PFALZ RHEINPFALZ AM SONNTAG 24. MAI 2015 SEITE 5 „Ich habe nichts falsch gemacht“ Josef Müller aus Buchbach in Oberbayern führt einen gesunden mittelständischen Betrieb mit knapp 50 festangestellten Mitarbeitern. Doch der Firma droht das Aus. Müller hat jahrelang Verschlüsse für Weinflaschen an einen Großhändler an der Mosel geliefert, der seine Rechnungen schleppend beglichen hat. Nachdem der Großhändler nun pleite ist, soll Müller 2,5 Millionen Euro an den Insolvenzverwalter zurückzahlen. Eine Irrfahrt durch das deutsche Insolvenzrecht. Von Michael Konrad ir san verrückt“, sagt Josef Müller (61) mit seinem freundlichen oberbayerischen Zungenschlag, und seine Augen strahlen. Der Chef der Firma Spritzguß Müller in Buchbach bei Mühldorf am Inn ist stolz auf seine Firma. Und er ist stolz auf seine Ideen. Der gelernte Feinmechaniker hat ein Patent auf einen winzigen Kunststoffträger für Mikrochips, der millionenfach nach Fernost verkauft wird. Er hält ein Patent auf einen Viehsaugentwöhner – eine Art Nasenring, der verhindert, dass Kühe aneinander nuckeln. Und er hat ein Patent auf Schraubverschlüsse für Weinflaschen mit Glas- oder Holzeinlage. „Wir machen alles“, sagt Müller, und die Geschäfte laufen gut. Angela Merkel persönlich hat den Firmenchef mit einem Innovationspreis ausgezeichnet – das Bild hängt im Treppenaufgang vor Müllers Büro. M „Insolvenzanfechtung“ heißt das Schlagwort, das Müller und seine Mitarbeiter um den Schlaf bringt. Doch der Mittelständler mit seinen knapp 50 festangestellten Mitarbeitern und fünf Millionen Euro Jahresumsatz könnte vor dem Aus stehen. Es ist das deutsche Insolvenzrecht, das dem oberbayerischen Vorzeigebetrieb das Genick zu brechen droht – für Müller aus heiterem Himmel. Das Wirtschaftsdrama spielt in weiten Teilen in Rheinland-Pfalz. Zehn Jahre lang hat die Spritzguß Müller GmbH Korken und Schraubverschlüsse für Weinflaschen an die Mosel geliefert, an einen Großhändler bei Bernkastel-Kues. Ware im Wert von 800.000 bis eine Million Euro pro Jahr wechselte so den Besitzer, erzählt Müller. Es war ein gutes Geschäft, auch wenn der Großhändler seine Rechnungen ziemlich schleppend beglichen hat. 200.000 bis 300.000 Euro seien schon mal offengeblieben, „aber im Januar oder Februar kam das Geld dann“. Müller dachte sich: Der Großhändler für Winzerbedarf ist halt immer erst nach der Saison wieder flüssig, was soll’s? Solange er am Ende zahlt. Doch im April 2013 meldete der Großhändler Insolvenz an. Rund 200.000 Euro seien da noch ausgestanden für Verschlüsse, die er geliefert hatte, sagt Müller. Keine schöne Entwicklung, aber keine Summe, die die Existenz von Müllers Firma bedroht hätte. Rund ein Jahr später, im Frühjahr 2014, traf den Unternehmer aus Oberbayern dann fast der Schlag. Der Insolvenzverwalter des Großhändlers forderte von Müller 825.000 Euro zurück – den Umsatz eines ganzen Geschäftsjahrs. „Ich hab’ gedacht, das ist ein Witz“, sagt Müller heute. Es war keiner. Mittlerweile fordere der Insolvenzverwalter sogar 2,5 Millionen Euro von der Spritzguß Müller GmbH – rückwirkend für drei Geschäftsjahre, berichtet Müller. Und im Prozess vor dem Landgericht Traunstein steht jetzt die Existenz des Mittelständlers auf dem Spiel. Der Insolvenzverwalter hat ihn verklagt, weil der Oberbayer sich weigert zu zahlen. „Insolvenzanfechtung“ heißt das Schlagwort, das Josef Müller und seine Mitarbeiter um den Schlaf bringt. In diesem Paragrafen der Insolvenzordnung geht es um den Schutz der Gläubiger. „Es soll nicht der Gläubiger belohnt werden, der am hartnäckigsten agiert“, erklärt Tobias Dallmayer, Sprecher des Landgerichts Traunstein. Man kann es noch drastischer formulieren: Mit dem Paragrafen zur Insolvenzanfechtung sollen