Harald Geißler Name des Coaching-Tools: „Handlungslogik“ Kurzbeschreibung: Das Tool „Handlungslogik“ dient dazu, • logische Implikationen und mögliche Vorannahmen in (1) Werten, (2) Zielen, (3) zielführenden bzw. wertbegründeten Maßnahmen und (4) Realitätseinschätzungen zu erkennen und voneinander unterscheiden zu können • sowie mögliche logische Widersprüche zwischen (1) verschiedenen Werten, (2) Zielen und Werten, (3) verschiedenen Zielen, (4) Zielen und zielführenden bzw. wertbegründeten Maßnahmen sowie (5) zwischen verschiedenen zielführenden bzw. wertbegründeten Maßnahmen zu erkennen und auf diese Weise • zum einen auf den ersten Blick unlogisch erscheinende Handlungen (von anderen und von einem selbst) dadurch besser zu verstehen, dass ihre verdeckte Logik erkannt wird, • und zum anderen die Planung des eigenen Handelns kritisch zu überprüfen und zu verbessern. Beispiele für logische Implikationen und mögliche Vorannahmen: • Der Wert „Leistung“ impliziert notwendigerweise die Vorstellung eines oder mehrer Akteure, die mit ihrem Handeln ursächlich das bewirken oder wesentlich mitbewirken, was als Leistung bezeichnet und sozial positiv bewertet wird. Eine mögliche (aber nicht nötige) Vorannahme kann dabei sein, dass die Akteure ihre Handlungen zweckrational anlegen und bewusst steuern. • Das Ziel „Leistungssteigerung“ impliziert notwendigerweise, dass Leistung quantitativ messbar ist, sodass verschiedene Leistungsniveaus unterschieden werden können. Eine mögliche (aber nicht notwendige) Vorannahme kann dabei sein, das die Leistungsmotivation der Akteure die alles entscheidende Rolle spielt. • Die zielführende bzw. wertbegründete Maßnahme „Leistungsprämie“ impliziert notwendigerweise die Vorstellung von materiellen Zuwendungen, die von den Leistungserbringern als Belohnung wahrgenommen werden. Eine mögliche (aber nicht notwendige) Vorannahme kann dabei sein, dass diejenigen, die diese Zuwendungen nicht bekommen, dieses nicht als Bestrafung auffassen. • Die Realitätseinschätzung, dass es in einem Unternehmen ungenutzte „Leistungspotenziale“ gibt, impliziert notwendigerweise, dass es für die vorliegende Leistung bestimmte verursachende Faktoren gibt, auf die verändernd eingewirkt werden kann, sodass die vorliegende Leistung gesteigert werden kann. Eine mögliche (aber nicht notwendige) Vorannahme kann dabei sein, dass Potenziale (ähnlich wie der leere Raum eines nur teilweise gefüllten Tanks) quantitativ erfasst werden können. Beispiele für logische Widersprüche: • Verschiedene Werte: Wer Wert auf eine kreative Persönlichkeitsentwicklung seiner Mitarbeiter legt, kann nicht von ihnen verlangen, dass Pflichterfüllung ihr oberster Wert ist. • Ziele und Werte: Wer Wert auf eine kreative Persönlichkeitsentwicklung seiner Mitarbeiter legt, kann sie nicht auf das Ziel verpflichten, alle Möglichkeiten der Kostenreduktion auszuschöpfen. • Unterschiedliche Ziele: Reduktion der operativen Kosten und Innovation sind als Ziele logisch unvereinbar. • Ziele und zielführende bzw. wertbegründete Maßnahmen: Das Ziel, innovativer zu sein, steht im Widerspruch zu Routineaufgaben als vorherrschender Maßnahme der Zielerreichung. • Unterschiedliche zielführende bzw. wertbegründete Maßnahmen: Leistungsprämien für den Einzelnen fördern Konkurrenz und stehen deshalb im