1) 3. März – DaF Am meisten gesprochene Sprachen weltweit: 1

1) 3. März – DaF
Am meisten gesprochene Sprachen weltweit:
1) Mandarin – 2) Englisch – 3) Spanisch
Deutsch ~ 112 Mio. →
90 Mio. ErstsprecherInnen, 14,5 Mio. LernerInnen, 7 Mio. DaZ-SprecherInnen
Begriffe „Erstsprache“/„Language One“ = „L1“ statt „Muttersprache“ verwenden!
Am meisten gesprochene Sprachen in Europa:
1) Englisch – 2) Deutsch: am häufigsten in Europa gesprochene Erstsprache, 14% lernen Deutsch
als Fremdsprache (wie Französisch) – 5) Spanisch
Top Ten der DaF-LernerInnen nach Ländern (absolute Zahlen):
Polen (2.345.480) – Russland (2.312.512) – Frankreich (1.037.885) – Ukraine – Usbekistan – USA
– Ungarn – Tschechien – Italien – Niederlande (366.073)
DaF-LernerInnen nach Einrichtungen:
Schulen: 88% – Hochschulen: 11% – Außeruniversitäre Einrichtungen (Erwachsenenbildung): 1%
Untersuchungsgegenstände von DaF:
Didaktisches Dreieck: Lehrperson – LernerIn – Lerngegenstand
Lehrperson: Kompetenzen: sprachlich, fachlich, fremdsprachendidaktisch, Lehrkompetenz, …
LernerIn: lernerendogene Faktoren (Alter, Geschlecht, Motivation, Lernautonomie, …)
Lerngegenstand: Sprache (Varietäten, …), Kultur, Literatur, Sprach-(lern-)bewusstheit
Lehrprozesse
-) Grammatik-Übersetzungsmethode (spätes 19. Jahrhundert) – Voraussetzung: selbe Erstsprache;
hin- und rückübersetzen, Unterricht in L1, schriftlich
-) Audiolinguale Methode (50er bis 70er) – Unterricht in der Fremdsprache, mündlich, wiederholen,
(im Chor) nachsprechen, etc.
-) Alternative Methodengeschichte (späte 60er, frühe 70er) – von Hippie-Generation beeinflusst;
Hypnose, Yoga, etc.
-) Kommunikativer Ansatz (70er) – eigene Redeintention realisieren, mit Sprache experimentieren
-) Interkultureller Ansatz (80er) – Sprachunterricht = Kulturunterricht; zwei völlig verschiedene
Kulturen: 1) Ausgangskultur des Lerners – 2) Zielsprachenkultur (heute eher „transkulturell“
→ sehr viele Überschneidungen, zwischen Kulturen hin- und hergehen)
-) Handlungsorientierter Ansatz – aktuell; Öffnung des Unterrichts; Weiterentwicklung des
kommunikativen Ansatzes
-) Lesen: vorher (Leseziel, …) – während (Lesestrategien, …) – nachher (Spracharbeit, …)
-) Sozialformen: Klassenunterricht (Frontalunterricht, Plenum, …), Gruppen-, Partner-, Einzelarbeit
Lernprozesse, Lernstile
z.B.: Ampelstrategie mit Karteikarten
Informationsaufnahme (visuell, auditiv, haptisch, kinästhetisch, …)
Informationsverarbeitung (global, analytisch, …)
Persönlichkeit (introvertiert, extrovertiert, …)
2) 10. März – DaZ
amtlich deutschsprachige Regionen – Zielgruppe MigrantInnen
nicht vorrangig Unterricht, sondern Sprachaneignung in der Alltagswelt
Germanistik und Bildungs-, Erziehungswissenschaft → Annäherung der beiden Disziplinen
sprachliche und kulturelle/integrationspolitische Fragen
ungesteuerter Erwerb!
lebensweltliche Mehrsprachigkeit
-) monolingualer Erstspracherwerb: in den ersten drei Lebensjahren nur eine Sprachen im Alltag
-) bilingualer Erstspracherwerb/Doppelspracherwerb: in den ersten drei Lebensjahren zwei
Sprachen im Alltag → gewisse kognitive Überlegenheit
-) früher Zweitspracherwerb von Kindern: 3-6 Jahre, erst nachdem Erstsprachenerwerb erfolgt
-) später Zweitspracherwerb von Kindern: 6-12 Jahre; Erwerb der Erstsprache fast vollständig
abgeschlossen
-) Zweitspracherwerb von Jugendlichen und Erwachsenen beginnt nach der Pubertät, andere
Annäherung
Zugänge, Themengebiete
-) Psycholinguistik: Spracherwerb, in welcher Reihenfolge grammatikalische Figuren gelernt
werden (Akkusativ vor Genitiv, …)
-) Psychologie: Sprachkompetenzdiagnostik (wo Förderung sinnvoll?)
