Prof. Dr.-Ing. Udo Ungeheuer Präsident des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. Begrüßungsrede zur VDI-Politikveranstaltung „Digitale (R)evolution – Wie gestalten wir die Arbeit der Zukunft?“ 24. November 2015 Humboldt Carré Behrenstraße 42 10117 Berlin Es gilt das gesprochene Wort. 1 Sehr geehrter Herr Staatssekretär Machnig, sehr geehrte Teilnehmer der Podiumsdiskussion, meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlich willkommen zu unserer Veranstaltung „Digitale (R)evolution – Wie gestalten wir die Arbeit der Zukunft?“. Rein technisch gesehen verstehen wir unter Technische Definition von Digitalisierung. der Digitalisierung die Umwandlung von analogen in digitale Daten – also die Überführung von physischen Prozessen in die IT-Welt. Doch die Digitalisierung ist bei weitem kein rein technischer Prozess. Sie ist vielmehr ein durch Technologie und Infrastruktur Digitalisierung ist ein gesamtgesellschaftlicher Strukturwandel. ausgelöster gesamtgesellschaftlicher Strukturwandel. Dieser ist in seiner Entstehung evolutionär. 2 Zu den bisherigen Meilensteinen gehören die Entwicklung der Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik, die Einführung flexibler Automatisierung in der Industrie sowie das Internet als weltweites Kommunikationsnetz. In seinen Auswirkungen ist die Digitalisierung allerdings revolutionär. Sie verändert die Art und Weise, wie wir leben, wirtschaften und arbeiten, radikal. Damit sind enorme Chancen verbunden, aber auch Risiken, Ängste und ganz viele Fragen. Was die Digitalisierung für das Arbeiten der Vier Thesen zur Digitalisierung der Arbeit. Zukunft bedeuten kann, wollen wir heute näher beleuchten. Zur Einstimmung auf unsere Diskussion biete ich vier Thesen an. Meine erste These lautet: „Die Arbeit wird uns nicht ausgehen.“ Viele Schreckensszenarien geistern derzeit durch die Medien. Darin heißt es, „die 3 Erste These Roboter kommen und nehmen den Menschen die Arbeit weg“. Und die „Smart Factories“ der Zukunft seien vor allem „menschenleere Fabriken.“ Ein häufig zitiertes Pessimismus-Szenario ist das der britischen Autoren Carl Benedikt Frey/Osborne Studie Frey und Michael Osborne. Sie haben 2013 für die USA unter gewissen Annahmen „errechnet“, dass 47 Prozent aller Jobs in den kommenden zehn bis 20 Jahren von Robotern oder Software ersetzt werden könnten. Ähnliche Befürchtungen vom „Ende der Arbeit“ gibt es auch für Deutschland. Meine Damen und Herren, solche Szenarien müssen und sollten wir mit Vorsicht genießen. Stand heute lassen sich keine seriösen Vorhersagen über die genauen quantitativen Beschäftigungseffekte der Digitalisierung treffen. 4 Ein Blick in die Geschichte der Arbeit gibt jedoch eher Anlass für Optimismus. Mit jeder Blick in die Geschichte der Arbeit. weiteren technologischen Entwicklungsstufe wurden menschliche Arbeitsschritte in der Produktion nach und nach automatisiert, das heißt auf den Betrieb mit Maschinen umgestellt und dadurch Effizienzpotenziale gehoben. Die Geschichte der Industrialisierung ist Geschichte der Industrialisierung also eine Geschichte fortschreitender Automatisierung und der Etablierung neuer, disruptiver Geschäftsmodelle. Diese hat uns immer wieder zu strukturellen Anpassungen gezwungen - auch zu schwerwiegenden. Aber entgegen aller Befürchtungen hat sie langfristig nie im großen Stil Arbeitsplätze vernichtet. Vielmehr haben sich die Inhalte von Arbeit verändert. Aber nicht nur die Geschichte stimmt mich optimistisch. Ich sehe auch erhebliche Chancen für unsere Unternehmen, durch die Digitalisierung 5 zusätzliche Wertschöpfung und Arbeit bei uns zu schaffen. Lassen Sie mich eine Feststellung machen, die auch von der EU-Kommission geteilt Bei der Digitalisierung sind wir Mittelmaß. wird: Bei der Digitalisierung sind wir heute nur Mittelmaß. Wir hinken in Europa beim elektronischen Geschäftsverkehr, bei digitalen Diensten oder bei der Nutzung sozialer Medien und der Cloud durch die Unternehmen hinterher. Hier müssen wir uns zweifellos verbessern! Zuversichtlich stimmt mich aber, dass wir im Bei Industrie 4.0 starten wir aus der Pole Position. Rennen um die Industrie 4.0 aus der PolePosition starten. Und das nicht nur im europäischen, sondern auch im globalen Maßstab: Wir haben eine sehr leistungsfähige Industrie. Wir sind bei der Automatisierung führend. Und wir verfügen über hervorragend ausgebildete Fachkräfte. 6 Deshalb bin ich davon überzeugt: Die Digitalisierung verändert, wie wir arbeiten, nicht dass wir arbeiten. Digitalisierung wird nicht in Frage stellen, dass wir auch in Zukunft noch in Deutschland arbeiten werden, aber sie wird verändern, wie wir arbeiten. Damit komme ich zu meiner zweiten Zweite These These: „Es gibt keinen technischen Determinismus. Die Arbeit der Zukunft ist gestaltbar.