krumme Geschäfte zu Lasten der Gläubiger verhindert werden, die noch vor der Insolvenz abgewickelt werden. Ein Beispiel: Ein von der Insolvenz bedrohter Unternehmer könnte dafür sorgen, dass ein bestimmter Geschäftspartner noch rechtzeitig sein Geld bekommt und alle anderen späteren Gläubiger leer ausgehen. Das Insolvenzrecht sieht daher vor, dass in solchen Fällen das eingenommene Geld wieder zurückgezahlt werden muss an den Insolvenzverwalter – mit Zins und Zinseszins und im schlimmsten Fall sogar rückwirkend für alle Geschäfte der letzten zehn Jahre. Josef Müller aus Buchbach begreift schon, welche Auswüchse durch das Insolvenzrecht verhindert werden sollen. Aber er versteht nicht, was die Regelung mit seinem Fall zu tun haben soll. „Ich habe nichts falsch gemacht“, sagt der 61-Jährige. Hätte er den Großhändler an der Mosel nicht mehr beliefern sollen, weil dieser schleppend zahlte? Auch sein früherer Arbeitgeber Siemens, für den Müller jetzt die Mikrochip-Hüllen fertigt, habe schon mal eine Rechnung erst Monate verspätet bezahlt. Hätte er da auch die Geschäftsbeziehungen beenden sollen? Müller beantwortet diese Fragen ganz klar mit „Nein“. Er würde auch heute in einem ähnlichen Fall die Geschäftsbeziehungen nicht abbrechen. Deshalb wird der Unternehmer vor dem Landgericht Traunstein auch keinen Vergleich mit dem Insolvenzverwalter abschließen. „Sollen die Richter ihr Urteil fällen“, sagt der Firmenchef trotzig, und die Belegschaft steht offensichtlich hinter ihm. Am ersten Prozesstag haben die Mitarbeiter vor dem Landgericht demonstriert: für ihren Arbeitgeber und gegen eine ihrer Ansicht nach unhaltbare Rechtslage. Die Regelungen im Gesetz beziehungsweise einige höchstrichterliche Urteile zur Insolvenzanfechtung sind in der Tat knallhart. Sobald bestimmte Anzeichen für eine Zahlungsunfähigkeit gegeben sind, gilt ganz einfach die „gesetzliche Vermutung“, dass ein Geschäftspartner des betroffenen Unternehmens davon gewusst hat. Der Wunsch nach Ratenzahlung ist zum Beispiel so ein Anzeichen. Sofort gilt dann die weitere Vermutung: Alle weiteren Transaktionen mit diesem Geschäftspartner wurden mit dem Vorsatz gemacht, andere Gläubiger zu benachteiligen. Müller weist diesen Vorwurf weit von sich. „Warum werde ich jetzt dafür bestraft, dass ich einem Ge- Unregelmäßige Zahlungen können als Beweis für die Zahlungsunfähigkeit eines Geschäftspartners genügen. schäftspartner durch schwierige Phasen geholfen habe?“, fragt er. Besonders brisant an der aktuellen Rechtslage: Nicht der Insolvenzverwalter muss in einem solchen Fall beweisen, dass der Verkäufer von der Schieflage des Geschäftspartners wusste. Der Unternehmer muss beweisen, dass er nichts von der Zahlungsunfähigkeit geahnt hat. Josef Müller, bei dem die Zukunft seines Unternehmens von diesem Beweis abhängt, fragt sich nun, wie er das bewerkstelligen soll. „Es war immer ein Hin und Her, aber am Ende war das Geld da“, sagt er. Das hat ihm – wenn auch mit Zähneknirschen – gereicht. Die „gesetzliche Vermutung“, die ihm als Geschäftsmann Böses unterstellt, – nämlich den Versuch, andere Gläubiger um ihr Geld zu prellen –, ist nicht nur für Josef Müller ein Riesenproblem, sondern für viele Firmen, speziell in saisonabhängigen Branchen, in denen oft grundsätzlich verspätet gezahlt wird (siehe Infokasten). Denn: Wenn unregelmäßige Zahlungen oder ein Rückstand von mehr als zehn Prozent der Gesamtrechnungssumme schon als Beweis für die Zahlungsunfähigkeit eines Geschäftspartners gewertet werden, müssten viele Geschäftsverbindungen umgehend abgebrochen werden, um spätere Rückforderungen des Insolvenzverwalters zu vermeiden. Absurde Pointe des Prozesses vor dem Landgericht Traunstein: Da Josef Müllers Mitarbeiter