-) pädagogische Diagnostik/Pädagogik: Migrationspädagogik: Bedingungen der Mehrsprachigkeit
-) DaZ-Förderung/DaZ-Unterricht/DaZ als Querschnittsaufgabe in Bildunseinrichtungen
Umgang mit Mehrsprachigkeit und DaZ in der Migrationsgesellschaft
-) Migrationsforschung
-) Sprachkontaktphänomene
Sprachbildung, Sprachförderung
-) additive Sprachförderung: Teilnahme am Regelunterricht, zusätzlich Sprachförderung
(„Stigmatisierung“, aber gezielte Arbeit an sprachlichen Kompetenzen), Sprachlehrgänge
(un-)abhängig vom Regelunterricht, aber fachsensibler Sprachunterricht hat höhere Erfolge
-) integrative Sprachförderung: Sprachförderung erfolgt im Regelunterricht selbst (keine
Stigmatisierung, alle sprachlichen Bildungsbedürfnisse befriedigt), sprachsensibler
Fachunterricht, im Klassenverband
-) Sprachförderung: kompensatorische Angebote (Defizit muss aufgehoben werden), Anpassung
wird erwartet
-) Sprachbildung: nicht nur Migranten haben Bildungsbedarf, bezieht sich auf das sprachliche
Lernen aller, auch Schichtspezifik
-) Bildungssprache vs. Alltagssprache: Schule verwendet besondere Sprache, die im Alltag nicht
verwendet wird; Erwerb der Bildungssprache dauert 5-7 Jahre; abstrakte, komplexe Inhalte,
räumlich-zeitliche Distanz, Präzision, konzeptionelle Schriftlichkeit/Mündlichkeit, mediale
Schriftlichkeit/Mündlichkeit (SMS = konzeptionell mündlich, obwohl medial schriftlich
normierte Fachbegriffe), Funktionsverbgefüge (nehmen/in Betrieb nehmen), umfängliche Attribute
(„die sich daraus erschließende Logik“), unpersönliche Konstruktionen (z.B. Passiv), Präfixverben
(er-, zer-, ver-, besetzen), differenzierter Wortschatz
-) durchgängige Sprachbildung: fächerübergreifend, vom Kindergarten zur Universität,
Zusammenarbeit mit außerschulischen Instanzen
Erfolg von Modellen
empirische Evaluationsstudien
3.) 17. März – Germanistische Sprachwissenschaft
1) Einleitendes
Sprachwissenschaft und Linguistik synonym
Tonbeispiel Röschenhof
2) Semiotik
Sprache = System sprachlicher Zeichen
Linguistik (Teil der Semiotik): was ist ein „sprachliches Zeichen“
Semiotik: Lehre von Zeichen allgemein (auch nonverbal)
verschiedene Zeichenmodelle: Ferdinand de Saussure, semiotisches Dreieck von Ogden/Richards
(formale Seite eines sprachlichen Zeichens; Vorstellung, Konzept; Bezugsobjekt)
verschriftlichtes Wort <Röschen> ermöglicht verschiedene Aussprachevarianten →
3) Phonetik
= Wissenschaft von den Phonen (Lauten)
Schallereignis der sprachlichen Kommunikation → Produktion, Transmission, Rezeption von
Sprachschall, psychologische und soziologische Voraussetzungen in der Kommunikationssituation
Teildisziplinen:
-) artikulatorische Phonetik
Produktion sprachlicher Laute hinsichtlich ihrer Artikulationsart und ihres Artikulationsortes;
Luftstrom in Lunge, Kehlkopf, Rachen-, Mund-, Nasenraum → Sprachlaute beim Ausströmen der
Luft: Stimmbänder schwingen mit → stimmhafter Laut, sonst stimmloser Laut
Ansatzrohr = Rachen-, Mund-, Nasenraum: Lautklasse Vokal gleitet ungehindert durchs
Ansatzrohr, Hindernisse → Konsonanten
-) akustische Phonetik
Spektogramm: Frequenzbereiche eines Schallereignisses → Sprachlaut in zeitlichem Verlauf
Formanten = Frequenzbereiche eines Schallereignisses mit besonderen Energieniveaus,
verschiedene Laute/unterschiedliche SprecherInnen → andere Formanten
Oszillogramm: Stimmlautstärke und -höhe
-) forensische Phonetik
Sprechererkennung bei Verbrechensaufklärung
phonetische Transkription „Röschen“ → „International Phonetic Association (IPA)“
zwei Reibelaute („s-ch“) – ein Reibelaut („sch“); Unterschiede in Länge und Qualität des
Stammvokals: langer ö-Laut („Söhne“) – kurzer ö-Laut („Töchter“)
4) Phonologie
→ Lautbestand von Einzelsprachen; Funktion, Distribution der Laute in der jeweiligen Sprache;
Veränderungen, die Laute erfahren können
kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer Sprache: Phonem = Lautklasse: alle Varianten ein
und desselben Lauts („Zungenspitzen-r“, „Zäpfchen-r“, retroflexes „r“) → „/r/-Phonem“
verschiedene Artikulationsvarianten → keine Bedeutungsunterschiede
„Wasser“: bilabialer Anlaut (Ober- und Unterlippe) oder labiodentaler Anlaut (Unterlippe und
obere Zahnreihe) → beide Reibelaute ([v] und [w]) = dieselbe Lautklasse, dasselbe /v/-Phonem
Englisch: vet – wet/vest – west → zwei verschiedenen Lautklassen (/v/- bzw. /w/-Phonem)
→ (zwei) verschiedene Phonemsysteme
5) Morphologie
Morphem = kleinster bedeutungstragender Bausteine einer Sprache
→ einfaches sprachliches Zeichen, das nicht mehr in kleinere Einheiten mit bestimmter Lautung
und Bedeutung zerlegt werden kann („Haus“, „rot“, „auf“, etc.)
lös-chen versus lö-schen:
-) Lös-chen = „kleines Los“:
„Lös-“ = abgeleitet von „Los“, konkretere Bedeutung → Wurzelmorphem
„-chen“ = Verkleinerungssuffix (weil hinter Wurzel!), „gebundenes Wortbildungselement =
Derivationsaffix“ → nur in Kombination mit Wurzel!
-) Lö-schen = Verb:
„Lösch-“ = Stamm („Feuerlöscher“)
„-en“ = (Infinitiv-)Endung → Flexionselement = Flexionsaffix (Flexion = ausdrucksseitige
Veränderung von Wörtern anhand ihrer grammatischen Kategorien
drei Morphemtypen
-) Wurzel: Morphem mit konkreter (lexikalischer) Bedeutung
-) Affixe: unselbständig, gebunden, weniger konkrete Bedeutungen
→ Wortbildung: Derivationsaffixe
→ Markierung grammatischer Funktionen → Flexionsaffixe
zwei wesentliche Subdisziplinen der Morphologie:
Wortbildung (z.B. Derivation, Komposition wie „Haus-tür“)
Flexionsmorphologie (Grammatik von Wörtern)
6) Syntax
= Grammatik oberhalb der Wortebene
→ Regeln, nach denen Wörter zu grammatischen Sätzen kombiniert werden
→ hängt eng mit Flexionsmorphologie zusammen
verbalgrammatische Kategorie „Tempus“: Perfekt- und Präteritalformen
-) Perfekt: Perfekthilfsverb („sein“, „haben“) + Partizip II → „analytische“ Verbalform setzt sich
aus mehreren Wörtern zusammen
-) Präteritum: „synthetische“ Verbalform wird am Verb selbst gebildet
„tappen“ = „reguläres“ oder „schwach konjugiertes“ Verb → Präteritum: Suffix -t an die Wurzel
Perfekt = syntaktisch markierte Verbalkategorie; Präteritum = morphologisch markiert
7) Textlinguistik
→ primäres Untersuchungsobjekt Texte
Texte: sinnvolle Verknüpfungen sprachlicher Zeichen in zeitlich-linearer Abfolge (mündliche oder
schriftliche Texte)
Teildisziplinen:
-) Textgrammatik (Grammatik, Systemlinguistik; Laut, Wort, Satz) → analysiert die Struktur von
Einzelsätzen aus dem konkreten Textkontext, in den die Sätze eingebaut sind
→ Textkohäsion: formal-syntaktischer Zusammenhang von Texten
-) Textsemantik (Satz-, Wortsemantik)
→ Textkohärenz: inhaltlicher, logischer Aufbau von Texten
-) Textpragmatik (Pragmatik; Diskursanalyse, Gesprächsforschung)
8) Semantik
=Wissenschaft, die sich mit der Bedeutung oder dem Inhalt sprachlicher Einheiten auseinandersetzt
Textsemantik: Semantik von Texten
Satzsemantik: Fokus auf Sätzen
Wortsemantik: Semantik von Wörtern und Morphemen, „Inhaltsseite“ früher und heute, älteste
semantische Teildisziplin; selber Ausdruck hat verschiedene Bedeutungen, z.B. Flügel
etymologisches Wörterbuch von Kluge: Morphem rösch im Adjektiv rösch (seit dem 18.