Widerspruch zu der Maßnahme, Gruppenarbeit einzuführen. -2- Anwendungsbereiche: Das Tool „Handlungslogik“ ist in drei Phasen des Coaching-Prozesses anwendbar: • In der Phase 2 (Gemeinsame inhaltliche Orientierung und Zielklärung) kann mit dem Tool überprüft werden, o welche logischen Implikationen und Vorannahmen in den Zielen, die der Klient mit dem Coaching verfolgt, (unbewusst) mitenthalten sind o und ob die verschiedenen Ziele des Klienten logisch widerspruchsfrei sind. • In der Phase 3 (Analyse des Klientenumfeldes) kann das Tool dazu dienen, die „verdeckte Handlungslogik“ (siehe unten) problematischer bzw. für den Klienten schwer verstehbarer Handlungen (von anderen und auch von dem Klienten selbst) zu rekonstruieren und so jenes Handeln besser verstehbar zu machen. • In der Phase 4 (Einsatz von Methoden zur Veränderung) kann mit Hilfe des Tools geprüft werden, ob die zielführenden Maßnahmen, die der Klient erwägt, untereinander und mit Bezug auf die verfolgten Ziele logisch widerspruchsfrei sind. Das Tool ist besonders bei Personen zu empfehlen, die mit Psychologie keine Erfahrung und möglicherweise auch hierzu eine negative Voreinstellung haben, für ihr Handeln jedoch beanspruchen, dass es logisch sein müsse. Mit dem Tool „Handlungslogik“ können sie für den Bereich der Psycho-„Logik“ geöffnet werden. Zielsetzung/Effekte: Mit dem Tool kann der Klient trainiert werden, Reibungsverluste zu mindern bzw. zu vermeiden, die dadurch entstehen, • dass er das Handeln anderer und auch seine eigenen Handlungsweisen nicht gut genug versteht (siehe „verdeckte Handlungslogik“), • dass er deshalb mit seinen zielführenden Maßnahmen an den falschen Stellen ansetzt • und sich dabei ggf. für Maßnahmen entscheidet, die seine Zielen nicht gut genug entsprechen oder ihnen sogar zuwiderlaufen. Mit anderen Worten: Mit dem Tool können drei Ziele verfolgt werden, nämlich dem Klienten zu helfen und ihn zu trainieren, • Handlungen anderer und auch eigene Handlungsweisen besser zu verstehen, indem eine „verdeckte Handlungslogik“ (siehe unten) erkannt wird und er auf diese Weise Zugang zur Psycho-Logik (d.h. „Logik“ von Emotionen, Wahrnehmungsverzerrungen, Interpretationsverzerrungen u.a.m.) bekommt, • auf der Grundlage dieser (Selbst-)Erkenntnis diejenigen Punkte zu erkennen, wo der Klient sinnvoll mit zielführenden Maßnahmen ansetzen kann • und dabei zu erkennen, ob letztere untereinander und mit Bezug auf übergeordnete Ziele, die ihm wichtig sind, eventuell logische Widersprüche aufweisen. Ausführliche Beschreibung: Die Logik zielführenden Handelns beinhaltet sechs Bestimmungsstücke, die zu berücksichtigen sind, nämlich 1. die zugrunde gelegten Ziele und Werte, 2. die vorliegenden Bedingungen des Umfeldes und der eigenen Person, 3. die denkmöglichen Handlungen, 4. die Realisierungskosten der jeweiligen Handlungsmöglichkeiten, 5. ihre Folgen bzw. Folgekosten 6. und Vorannahmen über die kausalen Beziehungen zwischen bestimmten Bedingungen, Handlungen und Folgen. -3- Diese sechs Bestimmungsstücke lassen sich folgendermaßen in Beziehung setzen: • Wenn die Bedingungen (B) vorliegen • und wenn ich - angesichts dieser Bedingungen und mit Blick auf die Gesamtheit aller meiner relevanten Ziele (Z-ges.) und Werte (W-ges.) - ein bestimmtes Ziel (Z-1) erreichen will, • sollte ich