Projekt FIBL 1 Entwicklung von Fragebogen-Inventaren für bereichsspezifische Lernstrategien 1 Dr. Julia Riebel & Prof. Dr. Reinhold S. Jäger sowie Charlotte Arndt, cand.-psych., & Felix Gerig, cand.-psych. Ausgangspunkt und Ziel des Projektes 2 Erfolgreiches Lernen ist eine in der Wissensgesellschaft notwendige Voraussetzung für schulischen, aber auch für beruflichen Erfolg. Insbesondere auch das Lebenslange Lernen (Arbinger, Jäger & JägerFlor, 2006)) ist heute mehr denn je gefragt. Um den individuellen Lernprozess zu steuern und zu optimieren bedarf es Lernstrategien. Jeder Lernende setzt – bewusst oder unbewusst – gewisse Lernstrategien ein. Diese können mehr oder weniger sinnvoll und zielführend sein. Nach Weinstein & Meyer (1986, S. 315) definieren wir Lernstrategien als „Verhaltensweisen und Kognitionen, die ein Lernender während des Lernens zur Beeinflussung des Enkodierungsprozesses anwendet“. In der Regel wird hierbei zwischen verschiedenen Arten von Lernstrategien unterschieden, die sich zunächst den drei Kategorien kognitive Strategien, metakognitive Strategien und Ressourcenmanagement zuordnen lassen (Baumert & Köller, 1996). Kognitive Strategien sind solche, die eingesetzt werden um den Enkodierungsprozess beim Lernen zu verbessern und somit wiederum auch den Abruf des gelernten zu erleichtern. Hierunter fallen: Elaborationsstrategien: Man versteht darunter Strategien, bei denen die Tiefe der Verarbeitung bei der Informationsverarbeitung erhöht wird, um den Abruf des Wissens zu erleichtern. Dies gelingt z.B. durch Methoden, die dem zu lernenden Material eine Bedeutung verleihen, wie etwa die Verknüpfung mit einem inneren Bild. Wiederholungsstrategien: Diese werden mitunter auch als eine Subgruppe der Elaborationsstrategien aufgefasst, da hier die Tiefe der Verarbeitung durch mehrfache Wiederholung des zu lernenden Materials erhöht wird. Organisationsstrategien: Sie dienen dazu, dem zu lernenden Material eine Struktur zu geben. Dadurch, dass der Lerner auf der Basis dieser Struktut stets weiß, wo eine neue Information „hingehört“, kann diese besser gelernt oder erinnert werden. Eine typische Organisationsstrategie ist das Erstellen von Mindmaps. Metakognitive Strategien sind solche, die mit der Planung, Kontrolle, Evaluierung und Regulierung eigenen Lernens in Verbindung stehen. Unter Ressourcenmanagement fallen die auch als „Stützstrategien“ (Danserau, 1985) bezeichneten affektiven und motivationalen Strategien, unter die z:B. Stress- und Zeitmanagement fallen. Bei „Lernen lernen“-Veranstaltungen in der Schule, aber auch in einschlägigen Ratgebern (z.B. Leitner, 2011) werden in der Regel allgemeine Lernstrategien vermittelt. Der Vorteil ist hierbei zwar, dass diese sich auf alle denkbaren Kontexte übertragen lassen – jedoch ist die prädiktive Validität der Beherrschung solcher Strategien auf den tatsächlichen Lernerfolg z.B. in verschiedenen Schulfächern eher mäßig (vgl. Friedrich & Mandl, 2005). 2 Deshalb sind spezifische Lernstrategien gefragt: Wie lernt man am besten Englischvokabeln? Wie erlernt man das Führen von mathematischen Beweisen? Auf der Basis solcher Fragen ist es intuitiv einsichtig, dass hierfür jeweils unterschiedliche Strategien aus den Bereichen der Elaborations-, Organisations-, Selbstregulations- und Wissensnutzungsstrategien nützlich sein dürften. 