Jahrhundert: „knusprig, munter, spröde“, aber nur in den Mundarten erhalten)
Verbindung aus Form (Ausdrucksseite) und Inhalt = willkürlich!, unterliegt einzelsprachlichen
Konventionen → verschiedene Ausdrucksseiten für selbes Konzept (dog, chien, Hund; Mädchen,
Dirndl, etc.)
9) Pragmatik
= Art der Sprachbetrachtung, die sich mit der Einbeziehung der sprechenden Personen und der
Beschreibung von Sprache in ihrer konkreten Verwendung („Praxis“) beschäftigt
→ griechisch „pragma“ = „Sache“, „Ding“, „Tun“, „Handeln“
Pragmatik in der Sprachwissenschaft: Sprechende handeln mit Sprache, Sprache spielt eine
besondere Rolle im menschlichen Handeln → welchen Gebrauch machen Sprechende von
sprachlichen Zeichen?
10) Variationslinguistik
→ Variation von Sprache wird analysiert
Variation = Koexistenz sprachlicher Varianten auf allen sprachlichen Systemebenen:
-) lautliche Varianten: „Has“, „Hos“, etc. für „Hase“
-) morphologische Varianten: fragte – frug
-) syntaktische Varianten: ich bin gesessen – ich habe gesessen
-) lexikalische Varianten: Altersheim, Seniorenheim, Altenpflegeheim, Seniorenstift
Untersuchungsgegenstand: einzelne Varianten und Varietäten = Subsysteme einer Sprache
-) mediale Varietäten: gesprochen/geschrieben
-) funktionale Varietäten: z.B. Fachsprachen
-) soziolektale Varietäten: Gruppensprachen
-) areale Varietäten: Dialekte, Regiolekte = regionale Umgangssprachen, Regionalakzente =
regionale Standardsprachen
11) Übersicht
Semiotik = Wissenschaft von Zeichen allgemein → Linguistik nur ein Teilbereich der Semiotik
-) deskriptiv = beschreibend: Textlinguistik, Pragmatik;
Phonologie, Grammatik (Syntax, Morphologie), Semantik = Systemlinguistik
Variationslinguistik (Variation auf allen linguistischen Ebenen): synchron und diachron möglich
→ in Zusammenhang mit Soziolinguistik
-) diachron
Phonetik (starke interdisziplinäre Bezüge zur Biologie, Physik und anderen Naturwissenschaften)
→ Sprachwissenschaft: enges Verhältnis zur Phonologie
4.) 24. März – Sprachwissenschaft
1) „Was ist Germanistische Sprachwissenschaft“
Speyerer, Uerdinger oder Benrather Linie → Linguist (Millionenshow)
Germanistische Sprachwissenschaft
Sprachwissenschaft, die sich mit der deutschen Sprache und all ihren Varietäten beschäftigt
(historisch und gegenwartssprachlich), ursprünglich Fokus auf allen germanischen Sprachen
Periodisierung:
Germanisch ca. 1000 vor ~ 500 nach Christus – ziemlich schwach belegt (Runeninschriften von
rechts nach links, z.B. „Helm von Negau“)
1. Lautverschiebung = Germanische Lautverschiebung (Konsonanten!, stimmlose Plosive P T K
→ Reibelaute F th ch)
hebt germanisch aus den anderen Sprachen heraus
Latein hat erste Lautverschiebung nicht durchmacht, aber gotisch (ostgermanisch), englisch und
neuhochdeutsch (westgermanisch) (pater, tres)
„deutsch“ seit 6. Jahrhundert: 500/750 nach Christus
2. Lautverschiebung = Althochdeutsche Lautverschiebung (unterscheidet Deutsch von übrigen
germanischen Sprachen, wieder Plosive p t → pf/f ts/z/s)
englisch hat die 2. Lautverschiebung nicht durchgemacht
Hildebrandslied um 830 → zweite Lautverschiebung nicht konsequent verschriftlicht!
Alt = älteste Epoche der deutschen Sprachgeschichte
Hoch = räumliche Erstreckung der Sprache
Deutsch = abgeleitet von Volk, Stamm, erst spät auf die Sprache übertragen
Neuhochdeutsch ab 1650
2) Dialektgliederung des deutschen Sprachraums
Oberdeutsch: 2. Lautverschiebung stark durchgeführt
Niederdeutsch: 2. Lautverschiebung nicht durchgeführt
Dialektgrenze: Benrather Linie trennt Niederdeutschen von Hochdeutschem Sprachraum!
(Mitteldeutsch + Oberdeutsch = Hochdeutsch)
→ Rheinischer Fächer (dorp Dorf, etc. Linien nähern sich fächerartig an Benrather Linie)
südbairische Dialekte (Süditalien, Österreich, Schweiz)
Dialektologie – was sind Dialekte?
= Regionalsprachenforschung
„standardfernste, lokal oder kleinregional verbreitete Vollvarietäten“
→ große Differenz von Hochsprache
Zweidimensionalität: räumliche und soziale Komponente
Regiolekte = regionale Umgangssprache = zwischen Standardsprache und Dialekte
Forschungsprojekte:
Atlas zur deutschen Alltagssprache (ADA) → Regiolekte
Vielfalt des Deutschen, Sprachwandel in den letzten 30 Jahren, lexikalische Phänomene
zwanzik in Süddeutschland, Österreich, Schweiz – zwanzisch in Mitteldeutschland – zwanzich in
Deutschland
ik breitet sich nach Norden, ich nach Süden aus
Plural von Wagen: Wagen Mitte- und Norddeutschland – Wägen Schweiz – beides Österreich – in
Zukunft eher Wagen
tun (II) zu spät …
kommen würde Norddeutschland
kommen täte Süddeutsch, Südtirol, Österreich
käme Schweiz
Plastitk- – Tüte, Beutel Deutschland – Sackerl Österreich – Sack Schweiz – Beutel
„Deutsch heute“ 2006 – 2009
einheitliche Standardsprache?
direkte Erhebungen – face to face
5.) 14. April – Germanistische Mediävistik
deutsche Literatur Beginnt mit Eintritt in Schriftlichkeit
Frühmittelalter 750-1050: Althochdeutsch und Altniederdeutsch; Karolinger und Ottonen, um 800
Krönung Karl der Große; nur in Klöstern geschrieben!