auf der Grundlage meines Vorwissens bzw. meiner Vorannahmen (V) über die kausalen Zusammenhänge zwischen Bedingungen, Handlungen und Folgen aus der Gesamtheit aller denkmöglichen Handlungen (H-1 bis H-n) diejenige Handlung (H-x) wählen, die ich mit Blick auf alle erwartbaren Realisierungskosten (K) sowie mit Bezug auf alle erwartbaren Folgen/Nebenwirkungen (F) am besten bewerte. Beispiel: Der Mitarbeiter Meier sagt seinem Vorgesetzten, dass er von dem Kollegen Schulze gemobbt wird (B). Der erste Impuls des Vorgesetzten ist, sofort zum Personalchef zu gehen und ihn um eine Abmahnung zu bitten (H-x). Denn Mobbing vermindert die Leistungsfähigkeit des Teams (Z-ges.) und belastet das Arbeitklima (W-ges.). Zuvor jedoch prüft er unter Nutzung seines Vorwissens bzw. seiner Vorannahmen (V), ob es noch andere Möglichkeiten (H-1 bis H-n) gibt, die hinsichtlich des notwendigen Arbeitseinsatzes (K) und der zu erwartenden Folgen (F) sich als günstiger erweisen, - wie z.B. zunächst einmal die Behauptung des Mitarbeiters Meier zu überprüfen, indem er sich von ihm genau beschreiben lässt, wie er von seinem Kollegen gemobbt worden ist und ob es dafür Zeugen gibt. Streng genommen steht jeder, der zielführend handelt, in erster Hinsicht sich selbst die logische Schlüssigkeit seiner geplanten Handlungen zu beweisen. Im Ideal sollten zu diesem Zweck folgende zehn Prüfschritte durchgeführt werden: 1. möglichst vollständige Erfassung und hinreichende Konkretisierung aller eigenen Werte und aktuell relevanten Einzelziele, 2. Prüfung der logischen Stimmigkeit der grundsätzlichen Werten untereinander, der aktuell relevanten Einzelziele untereinander und der Beziehung der grundsätzlichen Werte und aktuell relevanten Einzelzielen, 3. Priorisierung aller grundsätzlichen Werte und aktuell relevanten Einzelziele, 4. Fixierung auf ein bestimmtes Einzelziel Z-1, das im Folgenden im Mittelpunkt stehen soll, 5. Erfassung der vorliegenden Bedingungen speziell mit Bezug auf das ausgewählte Einzelziel und im Weiteren mit Bezug auf die Gesamtheit aller grundsätzlichen Werte, 6. Brainstorming aller Handlungen (H-1 bis H-n), die denkmöglich sind, um das Einzelziel Z-1 zu erreichen, 7. Überprüfung des im Folgenden zu nutzenden Vorwissens bzw. Vorannahmen über die kausalen Zusammenhänge zwischen Bedingungen, Handlungen und ihren Folgen, 8. Bestimmung der vermutlichen Realisierungskosten der verschiedenen möglichen Handlungen, 9. Bestimmung der erwartbaren Folgen/Nebenwirkungen der verschiedenen möglichen Handlungen, 10. abschließende Bewertung und Entscheidung für eine bestimmte Handlung. Die Praxis zeigt, dass das Handeln anderer oft recht unlogisch erscheint und dass ähnliches manchmal auch für das eigene Handeln gilt. Hierfür gibt es zwei Erklärungsansätze: • Die betreffende Person hat die Regeln der Handlungslogik fehlerhaft angewendet • oder sie hat sie richtig angewendet, – aber der Beobachter der Handlung erkennt das nicht, weil er von falschen, d.h. von anderen Vorannahmen ausgeht als die beobachtete und beurteilte Person. -4- Es ist ein Gebot der Logik, nicht vorschnell eine Handlung als unlogisch zu bewerten, sondern zunächst mit der Möglichkeit einer „verdeckten Handlungslogik“ zu rechnen. In diesem Sinne ist zu prüfen, unter welchen Umständen die fragliche Handlung als logisch