Einführung in die deutsche Philologie (Wintersemester 2015/16) Sprachwissenschaft (= Linguistik) Semiotik = Lehre von Zeichen allgemein (auch nonverbale) (vgl. griechisch semeion = "Kennzeichen") System sprachlicher Zeichen = Sprache Zeichenmodelle von Ferdinand de Saussure und "Semiotisches Dreieck" von Odgen/Richards: Vorstellung / Assoziation / Verbindung formale Seite / Zeichenträger hier: bestimmte Rose (Objekt kann auch abstrakt sein) indirekte Beziehung Phonetik = Wissenschaft von den Phonen/Lauten Gegenstand laut Kohler: Schallereignis der sprachlichen Kommunikation in all seinen Aspekten (Produktion, Transmission, Rezeption von Sprachschall; psychologische und soziologische Voraussetzungen in Situation zwischen Sprecher & Hörer; symbol- & messphonetische Betrachtungsweisen prägen dieses Objekt) Artikulatorische Phonetik Um Sprachlaut zu artikulieren Luftstrom in Atmungsorganen (Lunge, Kehlkopf; Rachen-, Mund-, Nasenraum = Ansatzrohr); meisten Laute bei der Ausatmung stimmhafte Laute - stimmlose Laute (Stimmbänder im Kehlkopf schwingen mit oder nicht, b - p) Vokale - Konsonanten (Vokale gleiten ungehindert durch Ansatzrohr,bei Konsonanten Hindernisse,a-p) Akustische Phonetik Physikalische Eigenschaften von Sprachsignalen, Schallanalyse durch Spektogramme (zeigt Frequenzbereiche eines Schallereignisses/eines Sprechlautes in seinem zeitlichen Verlauf; Formanten stellen dabei Frequenzbereiche eines Schallereignisses dar, die besondere Energieniveaus erreichen verschiedene Laute unterscheiden sich in Lage ihrer Formanten und unterschiedliche SprecherInnen, unterschiedliche Formanten; über Spektogramm Oszillogramm abgebildet, das über Lautstärke & Höhe der Stimme informiert) Forensische Phonetik setzt Sprechererkennung bei Aufklärung von Verbrechen ein Aussprachedifferenzen können in einer phonetischen Transkription deutlich gemacht werden. Dazu verwendet man die Schriftzeichen der "International Phonetic Association" (IPA) Lautquantität (Länge) und Lautqualität schwanken bei jedem Artikulationsversuch. Phonologie = Wissenschaft von den Phonemen/Lautklassen umfasst den Lautbestand einer Sprache, die Funktion der einzelnen Laute im System der Sprache (z.B. bedeutungsunterscheidende Funktion), die Distribution der Laute (mögliche Stellung und Kombinatorik) und die Veränderungen der Laute (z.B. unter Einfluss der Nachbarlaute) Phonem = kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer Sprache Bsp: /r/-Phonem: "Zungenspitzen-r", "Zäpfchen-r" und "dunkles" r selbe Bedeutung Bsp: im Deutschen gehören [v] und [w] zur selben Lautklasse, dem /v/-Phonem; im Englischen gibt es ein /v/ und ein /w/-Phonem vgl. vet und wet Morphologie = Wissenschaft von den Morphemen 1 Morphem = kleinsten bedeutungstragenden Bausteinen einer Sprache; laut Meibauer: einfaches sprachliches Zeichen, das nicht mehr in kleinere Einheiten mit bestimmter Lautung und Bedeutung zerlegt werden kann Wurzel = unverzichtbarer lexikalischer Kern von Wörtern Derivationselement/gebundenes Wortbildungselement = kann nur in Kombination mit einem Wurzelmorphem stehen, hat die Funktion ein neues Wort zu bilden 2 Klassen von Derivationsaffixen: Präfixe (vor W.) & Suffixe (hinter W.); stehen immer gebunden" Flexion = ausdrucksseitige Veränderung von Wörtern anhand ihrer grammatischen Kategorie Besipiele für Flexionsaffixe: -en, -st, -s wie in schwimmen, du hüpfst, Mails Komposition = Kombination von 2 oder mehreren Wurzeln => Morphologie = Wortbildung (Derivation, Komposition u.a.) + Flexionsmorphologie (Grammatik "am Wort") Syntax = Grammatik oberhalb der Wortebene, Satzlehre befasst sich mit den Regeln, nach denen Wörter zu grammatischen Sätzen kombiniert werden Bsp: enge Verknüpfung von Flexionsmorphologie & Syntax anhand von Tempus gezeigt: analytische Verbalform = setzt sich aus mehreren Wörtern zusammen z.B. Perfekt, Passiv -> syntaktisch markierte Verbalkategorie synthetische Verbalform = am Verb selbst gebildet z.B. Präteritum -> morphologisch markierte Verbalkategorie Textlinguistik primäres Untersuchungsobjekt: Texte Text laut Weinrich = sinnvolle Verknüpfungen sprachlicher Zeichen in zeitlich-linearer Abfolge; können mündliche oder schriftliche Texte sein "Pragmatische Wende": sprachliche Äußerungen basieren zwar auf Phonemen und Morphemen, aber Kommunikation läuft auf einer anderen Ebene ab -> sprachliche Einheit "Text" mehr im Vordergrund Textgrammatik Kohäsion von Texten (formaler Aufbau, formal-syntaktischer Zusammenhang von Texten) z.B. Ein Mann ging die Straße entlang. Ich erkannte ihn. Deshalb sprach ich ihn an. Textsemantik Kohärenz von Texten ("logischer Aufbau") z.B. Ein Mann ging die Straße entlang. ? Sie fielen hin. Textpragmatik Semantik = Lehre von der Bedeutung sprachlicher Zeichen und Einheiten Textsemantik, Satzsemantik, Wortsemantik Wortsemantik: älteste semantische Teildisziplin, befasst sich mit der "Inhaltsseite" von Wörtern früher & heute "Zweiseitigkeit" eines sprachlichen Zeichens: Inhaltsseite & Ausdrucksseite (durch willkürliche Verbindung, die einzelsprachigen Konventionen unterliegt, verbunden) mehrere Bezeichnungen für selben Inhalt in verschieden Sprachen (vgl. dog, chien) oder in Sprachvarietäten (vgl. Diandl, Mensch, Madl); kann aber auch mehrere Bedeutungen für eine Ausdrucksseite geben (vgl. Flügel) Pragmatik = Art der Sprachbetrachtung; Beschreibung von Sprache in konkreter Verwendung/in der Praxis (vgl. griech. pragma = "Sache", "Ding", "Tun", "Handeln") 2 Fragen der Pragmatik z.B. siezen/duzen?, welche sprachlichen Mittel?, adäquate Grußformel? Variationslinguistik = Lehre der Variation von Sprachen Variation = Koexistenz von Varianten lautliche ([ha:s],[hɑ:s]), morphologische (er fragte vs er frug), syntaktische (ich bin gesessen vs ich habe gesessen) und lexikalische (Seniorenheim, Altenpflegeheim) Varianten Varietäten = sprachliche Subsysteme mediale (gesprochen vs geschrieben), funktionale (Fachsprachen, Pressesprache u.a.), soziolektale (Gruppensprachen) und areale (Dialekte, Regiolekte, Regionalakzente) Varietäten Germanisch Die germanische Sprachwissenschaft befasst sich heute mit der deutschen Sprache und all ihren Varietäten, sowohl historisch, als auch gegenwartssprachlich. Früher waren alle Sprachen der germanischen Sprachfamilie Inhalt des Faches. Sprachperiode des Germanischen: von ca. 1000 v. Chr. bis 500 n.Chr. Die Quellenlage für das Germanische ist recht schwach: Einzelwortnennungen in lateinischen Texten, Lehnwortschatz in Nachbarsprachen und Runeninschriften (vgl. frühgermanische Namensinschrift im Helm von Negau, die von rechts nach links zu lesen ist) Besonderheiten der germanischen Sprachen (Gotisch, Englisch, Deutsch, Niederländisch, Friesisch, Schwedisch, Norwegisch) im Vergleich zu "indogermanischen" Sprachen (romanische, keltische, slawische Sprachen): 1.Lautverschiebung: indogermanisch p,t,k germanisch zu Reibelauten f,Þ,x Althochdeutsch ab etwa seit dem 6.Jhdt. Sprache "Deutsch" 2.Lautverschiebung (= Althochdeutsche Lautverschiebung) germanisch p althochdeutsch zu pf/f germanisch t althochdeutsch ts/z,s 3 ältestes germanisches Heldenlied & Textzeugnis der althochdeutschen Sprache: "Hildebrandslied" (um 830), auf Umschlagsseiten einer lateinisch-theologischen Handschrift des Klosters Fulda gefunden, behandelt Auseinandersetzung zwischen Vater Hildebrand und Sohn Hadubrand, 2. Lautverschiebung nicht konsequent Bezeichnung "Althochdeutsch": "Alt" (älteste Epoche der deutschen Sprachgeschichte), "Hoch" (räumliche Erstreckung), "Deutsch" (aus dem germanischen Wort peuda "Volk"/"Stamm") Beobachtung der Entwicklungen aus systemlinguistischer und soziolinguistischer Perspektive Dialektologie & Regionalsprachenforschung wesentliches Merkmal der deutschsprachigen Dialektlandschaft: Grad der durchgeführten 2. Lautverschiebung Isoglossen = bestimmte markante Dialektgrenzen berühmteste Dialektgrenze: Benrather Linie" (maken/machen-Linie) grenzt den niederdeutschen vom hochdeutschen Raum ab (im hochdeutschen Raum starke/stärkere 2. Lautverschiebung) Rheinischer Fächer = Isoglossen im mitteldeutschen Bereich, die nach Osten hin fächerartig zusammenlaufen Mitteldeutsche Dialekte: Rheinfränkisch, Hessisch, Obersächsisch Hochdeutsche Dialekte: Ostfränkisch, Alemannisch, Bairisch Dialekt laut Schmidt/Herrgen = standardfernste, lokal oder kleinregional verbreitete Vollvarietäten Erforschung heute auf horizontaler (arealer) und vertikaler (soziale) Dimension in allen Alters-&Sozialgruppen Regionalsprachenforschung = Untersuchung des Aufbaus und des Wandels des gesamten Spektrums regionaler Sprachvariationen zwischen den Polen Standardsprache und Basisdialekt Bild der Zweidimensionalität einer Regionalsprache: Im Norden von Deutschland weichen die Dialekte mehr von der Standardsprache ab als im Süden. Atlas zur deutschen Alltagssprache (ADA) = Projekt von Stephan Elspaß (Universität Salzburg) und Robert Möller (Université de Liège) als Anknüpfung an den "Wortatlas der deutschen Umgangssprache" von Jürgen Eichhoff, das sich mit dem mittleren Varietätenbereich zwischen der Standardsprache und den Dialekten befasst; Daten werden online erhoben und anschließend anschaulich auf Karten dargestellt; Grundlage für Aussagen zu Variationen und Entwicklungen Beispiele: zwanzik-zwanzich-zwanzisch, die Wagen-die Wägen, kommen würde-kommen täte-käme-kommt, Tüte-Sackerl-Sack-Säckli-Beutel-Tasche-Gugge-Tutt, Metzger-Fleischer-Schlachter-Fleischhacker-Fleischhauer "Deutsch heute" = Projekt am Institut für deutsche Sprache in Mannheim" (IDS), das sprachliche Variationen in der gesprochenen deutschen Standardsprache im Zeitraum von 2006 bis 2009 dokumentiert und analysiert; Erhebung der Daten direkt durch Tonaufnahmen von geschulten Linguisten; feinphonetische Analysen Beispiele: Aussprache von <Ch> in Chemie, Aussprache von /e/ in später 4 Deutsch als Fremdsprache Unterscheidung: Deutsch als Erstsprache (DaE) = Kind erwirbt Deutsch in den ersten drei Lebensjahren Deutsch als Fremdsprache (DaF) = umfasst alle unterrichtspraktischen und wissenschaftlichen Aktivitäten, die sich mit der deutschen Sprache und Kultur der amtlichen deutschsprachigen Regionen unter dem Aspekt des Lehrens und Lernens von Menschen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch beschäftigen (laut Krumm) Deutsch als Zweitsprache (DaZ) = Aneignung des Deutschen als Zweitsprache in einer amtlich deutschsprachigen Umgebung; Berücksichtigung von gesellschaftlichen & politischen Rahmenbedingungen, spracherwerbstheoretischer Erkenntnisse/Fragestellungen und Sprachförderbedingungen bei wissenschaftlicher Bearbeitung weltweit ca. 112 Millionen DeutschsprecherInnen (im Vergleich Mandarin über eine Milliarde Sprecher und Englisch 765 Millionen); ca. 90 Millionen davon DaE-SprecherInnen (häufigste Erstsprache in Europa [18%]), ca. 15 Millionen DaF-LernerInnen, ca. 7 (?) Millionen DaZ-SprecherInnen weltweit sind die höchsten Deutschlernerzahlen im osteuropäischen Raum und in den europäischen Nachbarstaaten angesiedelt; der außereuropäische angelsächsische Bereich liegt im mittleren Bereich; danach kommen die DeutschlernerInnen im lateinamerikanischen Raum; am afrikanischen Kontinent sind die Zahlen sehr unterschiedlich und stark durch die Kolonialgeschichte geprägt, in den letzten Jahren sind sie durch Projekte (vgl. Pasch-Schulen) gestiegen; wenige DeutschlernerInnen in Asien, starker Abfall vor allem in Japan & Korea; in absoluten Zahlen gibt es in Polen die meisten DeutschlernerInnen, danach GB und Russland DaF vorrangig an Schulen, weiteres Arbeitsfeld sind Hochschulen, nur 1% DaF außeruniversitäre Einrichtungen didaktisches Dreieck: Lehrperson: sprachliche & fachliche Kompetenzen, allgemeine Lehrkompetenzen, Fremdsprachendidaktische