Jüdisches Erholungsheim

Jüdisches Erholungsheim
Das Ehepaar Sachs, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Berlin, gründete 1899 die
Stiftung Jüdisches Genesungsheim Lehnitz. Dieses sollte primär der Erholung von
mittellosen Frauen und Kindern dienen und war von 1900 bis 1933 lediglich in den
Sommermonaten in Benutzung. Die Aufenthalte waren in den ersten 22 Jahren für
die Besucher kostenfrei.
Zeitgleich zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde das Haus umgebaut, sodass es zur ganzjährigen
Nutzung zur Verfügung stand. Nach der Wiedereröffnung des „Erholungsheimes“ im Juni 1934 – bei der Frieda
Glücksmann als neue Leiterin eingesetzt wurde – erfüllte das Haus vier Funktionen: Es diente als Erholungsheim,
Kinderheim, Tagungszentrum sowie als Hauswirtschaftsschule.
Die Bettenanzahl des Erholungsheimes wurde von 50 auf 134 aufgestockt. Das Heim wurde sehr viel genutzt, bis 1938
stieg die Anzahl der Erholungssuchenden stetig an. Die Besucher wurden umfassend betreut und gut verpflegt, teilweise
mit speziellen Diäten. Die Ernährung im Heim erfolgte nach den rituellen Vorschriften der jüdischen Religion (koscher),
weshalb die Beschaffung der Lebensmittel mit erheblichem finanziellem und organisatorischem Aufwand verbunden war.
In der Regel wurden im Kinderheim zwischen 20 bis 30 Kinder betreut, in den Ferien stieg die Zahl auf bis zu 70 Kinder
an. Ziel war es, den Kindern das Gefühl von Ruhe und Geborgenheit zu vermitteln. Da jüdischen Kinder ab 1935 der
Besuch öffentlicher Schulen erschwert, später verboten, wurde, die jüdischen Schulen in Berlin aber nicht die Kapazität für
so viele Neuzugänge hatte, wurden einige Kinder im Heim unterrichtet.
In der Lehnitzer Einrichtung war es ab 1935 für
Schulabgängerinnen möglich, ein “hauswirtschaftliches
Lehrjahr“ zu absolvieren. Bis zu 40 Teilnehmerinnen
pro Jahrgang wurden zur Hauswirtschaftsschule zugelassen. Die Mädchen bekamen neben dem Unterricht,
der die Fächer Pädagogik, Musik, Englisch, Hebräisch,
jüdische und allgemeine Geschichte sowie deutsche
Literatur beinhaltete, vor allem Einblicke in Küchenund Gartenarbeit, die Betreuung von Gästen und die
Vorbereitung von Schulungskursen und Tagungen.
Lehnitz als Tagungszentrum machte das Heim in der
deutschen Judenheit über die Region hinaus bekannt.
Viele jüdische Gruppen und vor allem zentrale
Organisationen, wie der Jüdische Frauenbund, die
Beim Gottesdienst an einem Feiertag in der Synagoge von Lehnitz,
Reichsvertretung der Juden in Deutschland und der
Fotografie, zwischen 1935 und 1938, © Jüdisches Museum Berlin,
Reichsausschuss der jüdischen Jugendverbände hielten Inv.-Nr. 2003/201/4, Schenkung von Ernest J. Mann
dort Tagungen und Seminare ab. Die gewählten
Konferenzthemen (unter anderem Zionismus oder Alijah, die Auswanderung nach Israel) spiegeln die Probleme, vor denen
jüdische Organisationen bis 1938 standen, wider.
Das wirklich Besondere des Hauses zeigt sich daran, dass im Jahr 1935 der Kohlenkeller zu einem Gottesdienstraum
umfunktioniert wurde. Der Raum bot bis zu 50 Teilnehmern Sitzplätze, an Festtagen versammelten sich dort bis zu 140
Gläubige. Die Gründung einer Synagoge – die gleichzeitig einen klaren Standpunkt zum jüdischen Glauben ausdrückt – ist
einmalig in der Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland nach 1933.
Katarina Rudolph