Hochmittelalter 1050-1250: Mittelhochdeutsch; Salier und Staufer; kulturelle Zentren sind die
Höfe (→ Verschiebung vom Kloster!, neue weltliche ritterliche Adelskultur, Worte Ritter und
Rittertum entstehen, Heldenepik entsteht); Haupt-, Blütephase
Spätmittelalter/frühe Neuzeit 1250-1450: Spätmittelhochdeutsch/Frühneuhochdeutsch;
Wahlkönigtum und Habsburger; kulturelle Hauptzentren = Städte, Meistersang, neuer
soziokultureller Kontext; um 1450 Buchdruck mit beweglichen Lettern
Germanistik als Form von Mediävistik entstanden, Linguistik erst in 70ern des 20. Jahrhunderts
Heinrich von der Hagen erster Germanistik Professor aus Berlin
Gebrüder Grimm (Deutsche Grammatik; Wörterbuch: exzerpieren, recherchieren, beschreiben;
Jakob Grimm kam bis „Frucht“; Sammeln deutscher Mythologie und Sagen)
Karl Lachmann Grimm-Freund, eigentlich Altphilologe, überträgt Techniken auf deutsche Texte;
Nibelungenlied, Eschenbachwerk und Iwein als kritische Ausgaben sind teilweise immer noch
Textgrundlagen!
Sprache: Althochdeutsch – Mittelhochdeutsch – Neuhochdeutsch
-deutsch: nicht national oder politisch definiert, sondern kultureller, sozialer Bereich der
Verständlichkeit
-hoch: räumliche dialektale Einordnung, alle, die die zweite = hochdeutsche Lautverschiebung
mitgemacht haben (7. Jahrhundert: Verschlusslaute verändert, ptk → pf ff tz zz kch)
-neu/mittel/alt: chronologische Einteilungen
Benrather Linie: darüber Niederdeutsch, darunter Hochdeutsch gliedert sich in Mitteldeutsch,
Oberdeutsch (meiste Texte im Studium, aber einige auch in Mitteldeutsch) und Alpendeutsch
Dehnung und schwachtonige Nebensilbenvokale (tága zu Taage)
Diphthone zu Monophthonen (muot zu Muut)
Monophthone u Diphthonen (wiihe zu Weihe)
Frühneuhochdeutsch: Übergang zwischen Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch
Leitbegriffe für das Verständnis mittelalterlicher Literatur
Alterität: Fremdheit als Grundlage des Verständnisses; moderne Literaturwissenschaft:
gleichzeitig; im Mittelalter keine Form von Identifikation, historisch vieles nicht mehr einzuholen,
nicht mehr nach unseren Standards zu erklären, vielmehr Spielregeln der damaligen Kultur
begreifen! (Figuren in vergleichbaren Situationen vergleichen); als fremd akzeptieren!
Autonomie der Kunst: kein in sich geschlossenes System in dem man sich um die Kunst um ihrer
Selbst Willen beschäftigt!, Texte im MA für spezifische Situationen geschrieben, haben bestimmte
Funktionen, in festes Funktionssystem eingebunden
Autor-Werk-Paradigma: ein Werk von einem Autor, unverändert, Verbindung zwischen Autor und
Werk: ist alles im MA nicht vorhanden, anonyme Texte meist ohne Titel in verschiedenen
Fassungen
Literaturbegriff: „Texte vor dem Zeitalter der Literatur“, kein Rezensionswesen, Buchmarkt, etc.
Kultur
Literaturträger sind Eliten (Handschriften = teuer!, gibt wenig Handschriften)
Frühmittelalter: Elite = Klosterkultur, vor allem geistliche Dichtung
Hochmittelalter: neue Elite = weltliche Adelige, neue Texte entstehen, neue soziale Praxis, neue
Ämter, Heldenepik, Minnesang, höfische Epik
Spätmittelalter: städtisches Bürgertum, Fastnachtsspiel, Kleindichtungen, Meistersang
Medien
Mittelalter als Manuskriptkultur: Handschriften sind einmalig, exklusiv und teuer
Handschriftenproduktion nimmt stetig zu, wird mechanisch (Schreibwerkstädten; ab spätem 13.
Jahrhundert kommt Papier hinzu)
Buchdruck um 1450: langsame Entstehung eines anonymen, überregionalen Buchdrucks → völlig
andere Form von Textkultur! → identische Ideen verbreiten erst jetzt möglich!, Titel,
Erscheinungsdatum, etc. entstehen!
Aufgaben:
Textherstellung: mehrere Handschriften → welche lesen?
Textgeschichte: wie sind Texte überliefert? wer für wen geschrieben? wie Handschriften benutzt?
Drei Beispiele:
-) Hildebrandslied: mündlicher Vortragstext, „ich hörte sagen dass“, erstes althochdeutsches
Heldenlied, auf freien Seiten eines geistlichen Buches geschrieben
-) Codex Manesse – Handschrift C – große Heidelberger Liederhandschrift: Sammlung von
Minneliedern, erst Bild des Autors, dann Texte, nach adeliger Hierarchie gegliedert; Bild von
Walther aus Text von „ich saß auf einem Stein“, war schon 50 Jahre tot als Illuminator das Bild
anfertigte: Dichterinsignien, sitzt auf Stein, „Herr“, Helm, Pergamentblatt~Sprechblase
-) Handschrift C des Nibelungenlieds: kaum ältere Handschriften, also nah an der Entstehung,
Strophen nicht abgesetzt, sieht aus wie Prosa → möglichst viel Text auf eine Seite, kompakt
erstes Gattungsbeispiel Mittelhochdeutsche Heldenepik:
im Mittelalter immer als historische Wahrheit empfunden
vier Regeln: Selektion (wichtigste Ereignisse memorieren), Reduktion (in eine kompakte Form
gebracht, ausschnittsweise Erzählt, nur wenige Figuren erwähnt), Kombination (Ereignisse
kombinieren, die nicht zeitgleich stattgefunden haben), Privatisierung (Familiengeschichten
werden berichtet – Trojanischer Krieg – Entführung → individuelle menschliche private
Familienebene)
Regeln notwendig, weil damals noch nicht Medium der Schrift! → kollektives Gedächtnis basiert
auf Weitererzählung!
mündliche Traditionen in schriftliche umgewandelt, drei wichtige formale Folgen:
Handlung an realen Orten (Siegfried aus Xanten nach Worms, etc.)