Kompetenzen; Motive, Einstellungen, Überzeugungen LernerIn: lernendogene Faktoren: Alter (Kinder besser in Phonetik, Erwachsene besser im Grammatik- & Wortschatzlernen), Geschlecht, Persönlichkeit, Motivation, Sprachkenntnisse (braucht länger um typologisch von Erstsprache distante Sprache zu lernen), Lernstile, Lernstrategien, Lernerautonomie ( Lernerfahrung wichtiger Faktor) Lerngegenstand: Sprache, Kultur, Literatur, Sprachbewusstsein (neue Möglichkeit, um über Sprache nachzudenken), Sprachlernbewusstsein (Möglichkeit, um über eigene Lernprozesse nachzudenken) Aufbereiten/Lehr- & Lernmaterialien: kriteriengeleitete Lehrwerkanalyse (Forscher analysiert am Schreibtisch das Lehrwerk entsprechend seiner Ansprüche) und empirische Rezeptionsforschung (Wissenschaftler geht in das Feld und befragt/beobachtet im Deutsch-Unterricht/die Akteure); neue Medien im Bereich der Instruktion (Sprachlernsoftware, Computerspiele, Online-Übungen zu DaF-Lehrwerken), Information (Internet, Webquest) und Kommunikation (E-Mail-Klassenprojekte, Skype-Tandems, Videokonferenzen) Lehrprozesse: 19.Jhdt. Grammatik-Übersetzungsmethode (schriftlich), 50er/60er Audiolinguale Methode (nachsprechen, auswendig lernen), 60er/70er Alternative Methoden (Bewegungslernen, emotionale Aspekte, Hypnose, Yoga), 70er Kommunikativer Ansatz (sagen, was man sagen möchte mit Risiko verbunden), 80er Interkultureller Ansatz (Kulturen stehen einander gegenüber, heute eher transkulturell), aktuell Handlungsorientierter Ansatz (Weiterentwicklung des kommunikative Ansatzes) Postmethodenära: es gibt nicht die eine richtige Methode 5 Idealvorstellung von Sequenzen/Routinen im Unterricht: 1. vor dem Lesen (Vorwissen & Wortschatz aktivieren, Leseziel & Motivation aufbauen) 2. während des Lesens (Lernstrategien einsetzen, Verständnis überwachen) 3. nach dem Lesen (Handlungsziel verfolgen, Spracharbeit am Text) Sozialformen: Klassenunterricht (Frontalunterricht = 1 Person steht vor der Klasse und spricht, Plenum = Ablauf in Dreiersequenzen Initiation-Antwort-Evaluation, Kreisgespräch = Person gibt Rederecht an nächste Person weiter), Gruppenarbeit (ca.15%), Partnerarbeit (ca.15%), Einzelarbeit (meist Heimarbeit) Lernprozesse: Beispiel durch Ampelstrategie mit Karteikärtchen Vokabeln lernen, am besten viel ausprobieren Lernstile: Aufnahme der Information (visuell/haptisch), Verarbeitung der Information (global/analytischdetailliert), Persönlichkeit (introvertiert/extrovertiert) Deutsch als Zweitsprache wichtig vor allem Deutsch im Migrationskontext; Annäherung Bildungswissenschaft - Germanistik DaZ in der Erwachsenenbildung: Deutsch-, Alphabetisierungs- und Integrationskurse in Österreich; Verknüpfung mit integrationspolitischen & sprachenpolitischen Fragen; Gegenstände sind Sprache, Landeskunde, juristische Fragen, "Integrationsprüfungen" DaZ im schulischen Bereich: Deutsch in alltäglicher Interaktion erworben, ungesteuerter Erwerb lebensweltliche Mehrsprachigkeit statt Fremdsprachenmehrsprachigkeit Spracherwerb - Übersicht: Deutsch als Zweitsprache (DaZ) Zugänge und und Themengebiete von DaZ: Zugänge Themengebiete Sprachkompetenzdiagnos k Spracherwerb Migra onspädagogik Sprachkontaktphänomene DaZ DaZ-Förderung, DaZUnterricht, DaZ als Querschni saufgabe in Bildungseinrichtungen Quelle: Döll 2011, 23 Migra onsforschung Umgang mit Mehrsprachigkeit und DaZ in der Migra onsgesellscha Sprachförderung: kompensatorischer Ansatz bzw. Anpassung der SchülerInnen an die von der Schule erwartete İnci Dirim; © Marion Döll Sprache; man unterscheidet Additive Sprachförderung (parallel zum Regelunterricht angebotene Förderung, unabhängig vom Regelunterricht vs. mit Bezug auf Regelunterricht = fachsensibler Unterricht) & Integrative Sprachförderung (Förderung im Klassenverband, sprachsensibler Fachunterricht) Sprachbildung: unabhängig von Förderung, Gestaltung des Unterrichts unter Berücksichtigung des Registers "Bildungssprache" = sprachliche Bildung aller SchülerInnen (ersetzt nicht die DaZ-Perspektive); Aneignung von notwendigen Kompetenzen in der Zweitsprache für die Schule dauert laut englischsprachiger Studie 5-7 Jahre; Merkmale der Bildungssprache: abstrakte & komplexe Inhalte, raumzeitliche Distanz, konzeptionelle Schriftlichkeit, Präzision; sprachliche Mittel dafür: normierte Fachbegriffe, Funktionsverbgefüge, umfängliche Attribute, differenzierter Wortschatz, Präfixverben, unpersönliche Konstruktionen (z.B. Passiv) Durchgängige Sprachbildung: in Hamburg entwickeltes sprachpädagogisches Konzept, für sprachliche Bildung aller SchülerInnen, durchgängig: fächerübergreifend und über einen längeren Zeitraum hinweg, Einbezug außerschulischer Erziehungs- & Bildungsinstanzen, fachspezifische sprachliche Aspekte in einzelnen Fächern Lehrkräfte aller Fächer kooperieren auf Basis einer Sprachstandsdiagnose im Hinblick auf den Einbezug fächerübergreifender bildungssprachlicher Aspekte Erfolg von Methoden am sichersten durch empirische Evaluationsstudien feststellbar 6 Neuere deutsche Literatur Beginn der "Neueren deutschen Literatur" umstritten (Wikipedia 15.Jhdt,Uni München 16.Jhdt,Uni Kiel 17.Jhdt) Grundlagen philologischen Wissens: Arbeitstechniken; Edition & Textkritik; Stoff & Motiv; Gattungen; Rhetorik, Stilistik, Poetik; Formen der Intermedialität; Methoden & Theorien; Kulturwissenschaften Text: Simplicissimus barocker, autobiographischer Roman "Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch" erschienen 1668/69 in 5 Büchern von Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621/22-1676); 1669 Continuation (= Fortsetzung) Der 10-jährige Simplicius schlägt sich nach der Brandschatzung seines Dorfes im Zuge eines Krieges im Wald herum und trifft dort auf einen Einsiedler. zitierte Szene: Einsiedler fragt Simplicius über seine Identität aus Funktion eines Werktitels: Namen geben dadurch wiedererkennbar machen Lektüreerwartungen steuern "German Schleifheim von Sulsfort" als Anagramm des Namen des Autors; Verleger nimmt Pseudonym Johann Fillion an; Erscheinungsjahr wird um 1 Jahr vordatiert; Erwartungsausblick für das Buch schon aus Titelseite Themen der zitierten Szene: Namen, Akt der Benennung (im Dialog zwischen den Figuren und in der Rede der Figuren selbst vgl. Vater-Knan, beten-betten, Kirchen-Kirschen-Kriechen) & Anrufung ("Vater unser", aufgeklebte Gottesfigur) grundlegende sprachliche Operationen Verwendung von Stellvertretern von Eigennamen ("Bub", "Meüder", "Knan") keine eigennamentliche Existenz sprachliche Diskriminierung/Deklassierung Simplicius als "tumber Bauernjunge" soll den labilen, inhomogenen Zustand der Deutschen im 17.Jhdt. zeigen noch im 17.Jhdt "Normalisierung" des Werkes als Raubdruck, dialektal entschärfte Edition, Bub am Ende Autor im 21.Jahrhundert Übersetzung von Reinhard Kaiser aus dem Deutschen ins Deutsche Text verliert an textueller Substanz Bsp: regelmäßig alternierender Ton von Grimmelshausen (unbetont/betont/unbetont/...), der ab dem Abschnitt von Vater und Mutter stolpert, wird verfälscht; Kaiser ersetzt "Vater oder Mutter" durch "Vater und Mutter"; Kaiser verzichtet auf "gehabt", wodurch die betonte Vorzeitigkeit verschwindet; außerdem kommt in Kaisers Fassung das Alleingelassensein des Buben nicht so heraus, was vor allem am Ende, als man erfährt, das der Einsiedler der Vater von Simplicius ist, heikel wird Begriff: Lesen Alphabetisierung: 781 Millionen Menschen Analphabeten, 2/3 Frauen, 37% der Analphabeten in Indien, Welttag: 8.September 7,5 Millionen Menschen in Deutschland funktionale Analphabeten (verstehen keine zusammenhängenden Texte), 21 Millionen in D schreiben fehlerhaft, 600 000 Erwachsene in Österreich können nicht ausreichend lesen & schreiben, im EU-Schnitt 10-30% funktionale Analphabeten Analphabetisierung = bewusst in Kauf genommener Zustand Normale Lesefähigkeit (vgl. Definition Fischer Lexikon Literatur): Erkennen von Buchstaben & Wörtern Erfassen von Wortbedeutungen Herstellung semantischer & syntaktischer Bezüge zwischen Wortfolgen satzübergreifende Integration zu umfassenden Bedeutungseinheiten prozessualer Aufbau einer kohärenten Struktur der Gesamtbedeutung des Textes 3 tragende Säulen: Information, Prozessualität, Erkenntnis Lesefähigkeit aus philologischer Sicht: man versteht nicht nur, wovon ein Text spricht, sondern auch wie die Sprache mit den Dingen, Figuren und Beziehungen im Sprechen umgeht, Sprache selbst signifikant sprachkritische Tradition: in Österreich deutlich abgehoben (vgl. Nestroy, Kraus, Musil, Bachmann, Celan, Jelinek, Handke, Schuh, Streeruwitz) Sventlana Geier (Übersetzerin von Dostojevskis Romanen) meint, dass dem Volk sprachliche Voraussetzungen fehlen und auch Goethe meint, dass lesen lernen viel Zeit und Mühe kostet; Grammatik, Syntax & Lexik sind selbstverständlich und doch unsichtbar geworden wieder zum Sprechen bringen durch Beweglichkeit 7 Leselisten Germanistik: Sabine Griese u.a.: "Die Leseliste", Wulf Segebrecht: "Was sollen Germanisten lesen?" Werke über das Lesen: Alberto Manguel (Argentinier, Vorleser bei Borges): "Eine Geschichte des Lesens"; Dante Aligheri: "Divina Commedia" (Paolo & Francesca verbotenes Liebesverhältnis, Motiv "lesende Liebende"; vgl. auch in Chrestiens de Troyes: "Lancelot du Lac") Text: Maria Stuart Trauerspiel von Friedrich Schiller (weitere Werke "Die Räuber" von 1782, "Geschichte des 30-jährigen Krieges"), das 1800 in Weimar uraufgeführt wurde Werke um 1800: Friedrich Schlegel: Lucinde (1799); Novalis: Die Christenheit oder Europa (1799); Friedrich Hölderlin: Gedichte (1799); Friedrich Schiller: Maria Stuart (1800); Ludwig Tieck: Leben und Tod der heiligen Genoveva (1800); Novalis: Hymnen an die Nacht (1800); Jean Paul: Titan (1800); Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans (1801); Clemens Brentano: Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter (1801); Dorothea Veit (Schlegel): Florentin (1801); Friedrich Hölderlin: Späte Lyrik (verstreut gedruckt) (1801) Inhalt: Die schottische, katholische Königin Maria Stuart, die in Frankreich erzogen wurde, sucht nach ihrer Flucht aus Schottland in England um Asyl an. Aufgrund einer Anklage wegen eines Mordkomplotts gegen Elisabeth (Maria ist überzeugt selbst legitime Thronfolgerin zu sein) steht Maria kurz vor der Enthauptung. Die Rede um ihr Leben hat einen Aufbau: 1. stellt eigene Redensweise vor 2. exponiert ihre Beziehung zu Elisabeth 3. stellt eine Lösung des Konflikts in Aussicht. Maria spricht von sich selbst als "Bittende" und schlägt vor, alles Geschehene als "Schickung" zu sehen. Das Todesurteil fällt, nachdem Maria das Schimpfwort "Bastard" gegen Elisabeth wendet. Kommentar: Bei den Dialogen der Königinnen handelt es sich um rhetorisch ausgefeilte Reden (Einsatz von "movere" = "Bewegen durch Worte"). Schiller setzt eine dramatische Verjüngung ein, um der Inszenierung "kalter" Elisabeth - "erotische" Maria vorzubeugen. Die Macht von Elisabeth über Marias Leben zeigt sich auch in der Sinneshierarchie (Elisabeth-Augensinn, Maria-Ohrensinn). Die eigentliche Tragik des Stückes wird in der Vorführung instrumenteller Sprachgewalt, sprachgewandter Korrumpiertheit und der Verkommenheit der Redeformen im Sozialen sichtbar. Die letzte Szene seines Dramas benennt Schiller nicht "15. Auftritt" sondern "Letzter Auftritt", wodurch er sich gegen den Adel wendet und mit der dramatechnischen Konvention spielt. Begriff: Sprechakt Sprechen heißt immer auch handeln. vgl. performative Verben (von Englisch "perform" = umsetzen, durchführen, aufführen); Beispiele für performative Verben: sagen, sprechen, beleidigen, tadeln, verletzen, verwunden, verklagen, bitten, verhöhnen, schimpfen, nennen; damit verbundene Probleme werden im Buch "How to Do Things with Words" von Austin aufgezeigt (work in progress), Austin weist