1: Günter Stamsen, ehem. Schüler, *20.10.1950 -‐ †19.1.2016 „Wir tragen Dich im Herzen“ Michael v. Studnitz*, 69 Jahre, hielt diese Rede am 22. Januar 2016 vor der Trauergemeinde in Stapel anlässlich des plötzlichen Todes von Günter Stamsen. Mitte Dezember 2015 hatten wir uns im Kaufhaus Dodenhof in der Cafeteria noch zum lustigen Plauschen getroffen: Günter und ich. Und nun das: eine Trauerfeier für ihn. Aber in diesem Wort steckt auch das Wort Feier. Wir wollen trauern, aber auch Günter feiern. In den frühen Sechzigern des letzten Jahrhunderts kreuzten sich zum ersten Male unsere Wege in Ottersberg in der Freien Rudolf-‐Steiner-‐Schule. Zu dieser Zeit war Erich Heye Geschäftsführer der Schule und auch Heimleiter des im Frühjahr 1961 von ihm auf dem Amtshof gegründeten neuen Internats. Damals musste die Waldorfschule um jeden Schüler kämpfen. Jeden Morgen wurden deshalb in zwei Kleinbussen die Schüler aus der Region herangefahren. Günter wurde morgens mit dem etwas klapperigen Kleinbus aus Zeven in die Schule nach Ottersberg gebracht. Als Internatsschüler hatte ich einen etwas kürzeren Weg. Die Chauffeure dieser beiden Busse waren meist Kurt Herold, gen.„Kuddel“ Lampe und Erich Heye. Vermutlich diese beiden, weil zu dieser Zeit kaum ein anderer Lehrer einen Führerschein hatte. Günter wurde also von Erich Heye zur Schule gefahren. Ich wurde von ihm im Internat pädagogisch betreut. Das hatte für uns beide tiefgreifende biografische Folgen, wie einige von den hier Anwesenden wissen. Erich Heye gründete dann in den mittleren Sechzigern den Jugendhof Welpenmühle in Quelkhorn. Seinerzeit war das wohl das sozialpädagogisch innovativste Projekt in Deutschland. Dort war ich seit dessen Gründung regelmäßig zu Besuch. Später dort auch als Honorarkraft in Lohn und Brot. Hier traf ich dann auch Günter wieder. Er war dort pädagogischer Mitarbeiter. Dort begann eine Freundschaft mit Günter, die bis heute einen festen Bestand hatte. In den späten Sechzigern wohnten Reinhardt Wulff und ich als Studenten der Kunststudienstätte in Ottersberg in der Großen Straße als Hausgemeinschaft neben dem damaligen Möbelhaus von Bargen in dem alten Wohnhaus von Ella Cygan, (ehem. Lehrerin). In dieser Zeit besuchten wir regelmäßig zusammen den Jugendhof. Auch das blieb für Günter und Reinhardt nicht ohne tiefgreifende Folgen. Der letztere gründete später den Inarihof in Stapel. Günter folgte ihm nach der Schließung des Jugendhofes als Mitarbeiter nach. Viola Heye (Tochter von Erich) sagte mir gestern am Telefon: Günter war ein Brückenbauer und bewegte sich zwischen den verschiedensten Welten. Das trifft es eigentlich am besten. Er bewegte sich geschmeidig in den verschiedensten sozialen und gesellschaftlichen Gruppen. Das war das besondere an Günter: seine Menschlichkeit, seine an Selbstaufgabe grenzende Hilfsbereitschaft, seine Treue, sein Humor, seine Freude am Unsinn und auch seine wunderbare Widersprüchlichkeit. 2: In der linken Hand den Aussaatkalender von Maria Thun, in der rechten Hand einen Doppel Whopper von Burger King. Das war Günter. Günter liebte fast alle Menschen und wollte aber auch von den meisten geliebt werden. Aber das hatte, selbst bei ihm, seine Grenzen. Dazu zum Abschluss eine kleine Geschichte von unserem gemeinsamen Ausflug nach Dänemark. Einige von Euch erinnern sich sicherlich an seinen leicht überdimensionierten Campingwagen, der mindestens alle zwei Tage wegen seines riesigen Spritverbrauches bei Oma Shell in Ottersberg vollgetankt werden musste. Mit diesem Monstrum fuhren Günter und ich in den späten Siebzigern mit einigen Jugendlichen des Jugendhofes in ein internationales Ferienlager nach Twind, in den Norden von Dänemark. Die Twindschulen galten damals als schulpädagogisches Pilotprojekt. Dieses Jugendlager entpuppte sich aber recht schnell -‐ neben einigen wirklich schönen und guten Angeboten -‐ als paramilitärische Freizeit mit frühmorgendlichen Fahnen-‐Appell, marschieren im Gleichschritt und chinesischer Massenfrühgymnastik mit den rund 400 internationalen Teilnehmern. Günter durfte man aber nie unterschätzen. Auf seine Anregung hin entwickelten wir zusammen den Plan, die wehrsportähnlichen Programmpunkte zu sabotieren. Zuerst der Programmpunkt Marschieren: Wir marschierten also auf Günters Vorschlag nicht im Gleichschritt, sondern provokativ im lockeren Spazierschritt. Eine verbissene und entnervte Twind-‐Lehrerin wies Günter streng zurecht. Er antwortete: „Die Deutschen hätten genug marschiert“. Er spazierte bis zum Ende des Aufenthaltes nicht im Gleichschritt. Die dänischen Pädagogen kapitulierten. Sabotagepunkt zwei: Beim morgendlichen Appel dort wurden wir nach Nationen sortiert. Wessen Fahne zuerst ganz links vorne hing, dessen Nation durfte ganz vorne aufmarschieren. Die maoistischen Twindler hätten es natürlich gerne gesehen, wenn die ebenfalls eingeladenen Befreiungsbewegungen -‐ wie beispielsweise die Palästinenser -‐ ganz vorne marschiert wären. Einige ahnen sicher schon, wie es ausging: Günter stand täglich im Morgengrauen auf und hisste vor allen anderen Nationen die deutsche Fahne an erster Stelle links. Bis auf eine Ausnahme führte die deutsche Nation täglich den Aufmarsch an. Marschierte aber im lässigen Spaziergang. Jetzt Günters dritte Sabotage und bei weitem die beste: Die chinesische Massenfrühgymnastik für 400 Leute, untermalt mit schräger Begleitmusik von einer Schallplatte zu hören über knisternde Lautsprecher. Günter also wieder -‐ dank des erfolgreichen deutschen Fahnen-‐Appells in der ersten Reihe ganz vorne -‐ und deshalb für alle gut sichtbar, inszenierte einen nicht endenden mehrminütigen lauten Kicher-‐ und Lachanfall, der nach und nach alle 400 Teilnehmer erfasste. Die Morgengymnastik musste an diesem Tag abgebrochen werden. 3: Zum Abschied: Günter vielleicht kannst Du uns hören: Für all das, was wir mit Dir erleben konnten und vielleicht auch noch erlebt hätten, vermissen wir Dich und werden Dich in unserem Herzen tragen. *(Er ist ehemaliger Ottersberger Waldorfschüler, studierte an der Uni Bremen Lehramt und ist Mitbegründer des sozialpädagogischen Projektes „Reisende Werkschule Scholen“).
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