Strukturell sequentiell aufgebaut (ein Ereignis ans andere geknüpft, wie eine Chronik, kaum
Rückblenden, keine gleichzeitigen Handlungen, Wiederholungs-, Steigerungsformen)
Formal strophisch (Melodie nicht überliefert)
Dietrich von Bern = wichtigste Figur der deutschen Heldensage, dahinter steht der
Ostgotenkönig Theoderich der Große; Dietrich stirbt nicht
Nibelungenlied
über 30 Handschriften überliefert, schon im 13. Jahrhundert dreimal komplett (A, B = beliebteste,
aber Eingangsstrophe fehlt, C = älteste)
Textkritik mit und nach Lachmann:
1 recensio: Sichtung der Überlieferungen
2 examinatio: Wertung, ob „original“ (=gut, plausibel)
3 emendatio: auf Grundlage der examinatio Entscheidung für eine Fassung
Kühnheit (positiv) oder Arbeit (negativ) → arebeit, weil in mehreren Handschriften und weil positiv
vor negativ nach Fraktur
erste Nibelungenstrophe
Metrik
Langzeilen mit Mittelzäsur, 7-8 Hebungen, Anverse immer weibliche Kadenz mit vier Hebungen,
Abverse immer männliche Kadenz mit drei Hebungen; letzte Zeile auch im Abvers vier Hebungen
zur Kennzeichnung der Strophenende, Paarreim, erste Strophe auch zusätzlich Binnenreim (nur 56% insgesamt → vielleicht später entstanden)
inhaltliche Zusammenfassung
uns = wichtiger Vortragsgestus, alte maeren als Gemeinsamkeit
positiv-negativ → Aura der drohenden Katastrophe
letzter Abvers syntaktisch locker angebunden
Mittelteil als Fortsetzung des ersten oder Anfang des letzten Verses → Apokoinu!
letzter Vers: uns → ihr → Trennung zwischen Vortragendem und Zuhörern
Perfekt → Präsens mit Vorverweis
historische Grundlagen:
Siegfrieds Tod & Untergang der Burgunden:
Burgunderkönig Gunterhar(ius) im Laufe des 5. Jahrhunderts breitet sich nach Westen ins Römische
Reich aus → Schlacht, Burgunden besiegt, komplettes Königshaus ausgerottet, kompletter Stamm
nach Burgund gedrängt
Lex Burgundionum/Lex Gundobada: Vorfahren der Burgunden: Gibica, Gundahar, Gislahar,
Gundomar
nordische Fassung des Nibelungenlieds ganz anders! (Drachenkampf und Jugend Siegfrieds sehr
wichtig!)
Siegfried hat eigene Erzähltradition, historische Figur nicht bekannt, Theorien:
austrasischer Königssohn Sigibert heiratet Brunichild; Brüder heiraten Schwestern
Siegfried = ripuarischer Fürst am Burgundenhof
Arminius der Cherusker → Drache = mythische Umformulierung des Sieges gegen die Römer;
wurde von eigener Familie umgebracht
heimtückischer Mord an herausragendem Helden + Untergangssage
Inhalt Nibelungenlied
Erster Teil – Siegfrieds Tod
Siegfried will Burgundische Königstochter Kriemhild heiraten, muss sich am Königshof bewähren,
hilft Gunther, Brünhild zu gewinnen (Tarnmantel) → Hochzeit; Brünhild glaubt, dass Siegfried
Gunthers Untertan ist
Brünhild lügt Kriemhild an, Konflikt mit Siegfrieds Mord besiegelt
Kriemhild verrät Hagen wo das Lindenblatt das Drachenblut verdeckte
Kriemhild vergisst Kind und bleibt bei ihren Brüdern, auf Rache sinnend, heiratet Hunnenkönig
Etzel, lädt Verwandtschaft zum Besuch, lässt komplette burgundische Gesandtschaft umbringen,
tötet Hagen selbst, Hildebrand (Gefolgsmann Dietrichs von Bern) tötet Kriemhild
Nibelungenlied als wichtigstes Heldenepos
Vortrag als anonymes Weitererzählen!
schriftliche Fassungen variieren (A 2316 Strophen, C 2439)
C steht ziemlich für sich → Liedfassung
A und B → Notfassung
alter Stoff im Gewand der neuen höfischen Literatur, Figuren und Handlungsmotivationen sehr
zerrissen → hin zu einer Form von neuer Literatur
6.) 21. April – Mediävistik II
Heldendichtung, Artusdichtung, Minnesang
Artusepik – europäische Erzähltradition
Altfranzösische Vorlagen von Chrétien de Troyes (Erec, Yvain, Perveval)
ab 1180 bereits in Deutsch
im Zentrum: König Artus, seine Ritter, idealer Hof
historische Wurzeln: Artus lebte ~ 500, aber keine genauen Infos; ausführliche, nicht historische
Geschichten erst im 12. Jahrhundert in der lateinischen Historia Regum Britanniae von Geoffrey
von Monmouth
Volkssprache: Wace um 1150 in Roman de Brut; de Troyes Epen in der 2. Hälfte des 12.
Jahrhunderts; Erec von Hartmann von Aue um 1180 → erstes deutsches Artusepos!
Unterschiede zur Heldenepik: Protagonisten historisch nicht belegt, Artus relativ passiv; Metrik:
paargereimte vieerhebige Kurzverse; v.a. durch Handlungsverdoppelungen und Szenensymmetrien
strukturiert; Ort und Zeit weniger historisch rückgebunden als in Heldenepik
→ Fiktionalisierung der Erzählkultur
Beispiel Iwein von Hartmann von Aue, um 1200
Beginn = Sprichwort: gut handeln → gut gehen → Artus: Beispiel dafür gewesen → heute immer
noch Vorbild!
Zuhörer = adelige Ritter, neue Adelselite, „Neureiche“
Autor nennt sich selbst „ein rîter, der gelêret was, etc.“ – gelehrter Ritter, liest & dichtet nur wenn er
nichts besseres zu tun hat → wiederverwendet im Armen Heinrich! Dienstman = Ministeriale →
Ritter schreibt für Ritter; schwere Stunde erleichtern, Gott ehren, sich beliebt machen → prodesse et
delectare (Horaz Ars Poetica)
Armer Heinrich keine Quellen, Iwein Vorlage, aber nie Anspruch auf neue Geschichte →
Wiedererzählen von alten Stoffen!
