Prof. Dr. Dres.h.c. Ulfrid Neumann Sommersemester 2016 Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie Hausarbeit In dem Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ aus dem Jahre 1946 schreibt Gustav Radbruch: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges Recht‘, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren denn als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.“ Aufgabe: 1. Welche Position bezieht Radbruch in diesem Text („Radbruchsche Formel“) im Verhältnis zu Rechtspositivismus einerseits, Rechtsmoralismus („Naturrecht“) andererseits? Erläutern und bewerten Sie die Gesichtspunkte, die sich nach diesem Text für ein rechtspositivistisches bzw. für ein rechtsmoralistisches Modell der Rechtsgeltung anführen lassen. 2. Innerhalb der „Radbruchschen Formel“ wird zwischen der „Unerträglichkeitsformel“ und der „Verleugnungsformel“ unterschieden. Erläutern Sie diese beiden „Teilformeln“ und nehmen Sie Stellung zu der Behauptung Radbruchs, dass mit Hilfe der „Verleugnungsformel“ ein präzise Grenzziehung vorgenommen werden könne. 3. Versuchen Sie, die einzelnen Bestimmungen der „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbetreibenden“ vom 12. November 1938 (Anlage) anhand der Radbruchschen Formel einem „Geltungstest“ zu unterziehen. Differenzieren Sie dabei zwischen der „Unerträglichkeitsformel“ und der „Verleugnungsformel“. Bearbeitungshinweis: Die drei Teilaufgaben sollten in etwa gleichgewichtig bearbeitet werden. Die Arbeit sollte einen Umfang von 15 Seiten nicht überschreiten. Hinsichtlich der formalen Gestaltung des Textes wird auf den Formalien-Reader (http://www.jura.unifrankfurt.de/49827895/Leitfaden_HA) verwiesen. Ausgabe der Hausarbeit: 18. Juli 2016. Abgabe: 17. Oktober 2016 (bis 12.30 im Sekretariat des Lehrstuhls oder Datum des Poststempels). Rückgabe: Wird noch bekannt gegeben. (Anlage) „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbetreibenden“ vom 12. November 1938 §1 Alle Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9. und 10. November 1938 an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen entstanden sind, sind von dem jüdischen Inhaber oder jüdischen Gewerbetreibenden sofort zu beseitigen. §2 (1) Die Kosten der Wiederherstellung trägt der Inhaber der betroffenen jüdischen Gewerbebetriebe und Wohnungen. (2) Versicherungsansprüche von Juden deutscher Staatsangehörigkeit werden zugunsten des Reichs beschlagnahmt. §3… Berlin, den 12. November 1938 Der Beauftragte für den Vierjahresplan Göring
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