darauf hin, dass an die 1000 Verben für "Sprechen" der Differenzierung verschiedener Arten des Sprechens dienen und dass diese Ausdrücke im Sprechen selbst eine wichtige Rolle spielen und ein ausdifferenziertes Spektrum sprachlicher Handlungsformate darstellen Funktion der Präzision und Kontrolle implizite Äußerungsrolle: nicht extra gekennzeichnete Äußerungsrollen; z.B. Ich werde kommen, Du darfst nicht explizite Äußerungsrolle: "Rolle", welche die Äußerung spielen soll, wird explizit gemacht; ich performatives V im Präsens Indikativ Aktiv dir/dich (hiermit), dass Komplementsatz; z.B. ich verspreche dir...; ich untersage dir... Jede implizite Äußerungsrolle kann in eine explizite übersetzt werden. Pierre Bourdieu (französischer Soziologe) stellt fest, dass die Linguistik einen "idealen Sprecher-Hörer" ( kein Machtgefälle, keine Statusunterschiede, keine Unterbrechungen, alles ist ausdrückbar) konstruiert und alles unproblematisch verläuft, solange keiner lügt und keine laut Austin "verkleideten" Sprechakte vorliegen (Anders-Sprechen-als-Sagen oder Etwas-Anderes-Sagen-als-Sprechen). Die Literatur ist voll von Sprechakten, die als Dokumentation, Analyse und Anleitung dienen. Text: Der Gehülfe Roman des Schweizer Autors Robert Walser (1878-1956, in Biel geboren, arbeitete als Commis, zog später nach Berlin, 3 Romane: "Geschwister Tanner", "Der Gehülfe", "Jakob von Gunten", verbrachte Ende seines Lebens in Psychiatrie) aus dem 20. Jhdt. (genau 1908) Hinweis: Person nicht ident mit Schriftsteller und Schriftsteller nicht ident mit Erzähler (vgl. Roland Barthes: Sprechender ≠ Schreibender und Schreibender ≠ Seiender); darüber schreibt auch Elfride Jelinek in ihrem Stück "(Rob)er(t) nicht als (Wals)er" 8 Inhalt (vgl. Kindler Literatur Lexikon): Der aus ärmlichsten Verhältnissen stammende 23-jährige Joseph Marti arbeitet als Kontorist und Gehilfe in der Villa des Unternehmers und Erfinders Tobler in der Gemeinde Bärenswil (Pseudonym für Wädenswil, wo Walser selbst in einer Villa angestellt war). Dort wird er Zeuge des Verfalls und des Bankrotts des Hausherrn und muss feststellen, dass auch das Leben der bürgerlichen Familie nicht ohne Makel ist (vgl. geistig zurückgebliebene Tochter Silvi). Kommentar: Walser verzichtet auf einen attraktiven Romanplot (Plot = Schema, Muster, Abfolge der Ereignisse) und bricht durch Nachträge die Logik der Ereignisse auf. In einem Ruf lässt Walser das "l" (= Fließlaut, Liquid) in "Silvi" aus, was auf das Thema des "Überflüssigen" hindeutet. Walser verwendet das Wort "erwähnen", das etymologische (Etymologie = Wissenschaft von der Herkunft, Grundbedeutung und Entwicklung einzelner Wörter sowie von ihrer Verwandtschaft mit Wörtern gleichen Ursprungs in anderen Sprachen) "Lärm" ankündigt. Schrift als akustischer Raum = "simulierte Oralität" (Ulrich Wyss) Walsers Text ist von Jammer durchzogen. Silvi wird die "Reinigung" des Jammers verwehrt und sie wird geschlagen und weggesperrt. Bei den Passagen um Silvi schlägt Walser einen fernen Märchenton an (vgl. "Hutzel- und Hudelkind", "vernässen""ver-" wie in "verwünscht", "verzaubert") Laut Karl Wagner findet man im "Gehülfen" anmutende Gedankenmonologe, Formen der erlebten Rede, der Subkonversation und alle Finessen des Erzählerberichts. 3 Beispiele: "Pauline hat Auftrag von Frau Tobler": kaufmannssprachliche Färbung, Wort zum Austragungsort "entsprechender" Differenzen;"das Hutzel- und Hudelkind..., wenn man sie so betrachtet": auf Silvis Seite, vermeidet Doppeldeutigkeit "es" für Handlung; "Verordnung der Mama": soziolektale Unterscheidung Mamá/Máma, Ruf des Kindes? Tragödie = laut Aristoteles um 335 v.Chr. Nachahmung einer guten in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden - Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt; Gottfried Ephraim Lessing machte das Bürgertum erstmals tragödienfähig (vgl. "Miss Sara Sampson" und "Emilia Galotti"). Georg Büchner: Tragödienfähigkeit des 4.Standes Begriff: Polyphonie Das "lebendige" Wort ist - im Gegensatz zum direkten Wort - niemals isoliert und in seiner Verwendung hallt verschiedener Gebrauch wider. Polyphonie = Redevielfalt; geprägt von Michail M. Bachtin (1895 in multiethnischer Stadt Odessa - 1975 in Moskau, studierte Klassische Philologie, wurde aus politischen Gründen nach Kasachstan verbannt); Sprechen nicht unilateral, Bachtin gegen Exorzismus & Austreibung der Redevielfalt, wenn Bewusstsein der verschiedenen Sprachen kritische wechselseitige Erhellung, Sprache immer im Plural, einzige universale Sprache immer nur ein aufwändiges Konstrukt/Projekt, nicht uneffektiv, vereinheitlichende Sprachbewegung = Bewegung, die das Auseinanderstreben der Sprachen verlangsamt, anhält, umdreht Widerstreit zweier Kräfte (Renate Lachmann): Zentripetalkraft: Einheitssprache, Tendenz zum Monolingischen Zentrifugalkraft: soziale / historische Redevielfalt, Tendenz zur Mehrdeutigkeit Roman von "romanz" = "gemeinsprachlich" Text: Ein alter Tibetteppich Liebesgedicht von Else Lasker-Schüler (1869 in Elberfelde im Wuppertal - 1945 in Jerusalem, ständige Namenswandlungen wie "Prinzessin von Bagdad", "Joseph von Ägypten", "Jussuf von Theben" als starre Identitätsfestlegungen), das 1910 in der Wochenschrift "Der Sturm" und in der Zeitschrift "Die Fackel" erschienen ist. positive Rezensionen von Karl Kraus und Karl Jürgen Skrodzki formaler Aufbau: betonte und unbetonte Silben wechseln ab , Verse der einzelnen Strophen durch Reim miteinander verbunden Interpretation? nach Bachtins "Dialogizität" Gedicht selbst sprechend Bedeutung eines Teppichs im Orient: kulturgeschichtliche Abbilder von Gärten Begriff: Poetik 9 Sachwörterbücher des Faches: Paul Merker & Wolfgang Stammler: Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichte, Klaus Weimar & Harald Fricke & Jan-Dirk Müller: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Ulfert Ricklefs: Fischer Literatur Lexikon, Volker Meid: Sachwörterbuch zur deutschen Literatur, Angar Nünning: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze-Personen-Grundbegriffe Ethymologie: von "weben", "flechten" (vgl. Gewebe eines Textes, Textur eines Stoffes) Definition: laut "Metzler Lexikon Literatur- & Kulturtheorie: Kunst des Dichtens, Lehre von der Dichtkunst, dem Wesen, den Formen und Gattungen der Literatur mit Einbezug des paradigmatischen Wechsels: Verhandlung dessen, wie sich das Schreiben eines Individuums zur Welt verhält, der das Schreiben entspringt, die das Schreiben bezeichnet und auf die das Schreiben zurückwirkt, kurz: die Frage danach, wie die sprachlichen Modellierungen der Welt mit der Welt, in die sie sprechen, kommunizieren; so etwas wie die Selbstreflexion der Literatur, begleitet die Geschichtschreibung, begleitet die Literaturgeschichte, begleitet Autoren & Autorinnen und deren Verhältnis zur Literaturgeschichte und zur Geschichte Literatur laut Aristoteles = Medium, welches mit den imaginativen Mitteln der Sprache die Welt sinnlicher Wahrnehmung und menschlicher Handlungen nachahmt, aber nicht als Kopie, sondern indem sie in ihren Fiktionswelten die Grenzen der bestehenden Welt durchbrechen und die Vollendung des in der Natur noch Unvollendeten antizipiert Aristoteles Aufklärung Romantik Bertold Brechts "antiaristotelische" Poetik Robert Musils "Möglichkeitssinn" heute Vielheit miteinander konkurrierender, zuweilen nicht mehr kompatibler Poetiker Streitschrift von Else Lasker-Schüler: "Ich räume auf. Meine Anklage gegen meine Verleger", darin Kindheitsszene als Urszene, in der sie über die, von der Mutter erhaltenen, Knöpfe streicht und in der sie die Unebenheiten mit störenden Vokalen und Konsonanten vergleicht, der herrlichste Knopf - aus Jett/Gagat (= als Schmuckstein verwendete Pechkohle, Schutzstein der Indianer, kommt auch in Liebesgedicht von Shakespears Zeitgenossen John Donne vor) - durfte überall liegen und wurde Joseph von Ägypten genannt Lasker-Schüle für anderes Verhältnis/alternative Vorstellung von Text und Welt Zeit & Geste offen halten (vgl. "himmellang", "maschentausendabertausendweit") Ältere deutsche Sprache & Literatur = Germanistische Mediävistik 10 Gründerväter der Germanistik (Mediävisten): Sprache Neuhochdeutsch: Neu-(chronologische Einteilung der Sprachstadien) + -hoch- (dialektale & räumliche Einordnung, 2.Lautverschiebung durchgemacht) + -deutsch (Sprache aus dem deutschen Sprachraum, früher national/politisch nicht klar definiert) Literatur "Alterität" = man muss die Kultur und Literatur des Mittelalters als fremd akzeptieren, kann fremde Kultur nie in ganzem Umfang verstehen und muss von den modernen Lesegewohnheiten abrücken, man darf sich nicht auf den persönlichen Leseeindruck verlassen im MA Fehlen eines institutionalisierten Literaturbetriebs und nicht "l'art pour l'art" und kein "Pakt der Großherzigkeit" (J.P.Sartre) Literatur & Kunst sind fester Teil sozialer Praktiken z.B. Teil der Herrschaftspraxis oder der Religion keine Autonomie der Kunst; man weiß wenig über die Autoren oder oft sogar anonym, Werke in unterschiedlichsten Handschriften überliefert, Autoren nicht als Erfinder, Plagiat erlaubt AutorWerk-Paradigma im MA irreführend; Schrift als Medium sehr exklusiv Literaturbegriff breiter vgl. Christian Kiening: "Texte vor dem Zeitalter der Literatur" Kultur Texte in der Volkssprache immer Sonderfälle im Gegensatz zur verbreiteteren lateinischen Tradition Frühmittelalter: Klöster & geistliche Institutionen im Zentrum der Textproduktion, Texte von Geistlichen für Geistliche, keine laikale Schriftkultur, mündliche Dichtungstradition (Heldenlieder) v.a. geistliche Dichtung 11 Not-Fassungen Lied-Fassung Hochmittelalter: weltliche Fürstenhöfe kommen hinzu, Entstehung neuer Adelskulturen v.a. Minnesang, höfische Epik, Heldenepik Spätmittelalter & Frühe Neuzeit: Bedeutung der Ritterhöfe nimmt ab, Städte werden zu kulturellen Zentren v.a. Fastnachtspiel, Kleindichtungen, Meistersang Medien Texte in Handschriften sind immer einmalig Handschriften sind etwas Besonderes, für spezifische Anlässe & Orte; Edition dieser Texte lange nicht abgeschlossen und verlangt Kompetenzen Hildebrandslied um 840 niedergeschrieben auf der ersten und letzten Seite einer geistlichen Handschrift, Abschrift, in Kassel "Codex Manesse"/Große Heidelberger Liederhandschrift umfangreichste Sammlung mittelhochdeutscher Lyrik, zwischen 1300 und 1340 in Zürich von Patrizier Rüdiger Manesse + Sohn angelegt, ca.6000 Strophen, nach Autoren gegliedert, Miniaturen sind aus dem Text her konstruiert (vgl. längst verstorbener Walther von der Vogelweide auf Stein mit Schwert) Mittelhochdeutsche Heldenepik Kurzinformation & Definition: Stoffe, die auf die Zeit der Völkerwanderung zurückgehen (vom Einfall der Hunnen 375 bis zum Einfall der Langobarden in Italien 568) = Heldenzeitalter / "heroic age", Ereignisse nach den Regeln schriftloser Kultur (Selektion [Auswahl weniger Stoffe], Reduktion [Beschränkung auf wichtige Zusammenhänge], Kombination [Verknüpfung auch zeitlich nicht zusammenhängender Ereignisse], Privatisierung [historische Ereignisse als Familiengeschichten erzählt]; vieles muss vergessen werden = "strukturelle Amnesie") weitererzählt; sagen ab dem 12.Jhdt. verschriftlicht ; spielt meist an realen Orten; strukturell sequentiell aufgebaut; oft strophischer Aufbau, was darauf hinweist, dass die Texte vorgesungen wurden berühmte Figur: Dietrich von Bern, kommt auch im Nibelungenlied vor, historisch steht dahinter der Ostgotenkönig Theoderich der Große (✝526), noch viel populärer als Siegfried Das Nibelungenlied Überlieferung & Edition: in mehr als 35 Handschriften überliefert, Text nicht einheitlich Erstellung einer Edition (= Ausgabe eines Textes auf Grundlage der überlieferten Handschriften) Handschrift A, München, 2.Hälfte 