Aue: tichtan (Ahd), tichten (Mhd) aus Lehnwort dictare → an Schrift gebunden! (Wiener
Gregorplatte: von Vogel eingeflüstert, wird erst in der Neuzeit getilgt); dictare im 15. Jahrhundert
nochmals entlehnt zu diktieren
Metrik der höfischer Epik: vierhebige paargereimte Kurzverse, freie Kadenzfüllung, teilweise
überlange Verse, Singsang-Grundstruktur
→ statt anonymen Weitererzählen der Heldendichtung: autorgebundenes Wiedererzählen auf
Grundlage schriftlicher Vorlagen
→ Funktionen: prodesse (Vorbildhandlung), delectare (Stunde kürzen), Preis Gottes (Gültigkeit von
Normen betont)
→ Fiktion und Literarisierung: Zweckgebundenheit, auch Texte über Texte → Intertextualität,
literarische Freiräume (Wirklichkeitsreferenz wird irrelevant → Fiktionalität), vom was zum wie:
bekannte Geschichten neu und besser erzählt – Form ist relevant
Minnesang
Definition: früheste deutsche Liebeslyrik, ab Mitte 12. Jahrhunderts, keine Erlebnislyrik sondern
Rollenlyrik als öffentliches Ritual oder Zeremonie eines Sängers von einem Adelshof
(Auftraggeber, Mäzen)
Minnenparadox: hohe Minne: keine konkrete Liebeserfüllung: höfische Herrin = frouwe ist nicht
erreichbar, wird trotzdem gepriesen und umworben vom Sänger der im hohen Sang vergeblich um
sie vergeblich wirbt → paradoxes Anliegen, Bemühung darf nicht erreicht werden
Trianguläre Konstellation: Paradox klärt sich auf: Hof-Dame-Sänger-soziale Einbindung des
Sanges: Sänger vom Hof bezahlt, besingt Dame, Ansehen der Dame (und ihres Gatten) steigt
niedere Minne: gegenseitige sexuelle Begehren, frouwe = magedin = Mädchen; Formen des
Sanges: Frauenlieder (fingierte Rede einer Herrin), Botenlieder (Liebeswerbung und Frauenpreis als
Rede von Boten), Wechsel (Monologe von frouwe und Sänger über Minne, kein Dialog!), Tagelied
(feste Szenerie: Erwachen nach illegitimer Liebesnacht, Bote warnt Pärchen, Mann muss fort,
Klage über Abschied)
hohe Minne – Überlieferung: A = Kleine Heidelberger Liederhandschrift, Ende 13. Jahrhunderts
in Elsass; B = Weingartner oder Stuttgartner Liederhandschrift um 1300, bebildert, C = Große
Heidelberger Liederhandschrift. Codex Manesse, Heidelberg, um 1300; alles ziemlich chaotisch;
weit nach Entstehung aufgeschrieben!
Beispiel Strophe Reinmars des Alten (gelebt um 1200, kannte Walther); Des Minnesangs
Frühlung: gegliedert nach Autoren und Tönen → Lied nicht als erzählende Einheit
Minnesang stark formalisiert, Schema Kanzonenstrophe aus Frankreich (80% des Minnesangs):
Grundschema: bis zu 30 Verse; Aufgesang und Abgesang → Zweiteilung beginnt jeweils mit
Großbuchstaben, Aufgesang beginnt mit Wiederholung = Stollen; Kreuzreim im Aufgesang, im
Abgesang anderer Reim, andere Hebungszahl
Inhalt Reinmar Ich wil allez gâhen: will mich immer um meine Liebste bemühen, sie verwandelt
Kummer in Freude → Minimalform/Beschreibung der Minne; Aufgesang erster Stollen: sehr
verliebt und Bemühen, zweiter Stollen: Hoffnung kein Ende – Minneparadox, keine Erfüllung!,
liebendes lyrisch Ich ignoriert Tatsachen und bemüht sich trotz Unmöglichkeit → Verpflichtung
zum dienst[leisten], der glücklich macht; Abgesang Lösung
Parallelüberlieferung E Würzburger Liederhandschrift, Mitte 14. Jahrhundert: Reihenfolge
verkehrt: Schlussstrophe, nicht Eingangsstrophe wie in C; Abgesang völlig anders: performativer
Selbstwiderspruch „doch gesprich ich nim mer niht“ → spricht Herrin direkt an; MA: Sehen = Akt
des Berührens, Sehstrahltheorie (Vereinigung)
Zusammenfassung: Minnesang = höfisches Ritual, Rollenlyrik, allgemeiner Diskurs über höfische
Liebe und Erotik; Funktion des paradoxen Klagens: literarhistorische Gründe (Weltweite Tradition),
soziologischer Teil eines „Prozesses der Zivilisation“ (Norbert Elias): triebhaftes Verhalten
umgewandelt in höfisch-zivilisierte Verhaltensformen, die der Sang vorführt und „einübt“ –
Vergleich mit höfischer Epik (imitatio der Artusritter!), aber ganz anders als Heldenepik!
Überlieferung: freier Umgang mit Text, Strophen(reihenfolgen) (Varianz)
kurze Definitions- und Datierungsfragen beantworten können! (am Ende vom Skript!)
7.) 28. April – Neuere deutsche Literatur
NDL ab 1450, Buchdruck (wird sich durchsetzen); in Kiel ab 17.Jh., München ab 16.Jh., deutsches
Wikipedia ab 15.Jh. → welche Texte mit und an anderen Texten mitsprechen lassen?
Bibliothek: kollektive Orte, an denen Bücher aufbewahrt und gepflegt werden, Wissen geht in den
Himmel, Weltkugeln in der Bibliothek (Weltordnung), Holz und Bücher farblich abgestimmt;
andere Verbindungen möglich!
Johann Goxttfried Herder, Daniel Ernst Schleiermacher → hermeneutisches Textverständnis
Bücher, Texte und Literatur vielfach persönlich adressiert
Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, 1668: im selben Jahr eine
Fortsetzung; gibt Lebensgeschichte des Autors in indirekter Form wieder (langsame Aneignung der
Schrift); Name am Titelblatt: German Schleifheim von Sulsfort = Anagramm von Grimmelshausen;
Druckername Johann Fillion = Pseudonym von Johann Jonathan Felßecker in Nürnberg
Titelfunktionen:
-) Name →
-) Wiedererkennung
-) Lektüreerwartungen steuern
Titelapparat soll neurierig machen → Köder (heute Klappentext, Buchbinde, Text auf der Rückseite
des Einbandes
zitierte Szene:
Akt der Benennung, Akt der Anrufung (Gebet) – sprachliche Operationen
Problematisierung von Eigennamen: familiäre Position, Schimpfworte → keine eigennamentliche
Existenz, sozialler Ort der sprachlichen Diskriminierung der Deklassierung; Namenspielerei mit
Verwechslungen; Unterscheidung zwischen Schuld und Unschuld geht verloren; Kirche-Kirsche
Ungelenkheit der Rede – Bub lernt im Roman sprechen →
labiler, inhomogener Zustand des Deutschen des 17. Jahrhunderts
Raubdruck: normalisierte → sprachlich der zeitgenössischen Verkehrssprache angenäherten,
dialektal entschärften Edition
Normalisierung 350 Jahre später: Reinhard Kaiser-Übersetzung aus dem Deutschen ins Deutsche
→ textuelle Substanz, Sinn geht verloren: Rhythmus bei Grimmelshausen: betont-unbetont, Störung
beim Thema Eltern; Grimmelshausen: „Vatter und Mutter hat gerufen“, Kaiser: „haben gerufen“ →
Einheit → Übersetzung tendiert dazu, den Protagonisten in eine Vorstellung intakter Familie zu
reintegrieren
Lesen: Analphabetentum: 783 Mio., fast zwei Drittel Frauen
funktionaler Analphabetismus: keine zusammenhängenden, (kürzeren) Texte verstehen (14% der
erwerbsfähigen Deutschen!)