wissen, dass ihrer Firma die Insolvenz droht, wenn der Chef die 2,5 Millionen Euro zurückzahlen muss, können sie selbst doppelt in die Bredouille kommen. Geht die Spritzguß Müller GmbH tatsächlich pleite, könnte der spätere Insolvenzverwalter der Firma von den Mitarbeitern die letzten drei Monatslöhne zurückfordern – per Insolvenzanfechtung. Die Regelung lautet hier: Alle Zahlungen, die eine Firma in den drei Monaten vor der Insolvenz leistet, können angefochten werden, wenn die Empfänger des Geldes von der drohenden Zahlungsunfähigkeit gewusst haben. Das gilt auch für Angestellte. Jeannette Ludwicki, in der Rechtsabteilung der IHK Pfalz zuständig für Insolvenzrecht, bestätigt, dass das Thema Insolvenzanfechtung für „einige Unsicherheit in der Wirtschaft“ sorgt. Wenn man als Unternehmer juristisch auf der sicheren Seite sein wolle gegen spätere Klagen eines Insolvenzverwalters, müsste man die Geschäftsbeziehung mit einem verzögert zahlenden Geschäftspartner eigentlich beenden, sagt Ludwicki. Doch stelle sich die Frage, ob das in jedem Fall sinnvoll sei. Wenn man zum Beispiel eine finanziell wackelige Firma nicht mehr beliefere, „könnten auch Rettungsmöglichkeiten zunichtegemacht werden“ – und in der Folge könne ein gesamtwirtschaftlicher Schaden entstehen. Die gute Nachricht für Unternehmen: Der Gesetzgeber ist dabei, das Insolvenzrecht zu überarbeiten, weil er die Probleme mit der Insolvenzanfechtung erkannt hat. Das Bundesjustizministerium hat vor einigen Wochen einen Referentenentwurf vorgelegt. Sogar schriftlich fixiertes Ziel dieser Gesetzesinitiative ist es, „den Wirtschaftsverkehr und die (...) Arbeitnehmer von Rechtsunsicherheiten zu entlasten, die von der derzeitigen Praxis des Insolvenzanfechtungsrechts ausgehen“. Der Geschäftsverkehr soll wieder „kalkulier- und planbarer“ werden. Und nicht schon „das Ersuchen um eine verkehrsübliche Zahlungserleichterung“ eines Geschäftspartners solle dazu führen, dass ein Handel mit ihm später vom Insolvenzverwalter angefochten werden kann. Künftig sollen Geschäfte auch nur noch vier Jahre rückwirkend angefochten werden können, nicht mehr – wie derzeit – bis zu zehn Jahre. Klarer kann das Justizministerium kaum zum Ausdruck bringen, dass die derzeitige Situation unhaltbar ist. Josef Müller würde eine Gesetzesänderung nicht mehr helfen – höchstens indirekt, weil der Gesetzgeber damit zu erkennen geben würde, dass derzeit manches schiefläuft. Das könne schon eine Wirkung auf die Richter haben, glaubt Müller. Doch auch das geltende Recht biete ihm durchaus eine Chance auf einen Erfolg vor Gericht. „Nicht das Gesetz ist das Problem, sondern die Auslegung“, sagt Müller. Soll heißen: Schon jetzt hindert niemand die Richter daran zu entscheiden, dass Müller nichts falsch gemacht hat. Das Oberlandesgericht Düsseldorf zum Beispiel hat im Februar in einem Rechtsstreit um eine Insolvenzanfechtung klar gegen einen Insolvenzverwalter und klar für ein Unternehmen entschieden. Nur weil Zahlungen unregelmäßig eingegangen seien, könne nicht zweifelsfrei auf die Zahlungsunfähigkeit einer Firma geschlossen werden, stellten die Richter fest (I-12 U 22/14). Die Verkürzung der Anfechtungsfrist von zehn auf vier Jahre, die die geplante Gesetzesänderung vorsieht, würde Josef Müller nichts bringen. Schon die 2,5 Millionen Euro, die der Insolvenzverwalter seines früheren Geschäftspartners von der Mosel für drei Jahre rückwirkend fordert, würden das Ende für seine Firma bedeuten, sagt der Firmenchef. In der firmeneigenen Weinstube, der „Weinstu’m“, die die Belegschaft hinter der Produktionshalle eingerichtet hat, lädt Müller zu einem Glas Mosel-Riesling. Die Flasche hat seinen Verschluss. Denn die Schraubverschlüsse verkauft er