Landschulheim Steinmühle in Marburg (Gymnasium)

Oberhessische Presse
28.05.2015
Programm „Willkommen bei Freunden“
Steinmühle will Flüchtlinge zum Abi führen
Das Landschulheim Steinmühle will im Herbst minderjährige Flüchtlinge, die allein in
Deutschland ankommen, unterrichten und möglichst zum Abitur führen.
Marburg. Die beiden Schulleiter Björn Gemmer und Bernd Holly berichteten am
Donnerstag, dass ein Internatsgebäude leergeräumt und für die Flüchtlinge zur Verfügung
gestellt werden könnte. Die Eltern sind bereits über die Überlegungen informiert, eine
Betriebsgenehmigung soll schnell beantragt werden. Die Verhandlungen über einen
Mietvertrag für das Gebäude sind schon relativ weit fortgeschritten.
Untergebracht würden die „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge“, wie sie im sperrigen
Amtsdeutsch heißen, in Einzelzimmern von etwa 12 bis 14 Quadratmetern Größe mit
Gemeinschafts-Sanitäranlagen auf dem Flur. Platz wäre für 14 Flüchtlinge.
Sobald die Betriebsgenehmigung erteilt ist, sollen zusätzliche Lehrer eingestellt werden, die
für Deutsch-Intensivkurse ausgebildet sind. Mindestens ebenso wichtig ist aber, so betont
Gemmer, die psychosoziale Betreuung der jungen Leute, die überwiegend traumatisiert durch
ihre monate-, manchmal jahrelange Flucht sind. „Unsere Zielvorstellung ist es, die jungen
Leute zum Abitur zu führen“, betont Holly, „das geht natürlich über Deutsch-Intensivkurs
klar hinaus.“
Marburg bietet sich für Betreuung an
Unterstützt wird die Steinmühle in ihren Überlegungen von der Gisa, der „Gesellschaft für
innovative Sozialarbeit“, einer „Tochter“ des St.-Elisabeth-Vereins. Das Fortbildungsinstitut
hat Erfahrungen im sozialpädagogischen Umgang mit traumatisierten Kindern und
Jugendlichen, berichtet Steinmühlen-Geschäftsführer Dirk Konnertz. Angebote in Sport und
Erlebnispädagogik müssten hinzukommen, Näheres könne man aber erst dann sagen, wenn
die Jugendlichen hier eingetroffen sind.
Das Jugendamt, das die Aufnahme jugendlicher Flüchtlinge initiiert hatte, will, so Gemmer,
Sorge dafür tragen, dass bei der Auswahl der Flüchtlinge darauf geachtet wird, dass sie eine
Chance auf die Erlangung des Abiturs haben. „Das schließt vor allem einen mehrjährigen
Schulbesuch im Heimatland ein“, sagt Holly. In einem Brief an die Eltern hat Gemmer auf die
Vorteile der Iniatiative hingewiesen.
„Der Kontakt zu einer überschaubaren Anzahl hilfsbedürftiger Menschen anderer Kulturen
wäre der Persönlichkeitsentwicklung unserer Schülerinnen und Schüler vermutlich dienlich“,
schreibt Gemmer an die Eltern, „insbesondere, weil unsere Schülerinnen und Schüler
mehrheitlich dem eher privilegierten Teil der Bevölkerung angehören.“
„Willkommen bei Freunden“
Eltern, Lehrer und Schülervertretung stehen dem Vorhaben positiv gegenüber, berichtet
Konnertz, und Holly ergänzt: „Wo, wenn nicht in Marburg, können wir diese Flüchtlinge
integrieren?“ „Wo, wenn nicht an der Steinmühle mit unserem ausgeprägten pädagogischen
Konzept?“, fügt Gemmer hinzu.
Die Unterbringung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge an der Steinmühle ist Teil eines
Konzepts, an dem das Jugendamt arbeitet. Marburg strebe an, als Schwerpunkt für die
Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge anerkannt zu werden, bestätigte
Bürgermeister und Jugenddezernent Dr. Franz Kahle. Einzelheiten wollte er noch nicht
nennen.
Mit dem Programm „Willkommen bei Freunden“ unterstützt der Bund ab sofort Kommunen
bei der Aufnahme von jungen Flüchtlingen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig
(SPD) strebt ein Gesetz an, das jungen Flüchtlingen ein Bleiberecht für die Zeit ihrer
Ausbildung garantiert. Das Familienministerium will die Kommunen mit Beratungsangeboten
beim Aufbau von lokalen Integrationsprojekten unterstützen. Die Kommunen sollen
außerdem mit 12 Millionen Euro jährlich unterstützt werden.
Unterdessen gibt es Neuigkeiten bei dem Bemühen, allen schulpflichtigen Flüchtlingen in
Marburg den Schulbesuch zu ermöglichen. Das Kultusministerium genehmigte nach
wochenlangem Zögern zusätzliche Mittel, die die Einrichtung einer Klasse an der Emil-vonBehring-Schule ab nächster Woche ermöglichen.
Marktplatz soll Symbol für Integration werden
Der Magistrat wird diesen Freitag in der Sitzung des Stadtparlaments einen ausführlichen
Überblick über die finanziellen und organisatorischen Anstrengungen der Stadt bei der
Sprachförderung für Flüchtlinge geben.
Das Stadtparlament wird diesen Freitag nach Lage der Dinge mit großer Mehrheit, aber gegen
die Stimmen der CDU, einem Antrag der Marburger Linken zustimmen, dass der Marktplatz
künftig an jedem ersten Sonntag im Juli (dem früheren Termin für den in diesem Jahr
abgesagten Marktfrühschoppen) für eine Veranstaltung reserviert wird, die Weltoffenheit und
Toleranz in Marburg zum Ausdruck bringt.
In diesem Jahr ist eine gemeinsame Fürbittenveranstaltung aller Religionsgemeinschaften für
Flüchtlinge geplant. Gegen eine solche Veranstaltung hätten etwaige Klagen vor dem
Verwaltungsgericht keine Chance, sagte Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD).
von Till Conrad