Ulfert Ricklefs „Fischer Lexikon Literatur“: ständige Bereitschaft zur Revision, Annulierung,
Erweiterung, Präzisierung, veränderten Konkretisierung der Entwürfe von Szenerien, Perspektiven
und Horizonten → flexibel bewegliches Entwurfsfeld → Gesamteindruck des gelesenen Textes
→ Komplexität der Welterfassung erst durch Lesen ermöglicht
drei Säulen: Information, Prozessualität, Erkenntnis
Literatur der Sprachkritik → Sprache hat Signifikanz (wie geht sie mit den Dingen, Figuren und
Beziehungen im Sprechen um?)
Divina Commedia von Dante: Motiv der lesenden Liebenden
Schiller: Maria Stuart, Uraufführung 1800; beide Figuren absolut verjüngt (um 19 bzw. 23 Jahre)
Maria Stuart: katholisch, in Frankreich erzogen, aus Schottland geflohen, in England um Asyl
angesucht, in Gefangenschaft des englischen Hofes (wegen Mordkomplott gegen Elisabeth
angeklagt, Tod durch Enthauptung), überzeugt, durch ihre Genealogie legitime englische
Thronfolgerin zu sein
Elisabeth: darf noch Ansprüche machen
→ Gegenüberstellung zweier weiblicher Figuren (Königin, die nicht mehr Frau sein darf & Frau,
die als solche nicht mehr Königin sein kann)
„Marie“ (Briefzitat Schiller) bittet um Unterredung mit Elisabeth → keinen anderen Ausweg
nicht schuldig – Doppelbedeutung
rhetorisch ausgefeilte Rede, überdeterminiertes Sprechen – sprachliche Reflexion und Bewusstheit
movere ~ Bewegen durch Worte
„Worte, meiner Tränen Kraft“, „Rühren des Herzens“, „gefesselte Flehensworte“, „Ihr habt mich
sprechen wollen“, „Schwere Beleidigungen“, „gerechter Tadel“, „Womit soll ich den Anfang
machen?“, „wie / Die Worte klüglich stellen, / daß sie Euch / Das Herz ergreifen, aber nicht
verletzen!“, Anrufung Gottes, er möge „der Rede Kraft“ geben, (nicht) „für sich selbst sprechen“
können, „verklagen“, „Bittende“, „Verhöhnte“, „Schimpflichkeit“ des Gerichts, etc.
theatralisch raffiniert auskomponierte Sinneshierarchie:
Elisabeth – höchster der Sinne: Augensinn; „Eisesblick“, „meines Anblicks Trost gewähr ich Euch“,
„Seht!“
Maria – niedriger eingestufter Ohrensinn; stellt eigene Redeweise vor → exponiert Beziehung zu
Elisabeth → stellt Lösung des Konflikts in Aussicht: anderes „Benennen“, das die Logik gegen- und
beidseitiger Schuldzuweisung durch die Setzung eines Dritten (des „Schicksals“) zu durchbrechen
sucht → kein Gesichtsverlust, Würde bliebe gewahrt
eigentliche Tragik des Stückes sichtbar in:
-) Vorführung instrumenteller Sprachgewalt
-) sprachgewandter Korrumpiertheit
-) Verkommenheit der Redeform im Sozialen
Letzte Szene des 5. Aufzugs heißt nicht 15. Auftritt, sondern: Letzter Auftritt
Werke um 1800:
Friedrich Schlegel, Lucinde, 1799
Novalis, Die Christenheit oder Europa, 1799
Hölderlin, Gedichte, 1799; Späte Lyrik (verstreut gedruckt), 1801
Tieck, Leben und Tod der heiligen Genoveva, 1800
Jean Paul, Titan, 1800
Schiller, Maria Stuart, 1800; Die Jungfrau von Orleans, 1801
Brentano, Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter, 1801
Dorothea Veit/Schlegel, Florentin, 1801
Sprechakt
sprachen = handeln
performative Verben geben Auskunft über die dialektische Aufeinanderverwiesenheit von
Handlung und Tun (von engl. to perform) → Sprechen ist kein Gegensatz von Handeln, sondern
eine Form des Handelns
John Langshaw Austins: How to Do Things with Words (Vorlesungszyklus): sprachliches Lexikon
verfügt über eine erstaunliche Zahl an Verben, die „Sprechen“ bezeichnen
Vokabular zur Differenzierung verschiedener Arten des Sprechens & Ausdrücke im Sprechen selbst
spielen aktive Rolle um Handlungsdimensionen der Rede zu präzisieren und kontrollieren
„Kann jemand die Türe schließen“ → implizite (nicht extra gekennzeichnete) Äußerungsrolle
„Ich bitte Sie, die Türe zu schließen“ → Rolle, die die Äußerung spielen soll, wird explizit gemacht
→ jede implizite Äußerung kann in eine explizite übersetzt werden
Pierre Bourdieu: Linguistik: Gegenstand als eine ideale, von allen Praxisbezügen gereinigte
Sprache → idealer Sprecher/Hörer, kein Machtgefälle, keine Interessenskonflikte, keine Status-,
Geschlechts- oder Standesunterschiede, kein Redezwang oder Redeabbrüche, keine Anakoluthe
oder Unterbrechungen
Austin hat Verunglücken bzw. den Missbrauch von Sprechakten zum Thema gemacht: Sprechakte
können kostümiert oder verkleidet sein, sprechen heißt Anders-Sprechen-als-Sagen oder EtwasAnderes-Sagen-Als-Sprechen
8.) 5. Mai – Neuere deutsche Literatur II
Bachmann: im 20. Jahrhundert hält sich das Ich nicht mehr in der Geschichte auf, sondern die
Geschichte im Ich → Person = Stimme unter anderen, Raum unterschiedlichster Stimmen
Person nicht ident mit Schriftsteller, Schriftsteller nicht ident mit Erzähler (Roland Barthes,
französischer Semiologe: „Der (in der Erzählung) Sprechende ist nicht der (im Leben) Schreibende,
und der Schreibende ist nicht der Seiende“)
Roman des Schweizer Autors Robert Walser: Der Gehülfe
Jelinek über Walser: „Doch wenn der Weg nach außen versperrt ist, will man auch in sich nicht
mehr bleiben, weil man es muß“ (über Aufenthalt in der Psychiatrie; starb bei einem Spaziergang
im Schnee)
Kindlers Literatur Lexikon: Schauplatz: „halb industrielle, halb bäuerliche“ Gemeinde Bärenswil (=
Pseudonym für Wädenswil, „in dem Walser vom Sommer 1903 bis zum Januar 1904 als