beurteilt werden müsste. Im Einzelnen heißt das: Es müssen • entweder das Bild, das die betreffende Person von ihrer Wirklichkeit hat, • die Ziele und Werte, an der sich die betreffenden Person orientiert, • die erwarteten Realisierungskosten der von ihr durchgeführten Handlung • und/oder die erwarteten Folgen und Folgekosten dieser Handlung in einem Gedankenspiel so lange variiert werden, bis ihre Verknüpfung von jedem vernünftig denkenden Menschen als logisch beurteilt werden muss. Beispiel: Ein Vorgesetzter weiß, dass er die Leistungsziele seines Teams nur erreichen kann, wenn seine Mitarbeitern selbstständiger arbeiten. Da sie das aber nicht machen, gibt er ihnen ständig detaillierte Anweisungen und kontrolliert sie pedantisch. Dieses Handeln erscheint auf den ersten Blick unlogisch, weil der Vorgesetzte mit seinem Handeln systematisch verhindert, was er will, nämlich ein hinreichend leistungsfähiges Team. Als logisch hingegen erscheint sein Handeln, wenn man davon ausgeht, dass der Vorgesetzte bei seinem Handeln von der (wahrscheinlich ungeprüften) Vorannahme ausgeht, dass seine Mitarbeiter zu selbstständiger Arbeit absolut nicht in der Lage sind und er sie deshalb detailliert anleiten muss. Im Coaching wäre es sinnvoll, den Vorgesetzten zunächst einmal aufzufordern die Beobachtungen zu nennen, auf die sich seine Vorannahme stützen, und zu klären, welchen (heimlichen) Nutzen er aus der Unselbständigkeit seiner Mitarbeiter zieht. Voraussetzungen/Kenntnisse: Der Coach, der das Tool „Handlungslogik“ einsetzt, muss erstens sehr schnell und sicher die logischen Implikationen von Werten und Zielen und besonders von zielführenden bzw. wertbegründeten Maßnahmen und Realitätseinschätzungen erkennen können. Die Grundlagen hierfür werden in den verschiedenen sozialwissenschaftlichen Studienfächern vermittelt. Darüber hinaus muss er zweitens sehr schnell und sicher, „verdeckte Handlungslogiken“ aufdecken können. Diese Fähigkeit wird in verschiedenen Schulen vor allem systemischer Coaching-Ausbildung vermittelt. Persönliche Hinweise/Kommentar/Erfahrungen: Es ist wichtig, dass der Klient die oben genannten sechs Bestimmungsstücke der Handlungslogik und ggf. auch die zehn Prüfschritte explizit kennen lernt. Ziel des Coaching muss jedoch sein, das Tool spontan und intuitiv anwenden zu können. Besonders reizvoll ist es deshalb, es situativ einzusetzen, indem z.B. konfrontativ gefragt wird: • Ist diese Handlung, an die Sie da gerade denken, wirklich logisch zwingend notwendig? • Oder: Ist dieses Ziel mit Ihren Werten und mit Ihren anderen Zielen überhaupt logisch vereinbar? Aber auch sanftere Einsatzmöglichkeiten sind denkbar, wie etwa der Vorschlag: • Sie haben gerade das Bild der vorliegenden Bedingungen (oder bestimmter ins Auge gefasster Maßnahmen) gezeichnet. In diesem Bild sind bestimmte Vorannahmen Werte enthalten. Es scheint mir ratsam, sich mit ihnen etwas eingehender zu befassen. Quellen/Weiterführende Literatur: Argyris, Chr.: Reasoning, Learning and Action: Individual and Organizational. San Francisco 1982 Senge, P.M./ Kleiner, A./ Smith, B./ Roberts, Ch./ Ross, R.: Das Fieldbook zur Fünften -5- Disziplin. Stuttgart 2. Aufl. 1997 S. 279 - 284 Toulmin, H.: Der Gebrauch von Argumenten. Kronberg 1975
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