13.Jhdt., positiv interpretiert (vgl. Kühnheit) Handschrift B, St.Gallen, 2.Hälfte 13.Jhdt., erste Strophe fehlt, kein Prolog Handschrift C (Nibelungenlied + Nibelungenklage), Karlsruhe, 2.Viertel 13.Jhdt.,negativ interpretiert(vgl. Arbeit) Original: im MA kein großes Interesse an Originalzuständen, Variation als Normalzustand, Werk als geniale Schöpfung erst in der Neuzeit, Suche eines Originals mit überlieferten Handschriften = "New Philology" Form: Nibelungenstrophe = 4 Langzeilen mit Mittelzäsur, metrisches Schema: Anvers 4w 4w 4w 4w Zahlen = Anzahl der Hebungen w = weibliche Kadenz m = männliche Kadenz 12 Abvers 3ma 3ma 3mb 4mb Interpretation: "Uns" Gemeinschaft von Zuhörenden, Mittelteil der 1.Strophe entweder Fortsetzung oder Einleitung Anakoluth (= Bruch in der Syntax) / Apokoinu (= Teil eines Satzes syntaktisch auf 2 andere bezogen), Wechsel von 1.P.Sg zu 2.P.Pl. Spaltung Publikum & Vortragender, Perfekt zu Präsens Inhalt: Königssohn von Niderlanden Siegfried (laut Hagen von Tronje durch Drachenblut unverwundbar) heiratet Kriemhild in Worms, Siegfried hilft Kriemhilds Bruder Gunther bei Zweikampf um Brünhild, Siegfried gibt sich als Untergebener Gunthers aus (= Standeslüge), beide Paare bekommen Sohn, bei Besuch in Worm kommt es zu Streit zwischen Frauen, wer besseren Mann, Krimhild behauptet Siegfried mit Brünhild geschlafen Burgunden wollen Siegfried töten, Hagen tötet Siegfried an einziger verwundbarer Stelle auf Jagdausflug; Kriemhilds Rache auf Etzels Hof, sie provoziert Konflikt, bei dem Burgunden im Rahmen eines gegenseitigen Gemetzels getötet, Hildebrand tötet zum Schluss Kriemhild, Dietrich von Bern überlebt historische Grundlagen: Siegfrieds Tod: 3 Thesen (1. 566/567 heiratet austrasischer Königssohn Sigibert Brunichild, wird 575 ermordet 2. Siegfried als ripuarischer Fürst am Burgundenhof 3. Arminius-These, Arminius der Cherusker Vorlage, Drachensieg als Sieg gegen die Römer) Untergang der Burgunden (436/37 Burgunden vom Römer Aetius geschlagen, 534 Burgunden von Franken besiegt, in Lex Gundobada Vorfahren genannt, Etzel = historischer Hunnenherrscher Attila) 3 Hauptcharakteristika: Vortrag als anonymes Weitererzählen (Text nur "schriftgestützt"; Medium des Vortrags) Überlieferungsvarianz (deutliche Abweichungen der Handschriften) Geschichte & Literatur (Aktualisierung des alten Stoffes, Wissen um eigene kulturelle Herkunft) Artusepik Kurzinformation & Definition: wichtigster Teil der mittelhochdeutschen höfischen Epik, seit dem 12.Jhdt., Vorlagen aus dem Altfranzösischen (Chrétien de Troyes), im Zentrum König Artus, Ritter & idealer Hof; erste deutsche Bearbeitung 1180 "Erec" von Hartmann von Aue; Texte im mittelhochdeutschen Vorlesemetrum, in paargereimten vierhebigen Kurzversen, spezifische Regeln, Handlungsverdoppelung & Szenensymmetrie wichtig (ordo artificialis statt ordo naturalis), Ort, Zeit & Helden weniger historisch rückgebunden König Arthus: vorbildhafter Herrscher, der aber stets im Hintergrund steht; schon damals aus alten Zeiten; britischer Heerführer um 500 gelebt, im 12.Jhdt. in "Historia Regum Britanniae" von Geoffrey von Monmouth über ihn erzählt, im Epos "Roman de Brut" von Wace erstmals Tefalrunde erwähnt Hauptcharakteristika: Autorschaft ("Wiedererzählen" statt "Weitererzählen", Autor Teil des sozialen Gefüges über und für das er spricht, Autoren nennen sich selbst für Entstehung verantwortlich und verfolgen Zwecke) Funktion von Literatur (Vorbildfunktion, "Ersatz" von Bildungsinstitutionen) Fiktion & Literarisierung (immer komplexer & artifizieller) Iwein Artusepos von Hartmann von Aue (Vorlage: "Yvain"), um 1200 entstanden Form: paargereimte Kurzverse, Kadenzen können wechseln, Vierhebigkeit bleibt durchgehend Interpretation: setzt wie oft mit allgemeiner Lebensweisheit ein, Geschichte vergangen, aber gegenwartsrelevant, Autorennennung Der arme Heinrich legendenhafte Erzählung über einen kranken Ritter, der durch die Opferbereitschaft einer Jungfrau geheilt wirt von Hartmann von Aue Hartmann von Aue gelehrt nennt sich nicht im "Amt eines Poeten", sondern seine Dichtung ist Tätigkeit neben seiner Rolle als "Ritter" (war Dienstadeliger/Ministeriale) erfindet seine Geschichten nicht, sondern sucht sie in Büchern zusammen tut das zum Lob Gottes will unterhalten erhofft sich damit persönliche Vorteile, zumindest höhere Beliebtheit Dichten im Mittelalter 13 mhd. "tihten", vom dem lateinischen "dictare" = "aufschreiben"; bedeutet, dass dem Autor etwas vorgegeben wird, das dieser dann nur noch aufschreibt; früher Vogel auf Schulter des Autors als Heiliger Geist der einsagt; zur Zeit Hartmanns bestehende Texte auf eigene Art niederschreiben, entfernt sich immer mehr, im 15.Jhdt. dann Übernahme des Wortes "diktieren" Minnesang früheste deutschsprachige Form der Liebeslyrik, Beginn um die Mitte des 12.Jhdts., höfische Kunst, öffentlich und musikalisch begleitet vorgetragen Hohe Minne: Werbung um den Preis einer höfischen Herrin (frouwe) durch einen Ritter/Sänger, keine individuelle Erlebnislyrik sondern Rollenlyrik, kein biographisches Erlebnis, aussichtslose Werbung, nie Erfolg = "Minneparadox", Sänger handelt vor dem und für den Hof, verschiedene Strategien, um mit Zustand der unerfüllten Liebe umzugehen, formelle Poesie; bald eigener Berufsstand der Minnesänger Struktur des Sangs triangulär: Hof steigert Status des Hofes Geld Frau des Herrschers des Hofes Sänger Dame steigert Status der Dame Niedere Minne: Liebeserfüllung, außerhalb des Hofes, mit magedin statt frouwe Frauenlieder: von Frauen Botenlieder: von Boten Wechsel: aufeinander bezogene Monologe von Mann und Frau Tagelieder: Situation des Erwachens nach einer illegitimen Liebesnacht Das ABC des Minnesangs: A = Kleine Heidelberger Liederhandschrift (um 1270), B = Weingartner/Stuttgarter Liederhandschrift (um 1300) , C = Große Heidelberger Liederhandschrift / Codex Manesse (um 1300) Die Kanzonenstrophe: beliebtester Strophentyp des deutschen Minnesangs, festes Grundmuster, Unterteilung in Aufgesang (zweiteilig, die beiden metrisch identen Teile werden "Stollen" genannt) & Abgesang; metrische Formel: 3a'4b3a'4b, 4cx6c (cxc = Waisenterzine) Hauptcharakteristika: Minnesang als höfisches Ritual (Teil der höfisch-adeligen Repräsentationskultur, frouwe = Hofherrin) Funktion des paradoxen Klagens (wahrscheinlich soziologische Funktion: verbindliche kulturelle Regeln, Einübung von Sublimation sexuellen Begehrens) Reinmar der Alte = Reinmar von Hagenau; Minnesänger aus der ersten Hälfte des 13.Jhdts.; eventuell arbeitete er am Hof der Babenberger in Wien, eventuell Vorgänger/Konkurrent von Walther von der Vogelweide; Lieder in "Codex Manesse" (viele Abbreviaturen) und "Des Minnesangs Frühling" Interpretation: ständiges absolutes Bemühen, Vergeblichkeit, trotzdem weiterdienen, "Ich" als Rolle, im 14.Jhdt. Umcodierung der Strophe E, Lösung des Abgesangs im Gegensatz zu C verändert, Sänger schweigt und Dame erwidert stumm, Sänger aktiver, will Hoffnung an ein Ende bringen, spricht Dame in Lied direkt an Grunddaten zu einigen Autoren und Werken Der Abrogans, das früheste deutsche ‚Wörterbuch‘, ist nach seinem ersten Eintrag „Ab- rogans (lat.) – dheomodi (=demütig)“ benannt. Das lateinisch-deutsche Glossar ist in mehreren Handschriften überliefert. Die in St. Gallen aufbewahrte, um 800 entstandene Handschrift des ‚Abrogans’ gilt als das älteste Buch in deutscher Sprache. Das Hildebrandslied ist der einzige schriftliche Zeuge einer mündlichen Tradition deutscher Heldenlieder. Es wurde am Anfang des 9. Jahrhunderts fragmentarisch aufge- schrieben ( wichtige Handschriften) und erzählt in der Form stabgereimter Langverse von einem tragischen Kampf zwischen Vater (Hildebrand) und seinem Sohn (Hadubrand). (Stabreim: Den Reim bilden Anfangsbuchstaben, also gleiche Konsonanten oder Vokale [alle Vokale ‚staben‘ untereinander ]). 14 Der Heliand ist ein ca. 6000 stabreimende Langverse umfassendes altsächsisches Epos vom Leben Jesu, das wohl im Kontext der Christianisierung der Sachsen in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts entstand. Otfrid von Weißenburg ist der erste, sich namentlich nennende Autor in deutscher Sprache († 875). Zwischen ca. 863 und 871 verfasste er sein Evangelienbuch, das in fünf Büchern vom Leben Jesu erzählt und allegorisch deutet. Otfrid verwendet dabei erstmals den Endreim für ein deutsches Buch. Notker der Deutsche war um 1000 Lehrer im Kloster St. Gallen und übersetzte u. a. Werke des Aristoteles (‚Categoriae’, ‚De Interpretatione’), einige antike Klassiker und den Psalter ins Althochdeutsche und kommentierte die Texte in einer lateinisch- deutschen Mischsprache. Der Paffe Konrad, wohl ein Regensburger Kleriker, schuf um 1170 das mittelhochdeut- sche Rolandslied, wobei er das altfranzösische ‚Rolandslied’ (die ‚Chanson de Roland‘) bearbeitete. Der Text erzählt vom Spanienfeldzug Karls des Großen (778): Beim Rück- zug über die Pyrenäen wurde die Nachhut angegriffen, wobei deren Anführer, Roland, ums Leben kam. Hartmann von Aue war ein südwestdeutscher Ministeriale (ein Dienstadeliger), der wohl im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts starb. ( Fall 2 - Artusepik) Er schuf die Artusepen Erec undIwein, wobei er altfranzösische Vorlagen des Chrétien de Troyes († um 1190) übertrug, die legendenhaften Texte Der arme Heinrich und Gregorius, eine Reihe von Minneliedern und ein allegorisches MinneStreitgespräch, das Klagebüch- lein. Sein Werk steht am Anfang der (sog.) ‚klassischen‘ höfischen Literatur. Wolfram von Eschenbach starb wohl um 1220 und schuf mit dem Parzival eines der bekanntesten höfischen Epen. Darüber hinaus stammt von ihm der Willehalm, der fragmentarische Titurel sowie neun Minnelieder. Gottfried von Straßburg lebtewohl zeitgleich mit Wolfram. Neben einigen ihm zuge- schriebenen Minneliedern ist er vor allem als Autor des Tristan bekannt, den er jedoch nicht vollendete (Ulrich von Türheim sowie Heinrich von Freiberg haben schon im Mit- telalter Fortsetzungen verfasst). Seine Vorlage war dabei die altfranzösische Fassung des Thomas von Britannien. Das Nibelungenlied ist um 1200 wohl in Passau entstanden und erzählt in strophischer Form vom Tod Siegfrieds und dem Untergang der Burgunden ( Fall 1 - Heldenepik, wichtige Handschriften). Der Stoff geht historisch auf die Völkerwanderungszeit zurück, wird im ‚Nibelungenlied‘ jedoch an die Gewohnheiten höfischer Literatur angepasst. Walther von der Vogelweide ist der berühmteste deutsche Minnesänger, der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts starb. Neben den in den Liedern thematisierten bio- graphischen Details ist wenig über das Leben eines der frühesten deutschen Berufsdich- ter bekannt. Berühmt ist die Abbildung des auf einem Stein sitzenden Walther in der Manessischen Liederhandschrift ( wichtige Handschriften). Neidhard von Reuental ist ein sehr produktiver und oft nachgeahmter Minnesänger aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Er erweitert die Palette des höfischen Minne- sangs um bäuerliches Personal und einen derberen Darstellungsstil (‚dörperliche Dich- tung‘). Oswald von Wolkenstein (ca. 1377-1445) war ein Adeliger aus Südtirol, der politisch u. a. für Kaiser Sigismund I. aktiv war und sein ereignisreiches Leben in seine Lieder ein- fließen ließ. Die Lieder sind deshalb autobiographisch geprägt, aber bewahren auch die Formen und Inhalte des späten Minnesangs. Hans Sachs (1494-1576 in Nürnberg) war Schuhmachermeister und Verfasser von Meisterliedern, Spruchdichtung, Prosadialogen und Fastnachtspielen. Er ist ein promi- nenter Vertreter für die reichstädtische bürgerliche Kultur des 16. Jahrhunderts, also für eine Literatur jenseits der Adelshöfe. 15
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