Angestellter eines mit exzentrischer Phantasie begabten Ingenieurs in der Villa 'Zum Abendstern'
lebte, die auch im Roman diesen Namen trägt“)
Held der Geschichte: dreiundzwanzigjähriger, aus ärmlichsten Verhältnissen stammender Joseph
Marti, Kontorist und „Gehülfe“ in der Villa und bürgerlichen Familie des Unternehmers und
Erfinders Tobler → wird Zeuge des Verfalls und Bankrotts des Hausherren, bemerkt, „daß auch das
Leben der scheinbar so reputierlichen bürgerlichen Familie Tobler nicht ohne Makel ist“ → geistig
zurückgebliebene Tochter Silvi wird herumgestoßen, eingeschüchtert und seelisch vollends zerstört
(„mehr aus Gedankenlosigkeit als aus Vorsatz“)
Textpassage „Von Silvi muß noch erwähnt werden, daß“
Logik der Ereignisse aufgebrochen; erzählerisch immer wieder neuer Ansatz; Nachtrag, gefaktes
Postskriptum (Postskriptum eines Romans, der selbst so etwas wie ein Postskriptum einer
untergehenden Unternehmersfamilie darstellt)
Silbische Verstümmelung von Silvi zu Sivi → kein Fließlaut l = Liquided (Bettvernässung)
erwähnen etymologisch: Lärm, Stimme, Ruf
Passage hallt wieder von und schließt mit einem nicht endenden Jammer: „jämmerliches Geschrei“,
„Geschrei und Poltern“, „Scheltworten“, „Auftrag“, „Anordnung“, „laut ausgerufenen
Schimpfnamen“ → sprachliche Grenzen von Gewalt und Verletzung
kleines Kind: ferner Märchenton („Hutzel- und Hudelkind“, „vernässen“ – verwünschen,
verzaubern)
Gedankenmonologe, erlebte Rede, Subkonversation, Erzählerbericht → wer spricht?
„Da sitzt dann das Hutzel- und Hudelkind mit dem bewußten Gegenstand, den sie in kurioser Weise
neben sich hinstellt, auf einem der Treppenabsätze und scheint, wenn man sie so betrachtet …“ →
„sie“ bezogen auf das Kind, Doppeldeutigkeit wird umgangen (wenn man es só betrachtet) →
Erzähler schlägt sich auf Silvis Seite, Meinung wird zugunsten eines Hinschauens ausgeschlossen
Máma- oder Mamá-Leseweise? Ruf des Kindes hören oder überhören?
Polyphonie
verschiedene Stimmen in einem Wort
Michail M. Bachtin (1895, Orel, südlich von Moskau – 1975, Moskau): Studium der Klassischen
Philologie in Odessa und Petersburg; Manuskript einer großen Arbeit über den Bildungsroman aus
Mangel an Zigarettenpapier von hinten nach vorne aufgeraucht
Odessa: vielsprachige Bevölkerung → Informationen über Sprachketten
Polyphonie, Redevielfalt, fremdes Wort
„Das Wort wird im Dialog als seine lebendige Replik geboren, es erlangt seine Form in der
dialogischen Wechselbeziehung mit dem fremden Wort im Gegenstand“, Redevielfalt tut sich schon
in der einzelnen Äußerung selbst auf! (Sprache = voll von zukünftigen und vergangenen Sprachen)
Sprache = Plural verschiedener Sprachen in ein und derselben Sprache
analphabetischer Bauer lebt in einer Reihe von Sprachsystemen:
-) zu Gott beten
-) Lieder singen
-) Arbeits-, Alltagssprache
-) Gesuch an den Amtsbezirk diktieren
→ „Aber diese Sprachen waren im Sprachbewußtsein des Bauern nicht dialogisch aufeinander
bezogen; er ging unbewußt, automatisch aus der einen in die andere; jede war auf ihrem Platz
unumstritten, und es war der Platz einer jeden unumstritten“
kritische wechselseitige Erhellung der Sprachen / mit diesen Sprachen untrennbar
zusammenhängenden ideologischen Systeme und Weltanschauungen bestehen keineswegs friedlich
nebeneinander → aktive auswählende Orientierung
„Das auf seinen Gegenstand gerichtete Wort geht in diese dialogisch erregte und gespannte Sphäre
der fremden Wörter, Wertungen und Akzente ein, verflicht sich in ihre komplexen
Wechselbeziehungen, verschmilzt mit der einen, stößt sich von der anderen ab, überschneidet sich
mit dritten.“
Else Lasker-Schüler: Ein alter Tibetteppich
1869 in Elberfelde im heutigen Wuppertal geboren, 1945 in Jerusalem gestorben
„Ich bin die Prinzessin von Bagdad und dichte wie Lasker Schüler“, bezeichnet sich selbst als
„Joseph von Ägypten“, „Jussuf von Theben“
erste Druckfassung des Gedichts 1910 in der expressionistischen Wochenschrift „Der Sturm“, dann
in Karl Kraus Zeitschrift „Die Fackel“ („Sin und Klang, Wort und Bild, Sprache und Seele
verwoben“), unzählige Nachdrucke
betonte und unbetonte Silben wechseln regelmäßig ab, Paarreim, Besonderheiten („buntgeknüpft“,
„himmellang“, „Lamasohn“)
Bachtinscher Begriff der Dialogizität: Liebesgedicht wird wie das Wort im Dialog als seine
lebendige Replik geboren
Teppiche im Orient kulturgeschichtlich Abbilder von Gärten – Garten überallhin mitnehmen
Poetik
Lehre von der Dichtkunst, dem Wesen, den Formen und Gattungen der Literatur
Aristoteles: erste bis heute einflussreichste Poetik: Literatur ahmt mit den imaginativen Mitteln der
Sprache die Welt sinnlicher Wahrnehmungen und menschlicher Handlungen nach indem sie in ihren
Fiktionswelten die Grenzen der bestehenden Realität durchbricht und die Vollendung des in der
Natur noch Unvollendeten antizipiert
Wie verhält sich das Schreiben eines Individuums zur Welt? Wie kommunizieren die sprachlichen
Modellierungen der Welt mit der Welt, in die sie sprechen?
Selbstreflexion der Literatur
Poetik leitet sich etymologisch von weben, flechten ab – Textur eines Stoffes, Gewebe eines Textes
Poetik des Webens – Text als Gewebe – Tuch
Poetik des Flechtens – Text als Geflochtenes – Geflecht
Poetik des Knüpfens – Text als Geknüpftes – Teppich