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Finanzialisierung des Alltags als Öffnung und Schließung von
Märkten
Dr. Jan-Ocko Heuer, Humboldt-Universität zu Berlin, [email protected]
Dr. Jürgen Schraten, Universität Gießen, [email protected]
Der ökonomische, soziale und technologische Wandel hat fundamentale Veränderungen im
ökonomischen Handeln von Privathaushalten ausgelöst. Im Laufe dieses Prozesses ist die
gängige Gegenüberstellung von Einkommenserzielung durch abhängig Beschäftigte auf der
einen Seite sowie Investition und Vermögensanlage durch eine „Rentier-Klasse“ auf der anderen
Seite abgelöst worden durch Netzwerke, in denen einzelne Akteure multiple Rollen als
Arbeitende und Investierende, Schuldende und Zahlungsempfangende einnehmen können.
Diese Netzwerke zeichnen sich nicht nur durch höhere Komplexität aus, sondern auch durch
gestiegene Unsicherheit, die sich sowohl positiv als auch negativ äußern kann: Erweiterte
Potenziale zur ökonomischen Chancenverwertung, die früher wenigen Vermögenden
vorbehalten waren, stehen einer wachsenden Gefahr von Vermögensverlust, Überschuldung und
sozialem Ausschluss gegenüber. Diese Entwicklungstendenz wird auch als „Finanzialisierung
des Alltags“ bezeichnet.
Die durch die Finanzialisierung des Alltags gesteigerten Risiken und Chancen von Haushalten
sollen in einer Ad-hoc-Gruppe unter dem Aspekt des Zugangs zu und Ausschlusses von Märkten
thematisiert werden. Im Mittelpunkt stehen drei Fragen: Erstens, wie finden Prozesse der
Öffnung und Schließung von Märkten für Privathaushalte statt und wie können die zugrunde
liegenden Faktoren gefasst werden? Bei dieser Frage stehen die Strukturen, Gemeinsamkeiten
und Unterschiede von Märkten und die Mechanismen des Zugangs und Ausschlusses im
Vordergrund. Zweitens, welche Wechselwirkungen beim Marktzugang und Marktausschluss
bestehen zwischen unterschiedlichen Märkten (z.B. Kreditmärkten und Arbeitsmärkten) sowie
zwischen
Märkten
und
sozialstrukturellen
Ungleichheiten
und
wohlfahrtsstaatlichen
Interventionen? Hier geht es um Feedback-Effekte, aber auch staatliche Förderung oder
Verhinderung von Marktzugang und -ausschluss. Und drittens, wie äußern sich Prozesse der
Öffnung und Schließung von Märkten im individuellen Handeln und Erleben? Diese Frage
bezieht sich auf Auswirkungen des Marktzugangs/-ausschlusses auf spezifische Gruppen, z.B.
Kleinanleger, prekäre Selbständige oder Überschuldete.
Die Ad-hoc-Gruppe schließt thematisch an eine von den Organisatoren beim letzten DGSKongress veranstaltete Ad-hoc-Gruppe zu „Krisen durch die Finanzialisierung des
Alltagslebens“ an und erweitert die Perspektive von einer Fokussierung auf Schulden und ihrer
staatlichen Regulierung zu Phänomenen der Marktöffnung und -schließung. Ziel der Ad-hoc-
Gruppe ist die inhaltliche Weiterentwicklung des wachsenden Feldes der FinanzialisierungsForschung und ein verstärkter Austausch mit Wirtschaftssoziologie, Kultursoziologie,
politischer Soziologie und Wohlfahrtsstaatsforschung bei der Analyse von Auswirkungen der
Finanzialisierung auf Staat, Märkte und Alltagspraktiken von Haushalten und individueller
Akteur/inn/en. Die Ad-hoc-Gruppe ist bestrebt, die hinsichtlich Disziplinen, Theorien und
Methoden disparate Forschung zum Thema Finanzialisierung zu bündeln und zu sondieren.
Drei Beiträge zum Thema der Ad-hoc-Gruppe stehen bereits fest. Mit Bezugnahme auf die erste
Fragestellung wird Jürgen Schraten (Universität Gießen) unterschiedliche theoretische
Modellierungen von Märkten skizzieren und das gängige Konzept der „Märkte rationaler
Individuen“, dessen Grundtheoreme auf Max Weber zurückgehen, mit einem Modell der
„Märkte reputierender Gruppen“, das auf Theorien von Marcel Mauss beruht, kontrastieren.
Lydia Welbers und Michael Walter (Universität Bremen) antworten auf dieselbe Fragestellung
mit einer ethnographischen Studie über Investmentclubs und deren Zugang zu Finanzmärkten.
Auf die dritte Frage bezieht sich der Beitrag von Patricia Pfeil (Hochschule Kempten) und
Marion Müller (sine-Institut München), in dem die Auswirkungen des Marktausschlusses auf
Menschen in Überschuldung und die daraus resultierende Einengung von Handlungsoptionen
aus einer biographischen Perspektive in den Blick genommen werden. Diskutiert wird, welche
Formen der Identitätsarbeit überschuldete Menschen leisten müssen, um das Scheitern am
Markt im immer mehr marktförmig organisierten „aktivierenden Staat“ zu bewältigen.
Über diesen Call for Papers sollen zwei weitere Beiträge eingeworben werden. Die Ad-hocGruppe ist offen für unterschiedliche disziplinäre, theoretische und methodische Arbeiten, die
Prozesse der Öffnung und Schließung von Märkten für Privathaushalte thematisieren. Wir bitten
um Bewerbungen in Form von 1-2-seitigen Abstracts per E-Mail an die Organisatoren bis zum
30. April 2016. Alle BewerberInnen werden bis zum 6. Mai benachrichtigt. Wir bitten um
Zusage bis zum 9. Mai, damit die Beiträge bis zum 11. Mai an das Kongressbüro gemeldet
werden können.