3 Selbst innerhalb eines Unterrichtsfaches sind unterschiedliche Lernstrategien mehr oder weniger zielführend. Um eine Formel innerhalb des Faches Mathematik auswendig zu lernen, sind einfache Wiederholungsstrategien, eventuell gekoppelt mit Mnemotechniken ausreichend. Um aber diese gelernte Formel in einer mathematischen Textaufgabe auch auf einen konkreten Sachverhalt anwenden zu können, werden Wissensnutzungsstrategien gebraucht. Je komplexer die vorgegebene Aufgabe gestaltet ist, desto mehr steigt der Bedarf an metakognitiven Strategien der Planung und Überwachung eigenen Vorgehens. Ähnlich sieht es in anderen Fächern aus: Neben den verschiedenen Lerninhalten in Form von bearbeiteten Themenbereichen (in Mathematik z.B. Geometrie, Algebra…) gibt es verschiedene Kompetenzen, die zunächst als inhaltsfrei zu verstehen sind. Für jede dieser Kompetenzen können unterschiedliche Lernstrategien relevant sein. Gelangt man mithilfe von Operationalisierungen zu einer Inventarisierung aller möglichen fachspezifischen Strategien, so ergeben sich zwei große Nutzungsmöglichkeiten eines solchen Strategieinventars für die Praxis: Nutzen für Lehrkräfte: Lehrkräfte können aus dem vorhandenen Inventar entnehmen, welche konkreten Lernstrategien sie ihren Schülern vermitteln können um innerhalb eines Schulfaches eine spezielle Kompetenz leichter zu erwerben und erfolgreich auf die unterschiedlichsten inhaltlichen Sachverhalte anzuwenden. Dabei gilt, dass nicht jede Strategie für jeden Schüler/ jede Schülerin passend ist. Nutzen für Schüler und deren Lehrer / Eltern: Aus den mithilfe des vorgenannten Vorgehens inventarisierten Strategien lassen sich konkrete Items formulieren und zu einem Lernstrategiefragebogen für Schüler zusammenstellen. In je eigenen Fragebögen für verschiedene Schulfächer können Schüler feststellen, welche Strategien sie überhaupt kennen und auch bereits anwenden. Diese Fragebögen beschreiben damit das Potenzial von Lernstrategien für das jeweilige Fach. Eine Befragung mit Hilfe von Fragebögen lässt damit erkennen, wo ein Lernenr sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft hat und wie eine gezielte Förderung durch Eltern, Lehrer oder Nachhilfelehrer eingeleitet werden. 3 Produkt Um diese beiden genannten Nutzungsmöglichkeiten zu realisieren, ist ein Forschungsprojekt eingerichtet, das der Entwicklung eines Inventars bereichsspezifischer Lernstrategien dient. Das Ziel besteht somit in der Entwicklung von vier bereichsspezifischen Lernstrategie-Fragebögen: Mathe-FIBL Deutsch-FIBL Nawi-FIBL Sprach-FIBL 4 Diese erfassen das Spezifikum, nämlich jeweils die bereichs- bzw. schulfachspezifischen kognitiven und metakognitiven Kompetenzen. Zusätzlich wird ein Fundamentum, nämlich ein allgemeiner Teil zu fächerübergreifenden Strategien aus dem Bereich der Stützstrategien angesiedelt, die über mehrere Schulfächer hinweg von gleicher Bedeutung sind (siehe Abbildung 2). Abbildung 1: Spezifikum und Fundamentum der geplanten Fragebögen Vorgehensweise Die Grundfrage besteht aber in Folgendem: Wie kommt man zu einer möglichst umfassenden Operationalisierung konkreter Strategien? Zur Beantwortung dieser Grundfrage bietet sich der Einsatz der Delphi-Methode an. Zwar ist der Bereich Lernstrategien alles andere als ein neues Forschungsfeld, jedoch rechtfertigt sich der Einsatz der Delphi-Methode dadurch, dass ein gegebener, diffuser Sachverhalt (z.B. Elaborationsstrategien im Bereich mathematischen Argumentierens) mithilfe konkreter, für Schüler alltagstauglicher Anwendungen operationalisiert wird. Dies entspricht dem Vorgehen bei einer Delphi-Befragung von Typ 3 nach der Kategorisierung von Häder (2009). Die hierbei zu befragenden Experten sind die Lehrkräfte– sie können am besten Auskunft darüber geben, welche Strategien auch tatsächlich praktikabel sind. Die Lehrkräfte fungieren in diesem Szenario als local educational scientists (Jäger, i. Druck) an der Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis. Sie tragen durch ihren Input zur wissenschaftlichen Aufarbeitung eines neuen Themenfeldes bei und erhalten im Austausch der Experten untereinander das gesammelte und aggregierte Wissen 4 ihrer Kollegen sowie am Ende ein praxistaugliches Inventar von Lernstrategien, dass sich zudem in einem Fragebogenverfahren zur Erfassung des aktuellen Standes bei Schülern einsetzen lässt. Duffield (1993) weist außerdem darauf hin, dass Wert darauf gelegt werden sollte dass die jeweiligen Experten auch über den notwendigen Einfluss verfügen, um die bei der Delphibefragung vorgefundenen Ergebnisse später in die Praxis umsetzen zu können. Wie kann eine solche Delphibefragung durchgeführt werden? 