokratisch ich selbst tatsächlich bin“, so seine mit
Verve vorgetragene Überzeugung auf der
Konferenz.
Als Vorstandsvorsitzender ist Lind in der
Position, die Rahmenbedingungen für demokratisches miteinander Arbeiten in „seiner“ Bank – natürlich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben – selbst zu schaffen.
So initiiert er beispielsweise umfassende
„Mein wunderbarer
Arbeitsplatz“ von
Martin Meissonnier,
auf Youtube:
www.youtube.com/
watch?v=VCITKMsBgDo
Mit dem Mobilgerät diesen QR-Code scannen.
So gelangen Sie direkt auf die Website.
Mitarbeiterbefragungen über persönliche
Werte und die, die die Bank verkörpern
sollte. Die Ergebnisse der Befragung verschwinden nicht in der Schublade, sondern
dienen als Grundlage für die Unternehmensstrategie der kommenden fünf Jahre.
Für einen Workshop mit Mitarbeitern aller
Führungsebenen setzt der Chef zehn Tage
an. Es braucht Zeit, bis sich in der Gruppe
eine kollegiale Atmosphäre entwickelt und
ein Azubi mit dem Chef auf Augenhöhe diskutiert, sagt Lind. Und: „Keine Zeit“ gibt es
nicht. Wer es ernst meint mit demokratischer Führung, der investiere auch die dafür notwendige Zeit.
Das ist die Gretchenfrage: Wie ernst meinen
wir die Forderung nach „mehr Demokratie“
im Unternehmen?
Im Filmbericht „Mein wunderbarer Arbeitsplatz“ hatten Mitarbeiter von Poult freimütig zugegeben, dass sie zunächst wenig
erbaut davon waren, die Verantwortung für
Projektplanung, Produktentwicklung und
Gehaltsfestlegung übernehmen zu „müssen“. Eine Erfahrung, die viele Führungskräfte aus Mitarbeitergesprächen kennen.
Eigene Ziele zu formulieren, Ansprüche zu
artikulieren, Kritik konstruktiv zu äußern:
Das kostet Kraft, erfordert Vertrauen. Und
es muss gelernt werden. Herausfordernde Aufgaben für ein innovatives Personal­
management.
Kontakt: [email protected]
Barbara Sommerhoff ist Mitinhaberin
der Agentur Schwill Sommerhoff Strategische Kommunikation. Sie unterstützt
Führungskräfte bei der Umsetzung betrieblicher Veränderungsprozesse, in der
Vorbereitung und Durchführung von Mitarbeitergesprächen und Teambildungsphasen sowie bei der Planung und Umsetzung der HR-Kommunikation.
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