auch weiterhin im großen Stil nach RheinlandPfalz, jetzt meist direkt an die Winzer. Das Geschäft läuft. Noch. Und wenn die Geschichte für den bayerischen Mittelständler gut ausgeht? Auch wenn Müller vor Gericht gewinnen sollte, kostet ihn der Rechtsstreit Geld. „Ich kümmere mich seit einem Jahr nur noch um diesen Scheißdreck“, sagt der 61-Jährige. Dem Firmenchef fehlt seit fast einem Jahr die Zeit für das, wovon sein Unternehmen seit 25 Jahren lebt: Neue Ideen. Gerne auch mal verrückte. BRANCHENÜBLICH WER ZAHLT WANN? EIN POSITIONSPAPIER ' WIE GEHT’S WEITER? Josef Müller hat seine Spritzguß Müller GmbH von der Garagenfirma zu einem Unternehmen gemacht, das seine Produkte weltweit verkauft. Der gelernte Feinmechaniker hält viele Patente. Besonders stolz ist er auf seine Korken aus Kunststoff und Holzspänen und auf seine Schraubverschlüsse für Weinflaschen, die er über das Tochterunternehmen Syncor vertreibt. In den Schraubverschlüssen sorgen – je nach Bedarf – Plättchen aus Glas oder Eichenholz für Dichtigkeit. Die Holzplättchen, sagt Josef Müller, verfeinern sogar das Aroma. (foto: mk) NACHGEFRAGT Wir haben den Insolvenzverwalter des rheinland-pfälzischen Großhändlers, die Kanzlei Prof. Dr. Dr. Thomas B. Schmidt in Trier, um eine Stellungnahme zu dem Fall gebeten. Unsere Anfrage blieb unbeantwortet. Seit etwa 2010 fordern Insolvenzverwalter immer häufiger Geld von früheren Geschäftspartnern des insolventen Unternehmens zurück. Das geht aus einem Positionspapier hervor, das die Bundesverbände von elf Wirtschaftsbranchen vorgelegt haben. Grund für diesen Anstieg sind höchstrichterliche Urteile, die solche Klagen erleichtern. Inzwischen seien die Anfechtungen für die Insolvenzverwalter „ein gängiges Instrument, Lieferanten (...) auf Rückzahlung ordnungsgemäß vereinnahmter Entgelte zu verklagen“, heißt es in dem Positionspapier. Die Klagesummen erreichten dabei oft „existenzbedrohende Höhen“. WAS IST ANFECHTBAR? Die Unternehmerverbände kritisieren am geltenden Recht und der geltenden Rechtsprechung unter anderem, dass ein Unternehmer sich gegen die Unterstellung, er habe von der Zahlungsunfähigkeit seines Geschäftspartners gewusst, „kaum verteidigen kann“. Außerdem wird in dem Positionspapier auf branchentypische Zahlungs-Spielregeln verwiesen, die nach dem geltenden Insolvenzrecht allesamt anfechtbar wären. So könnten zum Beispiel in der Baubranche im Winter viele Zahlungsund Fertigstellungstermine witterungsbedingt nicht eingehalten werden. Besonders belastet von der Rechtsprechung sind laut dem Positionspapier der Handel „und hier insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen“. Diesen entstehe „ein nicht zu bewältigender Aufwand, wenn Zeiträume von bis zu zehn Jahren wegen einer Anfechtung bearbeitet werden müssen“. Auch sei es vielen Betrieben gar nicht möglich, Rückstellungen zu bilden für den Fall von Rückforderungen, mit denen andererseits immer gerechnet werden muss. In der Druckindustrie wiederum, einer Branche mit oftmals langfristig angelegten Geschäftsbeziehungen, gehörten lange Zahlungsziele und Zahlungsaufschübe zum Alltag: „Diese in der Praxis verbreiteten Zahlungsgepflogenheiten können bei unveränderter Handhabung (der Insolvenzanfechtung) zu dramatischen Folgen für die ohnehin angeschlagene Druckindustrie führen.“ BOOMENDES ESCHÄFT Ein Sprecher der IHK München/Oberbayern sprach gegenüber dem Radiosender Bayern 2 vor Kurzem von einem „boomenden Geschäft mit der Insolvenzanfechtung“, an dem vor allem die Insolvenzverwalter verdienten. Fakt ist: Das Honorar beispielsweise für Prozesse wegen Insolvenzanfechtung, das Insolvenzverwalter abrechnen können, richtet sich nach dem Streitwert. (mk) rws_hp05_regi.02
© Copyright 2025 ExpyDoc