5 In einer ersten, qualitativen Befragungsrunde werden daher Lehrkräfte gebeten, konkrete Lernstrategien zu den einzelnen Kombinationen aus Kompetenzen und Lernstrategiearten vorzuschlagen. Die Befragung erfolgt dabei getrennt für die vier genannten Schulfächer. Über die Praxistauglichkeit der einzelnen Operationalisierungsvorschläge entscheiden auch wiederum die Lehrkräfte selbst indem ihnen in einer zweiten quantitativen Befragungsrunde die vorher inhaltsanalytisch ausgewerteten und bereinigten Vorschläge aller Beteiligten erneut vorgelegt werden. Sie geben dann ein Rating darüber ab, für wie praktikabel sie die einzelnen Vorschläge einschätzen. Hierbei sind jeweils drei Ratings für die Eignung der vorgeschlagenen Strategie abzugeben: für das Leistungsniveau durchschnittlicher Schüler für Schüler, die einer speziellen Förderung bedürfen, weil sie deutlich unter dem aktuellen Niveau liegen für Schüler, die einer speziellen Förderung bedürfen, weil sie deutlich über dem aktuellen Niveau liegen Auf diese Art und Weise resultieren auf der Basis der Mittelwerte und Standardabweichung der Ratings mehrheitsfähige Vorschläge, die einer großen Anzahl an Personen als praktikabel und sinnvoll erscheinen. Die auf diese Art Und Weise als beste Strategien identifizierten Vorschläge werden dann als konkrete Items formuliert und zu einem ersten prototypischen Testverfahren zusammengestellt. In einer dritten Befragungswelle werden die teilnehmenden Lehrkräfte gebeten, die vorläufigen Verfahren von möglichst vielen Schülern ausfüllen zu lassen. Aufgrund der durch diese Erprobung gewonnenen statistischen und testtheoretischen Informationen werden die vier Fragebogeninventare endgültig zusammengestellt. Den Projektabschluss bildet die Etablierung einer Datenbank, aus welcher Informationen darüber entnommen werden können, wie bestimmte Strategien des domänenspezifischen Lernens in Handlungen überführt werden können. 5 Literatur Arbinger, R., Jäger, R. S. & Jäger-Flor, D. (2006). Lernen lernen. Ein Lern- und Arbeitsbuch. Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Baumert, J. & Köller, O. (1996). Lernstrategien und schulische Leistungen. In J. Möller & O. Köller (Hrsg.), Emotionen, Kognitionen und Schulleistungen (S. 137-154). Weinheim: Beltz. Danserau, D. F. (1985). Learning Strategy Research. In J.W. Segal, S.F. Chipman & R. Glaser (Eds.), Thinking and Learning Skills (Vol. 1, Pp. 209-239). Hillsdale, NJ: Erlbau. 6 Duffield, C. (1993). The Delphi-Technique: A comparison of results using two expert panels. International Journal of Nursing Studies, 30 (3), S.227-237 Häder, M. (2009). Delphi-Befragungen. Wiesbaden: VS Jäger, R.S. (2011). Diagnostik und Evaluation – zwei untrennbare Geschwister in der Bildungsforschung – ein Plädoyer für den Local Educational Scientist. In Zlatkin-Troitschanskaja, O. (Hg.). Stationen Empirischer Bildungsforschung. Traditionslinien und Perspektiven (S. 479 -489). Wiesbaden: VS Verlag. Leitner, S. (2011). So lernt man Lernen. Freiburg: Herder Mandl, H. & Friedrich, H.F. (2005) Handbuch Lernstrategien. Göttingen: Hogrefe Weinstein, C.E. & Mayer, R.E. (1986). The Teaching of Learning Strategies. In M. C. Wittrock (Hrsg)., Handbook of Research on Teaching (S. 315-327). New York: Macmillan 6
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