“ Damit meine ich: Der technische Fortschritt ist keinesfalls der alles bestimmende Faktor, dem sich Wirtschaft und Gesellschaft unterzuordnen haben. Die Digitalisierung wirkt nicht wie „Naturgesetze“ auf Organisationen und ihre Arbeitsstrukturen Der Mensch bleibt Entscheider. ein. Ihre Wirkung wird vielmehr durch menschliche Entscheidungen geprägt. Der Mensch bleibt auch im digitalen Zeitalter der Entscheider darüber, wie und in welchem Umfang er Technologie einsetzt und wie er Arbeit gestaltet. 7 Unser Ziel muss also sein, die neuen Technologien so einzusetzen, dass sie zu einem Mehrwert sowohl für die Kunden, die Unternehmen, als auch für ihre Mitarbeiter führen. Hier haben die Unternehmen im Zusammenspiel mit den Sozialpartnern ihre ganz eigenen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, die sie dafür nutzen sollten, die Qualität der Arbeit weiter zu verbessern. Dies führt mich zu meiner dritten These: Dritte These „Wir brauchen eine digitale Qualifizierungsoffensive.“ Auch ohne technischen Determinismus und trotz der Chancen, die sich durch die Digitalisierung für Wertschöpfung und Qualifizierung nimmt höheren Stellenwert ein. Arbeitsplätze in Deutschland bieten, scheint eines klar: Qualifizierung wird künftig einen noch höheren Stellenwert einnehmen. 8 In den „intelligenten Fabriken“ werden neue Interaktionsformen zwischen Mensch und Maschine entstehen. Menschliche Arbeit wird durch den vermehrten Einsatz von Robotern und intelligenten Assistenzsystemen unterstützt, aber teilweise auch ersetzt. Dadurch verschieben sich die Aufgaben in der Produktion: Besonders schwere und eintönige Arbeiten werden bereits heute von Robotern erledigt – dieser Prozess wird auf Basis von Assistenzsystemen weiter fortschreiten. Wichtiger werden hingegen hochqualifizierte Tätigkeiten der Rationalisierungsdruck trifft v.a. Geringqualifizierte. Anlagenführung oder der Instandhaltung von Maschinen. Der Rationalisierungsdruck trifft also besonders Geringqualifizierte. Daher die stark zunehmende Bedeutung der Qualifizierung. Für die digitale Ökonomie der Zukunft benötigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer „Digitalkompetenz“. Schon in 9 Vermittlung von Digitalkompetenz beginnt in der Schule. den Schulen müssen wir den Nachwuchs mit IT-Unterricht, dem Computer und Tablet als natürliche Lernmittel vertraut machen. Dazu gehört auch eine Reform der Lehrerausbildung hin zu der Fähigkeit des Lehrpersonals, unseren Nachwuchs fit zu machen für die Digitalisierung. Die Unternehmen ihrerseits müssen die In den Unternehmen wird Weiterbildung wichtiger. Weiterbildung ihrer Mitarbeiter und lebenslanges Lernen konsequent und systematisch fördern und fordern. Hier bedarf es Akzeptanz auf beiden Seiten der betrieblichen Sozialpartnerschaft. Meine vierte und letzte These lautet: „Wir Vierte These müssen unser Arbeitsrecht neu denken.“ Stehen viele Unternehmen dem Konzept „Home Office“ heute noch skeptisch gegenüber, wird der digitale Wandel vermutlich zu einer breiten Akzeptanz und Durchdringung von „mobilem Arbeiten“ Arbeit wird entgrenzt und entbetrieblicht. 10 führen. Arbeit wird zunehmend entgrenzt. Mithilfe des Internets und globaler Vernetzung werden wir Arbeit künftig unabhängig von Zeit und Ort beispielsweise auf firmenübergreifenden Online-Plattformen erledigen können. Arbeit wird dadurch auch ein Stück weit „entbetrieblicht“, traditionelle Arbeitsorte lösen sich auf. Die klassischen „Nine-toFive“-Jobs mit Präsenzkultur werden immer seltener werden. Das „always on“ ermöglicht einerseits mehr Gefahr der ständigen Erreichbarkeit. Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Andererseits birgt es das Risiko deutlich erhöhter Arbeitsbelastung durch ständige Erreichbarkeit. Unser geltendes Arbeitsrecht wird den Neues Arbeitsrecht für neue Beschäftigungsformen. Anforderungen der neuen digitalen Arbeitswelt nicht genügen. 11 Wir brauchen neue Regeln für neue Beschäftigungsformen wie z.B. das Crowdoder Clickworking. Diese neuen Arbeitsformen brauchen Schutz, aber auch Akzeptanz. Dazu müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass nur ein „Normalarbeitsverhältnis“ mit Präsenzkultur und einem Achtstundentag ein „gutes Arbeitsverhältnis“ sein kann. Mehr Flexibilität ist gefragt. Aber Flexibilität verlangt auch Fairness von beiden Seiten – Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen. Meine Damen und Herren, Zusammenfassung der vier Thesen ich komme zum Ende meiner Ausführungen. Lassen Sie mich meine Punkte noch einmal kurz zusammenfassen: 1. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. 12 2. Es gibt keinen technischen Determinismus, sondern die Arbeit der Zukunft ist gestaltbar. 3. Wir brauchen eine digitale Qualifizierungsoffensive und 4. Wir müssen unser Arbeitsrecht neu denken. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und begrüße nun gemeinsam mit Ihnen allen ganz herzlich als nächsten Redner Herrn Professor Bauer vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Professor Bauer wird uns eine wissenschaftliche Perspektive auf die Digitalisierung der Arbeit geben. Lieber Herr Professor Bauer, Sie haben das Wort! 13 Überleitung an Herrn Professor Bauer.
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